Kellers Gotthelf-Kritiken
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Blätter für literarische Unterhaltung, 29.3.1851 |
Blätter für literarische Unterhaltung, 31.3.1851 |
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Zu den bedeutendsten literaturkritischen Schriften Kellers gehören die Gotthelf-Rezensionen, die er zwischen 1849 und 1855 verfaßte und in den von Brockhaus verlegten Blättern für literarische Unterhaltung publizierte. So sehr er, als Radikalliberaler, Gotthelfs christlich-konservative Politisiererei ablehnte, so sehr wußte er dessen erzählerisches Talent zu schätzen.
Blätter für literarische Unterhaltung, 29.3.1851 |
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Jeremias Gotthelf.
1. Die Käserei in der Vehfreude. Eine Geschichte aus der Schweiz von {Jeremias Gotthelf.} Berlin, Springer. 1850. Br. 8. 1 Thlr. 10 Ngr.
2. Erzählungen und Bilder aus dem Volksleben der Schweiz von {Jeremias Gotthelf.} Zwei Bände, Berlin, Springer. 1849 - 50. 8. 1 Thlr. 25 Ngr.¨
Pfarrer Bizius steht als Schriftsteller nicht über dem Volke von welchem und zu welchem er spricht; er strebt vielmehr mitten unter demselben und trägt an seiner Schriftstellerei reichlich alle Tugenden und Laster seines Gegenstandes zur Schau. Leidenschaftlichkeit, Geschwätzigkeit, Spottsucht, Haß und Liebe, Anmut und Derbheit, Kniffsucht und Verdrehungskunst, ein bischen süße Verleumdung: alle diese guten Dinge sind nicht nur in dem Leben und Treiben seiner Helden, sondern auch in seiner beschreibenden Schreiberei zu schmecken. Insofern ist er viel mehr als die kunstgerechten und objectiven, idealisirenden Dorfgeschichtendichter, ein wahrer Leckerbissen für jeden Gourmand und wahren Kenner des Volkslebens. Ob dabei der beste Zweck hinsichtlich der ästhetischen Foderungen sowol als der pädagogischen erreicht werde, ist freilich eine andere Frage. Er sticht mit seiner kräftigen scharfen Schaufel ein gewichtiges Stück Erdboden heraus, ladet es auf seinen literarischen Karren und stürzt denselben mit einem saftigen Schimpfworte vor unsern Füßen um. Da können wir erlesen und untersuchen nach Herzenslust. Gute Ackererde, Gras, Blumen und Unkraut, Kuhmist und Steine, vergrabene köstliche Goldmünzen und alte Schuhe, Scherben und Knochen, Alles kommt zutage, stinkt und duftet in friedlicher Eintracht durcheinander. Er baut ein berner Bauernhaus mit allen Vorrathskammern, mit Küche und Keller und den stillen Gaden der Töchter stattlich auf; aber vor allem fehlen auch Schweinstall und Abtritt nicht, und besonders in der "Käserei" ist soviel von dem animalischen Verdauungs- und Secretionsproceß die Rede daß der verzärtelte Leser mehr als ein mal unwillkürlich das Taschentuch an die Nase führt, insonderlich wenn er hinter der nordischen Theetasse sitzt, deren gerngesehene Zierde Jeremias Gotthelf gegenwärtig zu sein scheint.
