GH 2.05

055 Fünftes Kapitel.

Beginn der Arbeit. Habersaat und seine Schule.

Als Anna mit ihrem Vater noch spät sich verabschiedete, war ich in dem Augenblicke nicht zugegen und sie konnte mir daher nicht Lebewohl sagen. Obgleich ich schmerzlich betroffen war, sie nicht mehr zu finden, überwog doch mein junges Seelenglück; auf meiner Kammer lag ich noch eine volle Stunde unter dem Fenster und sah die Gestirne ihren fernen Gang thun, und die Wellen unter mir trugen das Mondensilber auf ihren klaren Schultern hastig und kichernd zu Thal, als ob sie es gestohlen hätten, warfen hier und da einige Schimmerstücke an's Ufer, als ob sie ihnen zu schwer würden, und sangen fort und fort ihr muthwilliges Wanderlied. Auf meinem Munde lag es unsichtbar, aber süß und warm und doch frisch und thaukühl.

Als ich schlafen ging, spukte und rauschte es die ganze Nacht auf meinen Lippen, durch Traum und Wachen, welche oft und heftig wechselten; ich sank 056 von Traum zu Traum, farbig und blitzend, dunkel und schwül, dann wieder sich erhellend aus dunkelblauer Finsterniß zu blumendurchwogter Klarheit; ich träumte nie von Anna, aber ich küßte Baumblätter, Blumen und die lautere Luft und wurde überall wieder geküßt; fremde Frauen gingen über den Kirchhof und wateten durch den Fluß mit silberglänzenden Füßen, die eine trug Anna's schwarzes Gewand, die andere ihr blaues, die dritte ihr grünes mit den rothen Blümchen, die vierte ihre Halskrause, und wenn mich dies ängstigte und ich ihnen nachlief und darüber erwachte, war es, als ob die wirkliche Anna von meinem Lager soeben und leibhaftig wegschliche, daß ich verwirrt und betäubt auffuhr und sie laut beim Namen rief, bis mich die stille Glanznacht, welche im Thale lag, zu mir selbst brachte und in neue Träume hüllte.

So ging es in den hellen Morgen hinein und beim Erwachen war ich wie von einem heißen Quell der Glückseligkeit durchtränkt und berauscht.

Ich ging noch immer trunken und träumend unter meine Verwandten und fand in der Wohnstube den benachbarten Müller vor, welcher mit einem leichten Fuhrwerke meiner harrte, um mich mit nach der Stadt zu nehmen. Meine Rückkehr war nämlich, seit einiger Zeit bestimmt, an die Geschäftsreise 057 dieses Mannes geknüpft und verabredet worden, da das Fahren mit ihm einige Bequemlichkeit bot. Ich fragte nach dieser ohnehin nicht viel, der Müller erschien zudem unerwartet und früher als man geglaubt, mein Oheim und seine Sippschaft forderten mich auf, ihn fahren zu lassen und zu bleiben, in meinem Herzen schrie es nach Anna und nach dem stillen See – aber ich versicherte ernsthaft, daß meine Verhältnisse geböten, diese Gelegenheit zu benutzen, frühstückte eilig, nahm meine Sachen zusammen und von den Verwandten Abschied und setzte mich mit dem Müller auf das Wägelchen, welches ohne Aufenthalt zum Dorfe hinaus und bald auf der Landstraße dahinrollte. Dies Alles that ich in der Verwirrung, zum Theil, weil ich wähnte, man würde mir auf der Stelle ansehen, daß ich wegen Anna bliebe und daß ich sie wirklich liebe, und endlich auch aus unerklärlicher Laune.

Sobald ich hundert Schritte vom Dorfe entfernt war, bereute ich meine Abreise; ich wäre gern vom Wagen gesprungen, drehte den Kopf immerwährend zurück nach den Höhen, welche um den See lagen, und schaute sie an, ohne zu gewahren, wie sie unter meinen Augen blau und klein wurden und das Hochgebirge aus größern und tiefern Seeen emporstieg.

