Gleich vor dem Dorfe kam der Schulmeister gefahren mit dem oheimlichen Ehepaar, denen ich sagte, daß Anna schon zu Hause sei; und ein Stück weiter stieß ich auf des Müllers Knecht, welcher dessen Pferd nach Hause führte. Da ich vernahm, daß schon Alles bei dem Zwinguri versammelt und dort ein großes Halloh sei, auch der Weg dahin nicht mehr weit war, gab ich meinen Gaul auch dem Knecht und eilte zu Fuß weiter. Zum Zwinguri hatte man eine verfallene Burgruine bestimmt, welche auf dem höchsten Punkte einer Bergallmende steht und eine weite Aussicht in's Gebirge hinüber gewährt. Die Trümmer waren durch einiges Stangen- und Brettergerüst so bekleidet, als ob sie eben im Aufbau statt im Verfalle wären, und mit den Kränzen der triumphirenden Tyrannei behangen. Die Sonne ging eben unter, als ich ankam und sah, wie das Volk das Gerüste zusammen brach und mit den 257 Kränzen auf einen gewaltigen Holz und Reisighaufen warf und diesen anzündete. Hier ging auch die Verherrlichung des Tell vor sich, statt vor seinem Hause, doch nicht mehr nach der geschriebenen Ordnung, sondern in Folge einer allgemeinen Erfindungslust, wie der Augenblick sie in den tausend Köpfen erweckte, und der Schluß der Handlung ging unbestimmt in eine rauschende Freudenfeier über. Die weggejagten Zwingherren mit ihrem Trosse waren wieder herangeschlichen und gingen um unter dem Volke als vergnügte Gespenster; sie stellten die harmloseste Reaction vor. Auf allen Hügeln und Bergen sahen wir jetzt die Fastnachtsfeuer brennen und das unsrige flammte bereits in großem Umfange; wir standen in einem Kreise hundertweise darum, und Tell, der Schütz, zeigte sich jetzt auch als einen guten Sänger, sogar als einen Propheten, indem er ein kräftiges Volkslied von der Sempacherschlacht vorsang, dessen Chorzeilen von Allen wiederholt wurden. Wein war in Menge vorhanden; es bildeten sich mehrere Liederkreise, schlichte, einstimmige, welche alte Lieder sangen, wie vierstimmige Männerchöre mit neuen Liedern, gemischte Singschulen von Mädchen und Jünglingen, Kinderschaaren, Alles sang, klang und wogte durcheinander auf der Allmende, über welche das Feuer einen röthlichen 258 Schein verbreitete. Vom Gebirge herüber wehte immer stärker und wärmer der Föhn und wälzte große Wolkenzüge über den Himmel; je dunkler die Luft wurde, desto lauter ward die Freude, die zunächst um Burgtrümmer und Feuer in einem großen Körper lagerte, dann die Halde hinab sich in viele Gruppen und Einzelne auflöste, die hier noch im röthlichen Scheine streiften, dort in der Dunkelheit jauchzten. Noch weiterhin summte die Lust aus den dunklen Gefilden und glänzte zuletzt wieder sichtbar in den zahlreichen Flammen am Horizonte. Der uralte gewaltige Frühlingshauch dieses Landes, obschon er Gefahr und Noth bringen konnte, weckte ein altes, trotzig frohes Naturgefühl, und indem er in die Gesichter und in die heißen Flammen wehte, ging die Ahnung zurück vom Feuerzeichen des politischen Bewußtseins, über die Christenfeuer des Mittelalters zu dem Frühlingsfeuer der Heidenzeit, das vielleicht zur selben Stunde, auf derselben Stelle gebrannt. In den dunklen Wolkenlagern schienen Heerzüge verschwundener Geschlechter vorüberzuziehen, manchmal anzuhalten über dem nächtlich singenden und tönenden Volkshaufen, als ob sie Lust hätten herabzusteigen und sich unter die zu mischen, welche ihre Spanne Zeit am Feuer vergaßen. Es war aber auch eine köstliche Stelle, 259 diese Allmende; der bräunliche Boden, vom ersten Anflug des ergrünenden wilden Grases überschossen, dünkte uns weicher und elastischer als Sammetpolster, und vor der fränkischen Zeit schon war er für die Bewohner der Gegend dasselbe gewesen, was heute.
