Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        NG_06

Neuere Gedichte 1851

 

Aus dem Leben .

1849.

 

081 I.

Ich hab' in kalten Wintertagen,
In dunkler, hoffnungsarmer Zeit
Ganz aus dem Sinne dich geschlagen,
O Trugbild der Unsterblichkeit.

Nun, da der Sommer glüht und glänzet,
Nun seh' ich, daß ich wohlgethan!
Auf's Neu' hab' ich das Haubt bekränzet,
Im Grabe aber ruht der Wahn.

Ich fahre auf dem klaren Strome,
Er rinnt mir kühlend durch die Hand,
Ich schau' hinauf zum blauen Dome
Und such' – kein bess'res Vaterland.

Nun erst versteh' ich, die da blühet,
O Lilie, deinen stillen Gruß:
Ich weiß, wie sehr das Herz auch glühet,
Daß ich wie du vergehen muß!

Seid mir gegrüßt, ihr holden Rosen,
In eures Daseins flücht'gem Glück!
Ich wende mich vom Schrankenlosen
Zu eurer Anmuth froh zurück!

Zu glüh'n, zu blüh'n und ganz zu leben,
Das lehret euer Duft und Schein,
Und willig dann sich hinzugeben
Dem ewigen Nimmerwiedersein!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

082 II.

Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
Wir ziehen durch sie hin;
Sie ist ein Karavanserai,
Wir sind die Pilger drin.

Ein Etwas, form- und farbenlos,
Das nur Gestalt gewinnt,
Wo ihr drin auf und nieder taucht,
Bis wieder ihr zerrinnt.

Es blitzt ein Tropfen Morgenthau
Im Strahl des Sonnenlichts –
Ein Tag kann eine Perle sein
Und hundert Jahre – Nichts!

Es ist ein weißes Pergament
Die Zeit und Jeder schreibt
Mit seinem besten Blut darauf
Bis ihn der Strom vertreibt.

An dich, du wunderbare Welt,
Du Schönheit ohne End'!
Schreib' ich 'nen kurzen Liebesbrief
Auf dieses Pergament.

Froh bin ich, daß ich aufgetaucht
In deinem runden Kranz;
Zum Dank trüb' ich die Quelle nicht
Und lobe deinen Glanz!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

083 III.

Daß ich nicht ein jedes Atom von Wein
In einer Fluth von Blödigkeiten büße,
Schenke mir das perlende Gold vom Rhein
Unvermischt in seiner starken Süße!

Deine Augen laß frei von Thränen sein,
Daß die lieblichen Strahlen nicht versiegen!
Weich genug droht schon der bläuliche Schein
Wie ein zartes Traumbild zu verfliegen.

Frühlingstage, Stunden der Seligkeit,
Wie sie linde in unsre Seelen rinnen! –
Und wir sollten die köstliche Neige Zeit
Mit dem Gedanken der Ewigkeit verdünnen?

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

084 IV.

Siehst du den Stern im fernsten Blau,
Der zitternd fast erbleicht?
Sein Licht braucht eine Ewigkeit,
Bis es dein Aug' erreicht!

Vielleicht vor tausend Jahren schon
Zu Asche stob der Stern,
Und doch seh'n seinen lieblichen Schein
Wir dort noch still und fern.

Dem Wesen solchen Scheines gleicht,
Der ist und doch nicht ist,
O Lieb, dein anmuthvolles Sein,
Wenn du gestorben bist!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben  

085 V.
Wochenpredigt.

In heißem Glanz liegt die Natur,
Die Aerndte wimmelt auf der Flur.

In langen Reih'n die Sichel blinkt,
Mit leisem Geräusch die Aehre sinkt.

Doch hinter jenen grünen Matten,
In seines Kirchleins kühlem Schatten
Geborgen vor dem Stich der Sonne,
Da steht das Pfäfflein der Gemeine,
Auf diesem, dann auf jenem Beine,
In seiner alten Predigertonne,
Hoch an dem Pfeiler, grau und fest,
Gleich einem Storch in seinem Nest.