Wahrscheinlich hat Bizius einst Theologie und mithin auch etwas Griechisch u. dgl. studirt; von irgend einer schriftstellerischen Mäßigung und Beherrschung der Schreibart ist aber Nichts zu spüren in seinen Werken. Das edle Handwerk der Büchermacherei hat verschiedene Stufen in seiner Erlernung welche zurückgelegt werden müssen. Zuerst handelt es sich darum daß man so einfach, klar und natürlich schreibe daß die Legion der Esel und Nachahmer glauben nichts Besseres zu thun zu haben als stracks ebenfalls Dergleichen hervorzubringen, um nachher mit langer Nase vor dem misrathenen Producte zu stehen. Alsdann heißt es hübsch fein bei der Sache zu bleiben und sich durch keine buhlerische Gelegenheit, viel weniger durch einen gewaltsamen Haarzug vom geraden Wege verlocken und zerren zu lassen. Beide Disciplinen fließen öfter ineinander, und Hr. Jeremias benutzt alsdann reichlich die Gelegenheit sie mit einem Griffe beim Schopfe zu fassen und siegreich in eine Pfütze zu werfen. Erstlich ist seine Rede so wunderlich durch {wol, aber, daneben, jedoch}, durch unendliche Referate im Conjunctiv Imperfecti gewürzt und verwickelt, daß man oft ein altes Bettelweib einer neugierigen Bäuerin glaubt Bericht erstatten zu hören. Sodann läßt er sich alle Augenblicke zu einer süßen Kapuzinerpredigt, zu einer Anspielung mit dem Holzschlägel, zu einem feinen Winke mit dem Scheunenthor verleiten, welcher weit hinter die Grenze der behandelten Geschichte gerichtet ist. In "Die Käserei in der Vehfreude", welche nur von Bernern ganz deutlich gelesen werden kann und wo es sich nur um Käs und Liebe handelt, wird wenigstens ein halbes Dutzend mal auf das frankfurter Parlament gestichelt. Hat man gelernt nicht wie eine alte Waschfrau, sondern wie ein besonnener Mann zu sprechen und bei der Sache zu bleiben, so ist es endlich noch von erheblicher Wichtigkeit daß man auch diejenigen Einfälle und Gedanken welche zu dieser Sache gehören mögen einer reiflichen Prüfung und Sichtung unterwerfe, zumal wenn man kein Sterne, Hippel oder Jean Paul ist, welches man durchaus nicht sein darf wenn man für das Volk schreibt, für das "Volk" nämlich mit Gänsefüßchen eingefaßt. Denn obgleich wir jene Herren gehörig verehren, besonders den Letzten, so wird uns doch mit jedem Tag leichter ums Herz wo ihre Art und Weise zum mindern Bedürfniß wird. Es war eine unglückselige und trübe Zeit wo man bei ihr |Trost holen mußte, und verhüten die Götter daß sie nach der Olmützer Punctation und den Dresdener Conferenzen noch einmal aufblühe. Was die Einfälle betrifft, so ist es eine eigene Sache mit denselben, und es gehört ein Rafael dazu jeden Strich stehen lassen zu können wie er ist. Wie manche Blume die man in aufgeregter Abendstunde glaubt gepflückt zu haben ist am Morgen ein dürrer Strohwisch! Wie manches schimmernde Goldstück welches man am Werktage gefunden verwandelt sich bis an einen stillen heitern Sonntagmorgen, wo man es wieder besehen will, in eine gelbe Rübenschnitte! Man erwacht in der Nacht und hat einen sublimen Gedanken und freut sich seines Genies, steht auf und schreibt ihn auf beim Mondschein, im Hemde und erkältet die Füße: und siehe, am Morgen ist es eine lächerliche Trivialität, wo nicht gar ein crasser Unsinn! Da heißt es aufpassen und jeden Pfennig zwei mal umkehren, ehe man ihn ausgibt! Da hilft weder blindes Gottvertrauen noch Atheismus, es passirt Jedem der nicht feuerfest oder vielmehr wasserdicht ist. Goethe hat gut sagen: "Gebt ihr euch einmal für Poeten, so commandirt die Poesie!" welchen Spruch ein tüchtiger Prosaiker meiner Bekanntschaft jungen Dichtern unter die Nase zu reiben pflegte, wenn sie von Stimmung sprachen. Der wackere Mann dachte nicht daran daß Goethe den "Faust", wo selbiges Sprüchlein geschrieben steht, ein ziemliches Stück Leben lang mit sich herumtrug, ehe er ihn drucken ließ. Und seltsam! gerade die Stimmung ist manchmal die gefährlichste Schlange für hoffnungsvolle Dichter. Wie manches Blatt Papier welches man in "guter Stunde" vollgeschmiert kommt Einem nach einem halben Jahre so schauerlich vor daß man vor sich selbst in die Erde kriechen möchte, roth wie ein Krebs, und dem Himmel dankt daß man selbst und nicht etwa ein Nachlaßherausgeber hinter die Sache gekommen ist!
