In Folge der Sorge und Verwirrung, welche durch mein nächtliches Wegbleiben entstanden, war mir das abendliche Umhertreiben und der Besuch des Theaters streng untersagt worden; auch am Tage wurde ich sorgfältiger beaufsichtigt und in meinem Umgange mit den Kindern der armen Leute beschränkt, welchen man fälschlicher Weise eine verderbliche und ansteckende Ungebundenheit zuschrieb. So hatten die fremden Schauspieler die Stadt verlassen, ohne daß ich jene Frau, der mein Herz nun ganz gehörte, wiedergesehen. Als ich vernahm, daß die Gesellschaft fortgereist sei, bemächtigte sich meiner eine tiefe Traurigkeit, welche längere Zeit anhielt. Je unbekannter mir die Gegend war, wo sie hingezogen sein mochte, desto mehr war mir alles Land, welches jenseits der Berge lag, ein Land unbestimmter Wünsche und dunklen Verlangens.
• Um diese Zeit schloß ich mich enger an einen 159 Knaben, dessen erwachsene, lesebegierige Schwestern eine Unzahl schlechter Romane zusammengetragen hatten. Verloren gegangene Bände aus Leihbibliotheken, geringer Abfall aus vornehmen Häusern oder von Trödlern erstanden, lagen in der Wohnung dieser Leute auf Gesimsen, Bänken und Tischen umher, und an Sonntagen konnte man nicht nur die Geschwister und ihre Liebhaber, sondern Vater und Mutter und wer sonst noch da war, in die Lektüre der schmutzig aussehenden Bücher vertieft finden. Die Alten waren thörichte Leute, welche in dieser Unterhaltung Stoff zu thörichten Gesprächen suchten; die Jungen hingegen erhitzten ihre Vorstellungskraft an den gemeinen unpoetischen Machwerken, oder vielmehr, sie suchten hier die bessere Welt, welche die Wirklichkeit ihnen nicht zeigte. Die Romane zerfielen hauptsächlich in zwei Arten. Die eine enthielt den Ausdruck der üblen Sitten des vorigen Jahrhunderts in jämmerlichen Briefwechseln und Verführungsgeschichten, die andere bestand aus derben Ritterromanen. Die Mädchen hielten sich mit großem Interesse an die erste Art und ließen sich dazu von ihren theilnehmenden Liebhabern sattsam küssen und liebkosen; uns Knaben waren aber diese prosaischen und unsinnlichen Schilderungen einer verwerflichen Sinnlichkeit glücklicher Weise noch 160 ungenießbar und wir begnügten uns damit, irgend eine Rittergeschichte zu ergreifen und uns mit derselben zurückzuziehen. Die unzweideutige Genugthuung, welche in diesen groben Dichtungen waltete, war meinen angeregten Gefühlen wohlthätig und gab ihnen Gestalt und Namen. Wir wußten die schönsten Geschichten bald auswendig und spielten sie, wo wir gingen und standen, mit immer neuer Lust ab, auf Estrichen und Höfen, in Wald und Berg, und ergänzten das Personal vorweg aus willfährigen Jungen, die in der Eile abgerichtet wurden. Aus diesen Spielen gingen nach und nach selbst erfundene, fortlaufende Geschichten und Abenteuer hervor, welche zuletzt dahin ausarteten, daß Jeder seine große Herzens- und Rittergeschichte besaß, deren Verlauf er dem Andern mit allem Ernste berichtete, so daß wir uns in ein ungeheures Lügennetz verwoben und verstrickt sahen; denn wir trugen unsere erfundenen Erlebnisse gegenseitig einander so vor, als ob wir unbedingten Glauben forderten, und gewährten uns denselben auch, in eigennütziger Absicht, scheinbar. Mir wurde diese trügliche Wahrhaftigkeit leicht, weil der Hauptgegenstand unserer Geschichten beiderseits immer eine glänzende und ausgezeichnete Dame unserer Stadt war und ich diejenige, die ich für meine Lügen auserwählt, 161 bald mit meiner wirklichen Neigung und Verehrung bekleidete. Daneben hatten wir mächtige Feinde und Nebenbuhler, als