Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        NG_05

Neuere Gedichte 1851

 

Vermischte Gedichte .

 

054 Panard und Galet. +)
(Zu Daumers Hafis.)

I.

Sie kamen von der Tränke,
Sie wankten aus der Schenke
Mit einer Zecherschaar,
Als es Charfreitag Morgen
Und grabesstille war.

Von heißen Stirnen nicken
Und stäuben die Perrücken,
Wie Wolke birgt den Blitz;
Die spitze Kling' am Degen
Zuckt wie geschliff'ner Witz.

Sie taumelten und sangen,
Vom Mund wie Stöpsel sprangen
Die Verse, Schlag auf Schlag;
Da schrie Panard: O fühlet
Den furchtbar großen Tag!

Das Universum trauert,
Die dunkle Sonne schauert,
Die Erde wankt und bebt,
Daß unter unsern Füßen
Der lose Boden schwebt!

Unsicher ist's, zu stehen
Und rathsam nicht, zu gehen:
Kehrt um! zu unsrem Wirth! –
Und alsbald kroch die Heerde
Zurück zu ihrem Hirt.

Dort blieben sie verborgen
Bis an den dritten Morgen,
Tief und geheimnißvoll,
Bis durch die goldne Frühe
Die Osterglocke scholl.

Als die verjüngte Sonne
In Auferstehungswonne
Durchschritt des Frühlings Thor,
Da stiegen aus der Höhle
Weinselig sie hervor.

+) Französische Poeten des 18. Jahrhunderts.

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

055 Panard und Galet. II.

Auf seinem Bette liegt Galet,
Weglachend seines Todes Weh.

Er schickt Panard den Morgengruß,
Sechs frische Lieder zum Genuß.

«Erst wollt' ich reimen, liebes Kind!
So viele, als Apostel sind;

«Doch hab' ich's nur auf sechs gebracht,
Weil schon der Todtengräber wacht,

«Der Todtengräber vor der Thür
Mit seinen Burschen lauscht herfür.

«Der hackt, wie Blumen, kunterbunt
Die andern Sechse in den Grund,

«Daß zwischen Scholl' und Todtenbein
Sehn sie vergehn die Schwesterlein.

«Doch die sind lieblich, meiner Treu!
Der letzte Reim ist süß und neu,

«So voll und rein, wie Rhein und Wein –
Leb' wohl! mich dünkt, nun muß es sein!»

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

056 Panard und Galet. III.

Es klagt Panard: Habt ihr geseh'n
Die Stätte, wo Er ruht?
So könnt ihr meinen Schmerz versteh'n
Und meines Zornes Gluth.

Der keiner Quelle, noch so rein,
Bei'm größten Durst genaht,
Ihn, dem kein schnödes Wässerlein
Die Lippe je betrat,

Ihn haben sie nun hingelegt,
Wo graus vom Dach herab
Die Traufe ihm zu Häubten schlägt
Und tröpfelt auf das Grab!

Daß ich, wenn ich 'nen feur'gen Guß
Weih'n möcht' auf seinem Stein,
Hinweg voll Abscheu fliehen muß,
Zu schützen meinen Wein!

Ich selbst bin nun ein Wasserfaß,
Dran keine Daube schließt,
Da stets ein unglückselig Naß
Mir aus den Augen schießt.

Es regnet meiner Thränen Fluß
Wie toll zu jeder Stund',
Daß mit der Hand ich decken muß
Das Glas an meinem Mund.

Die süße Traube sank zur Ruh',
Vom Stocke, der ich bin.
O Winzer Tod! nun schneide du
Mich selber bald dahin!


 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

057 Tokaier.
Reminiszenz an Lenau.

Als die Wetterwolken schlossen
Dicht den Himmelssaal,
Kam noch zwischendurch geschossen
Hell ein Sonnenstrahl.

Der versank in eine Traube
Und erlosch zuletzt;
Diese aber glüht, ich glaube,
Mir im Glase jetzt.

Denn ein leises, schrilles Klingen
Zirkelt um den Rand,
Tönt, als wenn der Becher springen
Wollte in der Hand.

Gieße dich, du Becherklage,
Tief in meinen Mund:
Das Geheimniß komm' zu Tage
Auf dem leeren Grund!

Schwarz seh' ich die Gründe gähnen,
Wo erlosch der Strahl,
Der sich durch Gewitterthränen
Aus der Sonne stahl.

Eine ungeheure Leere
Thut sich gräulich kund,
Wie im abgelauf'nen Meere
Wimmelt's auf dem Grund.

Und, ein schwarzer Wirbel, drehet
Es sich niederwärts,
Bis in ew'ger Nacht vergehet,
Scheidet Lust und Schmerz.

Schenke, Wirth! o laß es brausen!
Gieß' den Becher voll,
Wenn mein Herz ob innerm Grausen
Nicht verzagen soll!

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058 Cyprier.

Du Wein der süßen Wonnen,
Du heißer Trank der Lust!
Willst du erlosch'ne Sonnen,
Willst du versunk'ne Bronnen
Erwecken in der Brust?

Was führst du all mein Denken
Gen Morgen fern zurück,
Die Seele zu versenken,
Die Sinnen mir zu tränken
In unermess'nem Glück,

Wo grünen Myrthenhainen
Der Goldaltar entsteigt,
Sich glühes Widerscheinen
Von Rosen an den reinen
Marmornen Säulen zeigt!

Und Meeresfluthen ziehen
Rings einen Zauberbann,
Daß nirgends man entfliehen
Dem ewigen Glüh'n und Blühen
Der schönsten Liebe kann.

Es rauscht in deinen Güssen,
Du rother Inselwein!
In deinen Feuerflüssen
Ein fabelhaftes Küssen
Zu meinen Lippen ein.

Die Heidengöttin neiget
Sich geisterhaft mir zu.
Ihr rauhen Lieder, schweiget!
In weißen Gliedern steiget
Sie aus der Todesruh'!

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059 Rheinwein.
1847.

Aller Sonnenschein,
Der einen Sommer lang
Längs dem schönen Rhein
Sich um die Berge schlang,
Breitet heute aus dem Wein zumal
Seine Glorie durch den weiten Saal.

