GHA 2.08

340 Achtes Kapitel.

Einige Wochen nach Neujahr, als ich eben den Frühling herbei wünschte, erhielt ich vom Dorfe aus die Kunde, daß mehrere Ortschaften jener Gegend sich verbunden hätten, dieses Jahr zusammen die Fastnachtsbelustigungen durch eine großartige dramatische Schaustellung zu verherrlichen. Die ehemalige katholische Faschingslust hat sich nämlich als allgemeine Frühlingsfeier bei uns erhalten, und seit einer Reihe von Jahren haben sich die derben Volksmummereien nach und nach in vaterländische Aufführungen unter freiem Himmel verwandelt, an welchen erst nur die reifere Jugend, dann aber auch fröhliche Männer Theil nahmen; bald wurde eine Schweizerschlacht dargestellt, bald eine Handlung aus dem Leben berühmter Schweizerhelden, und nach dem Maßstabe der Bildung und des Wohlstandes einer Gegend wurden solche Aufzüge mit mehr oder 341 weniger Ernst und Aufwand vorbereitet und ausgeführt. Einige Ortschaften waren schon berühmt und jedesmal stark besucht durch dieselben, andere suchten es zu werden. Mein Heimathdorf war nebst ein paar anderen Dörfern von einem benachbarten Marktflecken eingeladen worden zu einer großen Darstellung des Wilhelm Tell, und in Folge dessen war ich wieder durch meine Verwandten aufgefordert worden, hinaus zu kommen und an den Vorbereitungen Theil zu nehmen, da man mir manche Einsicht und Fertigkeit besonders als Maler zutraute, um so mehr, als unser Dorf in einer fast ausschließlichen Bauerngegend lag und in solchen Dingen wenig Gewandtheit besaß. Ich war vollständig Herr meiner Zeit, auch war eine Unterbrechung zu solchem Zwecke zu sehr im Geiste meines Vaters, als daß die Mutter dagegen Bedenken erhoben hätte; also ließ ich es mir nicht zwei Mal sagen und ging jede Woche für einige Tage hinaus, wobei mir schon das stete Wandern zu dieser Jahreszeit, manchmal durch die schneebedeckten Felder und Wälder, die größte 342 Freude machte. Ich sah nun das Land auch im Winter, die Winterbeschäftigungen und Winterfreuden der Landleute und wie dieselben dem erwachenden Frühling entgegengehen.

Man legte der Aufführung Schiller's Tell zu Grunde, welcher in einer Volksschulausgabe vielfach vorhanden war und welchem nur die Liebesepisode zwischen Bertha von Brunneck und Ulrich von Rudenz fehlte. Das Buch ist den Leuten sehr geläufig, denn es drückt auf eine wunderbar richtige Weise die schweizerische Gesinnung aus, und besonders der Charakter des Tell entspricht ganz der Wahrheit und dem Leben, und wenn Börne darin nur ein selbstsüchtiges und philiströses Ungeheuer finden konnte, so scheint mir dies ein Beweis zu sein, wie wenig die krankhafte Empfindsamkeit der Unterdrückten geeignet ist, die Art und Weise unabhängiger Männer zu begreifen. Weitaus der größere Theil der Theilnehmer Schaar sollte als Hirten, Bauern, Fischer, Jäger das Volk darstellen und in seiner Masse von Schauplatz zu Schauplatz ziehen, wo die Handlung vor sich ging, getragen durch Solche, welche sich zu 343 einem kühnen Auftreten für berufen hielten; in den Reihen des Volks nahmen auch junge Mädchen Theil, sich höchstens in den gemeinschaftlichen Gesängen äußernd, während die handelnden Frauenrollen blühenden Jünglingen übertragen waren. Es sollte nur vorgeführt werden, was wirklich geschichtlich ist, mit Weglassung aller Vorbereitungen und dramatischen Zwischenspiele, das Geschichtliche aber mit dem Schiller'schen Personal und Dialog, außerdem aber auch seine poetische Färbung über dem Ganzen walten. Der Schauplatz der eigentlichen Handlung war auf alle Ortschaften vertheilt, je nach ihrer Eigenthümlichkeit, so daß dadurch ein festliches Hin- und Herwogen der kostümirten Menge und der Zuschauermassen bedingt wurde.

