Die erste Zeit nach dem Tode meines Vaters war für seine Wittwe eine schwere Zeit der Trauer und Sorge. Seine ganze Verlassenschaft befand sich im Zustande des vollen Umschwunges und erforderte weitläufige Verhandlungen, um sie ins Reine zu bringen. Eingegangene Verträge waren mitten in ihrer Erfüllung abgebrochen, Unternehmungen gehemmt, große laufende Rechnungen zu bezahlen und solche einzuziehen an allen Ecken und Enden; Vorräthe von Baustoffen mußten mit Verlust verkauft werden, und es war zweifelhaft, ob bei der augenblicklichen Lage der Verhältnisse auch nur ein Pfennig übrig bleiben würde, wovon die bekümmerte Frau leben sollte. Gerichtsmänner kamen, legten Siegel an und lösten sie wieder; die Freunde des Verstorbenen und zahlreiche Geschäftsleute gingen ab und zu, halfen und ordneten; es wurde durchgesehen, gerechnet, abgesondert, gesteigert. Käufer 031 und neue Unternehmer meldeten sich, suchten die Summen herunterzudrücken oder mehr in Beschlag zu nehmen als ihnen gebührte, es war ein Geräusch und eine Spannung, daß meine Mutter, welche immer mit wachsamen Augen dabei stand, zuletzt nicht mehr wußte, wie sie sich helfen sollte. Allmälig klärte sich die Verwirrung auf, ein Geschäft um das andere war abgethan, alle Verbindlichkeiten gelöst und die Forderungen gesichert, und es zeigte sich nun, daß das Haus, in welchem wir zuletzt wohnten, als einziges Vermögen übrig blieb. Es war ein altes hohes Gebäude, mit vielen Räumen und von unten bis oben bewohnt, wie ein Bienenkorb. Der Vater hatte es gekauft in der Absicht, ein neues an dessen Stelle zu setzen; da es aber von alterthümlicher Bauart war und an Thüren und Fenstern werthvolle Ueberbleibsel künstlicher Arbeit trug, so konnte er sich schwer entschließen, es einzureißen und bewohnte es indessen nebst einer Anzahl von Miethsleuten. Auf diesem Hause blieben zwar noch einige fremde Kapitalien haften, jedoch hatte es der rührige Mann in der Schnelligkeit so gut eingerichtet und vermiethet, daß ein jährlicher Ueberschuß an Miethgeldern den Hinterlassenen ein bescheidenes Auskommen sicherte.
• Das erste, was meine Mutter begann, war eine 032 gänzliche Einschränkung und Abschaffung alles Ueberflüssigen, wozu voraus jede Art von dienstbaren Händen gehörte. In der Stille dieses Wittwenthumes fand ich mein erstes deutliches Bewußtsein, welches seinen Inhaber zur Uebung treppauf und ab im Innern des Hauses umherführte. Die untern Stockwerke sind dunkel, sowol in den Gemächern wegen der Enge der Gassen, als auf den Treppenräumen und Fluren, weil alle Fenster für die Zimmer benutzt wurden. Einige Vertiefungen und Seitengänge gaben dem Raume ein düsteres und verworrenes Ansehen und blieben noch zu entdeckende Geheimnisse für mich; je höher man aber steigt, desto freundlicher und heller wird es, indem der oberste Stock, den wir bewohnten, die Nachbarhäuser überragt. Ein hohes Fenster wirft reichliches Licht auf die mannigfaltig gebrochenen Treppen und wunderlichen Holzgalerien des luftigen Estrichs, welcher einen hellern Gegensatz zu den kühlen Finsternissen der Tiefe bildet. Die Fenster unserer Wohnstube gingen auf eine Menge kleiner Höfe hinaus, wie sie oft von einem Häuserviertel umschlossen werden, und ein verborgenes behagliches Gesumme enthalten, welches man auf der Straße nicht ahnt. Den Tag über betrachtete ich stundenlang das innere häusliche Leben in diesen Höfen; die grünen Gärtchen 033 in denselben schienen mir kleine Paradiese zu sein, wenn die Nachmittagssonne sie