Ich konnte mich in den ersten Tagen meiner 058 Rückkehr kaum zurechtfinden. Im Angesichte der großartigen Landschaft, welche die Stadt umgiebt, schwebte mir nur die verlassene Gegend wie ein Paradies vor und ich fühlte erst jetzt jeden Reiz ihrer einfachen und anspruchlosen, aber so ruhigen und lieblichen Bestandtheile. Wenn ich auf der höchsten Höhe über unserer Stadt in das Land hinaus sah, so war mir der kleine versteckte Strich blauen Fernegebietes, wo das Dorf und nicht weit davon des Schulmeisters See zu vermuthen waren, die schönste Stelle des Gesichtskreises, die Luft wehte reiner und glücklicher von dort her, der mir unsichtbare Aufenthalt Anna's in jener entlegenen bläulichen Dämmerung wirkte magnetisch über alles dazwischen liegende Land her; ja wenn ich, in der Tiefe gehend, jenen glücklichen Horizont nicht sah, so suchte und fühlte ich doch die Himmelsgegend und sah mit Heimweh und Sehnsucht das dorthin gehende Stück Himmel von näheren Bergen begrenzt.

Indessen erneuerte sich die Frage über meine Berufswahl und machte sich täglich dringender geltend, da man mich nicht länger müßig und planlos sehen konnte. Ich war einmal an den Thüren des Fabrikgebäudes vorbeigestrichen, wo der eine Gönner hauste. Ein häßlicher Säuregeruch drang mir in 059 die Nase und bleiche Kinder arbeiteten innerhalb und lachten mit rohen Grimassen. Ich verwarf die Hoffnungen, die sich hier darboten, und zog es vor, lieber ganz von solchen halbkünstlerischen Ansprüchen fern zu bleiben und mich dem Schreiberthume entschieden in die Arme zu werfen, wenn einmal entsagt werden müsse, und ich gab mich diesem Gedanken schon geduldig hin. Denn nicht die mindeste Aussicht that sich auf, bei irgend einem guten Künstler untergebracht zu werden.

Da gewahrte ich eines Tages, wie eine Menge der gebildeten Leute der Stadt in einem öffentlichen Gebäude aus- und eingingen. Ich erkundigte mich nach der Ursache und erfuhr, daß in dem Hause eine Kunstausstellung stattfinde, welche durch die Städte zirkulire. Da ich sah, daß nur fein gekleidete Leute hineingingen, lief ich nach Hause, putzte mich ebenfalls möglichst heraus, als ob es in die Kirche ginge, und wagte mich alsbald in die geheimnißvollen Räume. Ich trat in einen hellen Saal, in welchem es von allen Wänden und von großen Gerüsten in frischen Farben und Gold erglänzte. Der erste Eindruck war ganz traumhaft; große klare Landschaften tauchten von allen Seiten, ohne daß ich sie vorerst einzeln besah, auf und schwammen vor meinen Blicken mit zauberhaften Lüften und 060 Baumwipfeln; Abendröthen brannten, Kinderköpfe, liebliche Studien guckten dazwischen hervor und Alles entschwand wieder vor neuen Gebilden, so daß ich mich ernstlich umsehen mußte, wo denn dieser herrliche Lindenhain oder jenes mächtige Gebirge hingekommen seien, die ich im Augenblicke noch zu sehen geglaubt? Dazu verbreiteten die frischen Firnisse der Bilder einen sonntäglichen Duft, der mir angenehmer dünkte, als der Weihrauch einer katholischen Kirche.

Es wurde mir kaum möglich, endlich vor einem Werke stillzustehen, und als dies geschah, da vergaß ich mich vor demselben und kam nicht mehr weg. Einige große Bilder der Genfer Schule, mächtige Baum- und Wolkenmassen in mir unbegreiflichem Schmelze gemalt, waren die Zierden der Ausstellung; eine Menge Genrebildchen und Aquarellen reizten dazwischen als leichtes Plänklervolk, und ein paar Historien und Heiligenscheine wurden auch bewundert. Aber immer kehrte ich zu jenen großen Landschaften zurück, verfolgte den Sonnenschein, welcher durch Gras und Laub spielte, und prägte mir voll inniger Sympathie die schönen Wolkenbilder ein, welche von Glücklichen mit leichter und spielender Hand hingethürmt schienen.

