GH 3.02

012 Zweites Kapitel

Ein Wunder und ein wirklicher Meister.

Da überschattete sich plötzlich der weiße Bogen auf meinen Knieen, der vorher von der Sonne beglänzt war; erschrocken schaute ich um und sah einen ansehnlichen, fremd gekleideten Mann hinter mir stehen, welcher den Schatten verursachte. Er war groß und schlank, hatte ein bedeutsames und ernstes Gesicht mit einer stark gebogenen Nase und einem sorgfältig gedrehten Schnurbart und trug sehr feine Wäsche.

In hochdeutscher Sprache redete er mich an: «Darf man wol ein wenig Ihre Arbeit besehen, junger Herr?» Halb erfreut und halb verlegen hielt ich meine Zeichnung hin, welche er einige Augenblicke aufmerksam besah; dann fragte er mich, ob ich noch mehr in meiner Mappe bei mir hätte und ob ich wirklicher Künstler werden wollte. Ich trug allerdings immer einen Vorrath des zuletzt Gemachten mit mir herum, wenn ich nach der Natur zeichnete, 013 um jedenfalls Etwas zu tragen, wenn ich einen unergiebigen Tag hatte, und während ich nun die Sachen nach und nach hervorzog, erzählte ich fleißig und zutraulich meine bisherigen Künstlerschicksale; denn ich merkte sogleich an der Art, wie der Fremde die Sachen ansah, daß er es verstand, wo nicht selbst ein Künstler war.

Dies bestätigte sich auch, als er mich auf meine Hauptfehler aufmerksam machte, die Studie, welche ich gerade vor hatte, mit der Natur verglich und mir an letzterer selbst das Wesentliche hervorhob und mich es sehen lehrte. Ich fühlte mich überglücklich und hielt mich ganz still, wie Jemand, der sich vergnüglich eine Wohlthat erzeigen läßt, als er einige Laubpartien auf meinem Papiere mit ihrem Vorbilde zusammenhielt, Licht und Formen klar machte und auf dem Rande des Blattes mit wenigen mühlosen Meisterstrichen das herstellte, was ich vergeblich gesucht hatte.

Er blieb wol eine halbe Stunde bei mir, dann sagte er: «Sie haben vorhin den wackern Habersaat genannt; wissen Sie, daß ich vor fünfzehn Jahren auch ein dienstbarer Geist in seinem verwünschten Kloster war? Ich habe mich aber bei Zeiten aus dem Staube gemacht und bin seither immer in Italien und Frankreich gewesen. Ich bin 014 Landschafter, heiße Römer, und gedenke mich eine Zeit lang in meiner Heimat aufzuhalten. Es soll mich freuen, wenn ich Ihnen etwas nachhelfen kann; ich habe manche Sachen bei mir, besuchen Sie mich einmal oder kommen Sie gleich mit mir nach Hause, wenn's Ihnen recht ist!»

Ich packte eilig zusammen und begleitete in feierlicher Stimmung den Mann, und mit nicht geringem Stolze. Ich hatte oft von ihm sprechen gehört; denn er war eine der großen Sagen des Refektoriums, und Meister Habersaat that sich nicht wenig darauf zu gut, wenn es hieß, sein ehemaliger Schüler Römer sei ein berühmter Aquarellist in Rom und verkaufe seine Arbeiten nur an Fürsten und Engländer. Auf dem Wege, so lange wir noch im Freien waren, zeigte mir Römer allerlei gute Dinge in der Natur. Aufmerksam begeistert sah ich hin, wo er mit der Hand fein wegstreichend hindeutete; ich war erstaunt, zu entdecken, daß ich eigentlich, so gut ich erst kürzlich noch zu sehen geglaubt, noch gar nichts gesehen hatte, und ich staunte noch mehr, das Bedeutende und Lehrreiche nun meistens in Erscheinungen zu finden, die ich vorher entweder übersehen, oder wenig beachtet. Jedoch freute ich mich, leidlich zu verstehen, was mein Begleiter jeweilig meinte, und mit ihm einen kräftigen und doch klaren 015 Schatten, einen milden Ton oder eine zierliche Ausladung eines Baumes zu sehen, und nachdem ich erst einige Male mit ihm spaziert, hatte ich mich bald gewöhnt, die ganze landschaftliche Natur nicht mehr als etwas rund in sich Bestehendes, sondern nur als Ein gemaltes Bilder- und Studiencabinet, als etwas bloß vom richtigen Standpunkte aus Sichtbares zu betrachten und in technischen Ausdrücken zu beurtheilen.