Schwarz glänzt das kurzgeschorne Haar,
Wie Röslein blüht das Wangenpaar;
Nur etwas schläfrig blinzen nieder
Die Aeuglein durch die fetten Lider,
Weil er sich seiner Wochenpredigt
Mit ziemlich saurer Müh' entledigt.
So spricht er von dem ewigen Leben,
Das es werd' nach dem Tode geben:
Wie man auch da noch müsse ringen
Und immer weiter vorwärts dringen,
Und nie von Wandel und Handel frei,
Bis man zuletzt vollkommen sei;
Von einem Stern zum andern hupfen
Und endlich in den Urquell schlupfen.
Doch unten in des Kirchleins Tiefen
Die Hörer auf den Bänken schliefen.
Sie waren Alle hoch an Jahren,
Mit weißen oder gar keinen Haaren,
Ganz klingeldürre Frau'n und Greise,
Gebeugt von ihrer langen Reise;
So lehnten sie an ihren Krücken
Mit lebensmüdem sanftem Nicken.
Sie hatten gelebt und hatten gestritten,
Erde gegraben und Garben geschnitten,
Bürden getragen und Freuden gehabt,
Und, wenn sie gedürstet, sich gelabt.
Sie hatten nicht ihr Leben verfehlt,
Kein Genie und keine Tugend verhehlt,
Auch keine Schwänke unterlassen;
Wen's konnten bei der Nase fassen,
Den haben sie gar fest ergriffen
Und ihn mit Freuden ausgepfiffen.
Sie hatten geweint und öfter gelacht
Und genugsam Kinder gemacht.

Die Predigt schweigt, sie sind erwacht,
Die Kirchenthür wird aufgemacht,
Und leuchtend bricht der grüne Schein
Der Bäume in die Dämmrung ein.


Die Alten stehen mühsam auf
Und setzen langsam sich in Lauf.
Und schleichen seltsam kreuz und quer
Ueber die grünen Gräber her.
Sie setzen sich auf die Leichensteine
Und reiben ihre kranken Beine,
Sie hüsteln wunderlich und lachen
Und sprechen bewußtlos kindische Sachen.
Sie schauen in die goldnen Auen,
Wo ihre Söhne und Sohnesfrauen
Im fernen Sonnenglanze gehen,
Die reifen Früchte rüstig mähen;
Sie sehen in all den hellen Schein
Mit blöden Augen stumm hinein.
Schon ist verklungen leis und weit
Das Lied von der Unsterblichkeit.

Und wie vor langen achtzig Jahren
Die Flämmlein im Entstehen waren
Und mälig aus der tiefen Nacht
Sich in ein helles Licht entfacht –
Das freilich auch sich ewig schien –
So glimmen jetzt sie wieder hin
Und denken Bess'res nicht zu thun,
Als ewig, ewig auszuruh'n!
Von Durst nach neuem Kommerziren,
Wenn recht ihr schaut, ist Nichts zu spüren.

Das Pfäfflein ist nach Haus gekommen,
Hat einen Trunk zu sich genommen
Und wandelt jetzt im schönen Garten
Den kühlen Abend zu erwarten,
Wo er sich freut auf ein Gelage,
Zu dem er freundlich ist gebeten;
Doch steht die Sonn' noch hoch am Tage.
Dess' ist er nun in großen Nöthen:
Er weiß, die besten Bachforellen
Werden auf blumiger Schüssel schwellen;
Ausländische Wurst und köstlicher Schinken
Reizen ihn zu frohem Trinken.
Er kennet die staubigen Flaschen zu gut
In des Kollegen frommer Hut.
Die schön geschliffenen Gläser dringen
Schon in sein Ohr mit feinem Klingen;
Er kennt das Tischlein hinter der Thüren,
Von wo die Flaschen hermarschiren,
Bis er Eine mit silbernem Hals entdeckt,
Die vor dem Abschied doppelt schmeckt.

Und noch drei lange, lange Stunden! –
Hier hat er Ranken angebunden,
Ein nagendes Räupchen abgelesen,
Dort aufgehoben einen Besen
Und an das Gartenhaus gelehnt;
Dann einen Augenblick gewähnt,
Er wolle auf den Sonntag Morgen
Noch schnell für eine Predigt sorgen.
Dann ist er davon abgegangen,
Hat einen Schmetterling gefangen,
Warf einen Socken über den Hag,
Der mitten in einem Beete lag.
Die Sonne steht noch hoch am Tag.
Er wird der langen Weil zum Raube
Und sinkt in eine kühle Laube,
Macht dort ein Ende seiner Pein,
Schläft zwischen Rosen und Nelken ein.

O Pfäfflein, liebes Pfäfflein sag',
Ist dir zu lang der Eine Tag:
Was willst du aus all den Siebensachen,
Den Millionen Sternen und Jahren machen?