• Die Stimmen der Weiber waren mit der Nacht lauter geworden; während die älteren schon fortgegangen und die verheirateten Männer sich zusammenthaten, um vertraute Zechstuben aufzusuchen, begannen die Mädchen ihre Herrschaft unbefangener auszuüben, erst in lachenden Kreisen, bis zuletzt Alles bei einander war, was zusammengehörte, und jedes Paar auf seine Weise sich zeigte oder verbarg. Doch als das Feuer zusammenfiel, lösten sich die verschlungenen Menschenkränze und begannen in großen und kleinen Gruppen dem Städtchen zuzuziehen, wo auf dem Rathhause, sowie in einigen Gasthäusern Trompeten und Geigen sie erwarteten. Ich hatte mich in dem Gedränge unstät herumgetrieben und vergnügte mich nun an der verlöschenden Glut, um welche außer einigen Knaben nur noch jene Fratzgestalten herumtanzten, weil das für sie Nichts kostete. Sie sahen in den flatternden Hemden und mit den hohen Papiermützen aus wie Gespenster, die dem grauen Gemäuer entstiegen. Einige zählten auch 260 die Münzen, welche sie etwa erhascht, Andere suchten aus dem Feuer noch ein verkohltes Holzscheit zu ziehen, und besonders sah sah ich, welcher sich zu den tollsten Sprüngen angestrengt und den ich für einen jungen Taugenichts gehalten, nunmehr nach der Entlarvung als ein eisgraues Männchen zum Vorschein kommen und sich hastig mit einem rauchenden Fichtenklotze abquälen.
• Ich wandte mich endlich hinweg und ging langsam davon, unschlüssig, ob ich nach Hause kehren oder dem Städtchen zusteuern solle. Mein Mantel, der Degen und die Armbrust waren mir längst hinderlich; ich nahm Alles zusammen unter den Arm, und als ich rascher von der Allmende hinunter schritt, fühlte ich mich so munter und lebenslustig, wie am frühen Morgen, und je länger ich ging, desto stärker erwachte mir das kühne Verlangen, einmal die Nacht zu durchschwärmen, und zugleich die Reue, daß ich Anna so leichten Kaufes entlassen. Ich bildete mir ein, ganz der Mann dazu zu sein, ein Liebchen eine festliche Nacht entlang zu führen, unter Tanz, Becherklang und Scherz. Ich machte mir die bittersten Vorwürfe, den einzigen Tag so ungeschickt und schwachmüthig verpfuscht zu haben, und stellte mir zugleich voll Eitelkeit vor, daß es Anna ebenso ergehe, und sie vielleicht schlaflos sich 261 nach mir sehne; denn es mochte schon neun Uhr vorüber sein.
• Unversehens war ich in dem Flecken angelangt, welcher von Musik ertönte, und als ich in einen übervollen Saal trat, in welchem die blühenden Paare sich drehten, da klopfte mein Blut immer unwilliger und heißer; ich bedachte nicht, daß wir die einzigen sechzehnjährigen Leutchen gewesen wären, die sich im offenkundigen Vereine zeigten, noch weniger, daß unsere heutigen Erlebnisse zehnmal schöner waren, als Alles, was diese lärmende Jugend hier genießen konnte, und daß ich mich in der Erinnerung derselben reich und glücklich genug hätte fühlen sollen. Ich sah nur die Freude der Volljährigen, der Verlobten und Selbständigen, und maßte mir ihr Recht an, ohne im Mindesten zu merken, daß mein prahlerisches Blut, sobald ich Anna wirklich zur Seite gehabt hätte, augenblicklich wieder zahm geworden wäre. Es gereicht mir auch nicht zur Ehre, daß es ihrer leibhaften Gegenwart bedurft hätte, zur Bescheidenheit zurückzukehren. Doch als ich von meinen Vettern und Bekannten als ein verloren Geglaubter tapfer begrüßt und in den Strudel gezogen wurde, blendete mich das Licht der Freude, daß ich mich und meinen Aerger vergaß und der Reihe nach mit den drei Basen tanzte. Ich erhitzte 262 mich immer mehr, ohne zufrieden zu sein; die Lust, welche im Ganzen so viel Geräusch machte, ging mir im Einzelnen viel zu langsam und nüchtern vor sich. So freudestrahlend alle die jungen Leute drein blickten, schien es mir doch nur ein matter Schimmer zu sein gegen