Als wir in seiner Wohnung anlangten, welche aus ein paar eleganten Zimmern in einem schönen Hause bestand, setzte Römer sogleich seine Mappen auf einen Stuhl vor das Sopha, hieß mich auf dieses neben ihn sitzen und begann die Sammlung seiner größten und werthvollsten Studien eine um die andere umzuwenden und aufzustellen. Es waren alles umfangreiche Blätter aus Italien, auf starkes grobkörniges Papier mit Wasserfarben gemalt, doch auf eine mir ganz neue Weise und mit unbekannten kühnen und geistreichen Mitteln, so daß sie eben so viel Schmelz und Duft, als Klarheit und Kraft zeigten und vor Allem aus in jedem Striche bewiesen, daß sie vor der lebendigen Natur gemacht waren. Ich wußte nicht, sollte ich über die glänzende und angenehm nahe tretende Meisterschaft der Behandlung oder über die Gegenstände mehr Freude 016 empfinden, denn von den mächtigen dunklen Cypressengruppen der römischen Villen, von den schönen Sabinerbergen bis zu den Ruinen von Pästum und dem leuchtenden Golf von Neapel, bis zu den Küsten von Sicilien mit den zauberhaften hingehauchten, gedichteten Linien, tauchte Bild um Bild vor mir auf mit den köstlichen Merkzeichen des Tages, des Ortes und des Sonnenscheins, unter welchem sie entstanden. Schöne Klöster und Kastelle glänzten in diesem Sonnenschein an schönen Bergabhängen, Himmel und Meer ruhten in tiefer Bläue oder in heitrem Silberton und in diesem badete sich die prächtige, edle Pflanzenwelt mit ihren klassisch einfachen und doch so vollen Formen. Dazwischen sangen und klangen die italischen Namen, wenn Römer die Gegenstände benannte und Bemerkungen über ihre Natur und Lage machte. Manchmal sah ich über die Blätter hinaus im Zimmer umher, wo ich hier eine rothe Fischerkappe aus Neapel, dort ein römisches Taschenmesser, eine Korallenschnur oder einen silbernen Haarpfeil erblickte; dann sah ich meinen neuen Beschützer aufmerksam und von Grund aus wohlwollend an, seine weiße Weste, seine Manschetten, und erst, wenn er das Blatt umwandte, fuhr mein Blick wieder auf dasselbe, um es noch einmal zu überfliegen, ehe das nächste erschien.

017 Als wir mit dieser Mappe zu Ende waren, ließ mich Römer noch flüchtig in einige andere blicken, von denen die eine einen Reichthum farbiger Details, die andere eine Unzahl Bleistiftstudien, eine dritte lauter auf das Meer, Schifffahrt und Fischerei Bezügliches, eine vierte endlich verschiedene Phänomene und Farbenwunder, wie die blaue Grotte, außergewöhnliche Wolkenerscheinungen, Vesuvausbrüche, glühende Lavabäche u. s. w. enthielten. Dann zeigte er mir noch im andern Zimmer seine gegenwärtige Arbeit, ein größeres Bild auf einer Staffelei, welches den Garten der Villa d'Este vorstellte. Dunkle Riesencypressen ragten aus flatternden Reben und Lorbeerbüschen, aus Marmorbrunnen und blumigen Geländern, an welchen eine einzige Figur, Ariost, lehnte, in schwarzem ritterlichen Kleide, den Degen an der Seite. Im Mittelgrunde zogen sich Häuser und Bäume von Tivoli hin, von Duft umhüllt, und darüber hinweg dehnte sich das weite Feld, vom Purpur des Abends übergossen, in welchem am äußersten Horizonte die Peterskuppel auftauchte.