Ich erwies mich als brauchbar bei den Vorbereitungen und wurde mit manchen Geschäften betraut, welche in der Stadt zu besorgen waren. Ich stöberte alle Magazine durch, wo sich etwa Flitter- und Maskenwerk vorfinden mochte und suchte das Tauglichste vorzuschlagen, besonders da andere Beauftragte geneigt waren, zuerst nach 344 dem Grellen und Auffallenden zu greifen. Ja ich kam sogar mit den Beamten der Republik in Berührung und fand Gelegenheit, mich als einen tapferen Vertreter meiner Landesgegend zu zeigen, da mir die Auswahl und Uebernahme der alten Waffen übergeben wurde, welche die Regierung unter der Bedingung treuer Sorgfalt bewilligte. Weil aber gerade diesmal mehrere ähnliche Feste stattfanden, so mußten beinahe alle Vorräthe geräumt werden, und nur die werthvollsten Trophäen, an welche sich bestimmte Erinnerungen knüpften, blieben zurück. Ueberdies stritten sich die Abgeordneten der Gemeinden um die Waffen, alle wollten dasselbe haben, obschon es nicht für alle sich schickte; eine Anzahl großer Schlachtschwerter und Morgensterne, welche ich für meine Eidgenossen ausgesucht, wollte mir von einem Gegner durchaus abgerungen werden, ungeachtet ich ihm vorstellte, daß er für den Schwabenkrieg, aus welchem seine Leute eine Schlacht spielen wollten, ganz anderer Gegenstände bedürfe. Ich berief mich endlich auf den Zeugwart, welcher mir Recht gab, und der ansehnliche starke 345 Wirth aus den Dörfern, welcher hinter mir stand, um die Sachen wegzuführen, triumphirte und respectirte mich freundlich. Allein die Gegner hielten mich nun für einen gefährlichen Burschen, der das Beste vorwegnähme, und gingen mir auf Schritt und Tritt nach in dem alten Zeughause, gerade das ausersehend, was ich in's Auge faßte, so daß ich nur mit der äußersten Beharrlichkeit noch einen Wagen voll Eisenhüte und Hellebarden für meine reisigen Tyrannenknechte zur Seite brachte. So kam ich mir sehr wichtig vor, als ich mit den Aufsehern das Verzeichniß der verabfolgten Sachen feststellte, obgleich der Wirth der eigentliche Gewährsmann war und dasselbe unterschrieb.

Dann hatte ich wieder auf dem Lande vollauf zu thun und begab mich mit einigen Packeten Farbstoff und mächtigen Pinseln hinaus, um ein schönes neues Bauernhaus an der Straße noch völlig in Stauffacher's Wohnung umzuwandeln mittelst bunter Zierrathen und Sprüche; denn nicht nur sollte da die Unterredung zwischen Stauffacher und seinem Weibe stattfinden, sondern 346 der Zwingherr vorher selbst heranreiten und seine böse Harrangue loslassen.