Von solcherlei Seelenkämpfen scheint der glückselige Jeremias keine Ahnung zu haben. Während der Dichter sonst im Leben unbesonnen, leidenschaftlich, ja sogar unanständig sein kann, wenn er nur hinter dem Schreibtische besonnen, klar und anständig und fest am Steuer ist: macht es Gotthelf gerade umgekehrt, ist äußerlich ein solider gesetzter geistlicher Herr, sobald er aber die Feder in die Hand nimmt, führt er sich so ungeberdig und leidenschaftlich, ja unanständig auf daß uns Hören und Sehen vergeht. Aber wie gesagt, in diesem Falle gewinnen die echten Liebhaber nur dadurch, sie erhalten um so unverfälschtere Waare, welche sie beliebig verwenden können. So ist z. B. jedes Buch Jeremias Gotthelf's eine treffliche Studie zur Feuerbach's "Wesen der Religion". Der Gott der diese Bauern regiert ist noch der alte Donnergott und Wettermacher. Sie hangen ab von Regen und Sonnenschein, von Licht und Wärme und fürchten Hagel und Frost. Sie zittern vor dem Blitzstrahl der in ihre Scheune schlägt, und halten ihn für die unmittelbare Folge einer bösen That. Besitz und irdisches Wohlergehen verlangen sie von Gott und sind zufrieden mit ihm in dem Maße als er dieselben gewährt. Er ist der Gewährsmann und Gehülfe aller ihrer Leidenschaften. Ein ruchloses verleumderisches Weib in der Vehfreude will ihn durch Gebet zwingen ihre Feindin zu tödten, und zweifelt an seiner Gerechtigkeit wenn ihre Dorfintriguen mislingen. Da ist nie die Rede von der "schönen symbolischen Bedeutung" des Christenthums, von seiner "herrlichen geschichtlichen Aufgabe", von der Verschmelzung der Philosophie mit seinen Lehren. Dagegen spielt der Teufel eine gewichtige Rolle und Jeremias Gotthelf lässt uns diplomatischerweise im Unklaren, ob er nur als poetische Figur oder als baare Münze zu nehmen sei. Seine tugendhaften Helden sind alles conservative Altgläubige, und der Gott Schriftsteller mit der schicksalverleihenden Feder weiß sie nicht anders zu belohnen als daß sie entweder reich und behäbig sind, oder es schließlich werden. Die Lumpen und Hungerschlucker aber sind alle radicale Ungläubige und ihnen ergeht es herzlich schlecht. Spott und Hohn treffen sie um so schärfer, je länger ihnen der Bettelsack heraushängt und je dürrer ihre Felder stehen. Dies ist ganz in der Ordnung; denn nicht anders verhält es sich in der Wirklichkeit. Das Volk, besonders der Bauer, kennt nur Schwarz und Weiß, Nacht und Tag, und mag Nichts von einem thränen- und gefühlsschwangern Zwielichte wissen, wo Niemand weiß wer Koch oder Kellner ist. Wenn ihm die uralte naturwüchsige Religion nicht mehr genügt, so wendet es sich ohne Uebergang zum directen Gegentheil, denn es will vor allem Mensch bleiben und nicht etwa ein Vogel oder ein Amphibium werden. Und damit wollen wir uns zufriedengeben und es nicht stark zu Herzen nehmen wenn die weisen Herren vom stuttgarter "Morgenblatt" unlängst sagten: der "Atheismus" (oder was sie darunter verstehen) werde in der guten Gesellschaft Deutschlands nun schon nicht mehr geduldet. Wo diese "gute Gesellschaft" zu suchen ist, weiß ich freilich nicht. Vielleicht ist etwa ein stuttgarter Abendkränzlein damit gemeint, wo man den schwäbischen Jungfäulein aus dem ungeschickten und flachen Buche des Herrn Oersted vorliest; oder vielleicht besteht die gute Gesellschaft aus jenen erleuchteten germanischen Kreisen in welchen man deutsche Literaturgeschichte in den lächerlichen und naseweisen Arbeiten des Herrn Taillandier studirt!