welche wir angesehene, ritterliche Offiziere bezeichneten, die wir oft zu Pferde sitzen sahen. Verborgene Reichthümer waren in unserer Gewalt, und wir bauten aus denselben wunderbare Schlösser an entlegenen Punkten, welche wir mit wichtiger Geschäftsmiene zu beaufsichtigen vorgaben. Jedoch beschäftigte sich die Einbildungskraft meines Genossen überdies mit allerhand Kniffen und Ränken und war eher auf Besitz und leibliches Wohlsein gerichtet, in welcher Beziehung er die sonderbarsten Dinge erfand, während ich alle Erfindungsgabe auf meine erwählte Geliebte verwandte und seine kleinlichen und mühsamen Geldverhältnisse, welche er unablässig zusammenträumte, mit einer kolossalen Lüge von einem gehobenen unermeßlichen Schatze überbot und kurz abfertigte. Dieses mochte ihn ärgern, und während ich, zufrieden in meiner ersonnenen Welt, mich wenig um die Wahrheit seiner Prahlereien bekümmerte, fing er an, mich mit Zweifeln an der Wahrheit der meinigen zu quälen und auf Beweise zu dringen. Als ich einst flüchtig von einer mit Gold und Silber gefüllten Kiste erzählte, welche ich in unserm Kellergewölbe stehen hätte, drang er auf das Heftigste darauf, dieselbe 162zu sehen. Ich gab ihm eine Stunde an, zu welcher dies möglich wäre, und er fand sich pünktlich ein und versetzte mich in eine Verlegenheit, an welche ich im mindesten bisher noch nie gedacht hatte. Aber schnell hieß ich ihn eine Weile warten vor dem Hause und eilte in die Stube zurück, wo in dem Schreibtisch meiner Mutter ein hölzernes Kästchen stand, welches einen kleinen Schatz an alten und neuen Silbermünzen und einige Dukaten enthielt. Dieser Schatz umfaßte einestheils die Pathengeschenke aus der Kinderzeit meiner Mutter, anderstheils meine eigenen und war sämmtlich mein erklärtes Eigenthum. Die Hauptzierde aber war eine mächtige goldene Schaumünze von der Größe eines Thalers und bedeutendem Werthe, welche Frau Margreth in einer guten Stunde mir geschenkt und der Mutter in sichern Verwahrsam gegeben hatte zum treuen Angedenken, wenn ich einst erwachsen, sie hingegen nicht mehr sein werde. Ich durfte das Kästchen hervornehmen und den glänzenden Schatz beschauen, so oft ich wollte; auch hatte ich denselben schon in allen Gegenden des Hauses herumgetragen. Ich nahm ihn also jetzt und trug ihn in das Gewölbe hinunter und legte das Kästchen in eine Kiste, welche mit Stroh gefüllt war. Dann hieß ich den Zweifler mit geheimnißvoller Gebärde hereinkommen, 163 lüftete den Deckel der Kiste ein wenig und zog das Kästchen hervor. Als ich es öffnete, blinkten ihm die blanken Silberstücke gar hell entgegen; als ich aber die Dukaten und zuletzt die große Münze hervornahm, daß sie im Zwielichte seltsam funkelte und der alte Schweizer mit dem Banner, der darauf geprägt war, so wie der Kranz von Wappenschilden zu Tage traten, da machte er große Augen und wollte mit allen fünf Fingern in das Kästchen fahren. Ich schlug es aber zu, legte es wieder in die Kiste und sagte: «Siehst Du, solcher Dinge ist die Kiste voll!» Damit schob ich ihn aus dem Keller und zog den Schlüssel ab. Er war nun für einmal geschlagen; denn obgleich er von der Unwirklichkeit unserer Mährchen überzeugt war, so gestattete ihm doch der bisher festgehaltene Ton unseres Verkehrs nicht, weiter zu dringen, da es auch hier die rücksichtsvolle Höflichkeit des Lebens erforderte, den mit guter Manier vorgetragenen blauen Dunst bestehen zu lassen. Vielmehr gab meinem Freunde diese vorläufige Toleranz Gelegenheit, mich zu weiteren Lügen zu reizen und auf immer bedenklichere Proben zu stellen.