den Glanz, der in meiner Phantasie wach geworden. Unruhig streifte ich durch einige Trinkstuben, die neben dem Saale waren, und wurde von einer Gesellschaft junger Burschen angehalten, welche purpurrothen Wein tranken und dazu sangen. Hier schien meine Sehnsucht endlich ein Ziel zu finden; ich trank von dem kühlen Wein, dessen schöne Farbe meinen Augen sehr wohl gefiel, und fing leidenschaftlich an zu singen. Kaum hatte ein Lied geendet, so begann ich ein anderes, schlug ein rascheres Tempo an und erhob bei ausdrucksvollen Stellen die Stimme, daß sie bald die Anderen übertönte. Verwundert, daß der Duckmäuser aus der Stadt noch besser trinken und lärmen könne, als sie, wollten die Burschen nicht zurückbleiben; wir feuerten uns gegenseitig an, ich sang und sang immer zu und bemerkte erst bei einem Rundgesange, wo ich eine Weile schweigen mußte, daß sämmtliche Bäschen durch die Thüre guckten und mich mit Erstaunen in meiner Herrlichkeit sitzen sahen. Sie lachten mir zu, winkten drohend, weil 263 ich ihr Panier verlassen, und forderten mich auf, wieder zu tanzen. Aber ich war nun ein gemachter und angesehener Mann unter meinen Gesellen, ganz wie einst als Knabe, wo ich eine Zeit lang den Renommisten gespielt, und als einige davon sich wieder nach Mädchen umsahen, brach ich mit zwei wilden Jünglingen auf, das Städtchen zu durchziehen. Arm in Arm stürmte ich mit den gesunden Bauerssöhnen über die Straße; wir gaben uns die lustigsten Redensarten zum Besten, sangen und empfanden das gefällige Behagen, welches entsteht, wenn Ungleiches sich eint und zusammen freut.
• Doch schon im nächsten Tanzhause, in das wir traten, verlor ich einen um den anderen meiner neuen Freunde, indem sie hier fanden, was sie wahrscheinlich gesucht hatten, und ich setzte allein, aber rastlos, den Streifzug fort. Hie und da schaute ich einen Augenblick zu, erwiderte ungesäumt die Späße, die man an mich richtete, bis ich in eine Stube kam, wo an einem großen runden Tische noch vier von den barmherzigen Brüdern saßen. Zwei waren schon abgefallen und verschwunden; die hier weilten, hatten bereits einen zweiten Rausch hinter sich und befanden sich nun in jenem lässigen Zustande, in welchem erfahrene Zechbrüder einen lustigen Tag austönen lassen, fragwürdige Witze machen und 264 ihren Wein so trinken, als ob sie nicht mehr viel darum gäben, sich aber wohl hüten, schließlich einen Tropfen zu verlieren.
• Etwas entfernt von ihnen saß am gleichen Tische die Judith, welcher die Brüder der Sitte gemäß ein Glas geboten. Sie schien sich ganz allein bei dem Feste umgesehen und nun ein Gefallen daran zu haben, die Witze und Verfänglichkeiten dieser Herren schlagfertig zurückzugeben und sie in Respect zu halten, wozu es keiner geringen Gewandtheit und Kraft bedurfte. Sie saß eben so lässig da, zurückgelehnt und halb abgewandt und warf ihre Erwiderungen gleichmüthig hin. Die Mönche hatten die Flachsbärte abgelegt und die gefärbten Nasen gewaschen; nur der Aelteste, welcher einen angehenden Kahlkopf und eine natürliche Feuernase besaß, prangte noch mit dem hohen Roth derselben. Dies war der Unnützeste und rief mir zu, als ich vorübergehen wollte: «Heda, Grünspecht! wo hinaus?» Ich stand still und erwiderte: «Guter Freund! ihr habt vergessen, den Zinnober von eurer Nase zu wischen, wie die anderen Brüder doch gethan! Ich mache euch hiermit aufmerksam, damit ihr nicht etwa euer Kopfkissen roth macht.»
• Das Gelächter der Uebrigen nahm mich sogleich in den holden Bund auf; ich mußte mich setzen und 265 ein Glas annehmen, worauf sie sagten: «Und dennoch, könnt ihr glauben, daß dieser Kerl es noch für nöthig befunden hat, heut seine Nase zu schminken?» – «Das war freilich,» erwiderte ich, «ebenso thöricht, als wenn man eine Rose schminken wollte!»