In dem Scheine steigt
Es auf, wie Rebenhöh'n;
Ob dem Zauber schweigt
Der Gläser hell Getön;
Und der selbstvergess'ne Zecher lauscht,
Wie der Strom in seinen Ohren rauscht.

Und im Morgenschein,
Durch die Gestade hin,
Sieht den hellen Rhein
Er sich vorüberzieh'n,
Und ein Binsenkörblein trägt die Fluth,
Drin das Moseskind der Deutschen ruht.

Scharf am Felsenriff
Bricht sich der Morgenwind:
O gebrechlich Schiff,
O du verlass'nes Kind!
Keine Königstochter badet heut,
Die dir schützend ihre Rechte beut!

Nur die Liebe wacht
Und folgt am Uferhang,
Und ihr Auge lacht
Auf dich die Fahrt entlang:
Liebe, die das Heldenkind gebar,
Die der Freiheit reine Mutter war.

Bis die Zeit entfloh,
Wo du einst wiederkehrst
Und den Pharao
Vor Gott erbeben lehrst,
Wirst ein starker, kluger Moses sein.
O wie lang noch fließt der grüne Rhein?

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060 Lacrimae Christi.

Wie des Rauches Silbersäumlein
Vom Vesuv den Himmel sucht!
Feigenbäumlein! Feigenbäumlein,
Und wie süß ist deine Frucht!
Und ein kühlender Zephir fächelt
Ueber den warmen Lavagrund,
Drauf die Madonna niederlächelt
Mit dem feingeschnitzten Mund.

Kommt ein lustiger Mönch gegangen
Mit dem vollen Thränenkrug,
Kommt ein Weib mit Purpurwangen
Und mit nächtlichem Lockenflug;
Schön ist's unter dem Feigenbaum,
Wo der Berg vor Liebe brennt!
Drüben leuchten, wie ein Traum,
Capri, Ischia und Sorrent.

Sind ihre Locken die dunkle Nacht,
Ist seine Glatze der Mondenschein,
Und es können die Sternenpracht
Ihre glühenden Augen sein.
Also schaffen am hellen Tag
Sie die heimliche stille Nacht;
Was doch Alles geschehen mag,
Wenn man's klug und sinnig macht!

Nur die hölzerne Madonne
Schmachtet in der heißen Sonne;
Daß auch Sie genieße der Ruh,
Wirft das Weib ihr den Schleier zu.
Lächelnd über die See her blinken
Ischia, Capri und Sorrent –
Süß und selig ist zu trinken,
Was man Christi Thränen nennt!

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061 Ordinärer Landwein.

'nen Vetter hab' ich, einen Bauersmann,
Der hat sein Gut mit starker Hand geründet,
Daß all' sein Gut im weitgezognen Bann
Des Eigners hohe Willenskraft verkündet;
Was heißer Fleiß der Erd' entlocken kann,
Hat er in immergrüner Pracht entzündet,
Und in der Mitte steht sein stattlich Haus,
Die Fenster schimmern in das Land hinaus.

Da ist das ganze Jahr ein wechselnd Blüh'n
In weiten Kreisen und in allen Farben
Rings um das Haus, vom feinen Saatengrün
Bis zum gediegnen Gold der schweren Garben.
Des Mohnes traumerfüllte Kelche glüh'n,
Wenn kaum des Flachses blaue Sterne starben;
Vereinigt leuchtet aller Farben Flor
Im Blumengarten vor des Hauses Thor.

Vom fernen Hügel, aus dem eignen Wald
Hat er zum Hof den Brunnen hergeleitet
Und von des Forstes hoher Felsenhald'
Aus eignem Stein des Hauses Grund gebreitet;
Man sieht, wie neben mächt'ger Eiche bald,
Bald neben der gefällten Föhr' er schreitet,
Die blanke Axt fest in den Stamm gehauen,
Dem schwanken Zug den besten Pfad zu schauen.

Vom Morgengrauen bis zum Wehn der Nacht
Kann man ihn sehn durch Flur und Felder streifen,
So weit noch seines Feldes Blume lacht,
Treu seine Bienen Pflug und Roß umschweifen,
Selbst von der Lüfte sonnig heitrer Pracht
Die Tauben seines Hof's Besitz ergreifen;
Und auch die Lerche, wildes Huhn und Rabe
Sind heimathliche Kinder seiner Habe.

Jedoch sein Herzfleck ist ein jäher Rain,
Der sich erhebt aus weiten Ackergründen,
Da wo am vollsten ruht der Sonne Schein
Und abgewandt des Nordens rauhen Winden;
Da zieht der Landmann seinen Labewein,
Da ist er manchen langen Tag zu finden,
Wie Arbeit er und Müh' mit Lust verschwendet,
Der Rebe zartes Schoß zum Lichte wendet.

Doch zieht er nicht die Traube zum Erwerb,
Mit seinen Söhnen trinkt er selbst den Saft;
Gewöhniglich zwar wird er etwas herb',
Doch frischet er das Herz mit tücht'ger Kraft;
Auch Brot und Leib und Leben sind ja derb
Dem Manne, der in brauner Scholle schafft.
Nur wenn ein heißes Weinjahr ist auf Erden,
Kann auch sein Wein ein rechter Festwein werden

Wie oftmals, wenn der kühle Herbst gekehrt,
Gelungen war des Jahr's mühsel'ger Plan,
Die Speicher hoch mit reicher Frucht beschwert,
Der neue Wein in seine Haft gethan:
Hab' ich ein schäumend' Glas bei ihm geleert –
Nie setzt' ich Eines ruhig wohler an!
Der Vetter saß in Mitten seiner Sippe
Und trank den jungen Wein mit froher Lippe.

Wenn dieser so im Glas zu gähren schien,
Im Innersten nach Klarheit heiß zu ringen,
Dann sprach der Mann wohl träumend vor sich hin,
Als hörte er ein fernes Lied erklingen:
«Gott hat's gegeben, und wir preisen ihn!
Wir loben ihn, wenn wir es wieder bringen!
Denn wie Er's geben kann, kann Er es nehmen,
Und unser ist ein fröhliches Bequemen.