«Genug für heute!» sagte Römer, «kommen Sie öfter zu mir, alle Tage, wenn Sie Lust haben; bringen Sie mir Ihre Sachen mit, vielleicht kann ich Ihnen Dies und Jenes zum Copiren mitgeben, damit Sie eine leichtere und zweckmäßigere Technik erlangen!»

018 Mit der dankbarsten Verehrung verabschiedete ich mich und sprang mehr, als ich ging, nach Hause. Dort erzählte ich meiner Mutter das glückliche Abenteuer mit den beredtesten Worten und verfehlte nicht, den fremden Herrn und Künstler mit allem Glanz auszustatten, dessen ich habhaft war; ich freute mich, ihr endlich ein Beispiel rühmlichen Gelingens als einen Trost für meine eigene Zukunft vorführen zu können; besonders da ja Römer ebenfalls aus Herrn Habersaat's kümmerlicher Pflanzschule hervorgegangen war. Allein die fünfzehn in der weiten Ferne zugebrachten Jahre, welche zu diesem Gelingen gebraucht worden, leuchteten meiner Mutter nicht sonderlich ein, auch hielt sie dafür, daß es noch gar nicht ausgemacht wäre, ob der Fremde sich wirklich wohl befinde, indem er als solcher so einsam und unbekannt in seiner Heimat angekommen sei. Ich hatte aber ein anderweitiges geheimes Zeichen von der Richtigkeit meiner Hoffnungen, nämlich das plötzliche Erscheinen Römers unmittelbar nachdem ich gebetet hatte, da ich ungeachtet meines unkirchlichen Rebellenthums noch immer ein richtiger Mystosoph war, sobald es sich um mein persönliches Wohl oder Weh handelte.

Hiervon sagte ich aber nichts zu meiner Mutter; denn erstens war zwischen uns nicht herkömmlich, 019 daß man viel von solchen Dingen sprach; und dann baute die Mutter wol fest auf die Hülfe Gottes, aber es würde ihr nicht gefallen haben, wenn ich mich eines so merkwürdigen und theatralischen Falles gerühmt hätte. Sie war froh, wenn Gott das Brot nicht ausgehen ließ und für schwere Leiden, für Fälle auf Leben und Tod seine Hülfe in Bereitschaft hielt, und sie hätte mich wahrscheinlich ziemlich ironisch zurechtgewiesen; desto mehr beschäftigte ich mich den Abend hindurch mit dem Vorfalle und muß gestehen, daß ich dabei doch eine zweifelhafte Empfindung hatte. Ich konnte die Vorstellung eines langen Drahtes nicht unterdrücken, an welchem der fremde Mann auf mein Gebet herbeigezogen sei, während, gegenüber diesem lächerlichen Bilde, mir ein Zufall noch weniger munden wollte, da ich mir das Ausbleiben desselben nun gar nicht mehr denken mochte. Seither habe ich mich gewöhnt, dergleichen Glücksfälle, so wie ihr Gegentheil, wenn ich nämlich ein unangenehmes Ereigniß als die Strafe für einen unmittelbar vorhergegangenen, bewußten Fehler anzusehen mich immer wieder getrieben fühle, als vollendete Thatsachen einzutragen und Gott dafür dankbar zu sein, ohne mir des Genaueren einzubilden, es sei unmittelbar und insbesondere für mich geschehen. Doch kann ich mich bei jeder Gelegenheit, 020 wo ich mir nicht zu helfen weiß, nicht enthalten, von Neuem durch Gebet solche Lösungen anzustreben und für die Zurechtweisungen des Schicksals einen Grund in meinen Fehlern zu suchen und Besserung zu geloben.