Im Hause des Oheims war ich ein eigentliches Factotum und eifrig bestrebt, die Kleidung der Söhne so historisch als möglich zu machen und die Töchter, welche sich sehr modern aufputzen wollten, von solchem Beginnen abzuhalten. Mit Ausnahme der Braut wollten sich alle Kinder des Oheims betheiligen und sie suchten auch Anna zu überreden, welche überdies von dem leitenden Ausschusse dringend eingeladen war. Allein sie wollte sich durchaus nicht dazu verstehen, ich glaube nicht nur aus Zaghaftigkeit, sondern auch ein wenig aus Stolz, bis der Schulmeister, für diese Veredlung der alten roheren Spiele durchaus begeistert, sie entschieden aufforderte, auch das Ihrige beizutragen. Nun war aber die große Frage, was sie vorstellen sollte; ihre Feinheit und Bildung sollte dem Feste zur Zierde gereichen, während doch alle hervorragenden Frauenrollen jungen Männern zu Theil geworden. Ich hatte mir aber längst etwas für sie ausgedacht und überzeugte bald meine Basen und den Schulmeister 347 von der Trefflichkeit meines Vorschlages. Obgleich die Rolle der Bertha von Brunneck gänzlich wegfiel, so konnte sie doch als stumme Person das ritterliche Gefolge Geßler's verherrlichen. Dieses war sonst vom Volkshumor ziemlich schofel und wild, und besonders der Tyrann sehr fratzenhaft und lächerlich dargestellt worden; dagegen hatte ich nun durchgesetzt, daß der Aufzug des Landvogts recht glänzend und herrisch sein müsse, weil der Sieg über einen elenden Widersacher nichts Absonderliches sei. Ich selbst hatte den Rudenz übernommen, auch sein Verhältniß zum Attinghausen fiel weg und erst am Schlusse hatte «er zum Volke überzugehen», so daß mir viel Freiheit und Zeit zu mancher Aushülfe und vor Allem wenig zu sprechen blieb. Einer der Vettern machte Rudolph den Harras und Anna konnte also sich im Schutze von zwei Verwandten befinden. Zufällig war die Originalausgabe von Schiller gar nicht bekannt im Hause, und selbst der Schulmeister las diesen Dichter nicht, weil seine Bildung nach anderen Seiten hin strebte; also ahnte kein Mensch die Beziehungen, 348 welche ich in meinen Plan legte, und Anna ging arglos in die ihr gestellte Falle. Das Schwerste war, sie zum Reiten zu bringen; ein kugelrunder gemüthlicher Schimmel stand im Stalle meines Oheims, welcher nie Jemandem ein Haar gekrümmt hatte und auf welchem der Oheim über Land zu reiten pflegte. Auf dem Boden befand sich ein vergessener Damensattel aus der alten Zeit; dieser wurde mit rothem Plüsch neu bezogen, welchen man einem ehrwürdigen Lehnstuhle entnahm, und als Anna zum ersten Mal sich darauf setzte, ging es ganz trefflich, besonders da der reitkundige Nachbar Müller einige Anleitung gab, und Anna fand zuletzt großes Vergnügen an dem guten Schimmel. Eine mächtige hellgrüne Damastgardine, welche einst ein Himmelbett umgeben hatte, wurde zerschnitten und in ein Reitkleid umgewandelt; auch besaß der Schulmeister als ein altes Erbstück eine Krone von silbernem Flechtwerke, wie sie ehemals die Bräute getragen; Anna's goldglänzendes Haar wurde nur zunächst der Schläfe zierlich geflochten, unterhalb aber in seiner ganzen Länge frei ausgebreitet und 349 dann die Krone aufgesetzt, auch ein breites goldenes Halsband umgethan, auf meinen Rath einige Ringe über die weißen Handschuhe gesteckt, und als sie zum ersten Mal diesen ganzen Anzug probirte, sah sie nicht nur aus wie ein Ritterfräulein, sondern wie eine Feenkönigin, und das ganze Haus war in ihrem lieblichen Anblick verloren. Aber jetzt weigerte sie sich auf's Neue, an dem Spiele Theil zu nehmen, weil sie sich selber so fremd vorkam, und wenn nicht die ganze Bevölkerung in ihren ehrbarsten Familien bei der Sache gewesen wäre, so hätte man sie nicht dazu gebracht. Unterdessen hatte ich nicht geruht, und mit meinen Herren Vettern ein wenig in's Sattlerhandwerk gepfuscht, indem wir die nicht sehr sauberen Zügelriemen des Oheims mit rothem Seidenzeuge umnähten, welches wir von einem Juden billig gekauft; denn Anna's Hände sollten das alte Lederwerk nicht unmittelbar berühren.

Meinen eigenen Anzug hatte ich längst in Ordnung gebracht und denselben grün und jägermäßig gewählt, da dadurch eine größere Einfachheit 350 möglich war für meine geringen Mittel. Doch war er noch erträglich getreu, eine große zimmetfarbene Decke, ohne Beschädigung in einen faltenreichen Mantel umgewandelt, verhüllte die Unvollkommenheiten; auf dem Rücken trug ich eine Armbrust und auf dem Kopfe einen grauen Filz. Allein da der Mensch immer eine schwache Seite haben muß, so schnallte ich den langen Toledodegen um aus der Dachkammer; ich hatte alle Anderen zu historischer Treue ermahnt, hatte zeitgemäße Waffen in Menge selbst aus dem Zeughause geholt und doch wählte ich diesen spanischen Bratspieß, ohne daß ich mir heute klar machen kann, was ich mir dabei dachte!