• Wir trafen bald darauf, als es gerade Meßzeit war, am Seeufer zusammen, vor den Krambuden flanirend, die dort in langen Straßen sich aneinander 164 reihten, und begrüßten uns wie Macbeth's Hexen mit: «was hast du geschafft?» Wir standen vor dem Magazine eines Italieners, welcher neben südlichen Eßwaaren auch glänzende Bijouterien und Spielereien feil bot. Feigen, Mandeln und Datteln, Kisten voll reinlich weißer Macaroni, besonders aber Berge ungeheurer Salamiwürste reizten den Sinn meines Gesellen zu kühnen Phantasien, indessen ich zierliche Frauenkämme, Oelfläschchen und Schalen voll schwarzer Räucherkerzchen betrachtete und ungefähr dachte, wo diese Dinge gebraucht würden, da wäre es gut sein. «Ich habe soeben,» begann mein Lügengefährte, «solch' eine Salamiwurst gekauft, zur Probe, ob ich für mein nächstes Bankett eine Kiste voll anschaffen soll. Ich habe sie angebissen, fand sie aber abscheulich und schleuderte sie in den See hinaus; die Wurst muß noch dort schwimmen, ich sah sie den Augenblick noch.» Wir blickten auf den schimmernden Wellenspiegel hinaus, wo zwischen den Marktschiffen wol etwa ein Apfel oder ein Salatblatt umhertrieb, aber keine Salami zu sehen war. «Ei, es wird wohl ein Hecht danach geschnappt haben!» sagte ich gutmüthig, und er gab diese Möglichkeit zu und fragte mich, ob ich nicht auch Einkäufe machen wolle? «Freilich,» erwiderte ich, «ich möchte wohl diese Kette haben für meine Geliebte!» 165 und wies auf eine unächte, aber hell vergoldete Halskette. Jetzt ließ er mich nicht mehr los, sondern umwickelte mich mit einem moralischen Zwangsnetze, indem ihm die Neugierde, ob ich wirklich über meinen geheimnißvollen Schatz frei verfüge, die Worte dazu lieh. So hatte ich keinen andern Ausweg, als nach Hause zu laufen und mir mit meinem Sparkästchen zu schaffen zu machen. Einige Augenblicke nachher ging ich wieder davon, einige glänzende Silberstücke in der festverschlossenen Hand, mit klopfender Brust dem Markte zu, wo mein lauernder Dämon mich empfing. Wir handelten um die Kette, oder gaben vielmehr, was der Italiener forderte; ich wählte noch ein Armband von Agatplatten und einen Ring mit einer rothen Glaspaste; der Kaufmann besah mich und die schönen Gulden mit wunderlichen Blicken, steckte sie aber nichts desto weniger ein; ich aber wurde schon auf dem Wege nach dem Hause fortgedrängt, wo meine Dame wohnte. Auf einem abgelegenen Platze standen etwa sechs Herrenhäuser, deren Besitzer sich durch den Seidenhandel auf der Höhe früherer Vornehmheit erhielten. Weder eine Schenke noch ein sonstiges niederes Gewerbe zeigte sich in dieser Gegend, welche still und einsam in ihrer Reinlichkeit ruhte; das Pflaster war weißer und besser, als in anderen Stadttheilen, und kostbare 166 eiserne Hofgeländer begränzten dasselbe. In dem größten und vornehmsten dieser Häuser wohnte der Gegenstand meiner Lügen, eine jener jungen, anmuthigen Damen, welche, gut und elegant gewachsen, mit rosiger Gesichtsfarbe, großen, lachenden Augen und freundlichen Lippen, mit reichen Locken, wehenden Schleiern und seidenen Gewändern die Unerfahrenheit berücken und selbst gefurchte Stirnen aufheitern, so zu sagen die Schönheit schlechthin darstellend. Wir standen schon vor dem prächtigen Portale und mein Begleiter schloß seine Ueberredungen, daß ich jetzt oder nie meiner Gebieterin die Geschenke überbringen müßte, endlich dadurch, daß er frech den glänzenden Griff der Hausglocke packte und anzog. Aber trotz seiner Frechheit, würde ein Aristokrat sagen, reichte doch die Energie seines Plebejerthumes nicht aus, ein kräftiges Geklingel hervorzubringen; es