Ich wartete ungeduldig einen Tag und ging dann am darauf folgenden mit einer ganzen Last meiner bisherigen Arbeiten zu Römer. Er empfing mich freundlich zuvorkommend und besah die Sachen mit aufmerksamer Theilnahme. Dabei gab er mir fortwährend guten Rath, und als wir zu Ende waren, sagte er, ich müßte vor Allem die ungeschickte alte Manier, das Material zu behandeln, aufgeben, denn damit ließe sich gar Nichts mehr ausrichten. Nach der Natur sollte ich fleißig vor der Hand mit einem weichen Blei zeichnen und für das Haus anfangen, seine Weise einzuüben, wobei er mir gerne behülflich sein wolle. Auch suchte er mir aus seinen Mappen einige einfache Studien in Bleistift so wie in Farben, welche ich zur Probe copiren sollte und als ich hierauf mich empfehlen wollte, sagte er: «O! bleiben Sie noch ein Stündchen hier, Sie werden den Vormittag doch nichts mehr machen können; sehen Sie mir ein wenig zu und plaudern wir ein Bischen!» Mit Vergnügen that ich dies, hörte auf seine Bemerkungen, die er über sein Verfahren 021 machte, und sah zum ersten Mal die einfache, freie und sichere Art, mit der ein Künstler arbeitet. Es ging mir ein neues Licht auf und es dünkte mich, wenn ich mich selbst auf meine bisherige Art arbeitend vorstellte, als ob ich bis heute nur Strümpfe gestrickt oder etwas Aehnliches gethan hätte.

Rasch copirte ich die Blätter, die Römer mir mitgab, mit aller Lust und allem Gelingen, welche ein erster Anlauf giebt, und als ich sie ihm brachte, sagte er: «Das geht ja vortrefflich, ganz gut!» An diesem Tage lud er mich ein, da das Wetter sehr schön war, einen Spaziergang mit ihm zu machen, und auf diesem verband er das, was ich in seinem Hause bereits eingesehen, mit der lebendigen Natur, und dazwischen sprach er vertraulich über andere Dinge, Menschen und Verhältnisse, welche vorkamen, bald scharf kritisch, bald scherzend, so daß ich mit einem Male einen zuverlässigen Lehrer und einen unterhaltenden und umgänglichen Freund besaß.

Bald fühlte ich das Bedürfniß, immer und ganz in seiner Nähe zu sein, und machte daher immer häufiger von meiner Freiheit, ihn zu besuchen, Gebrauch, als er eines Tages, nachdem er gründlich und schon etwas strenger eine Arbeit durchgesehen, zu mir sagte: «Es würde gut für Sie sein, noch eine Zeit ganz unter der Leitung eines Lehrers zu stehen; es 022 würde mir auch zum Vergnügen und zur Erheiterung gereichen, Ihnen meine Dienste anzubieten; da aber meine Verhältnisse leider nicht der Art sind, daß ich dies ganz ohne Entschädigung thun könnte, wenigstens wenn es nicht durchaus sein muß, so besprechen Sie sich mit Ihrer Frau Mutter, ob Sie monatlich etwas daran wenden wollen. Ich bleibe jedenfalls einige Zeit hier und in einem halben Jahre hoffe ich Sie so weit zu bringen, daß Sie später besser vorbereitet und selbst im Stande, einigen Erwerb zu finden, Ihre Reisen antreten könnten. Sie würden jeden Morgen um acht Uhr kommen und den ganzen Tag bei mir arbeiten.»

Ich wünschte nichts Besseres zu thun und lief eiligst nach Hause, den Vorschlag meiner Mutter zu hinterbringen. Allein sie war nicht so eilig, wie ich, und ging, da es sich um Ausgabe einer erklecklichen Summe handelte und ich selbst einen Theil des an Habersaat Bezahlten für verlorenes Geld hielt, erst jenen vornehmen Herrn, bei dem sie schon früher ein Mal gewesen, um Rath zu fragen; denn sie dachte, derselbe werde jedenfalls wissen, ob Römer wirklich der geachtete und berühmte Künstler sei, für welchen ich ihn so eifrig ausgab. Doch man zuckte die Achseln, gab zwar zu, daß er als Künstler talentvoll und in der Ferne renommirt sei; über 023 seinen Charakter jedoch hüllte man sich ins Unklare, wollte nicht viel Gutes wissen, ohne etwas Näheres angeben zu können, und meinte schließlich, wir sollten uns in Acht nehmen. Jedenfalls sei die Forderung zu groß, unsere Stadt sei nicht Rom oder Paris, auch hielte man dafür, es wäre gerathener, die Mittel für meine Reisen aufzusparen und diese desto früher anzutreten, wo ich dann selbst sehen und holen könne, was Römer besäße.