Der wichtige und ersehnte Tag brach an mit dem allerschönsten Morgen; der Himmel war ganz wolkenlos, es war in diesem Hornung schon so warm, daß die Bäume anfingen auszuschlagen und die Wiesen grünten. Mit Sonnenaufgang, als eben der Schimmel an dem funkelnden Flüßchen stand und gewaschen wurde, tönten Alpenhörner und Heerdengeläute durch das Dorf herab und ein Zug von mehr als hundert prächtigen 351 Kühen, bekränzt und mit Schellen versehen, kam heran, begleitet von einer großen Menge junger Bursche und Mädchen, um das Thal hinauf zu ziehen in die anderen Dörfer und so eine Bergfahrt vorzustellen. Die Leute hatten nur ihre altherkömmliche Sonntagstracht anzuziehen gebraucht, mit Ausschluß aller eingedrungenen Neuheiten und Hinzufügung einiger Prachtstücke ihrer Aeltern oder Großältern, um ganz festlich und malerisch auszusehen, und der stärkste Anachronismus waren die kurzen Pfeifen, welche die Bursche unbekümmert im Munde trugen. Die frischen Hemdärmel der Jünglinge und Mädchen, ihre rothen Westen und blumigen Mieder leuchteten weithin in frohem Gewimmel, und als sie vor unserem Hause und der benachbarten Mühle anhielten und unter den Bäumen plötzlich das bunteste Gewühl entstand, von Gesang, Jauchzen und Gelächter begleitet, als sie mit lautem Grüßen einen Frühtrunk verlangten, da fuhren wir vom reichlichen Frühstück, um welches wir, mit Ausnahme Anna's, schon angekleidet versammelt waren, lustig auf und die Freude überraschte 352 uns in ihrer Wirklichkeit viel gewaltiger und feuriger, als wir bei aller Erwartung darauf gefaßt waren. Schnell begaben wir uns mit den bereitgehaltenen Weingefäßen und einer Menge Gläser in das Gewimmel, der Oheim und seine Frau mit großen Körben voll ländlichen Backwerkes. Dieser erste Jubel, weit entfernt eine frühe Erschöpfung zu bedeuten, war nur der sichere Vorbote eines langen Freudentages und noch herrlicherer Dinge. Die Muhme prüfte und pries das schöne Vieh, streichelte und kraute berühmte Kühe, welche ihr wohlbekannt waren, und machte tausend Späße mit dem jungen Volke; der Oheim schenkte unaufhörlich ein, seine Töchter boten die Gläser herum und suchten die Mädchen zum Trinken zu überreden, während sie wohl wußten, daß ihr ehrsames Geschlecht am frühen Morgen keinen Wein trinkt. Desto munterer sprachen die Hirtinnen den schmackhaften Kuchen zu und versorgten mit denselben die vielen Kinder, welche nebst ihren Ziegen den Zug vergrößerten. In der Mitte des Gedränges stießen wir auf die Müllersleute, welche den Feind von der 353 anderen Seite her angegriffen hatten, angeführt vom jungen Müller, der als geharnischter Reiter schwer einherklirrte und sein verjährtes Eisengewand andächtig verehren und betasten ließ. Auf einmal zeigte sich Anna, schüchtern und verschämt; doch ihre Zaghaftigkeit ward von der Gewalt der allgemeinen Freude sogleich vernichtet und sie war in einem Augenblicke wie umgewandelt. Sie lächelte sicher und wohlgemuth, ihre Silberkrone blitzte in der Sonne, ihr Haar wehte und flatterte schön im Morgenwind und sie ging so anmuthig und sicher in ihrem aufgeschürzten Reitkleide, das sie mit den ringgeschmückten Händen hielt, als ob sie ihr Lebenlang ein solches getragen hätte. Sie mußte überall herumgehen und wurde mit staunender Bewunderung begrüßt. Endlich aber bewegte sich der Zug weiter und mit seinem Aufbruche theilte sich auch unser Hausstand. Die zwei jüngeren Basen und zwei ihrer Brüder schlossen sich demselben an, die verlobte Schwester und der Schulmeister setzten