«Wohl hört man ihn durch Tann' und Schlüchte fahren,
Wer aber weiß, von wannen kommt der Wind?
So drängen sich der Menschheit schwere Schaaren,
Die selber sich ein tief Geheimniß sind,
Das aber endlich sich soll offenbaren
Den Lebensklugen, die nicht taub und blind.
Indeß zur Uebung, Stärkung unserm Streben
Ist dieser harte Erdenkloß gegeben.

«Und was wir heute sammeln und gestalten,
Das wird der Morgen schonungslos zerstreuen;
Doch wollt ihr einen süßen Kern erhalten,
Dürft ihr euch nicht zu sehr der Schaalen freuen!
Wenn sich der Geist in's Weite will entfalten,
Wird unablässig er das Wort erneuen.
Wir aber müssen bei der Arbeit lauschen,
Wohin die heil'gen Ströme wollen rauschen!»

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

062 Wasser.

Wie strahlet ihr im Morgenschein,
Du rosig Kind, der Blüthenbaum
Und dieser Brunnen, frisch und rein –
Ein schön'res Kleeblatt gibt es kaum.

Wie dreifach lieblich hat Natur
In euch sich lächelnd offenbart!
Aus deinem Aug' grüßt ihre Spur
Des Wandrers stille Morgenfahrt.

Es ist, als käm' aus deinem Mund
Das Lied, das dort die Quelle singt,
Es ist, als thät' der Brunnen kund,
Was tief in deiner Seele klingt!

Und wie der weiße Apfelbaum
Mit seinen Zweigen euch umweht!
Dies Schau'n, zart wie ein Morgentraum,
Ersetzt mir jedes Frühgebet.

Reich' einen Trunk, du klare Maid,
Vom Quell, der deine Kindheit sah!
Sein Rauschen sei dir allezeit,
Die Klarheit deinem Herzen nah!

Ich wünsche Segen deiner Hand
Zur Arbeit, wie zum Liebesbund,
Dem bravsten Burschen hier zu Land
Den ersten Kuß von deinem Mund!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

063 Gewitter im Mai.

In Blüthen schwamm mein Heimathland,
Es wogte weiß in schwüler Ruh;
Der dunkle, feuchte Himmel band
Mir schwer die feuchten Augen zu.

Voll Gram und Reu' hatt' ich den Mai
Gegrüßt und seinen Blumenflor;
Nun zog er mir im Schlaf vorbei
Und träumend nascht' ich armer Thor!

Da war ein Donnerschlag gescheh'n,
Ein einziger; den Berg entlang
Hört' ich Erwachender vergeh'n
Erschrocken seinen letzten Klang:

«Steh' auf, steh auf! entraffe dich
Der trägen, thatenlosen Reu'!»
Durch Thal und Herz ein Schauer strich,
Mein Leben grünte frisch und neu.

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

064 Abendregen.

Langsam und schimmernd fiel ein Regen,
In den die Abendsonne schien;
Der Wandrer schritt auf engen Wegen
Mit düstrer Seele drunter hin.

Er sah die großen Tropfen blinken
Im Fallen durch den goldnen Strahl;
Er fühlt' es kühl auf's Haubt ihm sinken
Und sprach mit schauernd süßer Qual:

Nun weiß ich, daß ein Regenbogen
Sich hoch um meine Stirne zieht,
Den auf dem Pfad, so ich gezogen,
Die heitre Ferne spielen sieht.

Und die mir hier am nächsten stehen
Und wer mich scharf zu kennen meint;
Sie können selber doch nicht sehen,
Wie er versöhnend ob mir scheint.

So wird, wenn andre Tage kamen,
Die sonnig auf dies Heute seh'n,
Ob meinem fernen, bleichen Namen
Der Ehre Regenbogen steh'n.

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065 Melancholie.

Sei mir gegrüßt, Melancholie,
Die mit dem leisen Feeenschritt
Im Garten meiner Phantasie
Zu rechter Zeit an's Herz mir tritt!
Die mir den Muth, wie eine junge Weide,
Tief an den Rand des Lebens biegt,
Doch dann in meinem bittren Leide
Voll Treue mir zur Seite liegt!

Die mir der Wahrheit Spiegel hält,
Den düster blitzenden, empor,
Daß der Erkenntniß Thräne schwellt
Und bricht aus zagem Aug' hervor.
O strenge Rache nimmst du Dunkle immer,
Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
Die doch an meiner Wiege saß!

Es hängt mein Herz an eitler Lust
Und an der Thorheit dieser Welt;
Oft mehr, als eines Weibes Brust,
Ist es von Außenwerk umstellt!
Und selbst den Trost, daß ich aus eignem Streben,
Daß Alles nichtig ist, erkannt,
Nimmst du und hast mein stolz' Erheben
Zu Boden also bald gewandt,

Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch
Des Königs, den ich oft verhöhnt,
Aus dem es, wie von Erz ein Fluch:
Daß Alles eitel sei! ertönt.
Und nah' und ferne hör' ich dann erklingen
Gleich Narrenschellen ein Getön –
O Göttin, laß mich dich umschlingen,
Nur du, nur du bist wahr und schön!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

066 David.

Der Oelbaum wuchs in dichten Hainen,
An klaren Bächen wucherte die Rose,
Allwo die Wiege stand des Kleinen,
Gleich einem Taubennest im grünen Moose;
Er spielte noch im bunten Knabenkleide
Und füllte dienend seiner Brüder Krug,
Als er zu seines Stammes Freude
Schon meisterlich die Harfe schlug.

Er kam mit Wein und Brot gegangen,
Sein braunes Auge strahlte vor Vergnügen;
Er fand sein Volk mit Spieß' und Stangen,
Doch zag und rathlos vor dem Feinde liegen.
Der große Hans Narr warf dort Bein' und Arme
Mit tollem Wüthen in die Luft empor,
Daß rasch dem Heldenkind das warme
Zornrosenblut im Herzen gohr.

