Gottfried Keller

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Die mißbrauchten Liebesbriefe

Materialien
Personen
Zusammenfassung
Eine Verfilmung
 

Personen

 


Hauptpersonen

"Mitspieler"

Nebenpersonen

Viggi Störteler

Lehrer Wilhelm

Tuchscherer, Besitzer des Rebbergs

Gritli, Störtelers Frau

Ännchen, Gritlis Freundin

 

Wilhelm, Lehrer

Kätter Ambach, Störtelers zweite Frau

Seldwyler

 

 

Zusammenfassung

 

Die folgende Inhaltsangabe ist dem Reclam-Bändchen

Klaus-Dieter Metz: Literaturwissen für Schule und Studium. Gottfried Keller. Stuttgart 1995 (Reclams Universalbibliothek, Nr. 15205), S.73-79

entnommen, das, wie schon erwähnt, insgesamt eine einfache Einführung in Kellers Werk insgesamt bietet. (Bitte diese Quelle immer angeben!)


Spuren zur dritten Geschichte der Leute von Seldwyla II gehen von Kellers Berliner Zeit in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre aus. Sein Ärger und Spott über das Gehabe sogenannter Schriftsteller, deren wichtigtuerische Arbeitsweise und einfältig-vermessene Endprodukte entladen sich wiederholt (vgl. Briefe 1, S. 251 und 369). [...]


Viktor Störteler, Viggi genannt, ein solider und erfolgreicher Geschäftsmann, was in Seldwyla eine Ausnahme ist, gerät unter die Literaten. Unter dem Pseudonym Kurt vom Walde beginnt er erst Essays, dann Novellen zu schreiben und trifft sich auf Geschäftsreisen mit gleichgesinnten Dilettanten. Und eines Tages ist es soweit, man beschließt unter großem Lärm "die förmliche und feierliche Stiftung einer >neuen Sturm- und Drangperiode< [...], um diejenige Gärung künstlich zu erzeugen, aus welcher allein die Klassiker der neuen Zeit hervorgehen würden" (6).

Viggi Störteler kehrt "ganz aufgebläht von neuen Aussichten und Entwürfen in seine Heimat zurück" (12). Er läßt seine Haare lang wachsen, streicht sie hinter die Ohren, setzt sich eine Brille aus Fensterglas auf und trägt ein Spitzbärtchen. Zu atmosphärischen Störungen im Hause Störteler aber kommt es erst, als er seine hübsche Frau Gritli in seine literarischen Allüren mit einbeziehen will. Da ihre gesunde, natürliche Art sich dagegen wehrt, setzt Viggi künstlich eine Briefproduktion in Betrieb. Mit kaufmännischem Kalkül macht er seine Ehefrau zum Brief-, sprich Geschäftspartner: Während einer Geschäftsreise leitet er aus der Ferne einen hochtrabenden Briefwechsel ein, der auf dem literarischen Markt als "Briefe zweier Zeitgenossen" (30) ein Bestseller werden soll. Als Viggis erste geschwollene Epistel eintrifft, ist Gritli, die im Briefwechsel Alwine heißen muß, so ratlos, daß sie nur in einem Briefverkehr zu dritt einen Ausweg findet: Sie schreibt die Briefe ihres Mannes mit kleinen Veränderungen ab und gibt sie an ihren Nachbarn weiter, einen etwas einfältigen, überaus verträumten Junggesellen, Schullehrer von Beruf. Dieser junge Mann namens Wilhelm, der Frauen nur in seiner Phantasie reichlich zu lieben weiß und dies umso intensiver tut, je weniger die Wirklichkeit ihm dazu Gelegenheit bietet, beantwortet alle Briefe genauso, wie Viggi es wünscht, so daß Gritli wiederum Abschriften anfertigt und diese ihrem Ehemann schickt, während sie die Originale beider Briefschreiber bei sich behält. So entsteht das Widersinnige, Lächerliche unter der Regie einer Frau: Zwei Männer, ohne voneinander zu wissen, schreiben sich gegenseitig glühende Liebesbriefe, und das jeden Tag, schließlich sogar zweimal täglich. Der Mißbrauch dieser Liebesbriefe ist also insgesamt dreifach: Viggi mißbraucht Gritlis Gefühle mit Briefen. Gritli mißbraucht ihrerseits die Briefe ihres Ehemannes, indem sie sie an ihren Nachbarn weiterreicht; dessen Briefe aber mißbraucht sie wiederum, indem sie sie für ihren Ehemann kopiert. Zwischen ihren beiden Briefpartnern gerät Gritli nicht nur in eine äußere, sondern auch in eine innere Zerreißprobe. Auf der einen Seite steht der Ehemann, der nur fähig ist, Liebe auf dem Papier vorzugaukeln, auf der anderen Seite der Nachbar, der beim Schreiben mehr und mehr in eine heftige Liebesleidenschaft verfällt.

