Kleider machen Leute
Materialien | Deutung und Adaption |
Neu: Text und Erläuterungen | Kellers "Hans im Glück" |
Zusammenfassung | Eine Vertonung |
Literaturhinweise, Internet | Eine Verfilmung |
Wie heißt Strapinski? |
Materialien |
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Zusammenfassung |
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Personen
Hauptpersonen |
Gegenspieler |
Nebenpersonen |
Strapinski, Schneidergeselle |
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Wirt (Zur Waage) |
Nettchen, Tochter des Amtsrates |
Melchior Böhni, Buchhalter |
Amtsrat |
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Goldacher und Seldwyler |
Zusammenfassung
Erzählung von Gottfried Keller, erschienen 1874 im zweiten Band des Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla. - Der Text entstand wohl in den sechziger Jahren in Zürich [...].
Ein arbeitsloser Schneidergeselle aus Seldwyla, Wenzel Strapinski, hat sich auf die Wanderschaft begeben, darf unterwegs aber bald in einer vornehmen Kutsche Platz nehmen, die mit ihm in das Nachbarstädtchen Goldach einfährt. Der dem herrschaftlichen Wagen entsteigende Schneider wird vom Kutscher als Herr von aristokratischer Herkunft ausgegeben, und Wenzel, der durch sein romantisch-melancholisches Aussehen, vor allem aber durch seinen langen und kostbar wirkenden, samtgefütterten Mantel Aufsehen erregt, gilt bald als ein polnischer, mit Reichtümern gesegneter Graf, den die neugierige und gewinnsüchtige Bürgerschaft fürstlich bewirtet und gebührend feiert. Das verträumte Schneiderlein fördert das für ihn märchenhafte Mißverständnis nicht von sich aus, findet aber auch nicht den Mut, es aufzuklären. Die wachsende Neigung zur Amtstochter Nettchen verführt ihn endgültig dazu, die allseitige Bewunderung freundlich hinzunehmen und aus der glanzvollen gesellschaftlichen Erhöhung Nutzen zu ziehen. Sein natürlich-vornehmes Wesen und sein "fürstlicher" Aufzug erwecken bald zärtliche Gefühle in der Amtstochter, die in Wenzel den Märchenprinzen erblickt, den sie in ihren romantischen Träumen herbeisehnte. Doch auf dem prächtig zugerüsteten Verlobungsfest, das Wenzel mit einem Spielgewinn finanzieren will, wartet dem Paar eine Abordnung aus Seldwyla mit einer schadenfrohen Entlarvungskomödie auf. In einer auf ihn zielenden allegorischen Pantomime über das Wortspiel "Leute machen Kleider - Kleider machen Leute" sieht sich der Kostümgraf entdeckt und flieht verzweifelt in die Winternacht hinaus. Halb erfroren findet ihn Nettchen, die ihm nachgefahren ist, im Schnee. Durch kluge Fragen bringt sie ihn zum Sprechen, erkennt nach anfänglicher Entrüstung, daß Unschuld und Wahrhaftigkeit sich hinter seiner romantischen Verirrung verbergen, und setzt gegen den Widerstand des Vaters, und ohne den Spott der Bürger zu fürchten, die Heirat durch. Wenzel rechtfertigt glänzend das in ihn gesetzte Vertrauen: Er wird ein angesehener Tuchherr in Seldwyla, später in Goldach, der seinen Besitz, aber auch seinen Leibesumfang und die Zahl seiner Kinder nach Belieben erweitert.