beleuchtete und die weiße Wäsche darin sanft flatterte, und wunderfremd und doch bekannt kamen mir die Leute vor, welche ich fern gesehen hatte, wenn sie plötzlich einmal in unsrer Stube standen und mit der Mutter plauderten. Unser eigenes Höfchen enthielt zwischen hohen Mauern ein ganz kleines Stückchen Rasen mit zwei Vogelbeerbäumchen; ein nimmermüdes Brünnchen ergoß sich in ein ganz grün gewordenes Sandsteinbecken, und der enge Winkel ist kühl und fast schauerlich, ausgenommen im Sommer, wo die Sonne täglich einige Stunden lang darin ruht. Alsdann schimmert das verborgene Grün durch den dunkeln Hausflur so kokett auf die Gasse, wenn die Hausthür aufgeht, daß den Vorübergehenden immer eine Art Gartenheimweh befällt. Im Herbste werden diese Sonnenblicke kürzer und milder, und wenn dann die Blätter an den zwei Bäumchen gelb und die Beeren brennend roth werden, die alten Mauern so wehmüthig vergoldet sind und das Wässerchen einigen Silberglanz dazu giebt, so hat dieser kleine abgeschiedene Raum einen so wunderbar melancholischen Reiz, daß er dem Gemüthe ein Genüge thut wie die weiteste Landschaft. Gegen Sonnenuntergang jedoch stieg meine Aufmerksamkeit an den Häusern 034 in die Höhe und immer höher, je mehr sich die Welt von Dächern, die ich von unserm Fenster aus übersah, röthete und vom schönsten Farbenglanze belebt wurde. Hinter diesen Dächern war für einmal meine Welt zu Ende; denn den duftigen Kranz von Schneegebirgen, welcher hinter den letzten Dachfirsten halb sichtbar ist, hielt ich, da ich ihn nicht mit der festen Erde verbunden sah, lange Zeit für Eins mit den Wolken. Als ich später zum erstenmale rittlings auf dem obersten Grate unseres hohen, ungeheuerlichen Daches saß und die ganze ausgebreitete Pracht des See's übersah, aus welchem die Berge in festen Gestalten, mit grünen Füßen aufstiegen, da kannte ich freilich ihre Natur schon von ausgedehnteren Streifzügen im Freien; für jetzt aber konnte mir die Mutter lange sagen, das seien große Berge und mächtige Zeugen von Gottes Allmacht, ich vermochte sie darum nicht besser von den Wolken zu unterscheiden, deren Ziehen und Wechseln mich am Abend fast ausschließlich beschäftigte, deren Name aber ebenso ein leerer Schall für mich war, wie das Wort Berg. Da die fernen Schneekuppen bald verhüllt, bald heller oder dunkler, weiß oder roth sichtbar waren, so hielt ich sie wol für etwas Lebendiges, Wunderbares und Mächtiges, wie die Wolken, und pflegte auch andere Dinge mit dem 035 Namen Wolke oder Berg zu belegen, wenn sie mir Achtung und Neugierde einflößten. So nannte ich, ich höre das Wort noch schwach in meinen Ohren klingen und man hat es mir nachher oft erzählt, die erste weibliche Gestalt, welche mir wohlgefiel und ein Mädchen aus der Nachbarschaft war, die weiße Wolke, von dem ersten Eindrucke, den sie in einem weißen Kleide auf mich gemacht hatte. Mit mehr Richtigkeit nannte ich vorzugsweise ein langes hohes Kirchendach, das mächtig über alle Giebel emporragte, den Berg. Seine gegen Westen gekehrte große Fläche war für meine Augen ein unermeßliches Feld, auf welchem sie mit immer neuer Lust ruhten, wenn die letzten Strahlen der Sonne es beschienen, und diese schiefe, rothglühende Ebene über der dunkeln Stadt war für mich recht eigentlich das, was die Phantasie sonst unter seligen Auen oder Gefilden versteht. Auf diesem Dache stand ein schlankes, nadelspitzes Thürmchen, in welchem eine kleine Glocke hing und auf dessen Spitze sich ein glänzender goldener Hahn