Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        NN_03

Neuere Gedichte 1854

 

Aus Berlin .

 

026 Wilhelm v. Humboldt's Landhaus am Tegelsee.

Es glänzt ein heitres stilles Haus
Aus stillen grünen Kronen;
Auf seinen Warten ruhen aus
Die Winde aller Zonen.

Auf ihrem Hauch ein edler Klang
Hat sich hinausgeschwungen,
Von Meer zu Meer grüßt ihn Gesang,
Gesang in allen Zungen.

Im Hause sind Gemach und Saal
Gefüllt von Glanzgestalten,
Die in vergang'ner Tage Strahl
Die stumme Wache halten.

Die Marmorlippen scheinen sich
Just aufzuthun wie Blüthen,
Erhob'ne Hände feierlich
Ein heilig Gut zu hüten.

Laß hinter dir, was trüb' und wild,
Der du dies Haus betreten,
Denn zu der Hoffnung reinem Bild
Darfst du gefaßt hier beten.

Trittst du hinaus, den Föhrensaum
Sieh ernst den See umgeben!
In seinen Wipfeln rauscht der Traum
Vom ferneblauen Leben.

Und auf dem Walde wandeln sacht
Die weißen Wolkenfrauen,
Die in der Fluth krystall'ner Nacht
Ihr klares Bild beschauen.

In leis'rem Blau die Sonne schweift,
Ihr eigner Schein ist blasser,
Von feuchter Reiherschwinge träuft
Er perlenbleich in's Wasser.

Fühlst nach der Heimath du das Weh,
O Fremdling, dich durchschauern,
Land' an dem nord'schen Geistersee,
Hier ist es schön zu trauern!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

027 Polkakirche.

Wie nach dem Recept geschaffen,
Fein und niedlich ist der Tempel,
Baubefliss'nen jungen Leuten
Ein Modell und Lehrexempel!

Byzantinisch jede Fuge,
Bogen, Bögelchen und Kehlen;
Nur die tollen und genialen
Alten Fratzenbilder fehlen.

Durch die byzantin'schen Pförtchen
Rauscht es leis in Sammt und Seiden,
Drinnen glitzert's fromm und geistreich,
Wie zu der Komnenen Zeiten.

Und die Kanzel mit germanisch-
Christlichem Pastor garniret –
Ja, den Glaspalast zu London
Hätte dieses Werk gezieret!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

028 Berliner Pfingsten.

Heute sah ich ein Gesicht,
Wonnevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen fest und schwer,
Jede trug 'ne Stange.

Mädchensommerkleider drei
Flaggten von den Stangen;
Schön're Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen,
Blau und weiß und roth gestreift,
Wunderbar beflügelt,
Frisch gewaschen und gesteift,
Tadellos gebügelt.

Lustig blies der Wind, der Schuft,
Lenden auf und Büste,
Und von frischer Morgenluft
Blähten sich auf die Brüste!
Und ich sang, als ich geseh'n
Ferne sie entschweben:
Auf und laßt die Fahnen weh'n,
Schön ist doch das Leben!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

029 Weihnachtsmarkt.

Welch' lustiger Wald um das graue Schloß
Hat sich zusammen gefunden,
Ein grünes bewegliches Nadelgehölz,
Von keiner Wurzel gebunden!

Anstatt der warmen Sonne scheint
Das Rauschgold durch die Wipfel;
Hier backt man Kuchen, dort brät man Wurst,
Das Räuchlein zieht um die Gipfel.

Es ist ein fröhliches Leben im Wald,
Das Volk erfüllet die Räume;
Die nie mit Thränen ein Reis gepflanzt,
Die fällen am frohsten die Bäume.

Der Eine kauft ein bescheidnes Gewächs
Zu überreichen Geschenken,
Der Andre einen gewaltigen Strauch,
Drei Nüsse daran zu henken.

Dort feilscht um ein verkrüppeltes Reis
Ein Weib mit scharfen Waffen,
Der dünne Silberling soll zugleich
Den Baum und die Früchte verschaffen!

Mit glühender Nase schleppt der Lakai
Die schwere Tanne von hinnen,
Das Zöfchen trägt ein Leiterchen nach,
Zu ersteigen die grünen Zinnen.

Und kommt die Nacht, so singt der Wald
Und wiegt sich im Gaslichtscheine;
Bang führt die arme Mutter ihr Kind
Vorüber dem Zauberhaine.

Einst sah ich einen Weihnachtsbaum:
Im düstern Bergesbanne
Stand eisbezuckert auf dem Granit
Die alte Wettertanne.

Und zwischen den Aesten waren schön
Die Sterne aufgegangen,
Am untersten Ast sah ich entsetzt
Die alte Schmidtin hangen.

Hell schien der Mond ihr in's Gesicht,
Das festlich still verkläret;
Weil sie auf der Welt sonst nichts besaß,
Hatte sie sich selbst bescheeret.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

030 Frühling 1853.

Welch' schauriger Lenz, der Sonne beraubt,
Um Pfingsten die Bäume noch nicht belaubt!
Der Eisbär sperrte den Rachen auf,
Propheten hemmten der Erde Lauf;
Die Hochgebildeten und Geweihten
Knieten vor Tischen, die prophezeiten!
Es war eine stechende Maienlust,
Das Säulein schrie in der Menschenbrust.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

031 Sonntags.

Lässig bald und wieder schneller
Greifend in den blauen Himmel
Dreht sich eine graue Mühle
Hoch am schweigenden Friedrichshain.

Drüben glänzt des Königs Kuppel,
Still ist's auch in jener Gegend;
Schmollend läßt er Gras ergrünen
Vor dem riesigen Schloßportal.

Aus den Thoren summt und brummt es,
Und das Weichbild schwirrt von Geigen;
Fernhin watet in dem Sande
Staubaufregendes Volk Berlins.

Aber auf dem trägen Flusse
Fahren stille Wendenschiffe;
Durch die Wipfel in die Ferne
Hoch die sonnigen Segel zieh'n.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Aus Berlin

032 Im Thiergarten.

Ich bin ein Fremder hier zu Lande,
Wo Krongewalt herrscht allerwärts,
Mich binden nicht die starren Bande,
Doch dieser Hain erfreut mein Herz!

Um dieses grünen Lebens willen,
Um dieser Weiher sanfte Fluth,
Um diese ruhgewiegten, stillen
Baumwipfel in der Abendgluth,

Um diesen tiefen milden Frieden,
Den mir ein braver Todter beut,
Sei ihm ein voller Dank beschieden
Des Herzens, das dies Grün erfreut!

 

  


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