Das Wort Reisen war nun schon wiederholt vorgekommen und war hinreichend, meine Mutter zu bestimmen, jeden Pfennig zur Ausstattung aufzubewahren. Daher theilte sie mir die bedenklichen Aeußerungen mit, ohne zu viel Gewicht auf die den Charakter betreffenden zu legen, welche ich auch mit Entrüstung zu Nichte machte; denn ich war schon dagegen gewaffnet, indem ich aus verschiedenen räthselhaften Aeußerungen Römer's entnommen, daß er mit der Welt nicht zum Besten stehe und viel Unrecht erlitten habe. Ja, es hatte sich schon eine eigene Sprache über diesen Punkt zwischen uns ausgebildet, indem ich mit ehrerbietiger Theilnahme seine Klagen entgegennahm und so erwiderte, als ob ich selbst schon die bittersten Erfahrungen gemacht oder wenigstens zu fürchten hätte, welche ich aber festen Fußes erwarten und dann zugleich mich und 024 ihn rächen wollte. Wenn Römer hierauf mich zurechtwies und erinnerte, daß ich die Menschen doch nicht besser kennen werde, als er, so mußte ich dies annehmen und ließ mich mit wichtiger Miene belehren, wie es anzufangen wäre, sich gehörig zu stellen, ohne daß ich eigentlich wußte, warum es sich handelte und worin jene Erfahrungen denn beständen.

Ich entschloß mich kurz und sagte zur Mutter, ich wolle das Gold, welches in meinem ehemals geplünderten Sparkästchen übrig geblieben, für die Sache opfern. Hiegegen hatte sie Nichts einzuwenden; ich nahm also die Schaumünze und einige Dukaten, welche dabei waren, und trug Alles zu einem Goldschmied, welcher mir den Werth in Silber dafür bezahlte, brachte das Geld zu Römer und sagte, das sei Alles, was ich verwenden könnte und ich wünschte wenigstens vier Monate seines Unterrichtes dafür zu genießen. Zuvorkommend sagte er, das sei gar nicht so genau zu nehmen! Da ich thue, was ich könne, wie es einem Kunstjünger gezieme, so wolle er nicht zurückbleiben und ebenfalls thun, was er könne, so lange er hier sei, und ich solle nur gleich morgen kommen und anfangen.

So richtete ich mich mit großer Befriedigung bei ihm ein. Den ersten und zweiten Tag ging es 025 noch ziemlich gemüthlich zu; allein schon am dritten begann Römer einen ganz anderen Ton zu singen, indem er urplötzlich höchst kritisch und streng wurde, meine Arbeit erbarmungslos herunter machte und mir bewies, daß ich nicht nur noch nichts könne, sondern auch lässig und unachtsam sei. Das kam mir höchst wunderlich vor; ich nahm mich ein wenig zusammen, was aber nicht viel Dank einbrachte; im Gegentheil wurde Römer immer strenger und ironischer in seinem Tadel, den er nicht in die rücksichtsvollsten Ausdrücke faßte. Da nahm ich mich ernstlicher zusammen, der Tadel wurde ebenfalls ernstlich und fast rührend, bis ich endlich mich ganz zerknirscht und demüthig daran machte, mir bei jedem Striche den Platz, wo er hin sollte, wohl besah, manchmal ihn zart und bedächtig hinsetzte, manchmal nach kurzem Erwägen plötzlich wie einen Würfel auf gut Glück hinwarf und endlich Alles genau so zu machen suchte, wie Römer es verlangte. So erreichte ich endlich etwelches Fahrwasser, auf welchem ich ganz still dem Ziele einer leidlichen Arbeit zusteuerte. Der Fuchs merkte aber meine Absicht und erschwerte mir unversehens die Aufgaben, so daß die Noth von Neuem anging und die Kritik meines Meisters schöner blühte, denn je. Wiederum steuerte ich endlich nach vieler Mühe 026 einer angehenden Tadellosigkeit entgegen und wurde nochmals durch ein erschwertes Ziel zurückgeworfen, statt daß ich, wie ich gehofft, ein Weilchen auf den Lorbeeren einer erreichten Stufe ausruhen konnte. So erhielt mich Römer einige Monate in großer Unterwürfigkeit, wobei jedoch die mystischen Gespräche über die bitteren Erfahrungen und über dies und jenes fortdauerten, und wenn die Tagesarbeit geschlossen war oder auf unseren Spaziergängen blieb unser Verkehr der alte. Dadurch entstand eine seltsame Weise, indem Römer mitten in einer traulichen und tiefsinnigen Unterhaltung mich jählings andonnerte: «Was haben Sie da gemacht! Was soll denn das sein! O Herr Jesus! Haben Sie Ruß in den Augen?» so daß ich plötzlich still wurde und voll Ingrimm über ihn und mich selbst meine Arbeit mit verzweifelter Aufmerksamkeit wieder aufnahm.