Des Königs Waffenlast verwerfend,
Trat er hervor, mit Gott allein im Bunde;
Die Hand mit weißen Steinen schärfend
Aus eines Bächleins hellem Silbergrunde,
That er den Wurf, des Riesen Stirne klaffte,
Es war aus blauer Luft ein jäher Schlag!
Wie lacht' er schön, als der Erschlaffte
Kopflos zu seinen Füßen lag!

Der Dank, den David hat empfangen,
Steht in den alten Schwarten aufgeschrieben:
Nach seinem Tod ein toll Verlangen,
In Noth und Irrsal ward er hingetrieben.
Sein Haubt zum Herren nächtlich aufgewendet,
Sang er des Grames Lied ohn' Unterlaß;
Doch hat das Spiel noch gut geendet,
Als auf dem Thron der Feldhirt saß!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

067 Herbstlied.

Laßt uns auf alle Berge gehen,
Wo jetzt der Wein in Strömen fließt,
Und überall am nächsten stehen,
Wo sich der Freude Quell ergießt,
Uns tief in allen Augen spiegeln,
Die durch das Rebenlaub erglüh'n,
Laßt uns das letzte Lied entriegeln,
Wo noch zwei rothe Lippen blüh'n!

Seht, wie des Mondes Antlitz glühend
Im Rosenscheine aufersteht,
Indeß die Sonne, freudesprühend,
Den Leib im Westmeer baden geht!
Und an der Jungfrau'n Einer Wange
Bricht sich des Mondes blasse Gluth,
Indeß, erhöht vom Niedergange,
Erglänzt der Andern Purpurblut.

O küsset schnell die Himmelszeichen,
Eh' sich verdunkelt die Natur!
Mag dann der Abglanz auch erbleichen:
Im Herzen glimmt die schönre Spur!
Mag sich, wer zu dem süßen Leben
Der Lieb' im Lenz das Wort nicht fand,
Der holden Thorheit nun ergeben,
Den Brausebecher in der Hand!

Wohl wird man edler durch das Leiden
Und strenger durch die herbe Qual;
Doch hoch erglüh'n in heißen Freuden,
Das adelt Seel' und Leib zumal!
Und liebt der Himmel seine Kinder,
Wo Thränen er durch Leid erpreßt,
So liebt er Jene drum nicht minder,
Die er vor Freuden weinen läßt.

Und sehnen bleiche Gramgenossen
Sich nach dem Grab in ihrer Noth:
Wem hell des Lebens Born geflossen,
Der scheut noch weniger den Tod!
Tauch't euch in's Bad der Lust, in's klare
Das Euch die kurze Stunde gönnt,
Auf daß für alles heilig Wahre
Ihr jede Stunde sterben könnt!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

068 In der Via mala.

Wie einst die Tochter Pharao's
Im grünen Schilf des Niles ging,
Dess Auge hell, verwundrungsgroß,
Verliebt an ihren Augen hing,
Wie sie ihr Haubt, das goldumreifte,
Sehnsüchtig, leicht fluthüber bog,
Um ihren Fuß das Wasser schweifte
Und silberne Ringe zog:

So seh' ich Dich, du träum'risch Kind,
Am abendlichen Rheine steh'n,
Wo seine schönsten Borde sind
Und seine grünsten Wellen geh'n.
Schwarz sind dein Aug' und deine Haare,
Und deine Magd, die Sonne, flicht'
Darüber eine wunderbare
Krone von Abendlicht.

Ich aber wandle im Gestein
Und wolkenhoch auf schmalem Steg,
Im Abgrund schäumt der weiße Rhein,
Und Via mala heißt mein Weg!
Dir gilt das Tosen in den Klüften,
Nach dir schreit dieses Tannenweh'n,
Bis hoch in kalten Eiseslüften
Die Wege auseinandergeh'n!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

069 Ave Marie auf dem Vierwaldstätter-See.
1847.
Zur Zeit des Sonderbundes.

Fuhr ein Schifflein gegen Flüelen,
Drin ich saß, zur Abendzeit,
Wo die finsteren Wasser spülen
Und den Bergen die Füße kühlen
Schon seit einer Ewigkeit.

Aus den finstern Felsengängen
Bang ein Hauch des Föhnes strich,
Ein Gewebe von Abendklängen
Zitterte an den Alpenhängen
Und der Ferg bekreuzte sich.

Dunkel lauschten die Kapellen
Alter Freiheit aus dem See;
Wo einst fuhren die frommen Tellen,
Tauchte jetzo aus den Wellen
Dieses Wassers schlimme Fee.

Ja, ich sah sie steigen, winken
Aus der schwärzlichgrünen Fluth!
Ließ der Krone goldene Zinken
Tückisch in der Sonne blinken,
In der sterbenden Sonne Gluth.

Fabelhaft und heidnisch blühte
Ihrer Schönheit arger Flor;
Wilde Schadenfreude glühte
Und ein buhlerisch Feuer sprühte
Aus den seidenen Wimpern vor.

Haar und Schleier, ungebunden
Wehten in dem heißen Wind;
Und sie hielt im weißen, runden
Arm ein Kind mit sieben Wunden,
Ein ersterbendes, welkes Kind.

An den staffellosen Wänden
Glitt die grauliche Nix' hinan;
Von den Purpurzinnen und Ränden
Hielt sie das Kind in erhobenen Händen
Ueber der Länder tiefen Plan.

Sieben Tropfen aus sieben Wunden
Preßte sie dem armen Wurm;
Wo die roth hinabgeschwunden,
Hat sich die Fluth emporgewunden,
Schreiend in Wuth und Weh und Sturm!

Wuth und Wahn die Herzen faßte
An den Borden rings am See,
Daß der Priester im Blute praßte
Und der Bruder den Bruder haßte,
Ihm zum eigenen Gift und Weh!

Als das Ave Marie verklungen,
War der arge Spuk entfloh'n. –
Noch ein Alphorn hat gesungen
Aus der Höh' und leis bezwungen
Hat mein Herz sein süßer Ton.

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

070 Heimweh.

An den schönen Limmathborden,
Die so grün in's Wasser hangen,
Bin ich manches Mal gegangen,
Wenn die Erde jung geworden
Und den Frühlingsmantel wob,
Wenn die Wasser voller klangen
Und bis vor die Füße drangen,
Daß der Pfad sich schwellend hob.