Als Viggi Störteler die Heimreise nach Seldwyla antritt, fliegt sogleich Gritlis Briefhandel auf, da ihm unterwegs aufgrund einer Unachtsamkeit des Schullehrers die eigenen, von Gritli abgeschriebenen Briefe in die Hände fallen. In seiner Eitelkeit zutiefst getroffen, ohne jede Einsicht für die von ihm verursachte Not seiner Frau und ohne das gehörige Augenmaß für die Verhältnismäßigkeit von Schuld und Strafe, wirft er Gritli aus dem Haus und verstößt sie als Ehefrau. Die Ehe der Störtelers wird geschieden, und Wilhelm verliert in der Folge des Briefskandals, der den Seldwylern nicht verborgen bleibt, seine Anstellung als Lehrer. Kommerz und Dichtkunst sind nicht zu vereinbaren, das zeigt der Briefverkehr zu dritt beispielhaft.

Neben dem aufgeblasenen Briefwerk "zweier Zeitgenossen" hat Viggi in Postskripta ganz nebenbei einen zweiten "die geschäftlichen und häuslichen Angelegenheiten" (19) betreffenden Briefverkehr geführt; denn der Kaufmann Störteler trennt nach den Denkmustern eines Buchhalters ganz streng Poesie und Geschäft wie Soll und Haben, damit schließlich ein Gewinn erwirtschaftet werden kann und der Kunde, sprich hier: der Leser, ein reines Produkt höchster Briefkultur erhält. Während aber die Hauptbriefe literarischer Schund sind, erweisen sich die Nebenbriefe groteskerweise als wahre Briefkunst. Aus Alltagsgeschehnissen werden in den Postskripta Miniaturgeschichten der Leute von Seldwyla. In den Müllers aus der Burggasse und dem Schorenhans spiegeln sich Originalität und Gerissenheit des Seldwylertums erzählerisch getreu wider, so daß für den außenstehenden Leser diese unscheinbaren, kleinen Erzählskizzen Maßstab für ein echtes, unverstelltes Briefschreiben werden. Die Nebenbriefe sind die Norm, das Positive, das Keller dem Schwulst der Hauptbriefe entgegensetzt.

Unnachsichtig bestraft der wahre Dichter Gottfried Keller den falschen Dichter Viggi Störteler. Er nimmt ihm sein "hübsches, gesundes und gutmütiges Weibchen" (3) und verheiratet ihn mit einem bösen Weib namens Kätter Ambach, einer Anti-Muse mit einem "sehr langen hohen Rumpf, der auf zwei der allerkürzesten Beine einherging, so daß ihre Taille nur um ein Drittel der ganzen Gestalt über der Erde schwebte" (37). Mit ihrem alles zermalmenden "unverhältnismäßigen Unterkiefer" (37) frißt sie heißhungrig Viggi geradezu auf. Zum Schluß bleiben ihm noch nicht einmal mehr die Mittel, um die Portokosten für seine literarische Korrespondenz bestreiten zu können, da Kätter alles vernascht, und schließlich wirft sie die Briefe unfrankiert in den Postkasten. In ihrer Not kramen am Ende beide noch einmal jene "Briefe zweier Zeitgenossen" hervor, beziehen sie auf sich und setzen die Korrespondenz unter Gezänk fort, bis das komische Paar ganz aus Seldwyla und der Welt verschwindet.