Ich stak, so lange es dauerte, den ganzen Tag 061 in dem wonniglichen Saale, wo es fein und anständig herging, die Leute sich höflich begrüßten und vor den glänzenden Rahmen mit zierlichen Worten sich besprachen. Nach Hause gekommen, saß ich nachdenklich da und beklagte fortwährend mein Schicksal, daß ich auf das Malen verzichten müsse, so daß es meiner Mutter durch's Herz ging und sie nochmals eine Rundschau anstellte mit dem Vorsatze, mir meinen Willen zu thun, möchte es gehen, wie es wolle.

So trieb sie endlich einen Mann auf, welcher in einem alten Frauenklösterlein vor der Stadt, wenig beachtet, einen wunderlichen Kunstspuk trieb. Es war ein Maler, Kupferstecher, Lithograph und Drucker in Einer Person, indem er, in einer verschollenen Manier, vielbesuchte Schweizerlandschaften zeichnete, dieselben in Kupfer kratzte, abdruckte und von einigen jungen Leuten mit Farben überziehen ließ. Diese Blätter versandte er in alle Welt und führte einen dankbaren Handel damit. Dazu machte er, was ihm unter die Finger kam, sonst noch, Taufscheine mit Taufstein und Pathen und Grabschriften mit Trauerweiden und weinenden Genien; wenn dazwischen ein Unkundiger gekommen wäre und ihm gesagt hätte: Könnt Ihr mir ein Bild malen, so schön es zu haben ist, das unter Kennern zehntausend Thaler werth ist? Ich möchte ein Solches! so würde 062 er die Bestellung unbedenklich angenommen und sich, nachdem die Hälfte des Preises zum Voraus bezahlt, unverweilt an die Arbeit gemacht haben. Bei diesem Treiben unterstützte ihn ein tapferes Häuflein Gerechter, und der Schauplatz ihrer Thaten war das ehemalige Refektorium der frommen Klosterfrauen. Dessen beide Langseiten waren jede mit einem halben Dutzend hoher Fenster versehen mit runden Scheibchen, die das Licht wol ein-, aber bei ihrer wellenförmigen Oberfläche keinen Blick hinausließen, was auf den Fleiß der hier waltenden Kunstschule wohlthätigen Einfluß übte. Jedes dieser Fenster war mit einem Kunstbeflissenen besetzt, welcher, dem Hintermanne den Rücken zukehrend, dem Vordermanne in's Genick sah. Das Haupttreffen dieser Armee bildeten vier bis sechs junge Leute, theils Knaben, welche die Schweizerlandschaften blühend kolorirten; dann kam ein kränklicher, hustender Bursche, der mit Harz und Scheidewasser auf kleinen Kupferplatten herumschmierte und bedenkliche Löcher hineinfressen ließ, auch wol mit der Radirnadel dazwischen stach und der Kupferstecher genannt wurde. Auf diesen folgte der Lithograph, ein froher und unbefangener Geist, der verhältnißmäßig das weiteste Gebiet umfaßte, nächst dem Meister, da er stets gewärtig und bereit sein mußte, das Bildniß eines Staatsmannes 063 oder eine Weinkarte, den Plan einer Dreschmaschine, wie das Titelblatt für eine Erbauungsschrift junger Töchter auf den Stein zu bringen mit Kreide, Feder, gravirt oder getuscht. Im Hintergrunde des Refektoriums arbeiteten mit breiten Bewegungen zwei schwärzliche Gesellen, der Kupfer- und der Steindruckergehülfe, Jeder an seiner Presse, indem sie die Werke jener Künstler auf feuchtes Papier abzogen. Endlich, im Rücken der ganzen Schaar und Alle übersehend, saß der Meister, Herr Kunstmaler und Kunsthändler Habersaat, Besitzer einer Kupfer- und Steindruckerei und sich allen entsprechenden Aufträgen empfehlend, an seinem Tische mit den feinsten und schwierigsten Aufgaben, meistens jedoch mit seinem Buche, Briefschreiben und dem Verpacken der fertigen Sachen beschäftigt.