drehte. Wenn in der Dämmerung das Glöckchen läutete, so sprach meine Mutter von Gott und lehrte mich beten; ich fragte: Was ist Gott? ist es ein Mann? und sie antwortete: Nein, Gott ist ein Geist! Das Kirchendach versank nach und nach in grauen Schatten, das 036 Licht klomm an dem Thürmchen hinauf, bis es zuletzt nur noch auf dem goldenen Wetterhahne funkelte, und eines Abends fand ich mich plötzlich des bestimmten Glaubens, daß dieser Hahn Gott sei. Er spielte auch eine unbestimmte Rolle der Anwesenheit in den kleinen Kindergebeten, welche ich mit vielem Vergnügen herzusagen wußte. Als ich aber einst ein Bilderbuch bekam, in dem ein prächtig gefärbter Tiger ansehnlich dasitzend abgebildet war, ging meine Vorstellung von Gott allmälig auf diesen über, ohne daß ich jedoch, so wenig wie vom Hahne, je eine Meinung darüber äußerte. Es waren ganz innerliche Anschauungen, und nur wenn der Name Gottes genannt wurde, so schwebte mir erst der glänzende Vogel und nachher der schöne Tiger vor. Allmälig mischte sich zwar nicht ein klareres Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Gedanken. Ich betete mein Unservater, dessen Eintheilung und Abrundung mir das Einprägen leicht und das Wiederholen zu einer angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer Meisterschaft und vielen Variationen, indem ich diesen oder jenen Theil doppelt und dreifach aussprach oder nach raschem und leisem Hersagen eines Satzes den folgenden langsam und laut betonte und dann rückwärts betete und mit den Anfangsworten Vater unser schloß. Aus diesem Gebete hatte sich eine 037 Ahnung in mir niedergeschlagen, daß Gott ein Wesen sein müsse, mit welchem sich allenfalls ein vernünftiges Wort sprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergestalten.
• So lebte ich in einem unschuldig vergnüglichen Verhältnisse mit dem höchsten Wesen, ich kannte keine Bedürfnisse und keine Dankbarkeit, kein Recht und kein Unrecht, und ließ Gott herzlich einen guten Mann sein, wenn meine Aufmerksamkeit von ihm abgezogen wurde.
• Ich fand aber bald Veranlassung, in ein bewußteres Verhältniß zu ihm zu treten und zum ersten Mal meine menschlichen Ansprüche zu ihm zu erheben, als ich, sechs Jahre alt, mich eines schönen Morgens in einen melancholischen Saal versetzt sah, in welchem etwa fünfzig bis sechzig kleine Knaben und Mädchen unterrichtet wurden. In einem Halbkreise mit sieben andern Kindern um eine Tafel herum stehend, auf welcher große Buchstaben prangten, lauschte ich sehr still und gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten. Da wir sämmtlich Neulinge waren, so wollte der Oberschulmeister, ein ältlicher Mann mit einem großen groben Kopfe, die erste Leitung selbst für eine Stunde besorgen und forderte uns auf, abwechselnd die sonderbaren Figuren zu benennen. Ich hatte schon seit geraumer Zeit einmal das Wort Pumpernickel gehört, und es 038 gefiel mir ungemein, nur wußte ich durchaus keine leibliche Form dafür zu finden und Niemand konnte mir eine Auskunft geben, weil die Sache, welche diesen Namen führt, einige hundert Stunden weit zu Hause war. Nun sollte ich plötzlich das große P benennen, welches mir in seinem ganzen Wesen äußerst wunderlich und humoristisch vorkam, und es ward in meiner Seele klar und ich sprach mit Entschiedenheit: Dieses ist der Pumpernickel! Ich hegte keinen Zweifel, weder an der Welt, noch an mir, noch am Pumpernickel, und war froh in meinem Herzen; aber je ernsthafter und selbstzufriedener mein Gesicht in diesem Augenblicke