 

  Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

086 VI.

Ich sah zwei Gräber auf der Haide,
Von Immortellen ganz bedeckt;
Ein schönes Weib mit schwerem Leide
Lag auf dem Einen hingestreckt.
Das Andre hielt in heißen Thränen
Ein gramerfüllter Mann bewacht,
Und Beide sah'n voll Liebessehnen
Auf in die klare Sternennacht.

«In jenen selig heitren Fernen
Harrt nun die liebste Seele mein,
Bald werd' ich unter goldnen Sternen
Auf ewig, ewig bei Ihm sein!
Als einen Hauch und Seufzer zähle
Ich noch die Spanne schnöder Zeit;
Dann aber sind so Lieb', wie Seele,
Ganz der Unsterblichkeit geweiht!»

««O kreiset rascher, träge Sonnen!
Und löset dieses Leibes Bann,
Daß ich auf euch in neuen Wonnen
Mein selig Liebchen finden kann!
Heil mir! ich will Sie wiedersehen!
Und wenn auch Stern um Stern zerbricht!
In Ewigkeit wird nie vergehen
Zwei treuer Seelen Bund und Licht!»»

So riefen Weib und Mann, so Beide,
Ganz in den eignen Gram gebannt;
Sie sah'n sich nicht auf dunkler Haide,
Die Blicke sternenwärts gewandt.
Sie trauerten, bis daß der Morgen
Erbleichen ließ der Sterne Schaar,
Der Höhe Blau das Gold verborgen
Und es auf Erden heiter war.

Da rafften sie sich auf und gingen
Entlang das schimmernde Gefild,
Bis plötzlich ihre Augen hingen,
Eins an des Andern schönem Bild.
Und eh' der junge Tag, der warme,
Die letzten Thränen weggeküßt,
Schon fielen lächelnd in die Arme
Sich Beide, Lust in Lust gebüßt.

Der Enkel Trupp mit festen Händen,
Auf selber Haid' im Sonnenschein,
Sah pflügen ich und singend wenden
Ein längst verschollenes Gebein.
Sie deckten rasch, was sie gefunden,
Mit jungen Saaten, im Gemüth
Leis ahnend, daß die eignen Stunden
Aus diesem Tode nur erblüht.

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

087 VII.

Ich habe so manchen Narren gekannt,
Der wollte ewig leben;
Es war ein gewaltig feuriges
Und liederliches Bestreben.

Ich selber verlor darüber den Kopf,
Und wäre bald verdorben
Und so mit meiner Unsterblichkeit
Recht als ein Lump gestorben!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

088 VIII.

Wir wähnten lange recht zu leben;
Doch fingen wir es thöricht an!
Die Tage ließen wir entschweben
Und dachten nicht an's End' der Bahn!

Nun haben wir das Blatt gewendet
Und frisch dem Tod in's Aug' geschaut;
Kein ungewisses Ziel mehr blendet,
Doch grüner scheint uns Busch und Kraut!

Und grüner ward's in unsern Herzen,
Es zeugt's der froh geword'ne Mund;
Doch unsern Liedern, unsern Scherzen
Liegt fest ein edler Ernst zu Grund.

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

089 IX.

Fliehe nicht, du heitre Maid,
Wenn wir deine Straße ziehen,
Bursche, denen Lust und Leid
Hoch in bewegter Brust erglühen!

Sind gebräunt in Wetter und Wind
Und gereift an heißen Sonnen,
Ueber unsre Wangen sind
Helle Thränen schon geronnen.

Treten jetzo fest einher,
Fühlen unter uns die Erde!
Nicht von eitlem Hoffen schwer,
Noch verzagend vor Gefährde.

Trinken froh das Morgenwehn,
Wenn wir durch die Lande schweifen;
Glauben nichts, als was wir seh'n
Und mit unsern Sinnen greifen!

Halten nichts auf hohlen Dunst,
Mögen nichts auf Worte geben;
Doch verstehen wir die Kunst,
Frei und rasch und stark zu leben!

Scheiden leicht von jedem Traum,
Der sich nicht mit Wahrheit paarte;
Doch hegt unser Busen Raum
Für das Starke, wie das Zarte!

Ruhen heut im sonnigen Thal,
Lauschend, wie die Knospen springen,
Stehen morgen im Wetterstrahl,
Wo die Stürme die Flügel schwingen!