So lernte ich endlich die wahre Arbeit und Mühe kennen, ohne daß mir dieselbe lästig wurde, da sie in sich selbst den Lohn der immer neuen Erholung und Verjüngung trägt, und ich sah mich in den Stand gesetzt, eine große Studie Römer's, welche schon mehr ein Bild zu nennen war, vornehmen zu dürfen und so zu copiren, daß mein Lehrer erklärte, es sei nun genug in dieser Richtung, ich würde ihm 027 sonst seine ganzen Mappen nachzeichnen; dieselben seien sein einziges Vermögen und er wünsche bei aller Freundschaft doch nicht, eine förmliche Doublette desselben in anderen Händen zu wissen.

Durch diese Beschäftigung war ich wunderlicher Weise im Süden weit mehr heimisch geworden, als in meinem Vaterlande. Da die Sachen, nach welchen ich arbeitete, alle unter freiem Himmel und sehr trefflich gemacht waren, auch die Erzählungen und Bemerkungen Römer's fortwährend meine Arbeit begleiteten, so verstand ich die südliche Sonne, jenen Himmel und das Meer beinahe, wie wenn ich sie gesehen hätte.

Einen besonderen Reiz gewährten mir die Trümmer griechischer Baukunst, welche sich da und dort fanden. Ich empfand wieder Poesie, wenn ich das sonnige Marmorgebälke eines dorischen Tempels vom blauen Himmel abheben mußte. Die horizontalen Linien an Architrav, Fries und Kranz, sowie die Kanelirungen der Säulen mußten mit der zartesten Genauigkeit, mit wahrer Andacht, leis und doch sicher und elegant hingezogen werden; die Schlagschatten auf diesem goldenen edlen Gestein waren rein blau und wenn ich den Blick fortwährend auf dies Blau gerichtet hatte, so glaubte ich zuletzt wirklich einen leibhaften Tempel zu sehen. 028 Jede Lücke im Gebälke, durch welche der Himmel schaute, jede Scharte an den Kanelirungen war mir heilig und ich hielt genau ihre kleinsten Formen fest.