Es herrschte ein streng ausgeschiedener Geist in den Ansprüchen und Hoffnungen des Refektoriums. Der Kupferstecher und der Lithograph waren fertige Leute, die selbständig in die Welt schauten, bei Meister Habersaat um einen Gulden täglich ihre acht Stunden arbeiteten und sich weiter weder um ihn was bekümmerten, noch große Hoffnungen nährten. Mit den jungen Koloristen hingegen verhielt es sich anders. Diese luftigen Geister gingen mit wirklichen, leichten und durchsichtigen Farben um, 064 sie handhabten den Pinsel in Blau, Roth und Gelb, und das um so fröhlicher, als sie sich um Zeichnung und Anordnung Nichts zu bekümmern hatten und mit ihrem buntflüssigen Elemente obenhin über die düstern Schwarzkünste des Kupferstechers wegeilen durften. Sie waren die eigentlichen Maler in der Versammlung; ihnen stand noch das Leben offen, und Jeder hoffte, wenn er nur erst aus diesem Fegefeuer des Meisters Habersaat entronnen, noch ein großer Künstler zu werden. In dieser Gruppe erbte sich durch alle Generationen, welche schon im Dienste des Meisters durch das Refektorium gegangen, die große Künstlertradition von Sammtrock und Barett fort; aber nur selten erreichte Einer dies Ziel, indem immer der Flug vorher ermüdete und die Mehrzahl der Getäuschten nach ihrem Austritte noch ein gutes Handwerk erlernte. Es waren immer Söhne blutarmer Leute, welche, in der Wahl eines Unterkommens verlegen, von dem rührigen Manne in sein Refektorium gelockt worden mit der Aussicht, eine Art Maler und Herren zu werden, die ihr Auskommen finden und immer noch etwas über dem Schneider und Schuster stehen würden. Da sie gewöhnlich keine Gelder beibringen konnten, so mußten sie sich verbindlich machen, den Unterricht in der «Malerkunst» abzuverdienen und vier Jahre für den 065 Meister zu arbeiten. Er richtete sie dann vom ersten Tage an zum Färben seiner Landschaften ab und brachte sie, ungeachtet ihrer gänzlichen Unberufenheit, durch Strenge so weit, daß sie ihre Arbeit bald reinlich und nett und nach den überlieferten Gebräuchen verrichteten. Nebenbei durften sie, wenn sie wollten, an Feiertagen ein verkommenes oder zweckloses Blatt nachzeichnen zur weiteren Ausbildung, und sie wählten meistens solche Gegenstände, welche Nichts zu lernen darboten, aber für den Augenblick am meisten Effekt machten, und die ihnen der Meister korrigirte, wenn er nicht allzu beschäftigt war. Er sah es aber nicht einmal gern, wenn sie diesen Privatfleiß zu weit trieben; denn er hatte schon einige Mal erfahren, daß Solche, welche Geschmack daran fanden und eine künstlerische Ader in sich entdeckten, beim Koloriren seiner Prospekte unreinlich und verwirrt geworden. Sie mußten streng und anhaltend arbeiten und steckten um so mehr voll Possen und Schwänke, die sich in jedem freien Augenblicke Luft machten, und erst gegen das vierte Jahr hin, wenn die schönste Zeit zur Erlernung von etwas Besserem verflossen war, wurden sie gebeugt und gedrückt, von den Eltern mit Vorwürfen geplagt, daß sie immer noch von ihrem Brote äßen, und dachten ernstlich darauf, während sie noch pinselten, bei guter 066 Zeit noch etwas Einträglicheres zu ergreifen. Die Jugendjahre von wol Dreißigen solcher Knaben und Jünglinge hatte Habersaat schon in blauen Sonntagshimmeln und grasgrünen Bäumen auf sein Papier gehaucht, und der hüstelnde Kupferstecher war sein infernalischer Helfershelfer, indem er mit seinem Scheidewasser die schwarze Unterlage dazu ätzte, wobei die melancholischen Drucker, an das knarrende Rad gefesselt, füglich eine Art gedrückter Unterteufel vorstellten, nimmermüde Dämonen, die unter der Walze ihrer Pressen die zu färbenden Blätter unerschöpflich, endlos hervorzogen. So begriff er vollständig das Wesen heutiger Industrie, deren Erzeugnisse um so werthvoller und begehrenswerther zu sein scheinen für die Käufer, je mehr schlau entwendetes Kinderleben darin aufgegangen ist. Er machte auch ganz ordentliche Geschäfte und galt daher für einen Mann, bei dem sich was lernen ließe, wenn man nur wolle.