sich in ein leichtes Fuhrwerk, um als Zuschauer ihren eigenen Weg zu fahren und uns gelegentlich zu 354 treffen, auch um Anna aufzunehmen, im Falle ihr die Sache nicht zusagen würde. Der Oheim und die Frau blieben zu Hause, um andere Herumschwärmer zu bewirthen und abwechselnd etwa sich in der Nähe umzusehen. Anna, Rudolph der Harras und ich aber setzten uns nun zu Pferde, escortirt von dem klirrenden Müller. Dieser hatte für mich unter seinen Pferden einen ehrlichen Braunen ausgesucht und über den Sattel zu mehrerer Sicherheit einen Schafpelz geschnallt. Doch kümmerte ich mich im mindesten nicht um die Reitkunst und da auch kein Mensch sich um dergleichen bekümmerte, so schwang ich mich ganz unbefangen auf den Braunen und tummelte denselben mit einer Keckheit herum, die ich jetzt gar nicht mehr begreife. Auf dem Lande kann Jedermann reiten, der von einem dressirten Pferde herunterfallen würde. So ritten wir stattlich das Dorf hinauf und gaben nun selbst ein Schauspiel für die Leute, welche zurückblieben, und für eine Menge Kinder, welche uns nachliefen, bis eine andere Gruppe ihre Aufmerksamkeit erregte. Vor dem Dorfe sahen wir es bunt und 355 schimmernd von allen Seiten her sich bewegen, und als wir eine viertel Stunde weit geritten waren, kamen wir an eine Schenke an einer Kreuzstraße, vor welcher die sechs barmherzigen Brüder saßen, welche den Geßler wegtragen sollten. Dies waren die lustigsten Bursche der Umgegend, hatten sich unter den Kutten ungeheure Bäuche gemacht und schreckliche Bärte von Werg umgebunden, auch die Nasen roth gefärbt; sie gedachten den ganzen Tag sich auf eigene Faust herumzutreiben und spielten gegenwärtig Karten mit großem Halloh, wobei sie andere Spielkarten aus den Kapuzen zogen und statt der Heiligen an die Leute austheilten. Auch führten sie große Proviantsäcke mit sich und schienen schon ziemlich angeglüht, so daß wir für die Feierlichkeit ihrer Verrichtung bei Geßler's Tod etwas besorgt wurden. Im nächsten Dorf sahen wir den Arnold von Melchthal ruhig einem Stadtmetzger einen Ochsen verkaufen, wozu er schon seine alte Tracht trug; dann kam ein Zug mit Trommel und Pfeife und mit dem Hut auf der Stange, um in der Umgegend das höhnische Gesetz zu verkünden. 356 Denn dies war das Schönste bei dem Feste, daß man sich nicht an die theatralische Einschränkung hielt, daß man es nicht auf Ueberraschung absah, sondern sich frei herum bewegte und wie aus der Wirklichkeit heraus und wie von selbst an den Orten zusammentraf, wo die Handlung vor sich ging. Hundert kleine Schauspiele entstanden dazwischen und überall gab es was zu sehen und zu lachen, während doch bei den wichtigen Vorgängen die ganze Menge andächtig und gesammelt zusammentraf. Schon war unser Zug ansehnlich gewachsen, um mehrere Berittene und auch durch Fußvolk verstärkt, welche Alle zu dem Ritterzuge gehörten; wir kamen an eine neue Brücke, die über einen großen Fluß führt; von der anderen Seite näherte sich ein großer Theil der Bergfahrt, um das Vieh nach Hause zu bringen und nachher wieder als Volk zu erscheinen. Nun war ein knauseriger Zolleinnehmer auf der Brücke, welcher durchaus von Kühen und Pferden den Zoll erheben wollte, gemäß dem Gesetze; er hatte den Schlagbaum heruntergelassen und ließ sich durchaus nicht bereden, 357 diesmal von seiner Forderung abzustehen, indem man jetzt nicht eingerichtet und aufgelegt sei, diese Umständlichkeiten zu befolgen. Es entstand ein großes Gedränge, ohne daß man jedoch wagte, mit Gewalt durchzukommen. