Auf dem niedrigen Ofen meines Arbeitszimmers stand eine fast drei Fuß hohe Gipsfigur des borghesischen Fechters. Der Abguß war vorzüglich, obschon etwas angebräunt; denn er stammte von einem früheren Insassen her und ging von einem Nachfolger zum andern. Jeder übernahm den rüstigen Kämpfer gegen eine Entschädigung an die Wirthsleute, die so von der Arbeit des wackern Agasias nach zweitausend Jahren noch einen periodischen Nutzen zu ziehen wußten.
• Als meine Augen von der Thüre, hinter welcher Erikson und Reinhold mit ihren Frauen verschwunden waren, hinwegglitten, fielen sie auf den daneben stehenden Fechter und blieben an dem schönen Bildwerke haften. Ich trat ihm näher wie einem willkommenen Hausgenossen in einsamer Stunde und schaute ihn zum ersten Male vielleicht recht an. Rasch räumte ich Bilder und Staffeleien weg, rückte 002 sie an die Wände, trug die Figur in die Mitte des Zimmers auf ein Tischchen und stellte sie in's Licht. Ein helleres Licht ging aber trotz dem geräucherten Zustande von dem Bilde aus, in welchem das Leben im goldenen Zirkel von Vertheidigung und Angriff sich selbst erhielt. Von der erhobenen Faust des linken Armes über die Schultern weg bis zur gesenkten des rechten, von der Stirn bis zur Zehe, dem Nacken bis zur Ferse wallte von Muskel zu Muskel, von Form zu Form die Bewegung, der Schritt aus der Noth zum Siege oder zum rühmlichen Untergange. Und welche Formen in ihrer Verschiedenheit! Alle diese Organe glichen einer kleinen Republik von Wehrmännern, welche von Einem Willen beseelt voran drangen, um ihren Verband gegen die Zerstörung zu schützen.
• Unversehens suchte ich einen reinen Bogen Papier, spitzte einen Kohlenstengel sorgfältig zu und begann mich in den Umrissen dieses und jenes Gliedes zu versuchen, dann, als hiemit nicht viel herauskommen wollte, den linken Arm bis in die Achselhöhle und die von da fortlaufende Bewegung bis in die linke Weichengegend hastiger in ganzer Form zu brüskiren; aber die Hand war ungeübt hiefür und erst als die Kohle sich etwas abgestumpft hatte, wollte der Strich von selbst leibhafter werden und ein gewisses 003 Leben in die Finger fahren. Aber nun war das Auge nicht gewöhnt, angesichts der menschlichen Gestalt der Hand rasch genug vorzuleuchten; ich mußte aufstehen und die Begränzungen und Uebergänge genauer untersuchen, und weil ich doch schon zu alt war, in einsichtsloser Art fortzufahren, über die Dinge und ihren Zusammenhang nachdenken.
So brachte ich in ein par Tagen die ganze Figur leidlich zu Stande, drehte sie und bezwang sie auch von den übrigen Seiten. Da fiel mir plötzlich ein, sie in Gedanken aufzurichten und den Fechter in ruhender Stellung zu zeichnen, gleichsam als Probe der erworbenen Kenntniß. An dem anatomisch gut gearbeiteten Vorbilde hatte ich wohl gesehen, was als Knochen oder Muskel, Sehne oder Gefäß sich darstellte; als es nun aber galt, alles dies in seine veränderte Lage und Form zu bringen, mangelte mir jeder bestimmte Einblick in den Zusammenhang dessen, was unter der Haut ist und vor sich geht, und da es sich nicht um eine unklare freche Skizzirung handeln konnte, die hier keinen Zweck gehabt hätte, so sah ich mich genöthigt, den Stift wegzulegen.