gab nur einen einzigen zaghaften Ton, welcher im Innern des großen Hauses verhallte. Nach einigen Sekunden ruckte der eine Thorflügel um ein Unmerkliches, und mein Begleiter schob mich hinein, was ich, aus Furcht vor allem Geräusche, willenlos geschehen ließ. Da stand ich in unsäglicher Beklemmung neben einer breiten steinernen Treppe, welche sich oben zwischen geräumigen Gallerien verlor. Ich hielt Armband und 167 Ring in die Hand gepreßt, und die Kette quoll theilweise zwischen den Fingern hervor; in der Höhe ertönten Tritte, welche von allen Seiten widerhallten, und Jemand rief herunter, wer da sei? Doch hielt ich mich still, man konnte mich nicht sehen und ging wieder, Thüren hinter sich zuschlagend. Nun stieg ich langsam die Treppe hinan, mich vorsichtig umsehend; an allen Wänden hingen große Oelgemälde, entweder wunderliche Landschaften oder grobe Stillleben enthaltend; die Decken waren in weißer Stuccatur gearbeitet mit kleinen Fresken dazwischen, und in abgemessenen Entfernungen standen hohe dunkelbraune Thüren von Nußbaumholz, eingefaßt von Säulen und Giebeln von der gleichen Art, alles glänzend polirt. Jeder meiner Schritte erweckte Geräusch in den Wölbungen, ich wagte kaum zu gehen und dachte doch nicht daran, was ich sagen wollte, wenn ich überrascht würde. Vor jeder Thür lag eine Strohmatte, aber vor einer allein lag eine besonders reich und zierlich geflochtene von farbigem Stroh; daneben stand ein altes, vergoldetes Tischchen und auf diesem ein Arbeitskörbchen mit Strickzeug, einigen Aepfeln und einem hübschen, silbernen Messerchen zu äußerst am Rande, als ob es so eben hingestellt wäre. Ich vermuthete, daß hier der Aufenthalt des Fräuleins sei, und im Augenblicke 168 nur an sie denkend, legte ich meine Kleinodien mitten auf die Matte, nur den Ring zu unterst in das Körbchen auf einen feinen Handschuh. Dann aber eilte ich trepphinunter aus dem Hause, wo ich meinen Quälgeist ungeduldig meiner wartend fand. «Hast Du es gethan?» rief er mir entgegen. «Ja freilich,» erwiderte ich mit leichterem Herzen. «Das ist nicht wahr,» sagte er wieder, «sie sitzt ja die ganze Zeit an jenem Fenster dort und hat sich nicht gerührt.» Wirklich war die schöne Frau hinter dem glänzenden Fenster sichtbar und gerade in der Gegend des Hauses, wo jene Zimmerthür sein mochte. Ich erschrak heftig, sagte aber: «Ich schwöre Dir, ich habe die Kette und das Armband zu ihren Füßen gelegt und den Ring an ihren Finger gesteckt!» «Bei Gott?» «Ja, bei Gott!» rief ich. «Nun mußt Du ihr aber noch eine Kußhand zuwerfen, und wenn Du es nicht thust, so hast Du falsch geschworen; sieh, sie schaut gerade herunter!» Wirklich ruhten ihre glänzenden Augen auf uns; aber der Einfall meines Freundes war ein teuflischer; denn lieber hätte ich dem Teufel selbst in's Gesicht gespieen, als diese Zumuthung erfüllt. Durch meinen jesuitischen Schwur war ich aber erst recht in die Klemme gerathen, es gab keinen Ausweg. Rasch küßte ich meine Hand und bewegte sie gegen das 169 Fenster hinauf. Das Mädchen hatte uns aufmerksam angesehen und lachte nun ganz unbändig, indem es freundlich herunter nickte; doch ich lief, so schnell ich konnte, davon. Das Maß war gefüllt, und als mein Gefährte mich in der nächsten Straße wieder erreichte, trat ich vor ihn hin und sagte: «Wie ist's eigentlich mit Deiner Salamiwurst? meinst Du, dieselbe sei hinreichend, dergleichen Sachen, wie ich bestehe, das Gegengewicht zu halten?» Damit warf ich ihn unversehens nieder und schlug ihn mit der Faust in's Gesicht, bis mich ein Mann weghob und rief: «Die Teufelsjungen müssen sich doch immer raufen!»