Von irgend einer Seite her war meiner Mutter angerathen worden, sich mit ihm zu besprechen und sein Geschäft einmal anzusehen, da es wenigstens für den Anfang eine Zuflucht zu weiterem Vorschreiten böte, zumal wenn man mit ihm übereinkäme, daß er mich nicht zu seinem Nutzen verwende, sondern gegen genügende Entschädigung nach seinem 067 besten Wissen unterrichte. Er zeigte sich gern bereit und erfreut, einen jungen Menschen einmal als eigentlichen Künstler heranzubilden, und belobte meine Mutter höchlich für ihren kundgegebenen Entschluß, die nöthigen Summen hieran wenden zu wollen; denn jetzt schien ihr der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo die Frucht ihrer unablässigen Sparsamkeit geopfert und auf den Altar meiner Bestimmung gelegt werden müsse. Es wurde also ein Contrakt geschlossen auf zwei Jahre, welche ich gegen regelmäßige Quartalzahlungen im Refektorium zubringen sollte unter den zweckdienlichsten Uebungen. Nach gegenseitiger Unterschreibung desselben verfügte ich mich eines Montags Morgen in das alte Kloster und trug meine sämmtlichen bisherigen Versuche und Arbeiten in bunter Mischung bei mir, um sie auf Verlangen des neuen Meisters vorzuzeigen. Er bezeugte, indem meine wunderlichen Blätter herumgingen, nachträglich seine Zufriedenheit mit meinem Eifer und meinen Absichten, und stellte mich dem Personale, das sich erhoben hatte und neugierig herumstand, als einen wahren Bestrebten vor, wie er beschaffen sein müsse schon vor dem Eintritte in eine Kunsthalle. Sodann erklärte er, daß es ihm recht zum Vergnügen gereichen werde, einmal eine ordentliche Schule an einem Schüler durchzuführen, und sprach seine 068 Erwartungen hinsichtlich meines Fleißes und meiner Ausdauer feierlich aus.

Einer der Koloristen mußte nun seinen Platz am Fenster räumen und sich neben einen andern setzen, indessen ich dort eingerichtet wurde, und hierauf, als ich erwartungsvoll der Dinge, die da kommen sollten, vor dem leeren Tische stand, brachte Herr Habersaat eine landschaftliche Vorlage aus seinen Mappen hervor, den Umriß eines einfachen Motives aus einem lithographirten Werke, wie ich es schon in den Schulen vielfach gesehen hatte. Dies Blatt sollte ich vorerst aufmerksam und streng kopiren. Doch bevor ich mich hinsetzte, schickte mich der Meister wieder fort, Papier und Bleistift zu holen, an welche ich nicht gedacht, da ich überhaupt keinen Begriff von dem ersten Beginnen gehabt hatte. Er beschrieb mir das Nöthige, und da ich kein Geld bei mir trug, mußte ich erst den weiten Weg nach Hause machen und dann in einen Laden gehen, um es gut und neu einzukaufen, und als ich wieder hinkam, war es eine halbe Stunde vor Mittag. Dieses Alles, daß man mir für diesen Anfang nicht einmal ein Blatt Papier und einen Stift gab, sondern fortschickte, welche zu holen, ferner das Herumschlendern in den Straßen, das Geldfordern bei der Mutter und endlich das Beginnen kurz vor der 069 Stunde, wo Alles zum Essen auseinander ging, erschien mir so nüchtern und kleinlich und im Gegensatze zu dem Treiben, das ich mir dunkel in einer Künstlerbehausung vorgestellt hatte, daß es mir das Herz beengte.