• «Und dazu viel gefährlicher,» versetzte ein Anderer, «denn eine Rose schminken, heißt ein Werk Gottes verbessern wollen, und der liebe Gott verzeiht! Aber eine rothe Nase schminken, heißt den Teufel verhöhnen, und der verzeiht nicht!»
• So ging es fort; sie verhandelten nun seinen Kahlkopf, wobei ich aber bald weit zurückblieb, indem sie über diesen Gegenstand allein wohl zwanzig verschiedene Witze machten, welche in der Phantasie die lächerlichsten Vorstellungen erregten, und von denen einer den andern an Neuheit und Kühnheit der Bilder überbot. Judith lachte, als die Taugenichtse über sich selbst herfuhren, und als der Angegriffene dies sah, suchte er sich aus dem Feuer zu retten, indem er sich gegen sie wendete. Sie saß da in einem schlichten braunen Kleide, die Brust mit einem weißen Halstuche bedeckt, welches ein wenig ihren prächtigen Hals sehen ließ; um diesen lag eine feine Goldkette und verlor sich im Halstuche, sonst trug sie keinen Putz, als ihr schönes 266 braunes Haar. Der Kahlkopf blinzelte mit den Augen und sang:
«Mein Schatz, um deinen weißen Hals
Geht eine Schnur von Katzengold,
Die führt an deinem Busam
Teuf in dein falsches Herz!»
• Judith erwiderte schnell: «Damit ihr meinen weißen Hals einmal vergeßt, will ich euch auch ein Lied von etwas Weißem berichten!» und sie sang nicht, sondern sagte einfach wohlklingend:
«Es ist eine üble Zeit!
Luna, die weiland keusche Maid,
Liebäugelt auf den Köpfen alter Sünder
Am hellen Tag und höhnt uns arme Kinder.
Schäm' dich, Mondschein!Ich that das Fenster auf
In dunkler Nacht und suchte Luna's Lauf;
Da glänzt sie frech an meines Hauses Schwelle, Wild goß ich Wasser auf die weiße Stelle.
Schäm' dich, Mondschein!»
• Ihre Mutter war gestorben, auch hatte sie seither in einer ausländischen Lotterie mehrere Tausend Gulden gewonnen, da sie aus langer Weile sich mit dergleichen Dingen befaßte. So schien sie nun mehr als je für schwere und leichte Schnapphähne ein guter Fang, und der Kahle glaubte sie, nachdem er 267 verschiedene Anleihen bei ihr gemacht, welche sie ihm lachend gewährte, im Sturme nehmen zu können, ward aber eben so lachend abgewiesen. Das obige Liedchen aber schien sogar auf ein schlimmes Abenteuer zu deuten, welches er auf seiner Freite bestanden. Denn mit einer ganz heillosen Diskretion sahen sich die drei Uebrigen an, mit funkelnden Augen und mühsam verhaltenem Munde, indem sie anfingen, halblaut zu summen:
hm! hm! – hm! hm! hm!
hm! hm! hm! – hm! hm! hm!
• Der Rhythmus dieses Gesummes war so verführerisch, daß ich mit einstimmte und eine stolze Glückseligkeit empfand, mit den Spöttern singen zu dürfen: hm hm hm! hm hm hm! – es war still und feierlich in der nur noch schwach erleuchteten Stube und mit feierlicher Behaglichkeit setzten wir die seltsamen Takte fort. Judith lachte hell auf und rief: «O ihr Kindsköpfe!» Da brachen wir laut aus: Ha ha ha! – ha ha ha!