Gritli und Wilhelm sind dagegen die Hauptakteure einer Art Läuterungsgeschichte, die der Literatursatire um Viggi Störteler folgt und die den Mißbrauchten Liebesbriefen einen zweiten Schwerpunkt gibt. Eine solche Zweigliedrigkeit ist einerseits als Kompositionsmangel, als Verstoß gegen die Einheitlichkeit novellistischen Erzählens zu werten, andererseits entsteht aus dieser Kontrastierung ein besonderer Reiz. Der Lehrer Wilhelm läßt sich nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst draußen vor der Stadt in einem abgelegenen Rebhäuschen nieder und verwaltet von hier aus mit großem Geschick und Sachverstand den Weinbau und die Landwirtschaft eines Seldwyler Tuchscherers. In dieser Abgeschiedenheit wird Wilhelm zum Einsiedler, er findet zu sich selbst, seine ausdauernde Arbeit im Freien erlöst ihn von allen Phantasien, Torheiten und Trugbildern, er wird in der Natur nicht nur zu einem reifen, verständnisvollen, sondern auch gut aussehenden Mann. Und als Wilhelm schließlich noch Bittstellern, die zu ihm in die Bergeinsamkeit hinaufsteigen, mit Klugheit und Überlegung Rat in alltäglichen Angelegenheiten zu geben weiß, bilden sich um ihn schon Legenden. Die Bauern sprechen "von ihm als von einem halben Weisen und Propheten" (59), so daß Wilhelm bald als ein außergewöhnlicher Einsiedler gilt, dessen Ansehen und Ruhm über Seldwyla hinaus in das ganze Umland reichen.

Aber einen "solchen Heiligen" (59) muß noch eine mächtige Versuchung überkommen, der er erfolgreich begegnet, bevor seine Bekehrung von allem Leichtfertigen und Sündhaften in Liebesdingen endgültig ist. Also tritt Gritlis beste Freundin Ännchen als Verführerin auf, aber Wilhelm widersteht in seiner Klause allen Künsten weiblicher Verlockung, so daß nichts mehr im Weg steht, das Himmlische auf Erden, nämlich Gritli, als Lohn zu empfangen.

Ein solches Bekehrungswunder läßt sich auch wie ein Märchen lesen: Der verwunschene Prinz sitzt in einer "sonderliche[n] Behausung, welche inwendig noch märchenhafter aussah als von außen. Die Wände waren mit bemooster Baumrinde, mit Ammonshörnern, Vogelnestern, glänzenden Quarzen ganz bekleidet, die Decke mit wunderbar gewachsenen Baumästen und Wurzeln, und allerhand Waldfrüchte, Tannzapfen, blaue und rote Beerenbüschel hingen dazwischen. Die Fenster waren herrlich gefroren; jedes der runden Gläser zeigte ein anderes Bild, eine Landschaft, eine Blume, eine schlanke Baumgruppe, einen Stern oder ein silbernes Damastgewebe" (62). Das Rebhäuschen erscheint dem Besucher wie ein Zauberschloß, in dem Wilhelm seinen Winterschlaf hält, bevor ihn im Frühjahr Gritli wachküßt. Gritlis Freundin Ännchen aber tritt wie ein Zauberer "mit einem großen Koffer, worin sie das nötige Handwerkszeug für ihr Vorhaben mitbrachte" (64 f.), bei Gritli auf, um sich als verführerische Landfrau zu verkleiden. Alles geht gut aus, und "als der Mai gekommen, hielten sie unter blühenden Bäumen eine fröhliche Hochzeit" (78). Viggi Störteler dagegen erhält die im Märchen obligate Strafe, eine böse Frau, die ihn sein Leben lang quält, genauso wie dies dem Hexenmeister Pineiß in Spiegel, das Kätzchen mit der Begine und dem Kammachermeister Jobst in den Drei gerechten Kammachern mit der Züs Bünzlin ergeht. Wilhelm und Gritli aber haben eine zahlreiche Nachkommenschaft, alles "wohlerzogene Kinder, welche sich, als sie erwachsen waren, andere Wohlerzogene zur Ehe herbeiholten" (78). Der Leser ist fast versucht hinzuzufügen: Und wenn sie, die Wilhelms und Gritlis, nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich in ihrem Seldwyla weiter.

 

 

Eine Verfilmung

 

Verfilmung von Leopold Lindtberg (1940)

Filmklassiker (Mundart) mit Alfred Rasser, Anne-Marie Blanc, Paul Hubschmid u. a.

Der Hauptakzent des Filmes liegt auf den Beziehungsgeschichten, während die Satire des Literaturbetriebs stark reduziert und vom sprachlichen Element gelöst wird.