Wenn die Welle singend flieht,
Ist's, als höre man Geschichten,
Was im Oberland geschieht,
Weit in's Niederland berichten;
Und wenn man stromaufwärts sieht,
Will es scheinen, daß die ganze
Inn're Schweiz im Firnenglanze
Auf der Fluth herniederzieht.

Ausgespannte Netze schimmern
Zwischen blüthenweißen Bäumen,
Perlend in der Sonne flimmern
Sie von feuchten Wasserschäumen.
Und ein Knäblein schläft im Kahn,
Wiegend sich in jungen Träumen;
Ohne Hast und ohne Säumen
Schafft der Vater nebenan.

Ja, mit ruhig festem Schritte
Schreiten dort die Männer hin!
Klar und einfach ist die Sitte,
Klug und ernst der freie Sinn.
Und in ihrer sichren Mitte
Wuchsen Recht und Freiheit groß;
Das Gesetz schmückt jede Hütte,
Jeden Herd ziert ein Geschoß.

Etwas Wein auch pflanzt der Bauer
An der Berge grünen Füßen,
Wenn auch manchmal etwas sauer:
Arbeit weiß ihn zu versüßen.
Längst schon wohnt an jenen Flüssen
Rasche That, entschloss'nes Handeln,
Daß vor ihrem heitren Wandeln
Gram und Sorge schwinden müssen.

Hier, an diesem fremden Strand,
Sind die Weine stark und süß,
Und es gleicht das edle Land
Auch wohl einem Paradies;
Aber dumpf und ungewiß
Sind die Herzen und die Blicke
Und verworrene Geschicke
Walten in der Finsterniß!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

071 Erster Schnee.

Wie nun Alles stirbt und endet
Und das letzte Rosenblatt
Müd sich an die Erde wendet
In die warme Ruhestatt:
So auch unser Thun und Lassen,
Was uns heiß und wild erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei in's welke Laub gelegt!

Reiner, weißer Schnee, o schneie,
Schneie beide Gräber zu,
Daß die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Winterruh'!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Haß umsonst die Hände
Träumend aus dem Grabe streckt!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

072 Der alte Bettler.

Nun legst du, alte, knorrenvolle Föhre!
Den allerletzten Jahresring dir an,
Da ich mit seiner Axt rumoren höre
Im Walde schon den grauen Zimmermann.
Er wird so wenig mit mir federlesen,
Als Jemand über mein Verschwinden klagt –
Ein alter Lump ist wohl das einz'ge Wesen,
Dem man
des Alters Ehrenzoll versagt!

Sei's immerhin! ich liebe d'rum nicht minder
Dies schöne Land, mein gutes Vaterland,
Und segne seine frohen, stolzen Kinder
Mit der verworfnen todten Bettlerhand!
Ich segne euch, o Strom, Gebirg und Auen,
Die ihr im Lenzgold heiter vor mir schwimmt!
Ein Reichthum ist dies selig klare Schauen,
Den Niemand auch dem ärmsten Manne nimmt.

Als meine Brüder einst vor vierzig Jahren
Das alte morsche Vaterhaus verkauft,
Um nach der fernen neuen Welt zu fahren,
Wo man sich mit der alten Erde rauft,
Da bin ich ganz allein zurückgeblieben,
Bald war es um mein kleines Erb' gethan;
Weiß nicht, wie weit sie drüben es getrieben,
Ich aber fing darauf zu betteln an.

Denn weder Noth, noch Mühsal konnten scheiden
Mich aus den Marken meines Vaterlands –
Wer will mich zwingen, seinen Schooß zu meiden,
Zu missen seiner Ströme blauen Glanz?
Hier will ich wandeln, wo ich bin geboren,
Und sei's auch in zerriss'nen Bettlerschuh'n!
Ging drob die Bürgerehre mir verloren:
Ich will und muß bei meinen Vätern ruh'n!

Dich sollt' ich meiden, trautes Netz der Wege,
Das mein Volk auf des Landes Boden spann?
Und dich, Gebirg, wo ich des Abgrund's Stege
Auch mit verbund'nem Aug' beschreiten kann?
Wo ich der Quellen tiefen Ursprung kenne
Und jeden Stamm im dunklen Forst gezählt,
Und jede Trift bei ihrem Namen nenne –
Den Boden, wo mir nie ein Tritt gefehlt?

O meines Vaterlandes gute Erde,
Wie kriech' ich gern in deinen warmen Schooß!
Mir ahnet schon, wie süß ich ruhen werde
In dir, von allem Druck und Irrsal los!
Wie will ich meine müden Beine strecken,
Wegwerfend meiner Armuth dürren Stab!
Wie selig mich von West nach Osten recken
Und unverwüstlich ruh'n in meinem Grab!

Doch, spinnt sich weiter meiner Seele Leben,
So möge sie, im grauen Schattenkleid
Vergnügt und still dies gute Volk umschweben,
Noch immer treu, in Freude, wie in Leid!
Als leichte Mahnung neckend umzugehen
In seines Glückes hellem Sonnenschein:
Möcht' meine Seligkeit darin bestehen,
Einst seines letzten Bettlers Geist zu sein
!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

073 Klage der Magd.

Nun ist der Lenz gekommen,
Nun blühen alle Wiesen
Nun herrschen Glanz und Liebe
Auf Erden weit und breit;
Nur meine böse Herrin,
Sie keift und zetert immer
Noch, wie in der betrübten
Und dunklen Winterzeit!

Wenn ich am frühen Morgen
Mit aufgewachtem Herzen
Im Garten schaff' und singe,
Die Welt mir freundlich blickt:
Wirft sie mir aus dem Fenster
Die ungefügen Worte,
Daß rasch in meiner Kehle
Ein jedes Lied erstickt!

Und wenn mein Vielgeliebter
Am Hag vorüberwandelt
Und ein paar heiße Blicke
Mir in die Seele warf:
Kommt sie und streut mit Schelten
Und ausgesuchter Bosheit
Mir in die süße Wallung
Den Tod, so eisig scharf!