• Das war das allererste Mal in meinem Leben, daß ich einen Schul- und Jugendgenossen schlug; ich konnte denselben nicht mehr ansehen und zugleich war ich vom Lügen für einmal gründlich geheilt.
• In dem lesebeflissenen Hause wurden indessen der Vorrath an schlechten Büchern und die Thorheit immer größer. Die Alten sahen mit seltsamer Freude zu, wie die armen Töchter immer tiefer in ein einfältig verbuhltes Wesen hineingeriethen, Liebhaber auf Liebhaber wechselten und doch von Keinem heimgeführt wurden, so daß sie mitten in der übelriechenden Bibliothek sitzen blieben mit einer Heerde 170 kleiner Kinder, welche mit den zerlesenen Büchern spielten und dieselben zerrissen. Die Lesewuth wuchs nichts destominder fortwährend, weil sie nun Zank, Noth und Sorge vergessen ließ, so daß man in der Behausung nichts sah, als Bücher, aufgehängte Windeln und die vielfältigen Erinnerungen an die Galanterie der ungetreuen Ritter, wie gemalte Blumenkränze mit Sprüchen, Stammbücher voll verliebter Verse und Freundschaftstempel, künstliche Ostereier, in welchen ein kleiner Amor verborgen lag u. dgl. Alles in Allem genommen will es mir scheinen, daß auch dieses Elend sowol, wie das entgegengesetzte Extrem, die religiöse Sectirerei und das fanatische Bibelauslegen armer Leute, wie ich es im Hause der Frau Margreth fand, nur die Spur derselben Herzensbedürfnisse und das Suchen nach einer bessern Wirklichkeit gewesen sei.
• Bei dem Sohne dieses Hauses machte sich, als er größer wurde, die vielgeübte Phantasie auf andere, nicht minder bedenkliche Weise geltend. Er wurde sehr genußsüchtig, lag schon als Handelslehrling in den Wirthshäusern als ein eifriger Spieler und war bei allen öffentlichen Vergnügen zu sehen. Dazu brauchte er viel Geld und um sich dieses zu verschaffen, verfiel er auf die sonderbarsten Erfindungen, Lügen und Ränke, welche ihm nur eine Art Fortsetzung 171 der früheren Romantik waren. Jedoch hielt dies nur halbverdächtige Treiben nicht lange vor, vielmehr sah er sich bald darauf verwiesen, zuzugreifen, wo er konnte. Denn er gehörte zu jenen Menschen, die nicht gesonnen sind, sich in ihren Begierden im Mindesten zu beschränken und in der Gemeinheit ihrer Gesinnung dem Nächsten mit List oder Gewalt das entreißen, was er gutwillig nicht lassen will. Diese niedere Gesinnung ist gleichmäßig der Ursprung scheinbar ganz verschiedener Erscheinungen. Sie beseelt den ungeliebten Herrscher, der, in seinem Dasein jedem Kind im Lande ein Ueberdruß, doch nicht von seiner Stelle weicht und nicht zu stolz ist, sich vom Herzblute des verachteten und gehaßten Volkes zu nähren; sie ist der Kern der Leidenschaftlichkeit eines Verliebten, welcher, nachdem er einmal die bestimmte Erklärung der Nichterwiederung erhalten hat, sich nicht sogleich bescheidet, sondern mit gewaltsamer Aufdringlichkeit ein fremdes Leben verbittert; wie in allen diesen Zügen, lebt sie endlich auch in der Selbstsucht des Betrügers und Diebes jeglicher Art, groß und klein; überall ist sie ein unverschämtes Zugreifen, zu welchem mein ehemaliger Gefährte nun auch seine Zuflucht nahm. Ich hatte ihn im Verlaufe der Zeit ganz aus den Augen verloren, während er schon mehrere Male 172 im Gefängnisse gesessen hatte, und dachte eines Tages an nichts weniger, als an ihn, da ich einen verkommenen Menschen durch die Häscher dem Zuchthause zuführen sah. In demselben ist er seither gestorben.