(Der Beschluß folgt.)
Blätter für literarische Unterhaltung, 31.3.1851 |
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Jeremias Gotthelf.
(Beschluß aus Nr. 76)¨
Analog seiner religiösen ist auch Jeremias Gotthelf's juristische Weltanschauung. Er ereifert sich heftig über den eingerissenen Humanismus im Rechtsleben und sehnt sich nach der Blütezeit des Galgens und der Ruthe zurück. Und ganz liebenswürdig naiv sind ihm die heutigen Richter nichts Anderes als ausgemachte Schelme und Spitzbuben, welche mit den ungehängten Verbrechern unter Einer Decke stecken. Nicht aber daß er sich sehr um die Gesetze kümmerte, wenn sie gegen ihn sind. Seine Helden üben ein kräftiges Faustrecht und prügeln unter dem sichtbaren Beifallslächeln des Verfassers ihre radicalen Widersacher weidlich durch. Diese sind natürlicherweise immer höchst erbärmliche und nichtswürdige Gesellen, und Jeremias Gotthelf schildert sie als solche mit großer Trefflichkeit. Leider muß man gestehen daß es im Gefolge des Zeitgeistes eine Menge solcher schofeln Halunken gibt; indem wir aber sagen: des Zeitgeistes! so ist zugleich gesagt daß, wenn dieser conservativ wird, ihm jene armen Teufel ebenfalls nicht fehlen. Sie schließen sich jeder Partei an welche aus Agitation kommt und Aussichten hat oder verheißt. Die deutschen Treubünde der Gegenwart haben ein schönes Contingent Ritter von der traurigen Gestalt insichaufgenommen. Halbherrenthum bei hartnäckigem Geldmangel sind ihre Triebfeder. So wenig der christliche Gott es verhindern kann daß sich Wucherer, Heuchler und Erzschelme zu ihm bekennen, so wenig kann irgend eine Partei solchen Kameraden verbieten ihre Fahne aufzustecken.
Doch wollen wir es unserm Dichter Dank wissen daß er solche Misere so trefflich zeichnet; denn es ist noch besser wenn sie einseitig geschildert wird als gar nicht, da sie einmal vorhanden ist, und selbst unserer Partei kann es nur frommen wenn manche ihrer Mitläufer der untern Schichten sich ein wenig bespiegeln können. Für Charakterisirung der politischen Tröpfe in den obern Regionen, der unklaren und eigensüchtigen Gemüther von feinerm Korne, leistet in neuerer Zeit Gutzkow Ausgezeichnetes in seiner merkwürdigen Durchdringungs- und Anempfindungskunst.