Das begab sich in einem Augenblicke, wo ich schon so manches Jahr der Kunst beflissen gewesen und einem ersten Abschluß zusteuern sollte. Ich 004 hätte diesen Erfolg genau voraussehen können, eh' ich den Stift angesetzt, und wie ich nun, die Hände im Schooß, über meine Thorheit nachsann, wunderte ich mich darüber, daß ich einst nicht die Darstellung des Menschen zum Berufe gewählt hatte anstatt seines bloßen landschaftlichen Wohn- und Schauplatzes. Und als ich über diese unheimliche Zufälligkeit weiter nachdachte, verwunderte ich mich auf's Neue, wie es überhaupt möglich gewesen sei, daß ich, noch in den Kinderschuhen stehend, meinen unberathenen Willen so leicht habe durchsetzen können in einer das ganze lange Leben bestimmenden Sache. Ich war noch nicht über die Jugendidee hinaus, daß eine solche Selbstbestimmung im zartesten Alter das Rühmlichste sei, was es geben könne; allein es begann mir jetzt doch unerwartet die Einsicht aufzugehen, das Ringen mit einem streng bedächtigen Vater, der über die Schwelle des Hauses hinauszublicken vermag, sei ein besseres Stahlbad für die jugendliche Werdekraft, als unbewehrte Mutterliebe. Zum ersten Male meines Erinnerns ward ich dieses Gefühles der Vaterlosigkeit deutlicher inne, und es wallte mir augenblicklich heiß bis unter die Haarwurzeln hinauf, als ich mir rasch vergegenwärtigte, wie ich durch das Leben des Vaters der frühen Freiheit beraubt, vielleicht gewaltsamer Zucht unterworfen, 005 aber dafür auch auf gesicherte Wege geführt worden wäre. Indem ich bei dieser Vorstellung von Sehnsucht und Widerspruch, von einem mir unbekannten aber süßen Gefühle des Gehorsams und trotziger Freiheitslust gleichzeitig erglühte, suchte ich die mir fast gänzlich verwischte Gestalt heraufzuführen, vermochte es aber im Wogen der Gedanken zuletzt nur durch das Auge der Mutter, wie sie den Abgeschiedenen im Traume gesehen.
Im Verlaufe der Zeit hatte sie nämlich wiederholt, aber immer nur nach Jahre langen Unterbrechungen, vom Vater geträumt, vielleicht zwei oder drei Male, gleichsam zum Wahrzeichen, wie selten solch' zarte flüchtige geheimnißvolle Lichtblicke tiefsten Glückes uns vergönnt sind. Jedesmal aber hatte sie am Morgen das Begebniß, das nach langem Ausbleiben so unerwartet gekommen, mit dankbarer Freude erzählt und die Art und Weise der Erscheinung beschrieben.
So war es ihr einst im Schlafe, als ergehe sie sich an einem Sonntage mit dem verstorbenen Gatten im Freien, wie ehmals; aber sie fand ihn doch nicht sich zur Seite, sondern sah ihn plötzlich aus der Ferne herkommen auf einer unabsehbaren Feldstraße. Er war sonntäglich fein gekleidet, trug aber ein schweres Felleisen auf dem Rücken; in der 006 Nähe angelangt, stand er still, nahm den Hut vom Kopfe und wischte den Schweiß von der Stirne; dann winkte er liebevoll gegen die Mutter und sagte mit wohltönender Stimme: Es ist weit, weit zu gehen! worauf er an seinem Stabe rüstig weiter wanderte, bis er ihren Augen entschwand. Dieses Gesicht, welches ihr statt eines Ausruhenden einen mit belastetem Rücken in unendliche Fernen dahin Ziehenden gezeigt, hatte die Mutter bei näherem Nachdenken traurig gemacht, da sie ohne Aberglauben oder Traumdeuterei doch die Empfindung oder Vorstellung von einer großen Mühsal erlitt, in welcher sich der Abgeschiedene bewege.
Mir hingegen erweckte jetzt das Gedenken dieses unverdrossenen Wanderns des freundlichen Geistes durch die unbekannte Ewigkeit eher das vorbildliche Anschauen eines nicht zu brechenden Lebensmuthes, des rastlosen Verfolgens eines Zieles. Ich sah den Mann selbst dahinschreiten und mir zuwinken, und als das Bild allmälig sich von der Tafel der Erinnerung löste und verschwand, sagte ich mir entschlossen: Was kann es helfen! du darfst nicht länger säumen und mußt die fehlende Kenntniß nachholen!