• Der Gehöhnte aber spähte umher, zog unversehens dem lautesten Spötter ein hervorguckendes Blatt aus der Kutte und las dessen Ueberschrift: «Christliche Wochenbötin, ein conservatives Volksblättlein.» Der Spott entlud sich nun auf den 268 Ueberraschten, dessen schwache Seite sein Conservatismus war, den er weder genugsam zu erklären noch zu vertheidigen vermochte. Diese Benennung war erst seit einiger Zeit im Umlauf und fing einige Leute, welche vorher im Nebelhaften geschwebt. Der Kahle forderte den Conservativen auf, er solle einmal sagen, was er sich eigentlich darunter denke, wenn er behaupte, conservativ zu sein. Dieser wollte thun, als ob er hierin keinen Spaß verstehe, und wünschte mit wichtigem Gesicht, nicht zu politisiren! Doch ein Anderer rief: «Die Erklärung ist schon im Paradies zu suchen! Als Adam den Thieren ihren Namen gab, war Eines darunter, das wedelte gar bedächtig mit den Ohren und sagte, es sei conservativ; es konnte aber keinen Grund hiefür angeben und Adam sagte: du sollst Esel heißen!» Erbost rückte dieser nun mit seinem innersten und eigentlichen Grunde, der seine fixe Idee war, heraus und warf dem Radicalismus vor, daß er den Wein versäuert und vertheuert hätte. Wenn man noch ein süßes und billiges Glas trinken wolle, so sei dieses einzig in den abgelegenen altväterischen Wirthschaften zu finden, wo die alten Zöpfe hinkröchen, sich vor der Welt zu verbergen. «Sauft,» schrie er, «den radicalen Rachenputzer eurer berühmten politischen Wirthe! Ich halt' es mit den Zöpfen!» Da allerdings 269 etwas Wahres in diesem Vorwurfe lag, so entbrannten die drei Uebrigen ihrerseits im Zorne, schalten den Conservativen einen Verleumder und suchten ihm zu beweisen, daß er ohne den Radicalismus gar keinen Wein zu riechen bekäme, weder guten, noch schlechten; daß er selbst als conservativer Parteibedienter völlig überflüssig wäre und von seinen Zöpfen den Schuh unter den Rücken erhielte statt des stärkenden Weinchens der Proselytenbelohnung. Dies führte zu einem hitzigen Gefechte, worin die Herren gegenseitig ihre Grundsätze, Thatsachen und Parteiführer herunter machten und das in Ausdrücken, Vergleichungen und Wendungen, Schlag auf Schlag, wie sie kein dramatischer Dichter für seine Volksscenen treffender und eigenthümlicher erfinden könnte; nicht einmal nachzuschreiben wären sie, so leicht und blitzähnlich entsprangen die Witze aus den Voraussetzungen, welche bald wahr und richtig, bald böslich ersonnen, doch immer sich auf die Verhältnisse und Personen gründeten. Ein Leitartikel oder eine Rede wäre zwar aus diesem Turnier nicht zu schöpfen gewesen; doch konnte man sehen, welch' eine ganz vertracte Kritik das Volk auf seine Weise führt, und wie sehr sich derjenige trügt, welcher, von der Tribüne herunter zu zweifelhaften Zwecken das «biedere, gute Volk» anrufend, ein allzu wohlwollendes 270 und naives Pathos voraussetzt. Selbst Aeußerlichkeiten, Angewöhnungen und körperliche Gebrechen, wurden in einen solchen Zusammenhang mit den Worten und Handlungen hervorragender Männer gebracht, daß die letzten nur eine nothwendige Folge der ersten zu sein schienen und man glaubte, in den ungelehrten, aber phantasiereichen Volksleuten die doctrinärsten Physiognomisten vor sich zu sehen. Mancher angesehene Mann ward hier zu einem lächerlichen oder unheimlichen Popanz umgeschaffen, daß er leibhaft zu sehen war, und selbst die Vertheidigung desselben hätte etwas Demüthigendes für ihn gehabt, wenn er sie gehört hätte.
• Wie in einer ganz anderen Welt war ich hier, als bei dem Schulmeister; und doch fühlte ich mich gleich zu Hause und schlürfte die starken und rücksichtslosen Redensarten, die spöttischen und wilden Einfälle ebenso andächtig ein, wie die gewählten ruhigen Worte von Anna's Vater. Ich schien mir dort ein Anderer und hier ein Anderer und doch immer der Gleiche zu sein. Ich freute mich, daß mein Leben eine Seite um die andere vor mir aufthat, und war stolz darauf, indem ich mir einbildete, daß diese lustigen Männer mich ihrer Gesellschaft würdig achteten und ihre Witze vor mir nicht zurückhielten. Mit Vergnügen dachte ich an den Schulmeister 271 und wie ich fürder ernsthaft und anständig mit ihm disputiren wolle, während ich doch noch von was Anderem wüßte; denn es schien mir nun darauf anzukommen, nirgends ausgeschlossen zu sein und Alles zu übersehen.