Wie in den anderen Erzählungen seines Zyklus deckt Keller auch hier das komplexe Verhältnis zwischen Täuschung und Realität, zwischen Schein und Sein unter gesellschaftskritischem Aspekt auf, so aber, daß der freie Humor als dominierende Erzählhaltung alle Ansätze zu satirischer Schärfe überspielt und eine freundliche Distanz des Erzählers zu seinen Gestalten ermöglicht. Der wandernde Schneider, eine typisch spätromantische Figur, kommt durch seinen vornehmen Mantel und die melancholische Blässe seines Angesichts dem heimlichen Wunschbild der Kleinstädter entgegen - einem Wunschbild, das nur die exzentrische Kehrseite ihrer kleinbürgerlichen Enge ist und das es im ersten Teil der Erzählung den beiden jungen Leuten gestattet, sich dem romantischen Schein uneingeschränkt zu überlassen. Die unvermeidliche Entlarvung dieser Täuschung stürzt das Liebespaar in eine Verzweiflung, in der erst die befreiend-heitere Wende erfolgen kann. In Nettchen, die sich, allen maskenhaften Konventionen zum Trotz, tapfer zu Wenzel bekennt, kristallisiert sich Kellers Ideal praktischer Humanität: "So feierte sie erst jetzt ihre rechte Verlobung aus tief entschlossener Seele, indem sie in süßer Leidenschaft ein Schicksal auf sich nahm und Treue hielt." Nicht in einer träumerisch-weltfremden Gebärde und im aristokratischen Habitus erscheint das Wunderbare - zeichenhaft hierfür steht der Mantel, den Keller wie zahlreiche andere Details in den Rang eines dem Allegorischen angenäherten Dingsymbols zu erheben wußte -, sondern das Wunder ereignet sich einzig in einer der gesellschaftlichen Wirklichkeit kritisch zugewandten Haltung, in der neben Tatkraft vor allem die Liebe dominiert: "So wird am Ende der märchenhafte Triumph der Fortuna, wenn auch in der reduzierten Gestalt eines realen, bürgerlichen Eheglückes, dem Helden nur dadurch geschenkt, weil die Liebe alle die Masken überwindet" (B. v. Wiese). Dagegen sieht G. Sautermeister die Novelle beherrscht von der Absicht des Autors, den falschen Schein der bürgerlichen Welt zu enthüllen, die ökonomisch bedingten Grenzen des in ihr möglichen Glückes zu umreißen: "Mit ironischem Augenzwinkern zeichnet" Keller "liebender Humanität die Grenze vor, die ihr durch den wirtschaftlichen Selbstbehauptungswillen der Privateigentümer gesetzt ist".
Aus:
Kindlers neues Literaturlexikon © CD-ROM 1999 Systhema Verlag GmbH, Buchausgabe Kindler Verlag GmbH
Wie heißt Strapinski? |
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Was niemand weiß:
Keller gab dem Schneider Strapinski zuerst gar keinen Vornamen:
Nun mußte es sich aber fügen, daß dieser, ein geborener
Schlesier, wirklich Strapinski hieß ...
So heißt es zuerst im Druckmanuskript, und erst später wurde eingefügt:
... wirklich Strapinski hieß, <Wenzel Strapinski> ...
Noch als Nettchen nach der verhängnisvollen Hochzeit ihren Gatten sucht, findet sie im Schnee ... wen? Einen Mann, namens "Julian". Erst als sie ihm kurz darauf voll Angst den "Taufnamen" ins Ohr ruft, heißt dieser "Wenzel". Zusammen mit Nettchen scheint Keller erst zu diesem Zeitpunkt den gültigen Vornamen der Hautperson gefunden zu haben: nämlich dort, wo ihre Liebe ihn erkennt. Erst jetzt fügte Keller den Namen Wenzel auch an der oben zitierten früheren Stelle ein und benennt den "Julian" in Wenzel um.
Das sind die Gesetze, nach denen Literatur entsteht!
Literaturhinweise, Internet |
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Klaus Jeziorkowski: Gottfried Keller: "Kleider machen Leute". Texte, Materialien, Kommentar, Wien/München 1984 (= Hanser Literatur-Kommentare)
Kommentar: Anspruchsvoller und sehr informativer Kommentar; nur für Leute, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen wollen.