Und wenn am Mittagsmahle
Ich mit gesenkten Augen
Am Tische sitz' und esse
Und mäuschenstille bin:
Zielt sie mit schiefen Augen
Mit harten, spitzen Reden
Und oft mit groben Scherzen
Vor Allen nach mir hin,

Daß hungernd ich, mit Thränen
Das Essen stehen lassen
Und mich hinweg muß wenden
Voll Scham und voll Verdruß,
Und weinend im Verborgnen
Ein Stücklein harten Brotes
Mit all' den harten Reden
Hinunterwürgen muß!

O lieber Gott im Himmel!
Du weißt, wie sehr es schmerzet,
Wenn man just möchte weinen
Und dazu essen soll!
Man schämt sich, es zu zeigen
Und kann es doch nicht lassen,
Es ist ein Zucken, Würgen
Im Herzen jammervoll!

Sogar, wenn ich am Sonntag
Will in die Kirche gehen
Und mir ein armes Bändchen
Am Hals nicht übel steht:
Vergiftet sie mir neidisch
Mit ungerechtem Tadel
Die wochenmüde Seele,
Das heilige Gebet!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

074 Waldliebe.

Seht den Schuft am Waldessaum
Mit gewandten Schritten fliegend,
Den geraubten Föhrenbaum
Auf der jungen Schulter wiegend!
Hat die Axt, die er gestohlen,
Vornen in den Stamm geschwungen,
Weit noch hinter seinen Sohlen
Kommt der Wipfel nachgesprungen.
Wie er heimlich lacht und singt,
Daß sein Herz im Leibe springt!

Und die Dirne kommt daher
Mit gestohl'nen Birkenruthen;
Von der Arbeit, lang und schwer,
Stehn die Wangen ihr in Gluthen.
Und der Bursche wirft die Föhre
Wie 'ne Feder in den Graben,
Reißt die Dirne nach, ich schwöre,
Daß die was zusammen haben!

Wo ein kleiner Freudenquell
Tief im Eschengrunde fließet
Und die Silberadern hell
Durch das sammt'ne Moos ergießet,
Wirft der schlanke Dieb sich nieder
Mit der Dirn' im braunen Arm,
Lös't ihr hastig Tuch und Mieder
Und er flüstert liebewarm,
Daß sein glühend Herz erklingt,
Wie die Nuß im Feuer singt:

Schätzchen, o du kommst mir just,
Daß ich meine Schätze grabe,
Wieder einmal meine Lust
Am verborgnen Reichthum habe!
Daß ich prüfe die Juwele:
Deine Aeugelein voll Feuer!
Daß ich meine Perlen zähle,
Deine Zähne blank und theuer!

Zeig' mir der Korallen Schein
An dem frischen, süßen Munde,
Gib mir schnell mein Elfenbein,
All' das feingedrehte runde!
Gib mir meine Silberberge,
Die mich weiß und selig blenden,
Drin die tausend Liebeszwerge
Pochen mit den kleinen Händen
!
Wie ein Haas im Kohle springt
Ihm das Herz und singt und klingt!

Laß mich wägen all mein Gold:
Deines Haares schwere Güsse!
Laß mich zählen meinen Sold:
Zähle mir ein Hundert Küsse
Blank und bar auf meine Lippen,
Weil uns kein Verräther lauschet!
Laß mich von dem Weine nippen,
Der mich armen Schelm berauschet!

Nun verhüll' die Herrlichkeit
Mit den Lumpen, mit den Fetzen,
Daß kein Auge, ungeweiht,
Spähen kann nach meinen Schätzen!
Dieses Tuch um deine Haare
Dreimal, viermal sorglich winde,
Daß die goldne Schimmerwaare
Ja kein Strahl der Sonne finde!

Und die Dirne ist davon
Durch den dunklen Wald gesprungen;
Wieder hat der Bursche schon
Seine Föhre aufgeschwungen.
Wie ihn schnell die Beine tragen
Mit dem schwanken, langen Raube!
Einen grünen Siegeswagen,
Schleift die Krone er im Staube.
Und vor inner'm Lachen springt
Ihm das Herz und singt und klingt!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

075 Türkischer Brauch.

«O welch' ein Wehen, Rosalinde!
Im blüthenüberfüllten Thal!
Durch das Gewölk, getrennt vom Winde,
Quillt brennendroth der Abendstrahl;
Wie Feuer fließt der Frühlingsregen,
Wie Feuer rollt es auf den Wegen
Und trieft's von jedem Zweig zumal!

«Und siehst du dort die Gruppe ragen,
Am Kreuzweg, finster in die Gluth,
In sich geschaart, wie stumme Klagen,
Die malerische Bettlerbrut?
Ein hehres Bild ist hier errichtet,
Ein jeder Zug ist wie gedichtet –
Heut sind uns, traun! die Musen gut.

«Gib Stift und Mappe, daß die rasche,
Die kunstgeübte Zeichnerhand
Die Perle dieses Bildes hasche,
Das ich Beglückter heute fand!
Zu schöner Stunden heitrem Schauen,
Gemüth und Augen zu erbauen,
Sei es für immer festgebannt!

«Siehst du, o theure Rosalinde!
Den bärt'gen Mann mit breitem Hut,
An dem die Mutter mit dem Kinde –
Madonnenurbild! – säugend ruht?
Es ragt das dunkle Haubt des Gatten,
In sich gekehrt, im braunen Schatten,
Das Ihre schwimmt in Purpurgluth.

«Jedoch, daß von der flachen Erde
Das Bild gerundet auf sich schwingt;
Siehst du der Kindlein scheue Heerde,
Wie sie der Aeltern Knie' umringt;
Und düster, stumm, wie erzgegossen,
Von Licht und Regen überflossen,
Es glänzend in die Augen springt!

«Welch' einen Adel haucht das Ganze,
Stolz, wie ein ehern Königsgrab!
Wie thront in seines Jammers Glanze
Der Mann mit seinem Bettelstab!
Dank dir, o freundlichste der Musen,
Die ein empfänglich Herz im Busen,
Den feinen Sinn für's Schöne gab!»