war, desto mehr hielt mich der Schulmeister für einen durchtriebenen und frechen Schalk, dessen Bosheit sofort gebrochen werden müßte, und er fiel über mich her und schüttelte mich eine Minute lang so wild an den Haaren, daß mir Hören und Sehen verging. Dieser Ueberfall kam mir seiner Fremdheit und Neuheit wegen wie ein böser Traum vor und ich machte augenblicklich nichts daraus, als daß ich, stumm und thränenlos, aber voll innerer Beklemmung den Mann ansah. Die Kinder haben mich von je her geärgert, welche, wenn sie gefehlt haben oder sonst in Conflict gerathen, bei der leisesten Berührung oder schon bei deren Annäherung in ein abscheuliches Zetergeschrei 039 ausbrechen, das Einem die Ohren zerreißt; und wenn solche Kinder gerade dieses Geschreies wegen oft doppelte Schläge bekommen, so litt ich am entgegengesetzten Extrem und verschlimmerte meine Händel stets dadurch, daß ich nicht im Stande war, eine einzige Thräne zu vergießen vor meinen Richtern. Als daher der Schulmeister sah, daß ich nur erstaunt nach meinem Kopfe langte, ohne zu weinen, fiel er noch einmal über mich her, um mir den vermeintlichen Trotz und die Verstocktheit gründlich auszutreiben. Ich litt nun wirklich; anstatt aber in ein Geheul auszubrechen, rief ich flehendlich in meiner Angst: Sondern erlöse uns von dem Bösen! und hatte dabei Gott vor Augen, von dem man mir so oft gesagt hatte, daß er dem Bedrängten ein hülfreicher Vater sei. Für den guten Lehrer aber war dies zu stark; der Fall war nun zum außerordentlichen Ereignisse gediehen, und er ließ mich daher straks los, mit aufrichtiger Bekümmerniß darüber nachdenkend, welche Behandlungsart hier angemessen sei. Wir wurden für den Vormittag entlassen, der Mann führte mich selbst nach Hause. Erst dort brach ich heimlich in Thränen aus, indem ich abgewandt am Fenster stand und die ausgerissenen Haare aus der Stirn wischte, während ich anhörte, wie der Mann, der mir im Heiligthum 040 unserer Stube doppelt fremd und feindlich erschien, eine ernsthafte Unterredung mit der Mutter führte und versichern wollte, daß ich schon durch irgend ein böses Element verdorben sein müßte. Sie war nicht minder erstaunt, als wir beiden Andern, indem ich, wie sie sagte, ein durchaus stilles Kind wäre, welches bisher noch nie aus ihren Augen gekommen sei und keine groben Unarten gezeigt hätte. Allerlei seltsame Einfälle hätte ich allerdings bisweilen; aber sie schienen nicht aus einem schlimmen Gemüthe zu kommen, und ich müßte mich wol erst ein wenig an die Schule und ihre Bedeutung gewöhnen. Der Lehrer gab sich zufrieden, doch mit Kopfschütteln, und war innerlich überzeugt, wie sich aus wiederholten Fällen ergab, daß ich gefährliche Anlagen zeige. Er sagte auch sehr bedeutsam beim Abschiede, daß stille Wasser gewöhnlich tief wären. Dieses Wort habe ich seither in meinem Leben öfters hören müssen und es hat mich immer gekränkt, weil es keinen größeren Plauderer giebt, als mich, wenn ich zutraulich bin. Ich habe aber bemerkt, daß viele Menschen, welche immer das große Wort führen, aus denen nie klug werden, welche ihretwegen nie zu Worte kommen; sie fassen dann ein ungünstiges Vorurtheil, so bald sie mit Schwatzen fertig sind und es still geworden ist. Sprechen jene 041 aber einmal unerwarteter Weise, so kommt es ihnen noch verdächtiger vor. Im Umgange mit stillen Kindern aber kann es ein wahres Unglück werden, wenn die großen Schwätzer sich nicht anders zu helfen wissen, als mit dem Gemeinplatze: Stille Wasser sind tief!