Die "Käserei in der Vehfreude" schildert den bäuerlichen Associationsgeist, wie er eine gemeinschaftliche Sennhütte für ein ganzes Dorf errichtet. Früher wurde der gute Schweizerkäse nur auf den Alpen von einzelnen Kühern ausschließlich producirt, indem man der Meinung war seine Feinheit und Würze sei die einzige Folge der Alpenkräuter. Seit aber die Chemie nachgewiesen hat daß es, wie bei mehren andern Erzeugnissen, so auch beim Käse mehr auf die Behandlungsweise ankomme, haben in der Schweiz viele Dörfer der Niederungen sich diesem Productionszweige zugewendet. Sie bestellen sich einen erfahrenen Senn, jeder Theilnehmer liefert vom Frühjahr bis zum Herbste alle entbehrliche Milch in die gemeinschaftliche Hütte, und die auf diese Weise den Sommer hindurch entstandene Menge von Käsen wird dann auf einen Schlag an einen Händler verkauft und der bedeutende Erlös unter die Theilnehmer vertheilt, je nach der Milch welche sie geliefert haben. Dieses Thema gab nun Jeremias Gotthelf die Veranlassung alle kleinen Leidenschaften des Dorfes spielen zu lassen: die Ungeschicklichkeit und Naseweisheit bei der Constituirung und Vielherrschaft, den Ehrgeiz, Neid, Eigennutz, Mistrauen, das Durchdiefingersehen und wie alle die artigen Dinge heißen mögen, nebst vielen komischen Zügen. Vorzüglich zwei Momente ragen aus der Jugendgeschichte vorliegender "Käserei" hervor: die gewaltige Revolution welche unter den Frauen entstand, als sie, die seit Jahrhunderten über den Ueberfluß an süßer Milch und Butter unbeschränkt gewaltet, darin geschwelgt, Gastfreundschaft geübt und auch ein ansehnliches Nadelgeld bestritten hatten, nun plötzlich sich auf das Unentbehrlichste beschränkt sahen und die reinliche, weiße, so ganz weibliche Domaine den harten Händen der industriellen Männer übergeben sollten. Ferner als die Käserei endlich zustandegekommen, die volksthümliche oder menschliche Art und Weise wie jeder Einzelne, fast ohne Unterschied, sich beeilte die Gemeinschaft zu betrügen durch verfälschte Milch welche er lieferte, und nicht daran dachte wie er sich nur selbst betrog, indem bald das Ganze darüber zugrundegegangen wäre.
Mit diesem Verlaufe ist nun noch eine hübsche Liebesgeschichte verbunden. Ein schöner, überkräftiger und übermüthiger Magnatensohn, der Fürst und Herzog der wilden, faustgerechten Jugend, liebt ein armes schüchternes, aber überaus feines Mädchen und wird von ihr wiedergeliebt; doch sind sich Beide in ihrer Unschuld unklar darüber. Sie erfahren es aber durch einen ebenso überraschenden als hochpoetischen Zug des Dichters. Die Jünglinge des Dorfes kehren in sechs stattlichen Wagen, jeder von vier schweren stolzen Bauerpferden gezogen, von der Stadt zurück, wohin sie den Käse geliefert haben, und springen nun, vom Weine aufgeregt, in stolzem Uebermuth auf der nächtlichen Straße daher, der Held voran als ein wahrhaft antiker Wagenlenker. Er ist bestrebt das jämmerlich-komische Fuhrwerk eines liberalen Windbeutels, der vor ihnen herfährt, mit seinem feurigen Gespanne zu überholen und ein wenig auf die Seite zu drücken, schmettert es aber nicht nur zu Boden, sondern überfährt auch seine Geliebte, welche in der Dunkelheit ungesehen denselben Weg wandelte. Sie wird ohnmächtig auf seinen Wagen gelegt, schlägt ihre Augen ein wenig auf und schließt sie wieder ganz selig als sie ihn erblickt, während er durch seinen Kummer um sie ebenfalls über seine Liebe gewisser wird. Die Lösung des Knotens wird ebenso originell herbeigeführt, indem der ritterliche Bursche eines Sonntags in der Kirche, mitten in der Predigt, eingeschlafen ist und in süßen Träumen laut von seinem Liebchen einen Kuß verlangt. Um das Mädchen nicht in Schande zu bringen, muß er sich sogleich erklären und heirathet es.