Jedoch wurde es bald von diesem Eindrucke abgezogen, als die unscheinbaren Aufgaben, die mir gestellt wurden, mir mehr zu thun gaben, als ich mir anfänglich eingebildet; denn Habersaat sah vor Allem darauf, daß jeder Zug, den ich machte, genau die gleiche Größe des Vorbildes maß und das Ganze weder größer noch kleiner erschien. Nun kamen aber meine Nachbildungen immer größer heraus, als das Original, obgleich in richtigem Verhältnisse, und der Meister nahm hieran Gelegenheit, seine Genauigkeit und Strenge zu üben, die Schwierigkeit der Kunst zu entwickeln und mich behaglich fühlen zu lassen, daß es doch nicht so rasch ginge, als ich wol geglaubt hätte.

Doch fand ich mich wohl und geborgen an meinem Tische (die Abwesenheit von Staffeleien, die ich mir als besondere Zierde einer Werkstatt gedacht, empfand ich freilich) und arbeitete mich tapfer durch diese kleinlichen Anfänge hindurch. Ich kopirte getreulich die ländlichen Schweinställe, Holzschuppen und derlei Dinge, aus welchen, in Verbindungen mit 070 allerlei magerem Strauchwerk, meine Vorbilder bestanden, und die mir um so mühseliger wurden, je verächtlicher sie meinen Augen erschienen. Denn mit dem Eintritte in den Saal des Meisters hatte sich mit der Pflicht und dem Gehorsame zugleich der Schein der Nüchternheit und Leerheit über diese Dinge ergossen für meinen ungebundenen und willkürlichen Geist. Auch kam es mir fremd vor, den ganzen Tag, an meinen Platz gefesselt, über meinem Papiere zu sitzen, zumal man nicht im Zimmer umhergehen und unaufgefordert nicht sprechen durfte. Nur der Kupferstecher und der Lithograph führten einen bescheidenen Verkehr unter sich und den betreffenden Druckergesellen und richteten das Wort auch an den Meister, wenn es ihnen gutdünkte, ein bischen zu plaudern. Dieser aber, wenn er guter Laune war, erzählte allerlei Geschichten und geläufige Kunstsagen, auch Schwänke aus seinem früheren Leben und Züge von der Herrlichkeit der Maler. Sowie er aber bemerkte, daß Einer zu eifrig aufhorchte und die Arbeit darüber vergaß, brach er ab und beobachtete eine geraume Zeit weise Zurückhaltung.

Ich erhielt nach einiger Zeit das Recht, meine Vorlagen selbst hervorzuholen und die vorhandenen Schätze durchzugehen. Sie bestanden aus einer 071 großen Menge zufällig zusammengeraffter Gegenstände, aus leidlichen alten Kupferstichen, einzelnen Fetzen und Blättern ohne Bedeutung, wie sie die Zeit anhäuft, Zeichnungen von einer gewissen Routine, ohne Naturwahrheit, und einem übrigen Mischmasch. Handzeichnungen nach der Natur, Blätter, die um ihrer selbst willen da waren und denen man angesehen hätte, daß sie freie Luft und Sonne getrunken, fanden sich nicht ein einziges Stück vor; denn der Meister hatte seine Kunst und seinen Schlendrian innerhalb vier Wänden erworben und begab sich nur hinaus, um so schnell als möglich eine gangbare Ansicht zu entwerfen. Eine gewandte, obschon falsche Technik war das eigentliche Wissen meines Meisters, und er legte alles Gewicht seines Unterrichtes auf diesen Punkt.