Und es lobet unser Geist
Was da lebt in Licht und Grauen!
Fürchte dich nicht! denn noch zumeist
Ehren wir euch holde Frauen.

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

090 X.

«So lange eine Rose zu denken
vermag, ist noch nie ein Gärtner
gestorben.»
Fontenelle
.

Dich zieret dein Glauben, mein rosiges Kind,
Und glänzt dir so schön im Gesichte!
Es preiset dein Hoffen, so selig und lind,
Den Schöpfer im ewigen Lichte!
So loben die träumenden Blumen im Hag
Die Wahrheit, die ernst sie erworben:
So lange die Rose zu denken vermag,
Ist nimmer ein Gärtner gestorben!

Die Rose, die Rose, sie duftet so hold!
Sie dünkt so unendlich der Morgen!
Sie blüht dem ergrauenden Gärtner zum Sold,
Der schaut sie mit ahnenden Sorgen.
Der gestern des eigenen Lenzes noch pflag,
Sieht heut schon die Blüthe verdorben –
Doch seit eine Rose zu denken vermag,
Ist niemals ein Gärtner gestorben!

Drum schimmert so stolz der vergängliche Thau
Der Nacht auf den bebenden Blättern!
Es zittert und lispelt die Lilienfrau,
Die Vögelein jubeln und schmettern;
Drum feiert der Garten den festlichen Tag
Mit Flöten und feinen Theorben:
So lange die Rose zu denken vermag,
Ist niemals ein Gärtner gestorben!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

091 XI.

Ich bete in der Frühe
Und jeden Abend wieder,
Damit ich fromm erglühe,
Hafisens süße Lieder.

Ich murmle sie beständig
Im Pharisäermunde;
Denn sie sind nicht lebendig
Auf meiner Seelen Grunde.

Wie einst ich meinem Gotte
Tugend und Treu versprochen,
Und täglich ihm zum Spotte
Dennoch mein Wort gebrochen,

So brech' ich jetzo wieder
Mein Wort, das ich gegeben,
Und halle heuchelnd wider
Hafisens Jubelleben,

Indeß ich kalt und nüchtern
Und gramvoll mich erbitt're,
Indeß ich stumm und schüchtern
In meinem Herzen zitt're!

Ich fühl's, nach allen Seiten
Ist Heuchelei vom Bösen;
Drum gilt's, das eigne Streiten
Von Pfaffenthum
erlösen!

Hast Freude du empfangen,
So freu' dich ohne Prahlen!
Und will dich Nacht umfangen,
Schäm' nicht dich ihrer Qualen!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

092 XII.

Den Wäldern ist zu Füßen tief
Das dürre Laub geblieben;
Am Himmel steht ein Scheidebrief
In's Abendroth geschrieben.

Die Wasser glänzen still und kühl,
Ein Herbst ist d'rin ertrunken;
Mir ist ein schauernd Grabgefühl
In's warme Herz gesunken.

Du schöne Welt! muß ich wohl bald
In diese Blätter sinken,
Daß andres Herz und andrer Wald
Die Lebenslüfte trinken?

Wenn du für dieses Herzens Raum
Ein Bess'res weißt zu finden,
Laß mich aus deinem Lebenstraum
Rasch und auf ewig schwinden!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

093 XIII.

Liebliches Jahr, wie Harfen und Flöten,
Mit wehenden Lüften und Abendröthen
Endest
du deine Bahn!
Siehst mich am kühlen Waldsee stehen,
Wo an herbstlichen Uferhöhen
Zieht entlang ein stiller Schwan.

Still und einsam schwingt er die Flügel,
Taucht vergnügt in den feuchten Spiegel,
Hebt den Hals empor und lauscht,
Taucht zum andern Male nieder,
Richtet sich auf und lauschet wieder,
Wie's im klagenden Schilfe rauscht.

Und in seinem Thun und Lassen
Will's mich wie ein Traum erfassen,
Als ob's meine Seele wär',
Die verwundert über das Leben,
Ueber das Hin- und Wiederweben,
Lugt und lauschet hin und her.

Trink', o Seele nur in vollen Zügen
Dieses heilig friedliche Genügen,
Einsam, einsam auf der stillen Flur!
Und hast du dich klar und tief empfunden,
Mögen ewig enden deine Stunden:
Ihr Mysterium feierte die Natur!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

094 XIV.

Und wieder grünt der schöne Mai,
O dreimal selige Zeit!
Wie zog die Schwalbe froh herbei,
Mir ward es im Gemüth so frei,
Das Herz so leicht und weit!