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Gottfried Keller, Kleider machen Leute. Erläuterungen u. Dokumente, Hg. von Rolf Selbmann, Stuttgart 1984 (= Reclams Universalbibliothek, Nr. 8165).
Kommentar: Für Schüler nützlich, wie alle "Erläuterungen und Dokumente" von Reclam.
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Gottfried Keller: Kleider machen Leute mit Materialien neu zusammengestellt von Rainer Siegle. Stuttgart: Klett Verlag 1991 (= Lesehefte für den Unterricht)
Kommentar: Text mit eigenwilliger, aktualisierender Materialienzusammenstellung für den Schulgebrauch
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Walburga Freund-Spork: Gottfried Keller. Kleider machen Leute. Stuttgart: Reclam 2002 (= Lektüreschlüssel für Schüler)
Kommentar: Obwohl die neue Reclam-Serie auf dem Umschlag kompetente Informationen verspricht, wimmelt dieses Büchlein von Irrtümern und Fehlinformationen. Nur ein paar beliebige Beispiele:
- Die Zürcher Novellen (S. 70) heissen richtig Züricher Novellen (nämlich in bewußter Angleichung an die deutschen Sprachregelungen
- Die zweite Fassung des Apothekers von Chamounix entstand nicht 1860 (S. 67), sondern in den 80er Jahren
- Der Apotheker von Chamounix wurde 1883 von Keller selbst in die Gesammelten Gedichte aufgenommen und nicht erst nach seinem Tod (S. 67)
- Der Sonderbund (1847) war nicht der Zusammenschluß der Mehrheit der Kantone gegen die konservativ-katholische Minderheit (S. 61), sondern genau umgekehrt: die katholische Minderheit (nämlich 7 Kantone) war es, die sich zu einem Sonderbund zusammenschloss und damit die Mehrheit der andern Kantone zum Einschreiten zwang.
undsoweiterundsofort ...
- Zu der Ausgabe des Cornelsen-Verlags vgl. "einfach klassisch" - Keller für Minderbemittelte.
Deutung und Adaption |
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Kellers "Hans im Glück" |
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Das Identifikationsangebot liegt bei Kleider machen Leute in dem, was man ein märchenhaftes Hans-im-Glück-Modell nennen könnte. Dem Sonntagskind mit dem einfältigen Herzen müssen alle Dinge zum besten ausschlagen, auch wenn sie den anderen und zeitweise ihm selbst wie Niederlagen und Katstrophen erscheinen mögen. Macht die Gesellschaft einem solchen Hans oder Wenzel scheinbar verlockende Angebote, dann hat sie nur ihren eigenen Vorteil, ihr eigenes Vergnügen, ihre eigenen Wertmaßstäbe im Sinn. Wie der Handel für den gutmütig Geprellten ausgehen mag, kümmert sie nicht; höchstens lacht sich diese Gesellschaft ins Fäustchen bei den Niederlagen des Dümmlings, die ihm aber letztlich zu einem Glück werden, für das die Gesellschaft keine Kategorien und Maßstäbe hat. Auf ihr unbegreifliche Weise verhilft also die Gesellschaft diesem Sonntagskind zu einem Glück, das von ihr gar nicht intendiert war.