Da sind, im Thau des Grames schwimmend,
In dem der Abendstrahl sich bricht,
Ein großes Sternbild, dunkel glimmend,
Die Augen Jener aufgericht'.
Sie starren wundernd nach dem Bogen,
Von dem ihr Konterfei, gezogen
Von weißer Hand, schon deutlich spricht.

Und hoch aus seines Elends Mitte
Hob sich der arme Mann empor,
Und langsam trugen schwere Schritte
Die finstere Gestalt hervor;
Es schlossen fest sich seine Zähne,
Im Aug' der Kränkung bittre Thräne,
Im Antlitz dunklen Zornes Flor,

Stand er vor den Empfindungsvollen,
Die im helllichten Abendroth
Erbleichten ob dem dumpfen Grollen
Der furchtbar nahen Menschennoth:
«Soll ich das sein? o sprich, du Fratze!
Soll meiner spotten dies Gekratze?»
Und trat das Bild tief in den Koth.

«Verdammt sei eurer Seelen Kälte,
Die mit den Blicken, spitz wie Stahl,
Herschleichend unterm Himmelszelte
Betastet unsre nackte Qual!»
Er hob der Armuth harten Stecken,
Sammt Rosalinden floh voll Schrecken
Der Schöngeist aus dem Blüthenthal.

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

076 Wandersegen.
In das Album der Frau Ida F. 1846.

An Gottes Segen
Ist Alles gelegen;
Jedoch der Segen eines Poeten
Mag ihn in guten Stunden vertreten.

So ist es doch betrübt zu klagen,
Wenn deutsche Mütter den Rhein hinab,
Hinab und über des Meeres Grab
Die zarten Wickelkindlein tragen,
Nach freier Länder Gestaden hin,
Indeß die Männer auf weiten Wegen,
Getrennt, bekümmert zum Ziele flieh'n!
Ich streue meinen leichten Segen,
Fast traurend, in dein Frauenherz:
Fahr' glücklich denn rheinniederwärts
Und finde Leute in allen Reichen,
Die gute Milch dem Kindlein reichen
Und auf den Schiffen, wenn es schreit,
Ein Publikum, das ihm verzeiht!
Des Reimes wegen, als ein Schweizer,
Wünsch' ich dir einen nüchternen Heizer,
Der da vorsichtig, sanft und lind
Das Schiff dich tragen läßt mit dem Kind!
Ich wünsche, daß Alles, was sehenswerth,
Die schönsten Seiten zu dir kehrt,
Vor deinem Fuß frisch Rasengrün,
Dem Auge freundlicher Sterne Glüh'n,
In deine Hände weißes Brot
Und alle Tag Morgen- und Abendroth!
Indeß sei deinem Mann der Wein
Allüberall süß, stark und rein!

Vom Rhein will keinen Wunsch ich sagen,
Er wird gerührt und treu dich tragen;
Jedoch das Meer sei ohne Gefahr!
Und wo Ihr hinkommt, frisch und klar,
Von Blumen umgeben, vergnügt und rein,
Müssen alle Brunnen und Quellen sein!

Und weil die Guten dieser Erden
Noch eine Weile wandern werden,
So mache die Ferne das Herz Euch satt
Mit allem Besten, was sie hat;
Sie fülle freundlich Euch die Truh
Und geb' Euch leichte Sorgen am Tag,
Am Abend Nachtigallenschlag,
Zur Nachtzeit aber die goldene Ruh;
Des Sommers Frucht, des Frühlings Zier,
In England immer vom besten Bier,
Den Fisch im Wasser, den Vogel der Luft –
Nur keinen Boden zu einer Gruft:
Denn in der Heimath sollt Ihr sterben
Und Euren Kindern die Freiheit vererben!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

077 Wien,
Frühling 1848.

Stadt der Freude, Stadt der Töne,
Morgenfrohes, stolzes Wien!
Dessen frühlingsheitre Söhne
Nun der Freiheit Rosen zieh'n:
Ja, wir haben uns versündigt,
Als wir grollten deiner Lust,
Deinem Jauchzen, das verkündigt
Eine starke, tiefe Brust!

Auf den zauberischen Wogen
Deutscher Tänze schwebtest du,
Wetter kamen schwül gezogen,
Schelmisch logst du üppige Ruh';
Eisgrau saßen todte Wächter
Vor dem klangerfüllten Haus:
Sieh, da warfst du edle Fechter
Singend in das Frühroth aus!

Mit den Flöten, mit den Geigen,
Mit den Cymbeln hell voran
Führe vorwärts deinen Reigen
Auf der morgenrothen Bahn!
Ein Mal noch durch deutsche Lande
Führ' ein deutsches Kaiserbild,
Reich zu schau'n im Goldgewande,
Und wir grüßen fromm und mild!

Dieser Traum wird auch verwehen
Und am alten Sternenzelt
Endlich unter die Sterne gehen
Zu der todten Götterwelt;
Und wo flimmernd Schwan und Leier
Und das Bild des Kreuzes sprüh'n,
Wird dereinst in schönem Feuer
Karoli magni Krone glüh'n!

Aber dann in tausend Wiegen,
Hier in Gold und dort in Holz,
Wird der junge Kaiser liegen,
Freier Mütter Ruhm und Stolz,
Wird als Hirt in Blumen weilen,
Im Gebirg als Jäger geh'n,
Auf des Meerschiff's schwanken Seilen
Als ein braver Seemann steh'n!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

078 Der Gemsjäger.
Frühling 1849.

Er kam, ein alter Jägersmann,
Herab an unsrer Ströme Fluth,
Er hatte kurze Hosen an
Und trug 'nen spitzen Jägerhut.

Er ging so ernst, er sah so schlicht,
Wie seiner Joppe graues Tuch,
Aus seinem Mund ging das Gerücht
Von manchem guten Waidmannsspruch.

«In seiner Tasche,» dachten wir,
«Birgt er gewiß aus Alpenkraut
Für altes Weh manch' Elixir
In hoher Einsamkeit gebraut.