• Ich nahm mir also vor, mich unverweilt an das Studium der Anatomie zu machen, so weit dieselbe wenigstens zu Verständniß und Darstellung 007 der menschlichen Gestalt unentbehrlich ist; und da die öffentliche Kunstschule zwar etwelche unvollkommene Gelegenheit hiefür bot, ich aber nicht zu ihren Angehörigen zählte, so suchte ich sofort einen jener Studirenden auf, die mir in dem unsinnigen Duellhandel mit Ferdinand Lys beigestanden. Es war ein der Medizin Beflissener, dem Ende seiner Studienzeit entgegengehend und fast nur noch in den Krankensäälen sowie an den Operationstischen thätig. Sogleich bereit, mir seine anatomischen Atlanten und Bücher zu leihen und mich vor der Hand in ein Hörzimmer der Knochenlehre zu führen, rieth er mir jedoch nach einigem Besinnen, mit ihm die so eben beginnenden Vorträge über Anthropologie zu besuchen, die von einem vortrefflichen Lehrer gehalten würden. Er selbst, bemerkte er, gehe hin, nicht um der längst zurückgelegten Lehrstufe willen, sondern wegen der ausgezeichneten Form und des geistigen Gehaltes jener Vorlesungen, welche an sich ein lehrreicher Genuß seien. Uebrigens wie der Anatom ein rückwärtsgehender, sozusagen abtragender Bildhauer zu nennen sei, so gehe der bildende Künstler am besten auf dem entgegengesetzten Wege nicht nur von dem Knochengerüste, sondern von der allgemeinen Anschauung des Organischen und seines Werdens aus, und habe er den Einzug der Sinne 008 in das Gezelt der ehrlichen Menschenhaut mit angesehen, so werde er zwar hiedurch kein Michel Angelo werden, wenn es nicht sonst in ihm stecke, aber es könne andere, jetzt verloren gegangene Fakultäten vergangener Zeiten ersetzen.
Ich sah den kundigen Landsmann nun erst recht an und glaubte kaum, daß der Sprecher der gleiche sei, der mir vor Wochen so bereitwillig ein Loch in die Haut eines Menschen wollte stechen helfen. Wenn junge Leute, die sich bei leichtsinnigem Treiben befreundet, nachher ernstere Eigenschaften an einander entdecken, so gereicht ihnen das immer zur Genugthuung, welche gern einem entschiedenen Einflusse Statt giebt. Ich zögerte daher nicht, dem Rathgeber zu folgen, und betrat mit ihm das weitläufige Universitätsgebäude, auf dessen Treppen und Fluren die eigentliche Staatsjugend der verschiedensten Länder durcheinander strömte. • In dem betreffenden Hörsaale waren die Bänke noch leer. Die kahle Wand, die schwarze Tafel an derselben, die zerschnittenen und beklecksten Tische, Alles erinnerte mich beinahe beklemmend an die Schulstube, die ich seit so vielen Jahren schon nicht mehr gesehen. Das unterbrochene Lernen fiel mir auf's Herz und machte mir zu Muth, als ob ich, auf einer dieser Bänke sitzend, plötzlich aufgerufen und beschämt werden 009 könnte; denn ich dachte nicht daran, daß hier Jeder in vollkommener Freiheit lebe für eine Spanne Zeit, Keiner auf den Andern sehe und Jedem der Tag seiner Abrechnung noch in der Zukunft schlummere. • Doch allmälig füllte sich der Saal, und mit Verwunderung überschaute ich die gedrängte Versammlung. Neben einer Menge junger Leute meines Alters, welche rücksichtslos ihre Plätze einnahmen und behaupteten, erschienen manche in vorgerückteren Jahren, gut oder schlecht gekleidet, die schon stiller und bescheidener unterzukommen suchten; und sogar einige alte Herren mit weißem Haar, selbst rühmliche Lehrer, nahmen entlegene Seitenplätze ein, um zu suchen, was es noch zu lernen gebe. Da ahnte ich freilich meine Beschränktheit, in der ich gewähnt, daß gerade in den Räumen der Wissenschaft das Lernen für irgend Jemanden eine Schande sei.