[...] Dieser Wenzel, der unbeschwert von Habseligkeiten, Besitz und Reichtümern als "Tramp" und romantisch unbürgerliche Erscheinung in die Geschichte hineinwandert, hat nichts gemein mit der etablierten Gesellschaft, in die er hineingerät. Er läßt sich von ihr aushalten, und nach einer befristeten Niederlage überlistet er die Gesellschaft mit den ihr eigenen Mitteln auf eine Weise, daß den zuerst triumphierenden Bürgern Hören und Sehen vergeht. Dieser Held ist heute, je nach Perspektive, rezipierbar als der Prototyp des Aufsteigers, des Absteigers und des Aussteigers, als einer, der sein Glück gegen die Gesellschaft macht bzw. mit ihr, aber anders als von ihr arrangiert und gewollt. Jedenfalls ist er der Mobile zwischen den fixierten gesellschaftlichen Schichten und ihren fixierten Normen, er ist hier der Nichtgebundene, der Bewegliche, der Pendler. [...] Diese Goldacher Gesellschaft stellt sich dar als deformiert von den Normen des Profits und des Erwerbs, als verbogen zudem von den trivialen Klischees des literarischen Unterhaltungsgewerbes. Für den heute Lesenden ersteht hinter den Goldacher und Seldwyler Bürgern die Gesellschaft unserer Tage, ihre Deformation durch das wirtschaftliche Vorteils- und Übervorteilungsprinzip und durch die banalen Stereotypen der Medien in Bild und Schrift, die uns unablässig überreden, daß Leute mit bestimmten Titeln, in bestimmten Rollen, Funktionen und Positionen, versehen mit gewissen äußeren Attributen der Aufmachung, die wahren großen Damen und Herren dieser Gesellschaft seien [...].
Aus: Klaus Jeziorkowski: Gottfried Keller Kleider machen Leute. Text, Materialien, Kommentar. München u. Wien: Hanser 1984, S. 132-134.
Die musikalische Komödie von Alexander Zemlinsky |
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Es gibt auch eine Vertonung von Kleider machen Leute, enstanden 1906, eine "Musikalische Komödie in 1 Vorspiel und 2 Akten". In der frei mit der Vorlage verfahrenden Oper treten unter anderen auch Adam und Frau Litumlei aus Der Schmied seines Glückes auf.
Hier die Daten dazu, entnommen der sehr informativen Internetseite www.universaledition.com:
Textdichter: Leo Feld
Rollen:
Wenzel Strapinski, Tenor / Sein Meister, Sprechrolle / 1. Schneidergeselle, Tenor / 2. Schneidergeselle, Bariton / Der Amtsrat, Bariton / Nettchen, Sopran / Böhni, Bariton / Kutscher, Bariton / Litumlei, Baß / Federspiel, Tenor / Häberlein, Tenor / Der Wirt, Bariton / Pütschli, Bariton / Ein Prologus, Sprechrolle / einige kleinere Partien
Besetzung:
1. Flöte; 2. Flöte; kleine Flöte (+ Fl.); 1. Oboe; 2. Oboe; 3. Oboe (+ Eh.); 1. Klarinette in B; 2. Klarinette in B; 3. Klarinette in B (+ Kl.(A); Kl.(Es); Kl.(D)); Bassklarinette; 1. Fagott; 2. Fagott; 3. Fagott; 1. Horn in F; 2. Horn in F; 3. Horn in F; 4. Horn in F; 1. Trompete in C; 2. Trompete in C; 3. Trompete in C; 1. Posaune; 2. Posaune; 3. Posaune; 4. Posaune; Basstuba; Pauken; Harfe; Celesta; Schlagzeug; Violine I; Violine II; Viola; Violoncello; Kontrabass; Klarinette in B; kleine Klarinette in D; 1. Horn in F; 2. Horn in F; Trompete in C; Klavier; Violine I; Violine II
Dauer (min): 100 Min.
Uraufführung: Wien 1910
Verfilmung von Helmut Käutner (1940) |
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Filmklassiker mit Heinz Rühmann, Hertha Feiler u. a.
Der Film verfährt sehr frei mit Kellers Vorlage. Der vermeintliche polnische wird zum russischen Grafen, wobei auch der rechtmäßige Graf selbst auftritt, der Buchhalter Melchior Böhni ist ein Schneider usw. Kellers Novelle wird hier eigentlich als Operette vorgeführt.
Übrigens gab es schon 1922 einen Stummfilm von Hans Steinhoff mit Hans Moser als Notar; Hugo Thimig, Hermann Thimig, Dora Kaiser, u.a.
(Mitteilung von Albert Davy)