• Am Nachmittage wurde ich wieder in die Schule geschickt und ich trat mit großem Mißtrauen in die gefährlichen Hallen, welche die Verwirklichung seltsamer und beängstigender Träume zu sein schienen. Ich bekam aber den bösen Schulmann nicht zu Gesicht; er hielt sich in einem Verschlage auf, welcher eine Art Geheimzimmer vorstellte und ihm zur Einnahme von kleinen Collationen diente. An der Thüre dieses Verschlages befand sich ein rundes Fensterchen, durch welches der Tyrann öfters den Kopf zu stecken pflegte, wenn draußen ein Geräusch entstand. Die Glasscheibe dieses Fensterchens fehlte seit geraumer Zeit, so daß er durch den leeren Rahmen sein Haupt weit in die Schulstube hineinstrecken konnte zur sattsamen Umsicht. An diesem verhängnißvollen Tage nun hatte der Hausmeister gerade während der Mittagszeit die fehlende Scheibe ersetzen lassen und ich schielte eben ängstlich nach derselben, als sie mit hellem Klirren zersprang und der umfangreiche Kopf meines Widersachers hindurch fuhr. Die erste Bewegung in mir war ein Aufjauchzen der herzlichsten 042 Freude, und erst, als ich sah, daß er übel zugerichtet war und blutete, da wurde ich betreten und es ward zum dritten Male klar in meiner Seele und ich verstand die Worte: Und vergieb uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern! So hatte ich an diesem ersten Tage schon viel gelernt; zwar nicht, was der Pumpernickel sei, wol aber, daß man in der Noth einen Gott anrufen müsse, daß derselbe gerecht sei und uns zu gleicher Zeit lehre, keinen Haß und keine Rache in uns zu tragen. Aus dem Gebote, seinen Beleidigern zu vergeben, entsteht, wenn es befolgt wird, von selbst die Kraft, auch seine Feinde zu lieben; denn für die Mühe, welche uns jene Ueberwindung kostet, fordern wir einen Lohn und dieser liegt zunächst und am natürlichsten in dem Wohlwollen, welches wir dem Feinde schenken, da er uns einmal nicht gleichgültig bleiben kann. Wohlwollen und Liebe können nicht gehegt werden, ohne den Träger selbst zu veredeln, und sie thun dieses am glänzendsten, wenn sie dem gelten, was man einen Feind oder Widersacher nennt. Diese eigenthümlichste Hauptlehre des Christenthums fand eine große Empfänglichkeit in mir vor, da ich, leicht verletzt und aufgebracht, immer ebenso schnell bereit war, zu vergessen und zu vergeben, und es hat mich später, als mein 043 Sinn sich der Offenbarungslehre zu verschließen anfing, lebhaft beschäftigt, zu ermitteln, inwiefern jenes Gesetz nur der Ausdruck eines schon in der Menschheit vorhandenen und erkannten Bedürfnisses sei; denn ich sah, daß es nur von einem bestimmten Theile der Menschen rein und uneigennützig befolgt wurde, von denjenigen nämlich, welche ihre natürlichen Gemüthsanlagen dazu trieben. Die Andern, welche ihr ursprüngliches Rachegefühl überwanden und auf das Vergeltungsrecht mit Mühe verzichteten, schienen mir oft dadurch mehr Vortheil über ihren Feind zu gewinnen, als sich mit dem Begriffe der reinen Selbstentäußerung vertrug; weil zufolge der tiefen Vernunft und Klugheit, die zugleich im Verzeihen liegt, der Widersacher allein es ist, welcher sich in seiner unfruchtbaren Wuth aufreibt und vernichtet. Dies Verzeihen ist es auch, was in großen geschichtlichen Kämpfen die Ueberlegenheit des Siegers, nachdem er einen Handel männlich ausgefochten hat, vermehrt und beurkundet, daß dieselbe auch moralisch eine reif gewordene ist. So ist das Schonen und Aufrichten des gebeugten Gegners mehr Sache der allgemeinen Weltweisheit; das eigentliche Lieben aber des Feindes in voller Blüthe und so lange er uns Schaden zufügt, habe ich nirgends gesehen.