• So mochten über hundert Zuhörer versammelt sein, welche des Vortragenden harrten, als derselbe unversehens in die Thüre trat, rasch nach seinem Känzelchen eilte und dort mit anständiger Anrede begann, das Bild unserer Leiblichkeit und ihrer Lebensbedingungen zu entwerfen, wie es der damaligen Wissenschaft entsprach, die wie gewöhnlich den bisher denkbar höchsten Stand so eben erstiegen hatte. Allein dergleichen Prunk kehrte er keineswegs 010 hervor, sondern führte seine Hörer mit ruhig und klar ohne irgend einen Anstoß dahinfließender Rede durch das wohlgeordnete Gebiet, ohne Uebereilung, sowie ohne unnützen Aufenthalt, ohne das Ueberraschende oder etwa nothgedrungen Witzige mit Reklamen der Gebärde oder des Wortes anzukündigen und zu begleiten.
• Auf mich wirkte schon die erste Stunde so, daß ich den Zweck, der mich hergeführt, und Alles vergaß und allein gespannt war auf die zuströmende Erfahrung. Hauptsächlich beschäftigte mich alsobald die wunderbar scheinende Zweckmäßigkeit der Einzelheiten des thierischen Organismus; jede neue Thatsache schien mir ein Beweis zu sein von der Scharfsinnigkeit und Geschicklichkeit Gottes, und obgleich ich mir mein Leben lang die Welt nur als vorgedacht und erschaffen vorgestellt hatte, so dünkte mich nun bei diesem ersten Einblicke, als ob ich bisher eigentlich gar nichts gewußt hätte von der Erschaffung der Kreatur, dagegen jetzt mit der tiefsten Ueberzeugung wider Jedermann das Dasein und die Weisheit des Schöpfers behaupten könne und wolle. Aber nachdem der Lehrer die Trefflichkeit und Unentbehrlichkeit der Dinge auf das Schönste geschildert, ließ er sie unvermerkt in sich selbst ruhen und so ineinander übergehen, daß die ausschweifenden 011 Schöpfergedanken ebenso unvermerkt zurückkehrten und in den geschlossenen Kreis der Thatsachen gebannt wurden. Und wo ein Theil noch unerklärlich war und in die Dämmerung zurücktrat, da holte der Redner ein helles Licht aus dem Erklärten und ließ es in jene Dunkelheit glänzen, so daß der Gegenstand wenigstens unberührt und jungfräulich seiner Zeit harrte, wie eine ferne Küste im Frühlichte. Selbst da, wo er entsagen zu müssen glaubte, that er dies mit der überzeugenden Hinweisung, daß doch Alles mit rechten Dingen zuginge und in der Grenze des menschlichen Wahrnehmungsvermögens keineswegs eine Grenze der Folgerichtigkeit und Sicherheit der Naturgesetze läge. Hiebei brauchte er keinerlei gewaltsame Reden und vermied gewisse theologische Ausdrücke so sorgfältig wie den Widerspruch dagegen. Die Voreingenommenen merkten auch von Allem nichts und schrieben unverdrossen nieder, was ihnen zweckdienlich schien für Eigenliebe und aufzustellende Meinungen, während die Unbefangenen alle Hintergedanken fahren ließen und bei des Lehrers klugen Wendungen mit frohem Sinne die Achtung vor dem reinen Erkennen lernten.
• Auch in mir traten die willkürlichen Voraussetzungen und Nutzanwendungen bald in den Hintergrund, 012 ohne daß ich wußte, wie es geschah, als ich mich den Einwirkungen der einfachen oder reichen Thatsachen hingab; das Suchen nach Wahrheit ist ja immer ohne Arg, unverfänglich und schuldlos; nur in dem Augenblicke, wo es aufhört, fängt die Lüge an bei Christ und Heide. Ich versäumte keine Stunde in dem Hörsaal. Wie ein Alp fiel es mir vom Herzen, als ich nun doch noch etwas zu lernen anfing; das Glück des Wissens gehört auch dadurch zum wahren Glücke, daß es einfach und rückhaltlos und, ob es früh oder spät eintritt, immer ganz das ist, was es sein kann; es weiset vorwärts und nicht zurück und läßt über dem unabänderlichen Leben des Gesetzes die eigene Zerbrechlichkeit vergessen.