Anfänglich hielt er mich eine Weile in Abhängigkeit, indem ich den Unterschied zwischen einem transparenten scharfen und einem rußigen stumpfen Vortrage nicht recht begriff und mehr auf Form und Charakter sah; doch endlich, durch das fortwährende Pinseln, gerieth ich hinter das Geheimniß, und nun fertigte ich in einem fixen Jargon eine Menge Tuschzeichnungen an, ein Blatt um's andere. Schon sah ich nur auf die Zahl des Gemachten und hatte meine Freude an der anschwellenden Mappe; kaum daß bei 072 meiner Wahl die wirkungsvollsten und auffallendsten Gegenstände mir noch eine weitere Theilnahme abgewannen. So war, noch ehe der erste Winter ganz zu Ende, meines Lehrers Vorrath an Vorlagen von mir beinahe durchgemacht, und zwar auf eine Weise, wie er es selbst ungefähr konnte; denn nachdem ich einmal die Handgriffe und Mittel einer sorgfältigen und reinlichen Behandlung gemerkt, erstieg ich bald den Grad geläufiger Pinselei, welchen der Meister selbst inne hatte, um so schneller, als ich in dem wahren Wesen und Verständniß gänzlich zurückblieb. Habersaat war daher schon nach dem ersten halben Jahre in einiger Verlegenheit, was er mir vorlegen sollte, da er mich aus Sorge für sich selbst nicht schon in seine ganze Kunst einweihen mochte; denn er hatte nur noch seine Behandlung der Wasserfarben im Hinterhalte, welche, wie er sie verstand, ebenfalls keine Hexerei war. Weil Nachdenken und geistige Gewissenhaftigkeit im Refektorium nicht gekannt waren, so bestand alles Können in demselben aus einer bald erworbenen leeren Aeußerlichkeit. Doch fand ich selbst einen Ausweg, als ich erklärte, eine kleine Sammlung großer Kupferstiche mit meinem Tuschpinsel vornehmen zu wollen. Er besaß in derselben etwa sechs schöne Blätter, nach Claude Lorrain gestochen, zwei große Felsenlandschaften mit 073 Banditen nach Salvator Rosa und einige Stiche nach Ruisdael und Everdingen. Diese Sachen kopirte ich der Reihe nach in meiner geläufigen frechen Manier. Die Claude's und Rosa's geriethen nicht so übel, da sie, abgesehen davon, daß sie selbst etwas konventionell gestochen waren, auch sonst mehr in symbolischen und breiten Formen sich darstellten; die feinen und natürlichen Niederländer hingegen zerarbeitete ich auf eine gräuliche Weise, und Niemand sah diese Lasterhaftigkeit ein.

Doch legte sich durch diese Arbeit in mir ein Grund edlerer Anschauung, und die schönen und durchdachten Formen, die ich vor mir hatte, hielten dem übrigen Treiben ein wohlthätiges Gegengewicht und ließen die Ahnung des Besseren nie ganz in mir verlöschen. Auf der anderen Seite aber heftete sich an diese gute Seite sogleich wieder ein Nachtheil, indem sich die alte voreilige Erfindungslust regte und ich, durch die einfache Größe der klassischen Gegenstände verführt, zu Hause anfing, selber dergleichen Landschaftsbilder zu entwerfen und diese Thätigkeit bald in der eigentlichen Arbeitszeit bei dem Meister fortsetzte, meine Entwürfe in anspruchsvollem Format mit der eingelernten Fertigkeit ausführend. Herr Habersaat hinderte mich in diesem Thun nicht, sondern sah es vielmehr gern, da es 074 ihn der weiteren Sorge um zweckdienliche Vorbilder enthob; er begleitete die ungeheuerlichen und unreifen Gedanken, welche ich zu Tage brachte, mit ansehnlichen Redensarten von Komposition, historischer Landschaft u. dgl., und das Alles brachte ein gelehrtes Element in seine Werkstatt, daß ich bald für einen Teufelsburschen galt und auch die lustigen Aussichten der Zukunft, Reise nach Italien, Rom, große Oelbilder und Cartons, was man mir Alles vormalte, geschmeichelt hinnahm. Doch überhob ich mich nicht in diesen Dingen, sondern lebte in Eintracht und Schelmerei mit meinen jungen Genossen, und war oft froh, das ewige Sitzen unterbrechen zu können, indem ich ihnen, die zugleich der Hausfrau unterthänig waren, einen Haufen Brennholz unter Dach bringen half. Ueberhaupt drängte sich die Frau, eine zungenfertige und streitbare Dame, mit Hauswesen und Familiengeschichten, Kind und Magd, häufig in das Refektorium und machte es zum Schauplatze heißentbrannter Kämpfe, in welche nicht selten die ganze Mannschaft verwickelt wurde. Dann stand der Mann an der Spitze einer ihm ergebenen Gruppe der Frau gegenüber, welche mit mächtigem Geräusche vor ihrem Anhange sich aufstellte und nicht eher abzog, als bis sie Alles niedergesprochen hatte, was sich ihr entgegensetzte; 075 manchmal befand sich auch das Ehepaar zusammen gegen das ganze übrige Haus im Streite, oft auch begann der Kupferstecher oder der Lithograph eine drohende Bewegung als Vasall, indessen die gemeinen Sklavenempörungen der Koloristen mit Macht niedergeschlagen wurden. Ich selbst kam mehr als ein Mal in gefährliche Lage, indem mich die heftigen Scenen belustigten und ich dies zu unvorsichtig kund gab und z. B. einst eine solche theatralisch nachbildete und in dem halb verfallenen Kreuzgange des Hauses mit den jungen Malern zur Aufführung brachte. Denn obgleich ich um diese Zeit empfänglich und geneigt gewesen wäre, ein feines und reinstrebendes Leben zu führen, da während der schönen Tage auf dem Lande ein starkes Ahnen in mir erwacht war, so sah ich mich doch, von entsprechendem Verkehr entblößt, an das derbe Treiben des Refektoriums gewiesen und machte allen Unfug getreulich und lebhaft mit, weil ich des Umganges und der Mittheilung bedurfte und am wenigsten mich auf weise Zurückhaltung und halbe Theilnahme verstand.