O fremde Luft, o schönes Land
In Bergen und Gefild!
Wie reizend fand ich diesen Strand,
Allwo mein suchend Auge fand
Ihr leichthinwandelnd Bild!

Ich sah des Sommers helle Gluth
Das deutsche Land durchzieh'n;
Es tobte dunkler Wetter Wuth,
Aus freien Herzen sah das Blut
Ich wild und heiß entflieh'n.

Doch ich sah in verliebter Ruh'
Die schwülen Wolken geh'n;
Ich wandte mich den Blumen zu
Und sprach: Vielleicht, mein Herz, wirst du
Ein andres Herz ersteh'n!

Die Traube schwoll so frisch und blank
Und ich nahm froh und frei
Aus ihrer Hand den jungen Trank –
Und als die letzte Traube sank,
Da war der Traum vorbei!

Der Traum! – Jedoch die Wahrheit nicht,
Die ich von hinnen trug,
Die bis zum Tode in mir spricht:
Sie ist und lebt im Sonnenlicht,
Dies sei dir, Herz, genug!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

095 XV.

Weil ich den schwarzen untreu ward
Und mich zu blauen Augen wandte,
Kamst du, zu rächen jene, her,
Du dunkelglühende Nachtgesandte!

Ich sollt' auf deiner Augen Grund
Die Strafe meines Leichtsinn's lesen,
Und schamerröthend auch zugleich
Der wahren Liebe Gluth und Wesen!

Der Liebe, die im heiligen Ernst
Zu lieben denkt und dann zu sterben,
Und deren dunkle Rosen sich
Nur mit dem besten Herzblut färben!

Und als ich büßend dich geliebt,
Bist du wie ein Phantom entschwunden;
Da hab' ich mich mit meiner Reu'
Verlassen und allein gefunden!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

096 XVI.

Ich fühlte wohl, warum ich dich,
O theures Weib! so sehr geliebt,
So stark, so wahr, so inniglich,
So ohne Wahn geliebt!

Ich fühlt' es wohl und weiß es nun,
Und weiß, welch' große Seligkeit
Muß tief in deinem Herzen ruh'n
Für den, dem es geweiht!

Ich sah nun in dein goldnes Herz,
Wie in den Hort im tiefen Rhein;
Ich sah mit wundersüßem Schmerz
In einen Himmel tief hinein!

Ich schaute und mir ward so weh,
So wohl und weh bei meinem Schau'n,
Als blickt' ich durch die grüne See
Hinab auf lenzbesonnte Au'n!

Ich ward so arm und doch so reich,
Zum stolzen Wissen mein Verlust!
Und in dem Elend lag zugleich
Der Balsam für die wunde Brust.

Und besser ging ich, als ich kam,
Von reinem Feuer neu getauft,
Und hätte meinen reich'ren Gram
Nicht um ein reiches Glück verkauft!

 

 Neuere Gedichte 1851 / Aus dem Leben

097 XVII.

Flack're, fernes Licht im Thal
Durch die Nacht mit leisem Blinken:
Noch vor Morgen wird dein Strahl
Endlich in sich selbst versinken!

Rausche, singe, schöner Fluß!
Dein Gesang wird fortbestehen;
Aber jede Welle muß
Endlich doch im Meer vergehen.

Nachtviolen, süß und stark
Duftet ihr durch diese Lauben;
O, wie wißt das feinste Mark
Ihr der Erde schnell zu rauben!

Von der warmen Nacht geküßt,
Wißt ihr schnell es auszuhauchen,
Eh' ihr selber wieder müßt
Eure Köpflein untertauchen!

Aus dem tiefen blauen Raum
Perlt ihr leuchtend, goldne Sonnen,
Kommt und schwindet, wie ein Traum;
Doch gefüllt bleibt stets der Bronnen.

Und nur du, mein armes Herz,
Du allein willst ewig schlagen,
Deine Lust und deinen Schmerz
Ewig durch die Himmel tragen?

Andre Blumen, andre Wellen,
Andre Sterne, andre Herzen,
Andre Freuden, andre Schmerzen
Werden unerschöpflich quellen,

Und, eh' wir noch gar verglommen,
Ganz uns auszulöschen kommen.

Ewig ist, begreifst es du,
Sehnend Herz? nur deine Ruh!

 

Ende.

 

  


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