• Ich wurde von Wohlwollen gegen den beredten Lehrer erfüllt, von dem ich nicht gekannt war; denn es ist wol nicht die schlimmste Eigenschaft des Menschen, wenn er für geistige Gutthaten dankbarer ist als für leibliche, und zwar in dem Maße, daß die Dankbarkeit wächst, je weniger selbst die geistige Wohlthat irgend einen unmittelbaren äußerlichen Nutzen mit sich bringt. Nur wenn leibliches Wohlthun so beschaffen ist, daß es Zeugniß giebt von einer geistigen Kraft, welche dem Empfänger wiederum zu einer moralischen Erfahrung wird, erreicht seine 013 Dankbarkeit eine schönere Höhe, die ihn selber veredelt. Die Ueberzeugung, daß reine Tugend und Güte irgendwo sind, ist ja die beste, die uns werden kann, und selbst die Seele des Lasterhaften reibt sich vor Vergnügen ihre unsichtbaren dunklen Hände, wenn sie wahrnimmt, daß Andere für sie gut und tugendhaft sind.
• Indem die Lehre von unserer Menschennatur sich zusehends abrundete, bemerkte ich nicht ohne Verwunderung, wie die Dinge neben ihrer sachlichen Form in meiner Einbildung zugleich eine phantastisch typische Gestalt annahmen, welche zwar die Kraft des Vorstellens in den Hauptzügen erhöhte, hingegen das genauere Erkennen des Einzelkleinen gefährdete. Das rührte von der Gewöhnung des malerischen Bildwesens her, die sich jetzt einmischte, wo das Gedankenwesen herrschen sollte, während dieses sich wiederum an die Stelle drängte, die jenem gebührte. So sah ich den Kreislauf des Blutes gleich in Gestalt eines prächtigen Purpurstromes, an welchem wie ein bleiches Schemen das weißgraue Nervenwesen saß, eine gespenstische Gestalt, die in den Mantel ihrer Gewebe gehüllt, begierig trank und schlürfte und die Kraft gewann, sich proteusartig in alle Sinne zu verwandeln. Oder ich sah die Millionen sphärischer Körper, welche eben so ungezählt 014 und dem bloßen Auge eben so unsichtbar, wie die Heerschaaren der Himmelskörper, das Blut bilden, durch tausend Kanäle dahinstürmen und auf ihren Fluthen unaufhörlich die Blitze des Nervenlebens einherfahren in Zeiträumen, die im Auge der Weltordnung eben so lange oder so kurz sind, wie diejenigen, welche die Sterne zu ihrer Wanderschaft und Geschickserfüllung bedürfen. Auch die Wiederholung der ungeheuren Vielzahl und Zusammengesetztheit der ganzen kosmischen Natur in jedem einzelnen hinfälligen Schädelrunde dehnte sich mir zu der ungeheuerlichen Vorstellung aus, als ob ein monadenkleines Forscherlein tief im Gehirne sitzen und eben so leicht sein Fernrohr durch freie Räume richten könnte, wie der Astronom das seine durch den Weltäther, trotz aller scheinbaren Dichtigkeit der Materie im erstern Rundgebiete; ja vielleicht sei das Oscillieren der Nervenmassen des Gehirns nichts anderes, als das wirkliche Wandern der Gedanken- oder Begriffskörperchen durch die Räume der Hemisphären, und was dergleichen Späße mehr waren.
Doch der Ernst des Lehrers und die ebenmäßige Ruhe seiner Rede überwanden schließlich solche Störungen und stellten eine Aufmerksamkeit her, die bis zum Schlusse andauerte, hier aber einer gewissen 015 Betroffenheit Platz machte. Denn nachdem er die Lehre von der Sinnesentwicklung mit der Entstehung des menschlichen Bewußtseins abgeschlossen, endigte er, aus seiner Zurückhaltung heraustretend, mit der unverhohlenen Bestreitung der Existenz eines sogenannten freien Willens. Er that es mit wenigen gemäßigten Worten, die wenn auch sanft und friedlich, doch keineswegs triumphirend oder selbstzufrieden tönten; vielmehr klang ein so herbes Entsagen deutlich hindurch, daß ich mich sofort dagegen auflehnte, da die Jugend nie gewillt ist, etwas für gut und köstlich Geltendes so leicht dahin zu geben.