Die "Erzählungen und Bilder aus der Schweiz" enthalten theils solche ähnliche Geschichten in kürzerer Novellenform, meistens das Werben eines rüstigen Bauernsohns um ein Weib oder umgekehrt; theils Anekdoten und Schwänke in der Art des "Rheinischen Hausfreundes", auch einige Visionen à la Jean Paul. Die Anekdoten wie die Visionen erscheinen nicht so ungezwungen und eigenthümlich und hätten füglich unterdrückt werden mögen. Die Novellen aber sind alle vom gleichen guten Stoffe wie die größern Arbeiten Gotthelf's. Vorzüglich fällt es auf, und jeder Leser wird es gestehen, wie, abgesehen von der überladenen Polemik und den Geschmacklosigkeiten in vielen Bildern, es doch so wahrhaft episch hergeht in dieser Welt. Viele Züge könnten ebenso wol dreitausend Jahre alt sein wie nur eines, und in beiden Fällen gleich wahr und treffend. Die Frauen sind schlau, wohlwollend und vorsorglich, die kräftigen Männer sind geschwätzig und rühmen sich selbst unbekümmert, gleich den Homer'schen Helden. Es ist der Stolz der Väter, wenn sie nach einem Volksfeste einige Hundert Thaler an die von ihren Söhnen Verwundeten auszahlen müssen, und Dieses bringt That und Bewegung in die Geschichten. Die Söhne sind große Pferdekenner und fahren voll Stolz durch das Land.
Ein weiterer alterthümlicher Reiz ist in einigen dieser Geschichten, wo eine Brautwerbung vorsichgeht, daß gar nie von Liebe die Rede ist. Die Leute gehen aus ein Weib oder einen Mann zu suchen der auf ihren Hof paßt, und doch empfindet der Leser jedesmal am Schlusse eine Genugthuung wie kaum im empfindsamsten Romane. Wenn ein Mädchen die einer tüchtigen Bäuerin nöthigen Tugenden und einen schönen Leib besitzt, so ist sie Das was der Werber gesucht hat, und es beruht diese Weise auf der Erfahrung daß, wo ein recht gesunder Mann mit einem detto Weibe zusammenkommt und Beide aufeinander angewiesen sind, auch eine gesunde Liebe nie ausbleibt. In den Städten, wo eine Unzahl Verschiedenheiten in der Geschmacksrichtung und Geistesbildung ebenso viele "Misverhältnisse" veranlaßt, wo eine Frau eine unglücklich Getäuschte ist, weil es sich erweist daß der Mann keine Symphonie zu genießen im Stande ist: - dort ist diese Weltanschauung allerdings nicht mehr am Platze; aber auf dem Lande wo alle Bedingungen der Harmonie noch einfacher und gleichmäßiger sind ist sie weit poetischer als man glauben möchte. Wenigstens ist die Stimmung des Lesers in Jeremias Gotthelf's einfachen und hübschen Werbegeschichten so poetisch wie in jedem andern Romane, und bei mir war sie es mehr als wenn ich im Petrarca gelesen hätte.
Zu Bodmer's und Breitinger's Zeiten und bis tief in unser Jahrhundert hinein pflegte die deutsche Kritik jeden Schweizer der etwa ein deutsches Buch zu schreiben wagte damit zurückzuscheuchen daß sie ihm die "Helvetismen" vorwarf und behauptete kein Schweizer würde jemals Deutsch schreiben lernen. In jetziger Zeit, wo die Königin Sprache die einzige gemeinsame Herrscherin und der einzige Trost im Elende der deutschen Gauen ist, hat sich Dies geändert, und sie begrüßt mit Wohlwollen auch ihre entferntesten Vasallen, welche ihr Zierden und Schmuck darbringen wie sie dieselben vor 500 Jahren noch selbst gesehen und getragen hat. Jeremias Gotthelf misbraucht zwar diese Stimmung, indem er ohne Grund ganze Perioden in Bernerdeutsch schreibt, anstatt es bei den eigenthümlichsten und kräftigsten Provinzialismen bewenden zu lassen. Doch mag auch Dies hingehen und bei der großen Verbreitung seiner Schriften veranlassen daß man in Deutschland mit ein bischen mehr Geläufigkeit und Geschicklichkeit als bisher den germanischen Geist in seine Schlupfwinkel zu verfolgen lerne. Wir können hier natürlich nicht etwa die philologisch Gebildeten, sondern nur diejenige schreibende und lesende Bevölkerung Norddeutschlands meinen welche so wenig sichern Takt und Divinationsgabe in ihrer eigenen Sprache besitzt daß sie gleich den Compaß verliert, wenn nicht im leipziger oder berliner Gebrauche gesprochen oder geschrieben wird. 48.