Im Nachlasse meines Vaters fand sich ein Werk über Architektur, in welchem die Geschichte und Erklärung der alten Baustyle nebst guten Abbildungen mit allem Detail enthalten waren. Dies zog ich nun hervor und studirte es begierig, um die Trümmer besser zu verstehen, und ihren Werth ganz zu kennen. Auch erinnerte ich mich der italienischen Reise von Goethe, welche ich gelesen; Römer erzählte mir viel von den Menschen und Sitten und der Vergangenheit Italiens. Er las fast keine Bücher, als die deutsche Uebersetzung von Homer und einen italienischen Ariost. Den Homer forderte er mich auf zu lesen, und ich ließ mir dies nicht zwei Mal sagen. Im Anfange wollte es nicht recht gehen, ich fand wol Alles schön, aber das Einfache und Kolossale war mir noch zu ungewohnt und ich vermochte nicht lange nach einander auszuhalten. Aber Römer machte mich aufmerksam, wie Homer in jeder Bewegung und Stellung das einzig Nöthige und Angemessene anwende, wie jedes Gefäß und jede Kleidung, die er beschreibe, zugleich das Geschmackvollste sei, was man sich denken könne, und wie endlich jede Situation und jeder moralische Conflict 029 bei ihm bei aller fast kindlichen Einfachheit von der gewähltesten Poesie getränkt sei. «Da verlangt man heut zu Tage immer nach dem Ausgesuchten, Interessanten und Pikanten und weiß in seiner Stumpfheit gar nicht, daß es gar nichts Ausgesuchteres, Pikanteres und ewig Neues geben kann, als so einen homerischen Einfall in seiner einfachen Klassicität! Ich wünsche Ihnen nicht, lieber Lee, daß Sie jemals die ausgesuchte pikante Wahrheit in der Lage des Odysseus, wo er nackt und mit Schlamm bedeckt vor Nausikaa und ihren Gespielen erscheint, so recht aus Erfahrung empfinden lernen! Wollen Sie wissen, wie dies zugeht? Halten wir das Beispiel einmal fest! Wenn Sie einst getrennt von Ihrer Heimat und Allem, was Ihnen lieb ist, in der Fremde umherschweifen und Sie haben viel gesehen und viel erfahren, haben Kummer und Sorge, sind wohl gar elend und verlassen: so wird es Ihnen des Nachts unfehlbar träumen, daß Sie sich Ihrer Heimat nähern; Sie sehen sie glänzen und leuchten in den schönsten Farben; holde, feine und liebe Gestalten treten Ihnen entgegen; da entdecken Sie plötzlich, daß Sie zerfetzt, nackt und staubbedeckt einhergehen; eine namenlose Scham und Angst faßt Sie, Sie suchen sich zu bedecken, zu verbergen und erwachen in Schweiß gebadet. Dies ist, so lange 030 es Menschen giebt, der Traum des kummervollen umhergeworfenen Mannes, und so hat Homer jene Lage aus dem tiefsten und ewigen Wesen der Menschheit herausgenommen!»

Inzwischen war es gut, daß das Interesse Römer's, hinsichtlich des Copirens seiner Sammlungen, sich mit dem meinigen vereinigte; denn als ich nun, gemäß seiner Aufforderung, mich wieder vor die Natur hinsetzte, erwies es sich, daß ich Gefahr lief, meine ganze Copirfertigkeit und mein italienisches Wissen zu einer wunderlichen Fiction werden zu sehen. Es kostete mich die größte Beharrlichkeit und Mühe, ein nur zum zehnten Theile so anständiges Blatt zuwege zu bringen, als meine Copien waren; die ersten Versuche mißlangen fast gänzlich, und Römer sagte schadenfroh: «Ja, mein Lieber, das geht nicht so rasch! Ich habe es wohl gedacht, daß es so kommen würde; nun heißt es auf eigenen Füßen stehen, oder vielmehr mit eigenen Augen sehen! Eine gute Studie leidlich copiren, will nicht so viel heißen! Glauben Sie denn, man läßt sich ohne Weiteres für Andere die Sonne auf den Buckel zünden?» u. s. f. Nun begann der ganze Krieg des Tadels gegen das Bemühen, demselben zuvorzukommen und ihm boshafte Streiche zu spielen, von Neuem; Römer ging mit hinaus und malte selbst, 031 so daß er mich immer unter seinen Augen hatte. Es war hier nicht gerathen, die Thorheiten und Flausen zu wiederholen, die ich unter Herrn Habersaat gespielt hatte, da Römer durch Steine und Bäume zu sehen schien und jedem Striche anmerkte, ob derselbe gewissenhaft sei oder nicht. Er merkte jedem Aste an, ob er zu dick oder zu dünn sei, und wenn ich meinte, derselbe könnte ja am Ende so gewachsen sein, so sagte er: «Lassen Sie das gut sein! Die Natur ist vernünftig und zuverlässig; übrigens kennen wir solche Finessen wohl! Sie sind nicht der erste Hexenmeister, welcher der Natur und seinem Lehrer ein X für ein U machen will!»

 


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