Daß aber das Heulen mit den Wölfen mir nicht Schaden that, wie ich glaube, verhütete der freundliche Stern Anna, der immer in meiner Seele aufging, sobald ich in dem Hause meiner Mutter oder auf einsamen Gängen wieder allein war. An 076 sie knüpfte ich Alles, wessen ich über den Tag hinaus bedurfte, und sie war das stille Licht, welches das verdunkelte Herz jeden Abend erleuchtete, wenn die Sonne niederging, und in der erhellten Brust wurde mir dann immer auch unser gute Freund, der liebe Gott, sichtbar, der um diese Zeit mit erhöhter Klarheit begann, seine hochherrlichen und ewigen Rechte auch an mir geltend zu machen.

Ich hatte, nach Büchern herumspürend, einen Roman des Jean Paul in die Hände bekommen. In demselben schien mir plötzlich Alles tröstend und erfüllend entgegenzutreten, was ich bisher gewollt und gesucht, oder unruhig und dunkel empfunden. Diese Herrlichkeit machte mich stutzen, dies schien mir das Wahre und Rechte! Und inmitten der Abendröthen und Regenbogen, der Lilienwälder und Sternensaaten, der rauschenden und blitzenden Gewitter, inmitten all' des Feuerwerkes der Höhe und Tiefe, in diesen saumlosen schillernden Weltmantel gehüllt der Unendliche, groß, aber voll Liebe, heilig, aber ein Gott des Lächelns und des Scherzes, furchtbar von Gewalt, doch sich schmiegend und bergend in eine Kinderbrust, hervorguckend aus einem Kindesauge, wie das Osterhäschen aus Blumen! Das war ein anderer Herr und Gönner, als der silbenstecherische Patron im Katechismus!

077 Früher hatte ich dergleichen Etwas geträumt, die Ohren hatten mir geläutet, nun ging mir ein Morgen auf in den langen Winternächten, welche hindurch ich an drei mal zwölf Bände des Propheten las. Und als der Frühling kam und die Nächte kürzer wurden, las ich von Neuem in den köstlichen Morgen hinein und gewöhnte mir darüber an, lange im Bette zu liegen und am hellen Tage, die Wange auf dem geliebten Buche, den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Wenn ich dann erwachte und endlich doch an die Arbeit ging, war ich von einem Geiste träumerischer Willkür und Schrankenlosigkeit besessen, der noch bedenklicher war, als die früheren Auflehnungen.

 


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