«Und wachsam, recht nach Jägerart,
Späht rings sein scharfes Aug' herum,
Und seine sichre Kugel wahrt
Vor Feinden unser Heiligthum!»

Wir holten ihn mit Kränzen ein
Und führten ihn mit frohem Muth
In unser neues Haus am Main,
Und ernsthaft zog er seinen Hut. –

Und heut noch sitzt er da und spricht
Sein Sprüchlein von der bessern Zeit.
Noch immer macht er sein Gesicht
Voll Einfalt und voll Ehrlichkeit.

Doch wenn die Nacht auf Erden graut,
Dann schleicht aus Kluft und Spalt hervor
Die schlimme Sippschaft, wohlvertraut;
Er aber öffnet still das Thor.

Wohl hält er stets den Hahn gespannt:
Die Kugel ist für unser Herz;
Und unsre Kinder schlägt die Hand,
Die lindern sollte unsren Schmerz.

Wir sind verstoßen, der Spaß ist aus!
Verriegelt ist die neue Thür
Und aus dem todtenstillen Haus
Blinzt nur des Jägers Rohr herfür!

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

079 Die Schifferin auf dem Neckar. I.
1848.

Wir standen an rauschender, schwellender Fluth,
Wir sieben Gesellen mit siedendem Blut,
Vom Weine entzündet, voll Leben und Lust;
«Hol' über!» ertönt es aus jauchzender Brust.

Da kam eine Schifferin rüstig heran,
Sie faßte das Ruder und wandte den Kahn;
Wir sprangen mit Muthwill und Lachen hinein,
Fast war der gebrechliche Nachen zu klein.

So stieß sie vom Land in die Wogen hinaus,
Die Mitte des Stromes war weißlich und kraus;
Wir brachten mit Schaukeln das Schifflein in Noth,
Doch ruhig und aufrecht regiert' sie das Boot.

Mit Schmeicheln und Scherzen belagerten wir
Die wehrlose Maid und es hingen an ihr
Die glühenden Blicke, doch ihnen vorbei
Schaut' sie auf die Wasser so kühl und so frei!

Zuletzt in den Lüften entbrannte die Lust,
Zu stehlen der Jungfrau das Tuch von der Brust,
Und Worte und Augen und Wellen und Wind,
Sie gaben zu schaffen dem kämpfenden Kind.

Und siegreich erreicht sie den anderen Strand
Und setzt uns mit klopfendem Herzen an's Land;
Dann wandte sie leicht in den Strudel zurück
Und sah auf die Wasser mit heiterem Blick.

 Neuere Gedichte 1851 / Vermischte Gedichte

080 Die Schifferin auf dem Neckar. II.
1849.

Es ringen die Ströme gewaltig zu Thal,
Die Deutschen nach Einheit mit Feder und Stahl;
Der Neckar erreichet den fliehenden Rhein,
Doch ewig muß Deutschlands Zerrissenheit sein.

Die feindlichen Stämme, sie kämpften im Thal;
Die Preußen, die Hessen, die Baiern zumal
Verfochten mit blutiger Mühe den Thron:
Die Badischen sind gegen Süden gefloh'n.

Am Strand blieb ein Häuflein Rebellen zurück,
Die finden zum Flieh'n weder Furthen noch Brück';
Vom Rothweine trinken die Neige sie noch
Und bringen voll Wuth ihrem Hecker ein Hoch.

Da kracht es vom Walde, da blinkt es vom Berg,
Es flüchtet der Fischer, es birgt sich der Ferg;
Ja blickt nur, ihr rothen Gesellen, euch an!
Wohl ist es um euere Köpfe gethan!

Schon blitzt durch die Gärten von Helmen ein Meer,
Es fliegt der Husar auf der Straße daher;
Die Schifferin sieht es vom anderen Bord,
Sie springt in den Nachen – schon ist sie am Ort.

Sie springen mit bleichen Gesichtern hinein,
Fast ist der gebrechliche Nachen zu klein.
Mit Männern und Waffen zum Sinken beschwert,
Hat schon sie das Schiff in die Fluthen gekehrt.

Das ist eine düstre Gesellschaft im Boot,
Wie Blut weht am Hute die Feder so roth,
Zerrissen die Blouse, geschwärzt das Gesicht;
In den Augen glimmet ein Todtenlicht.

Ein dürftiges Fähnlein im Winde sich rollt,
Aus schlechtem Kattun, das ist schwarz, roth und gold;
So tanzt auf den Wellen der schwankende Kahn,
Die Schifferin sucht ihm die rettende Bahn.

Und wie sie die Mitte des Neckars erreicht,
Schon Kugel auf Kugel das Wasser bestreicht;
Sie schlagen in's Ruder, sie schlagen in's Schiff,
Es schweift um die Ohren der grauliche Pfiff.

Da recken die Bursche sich fluchend empor
Und schnell fährt der schlummernde Blitz aus dem Rohr,
Sie stemmen den Fuß auf den schwebenden Rand
Und laden und senden die Kugeln an's Land.

Es schwellt sich im Nachen die purpurne Fluth,
Die Schifferin steht in dem schaukelnden Blut.
Scharf streicht ihr der Tod an den Brüsten vorbei,
Sie schauet zum Ziele hin sicher und frei.

Schon führt sie zerschossene Leichen an Bord
Und wuthbleich kämpfen die Anderen fort;
Das Fähnlein verschwindet und steht wieder auf;
Sie führet getreulich dem Schifflein den Lauf.

Und endlich gewinnt sie die schützende Bucht,
In Hohlwegen bergen die Kämpfer die Flucht;
Wo nächtliche Diebe und Wilderer geh'n,
Verliert sich des Deutschpaniers klagendes Weh'n.

Die Maid aber leget das Ruder zur Ruh
Und drückt ihren Todten die Augen zu.
Sie ziehet den schwimmenden Sarg auf den Sand
Und setzet sich stumm auf den blutigen Rand.

Da hat doch ihr Herz ein Erbeben gefaßt,
Da erst sind die rosigen Wangen erblaßt.
Das ruhige, kühle, das klare Gemüth
Hat Ein Mal in zitternden Flammen geglüht!

 

  


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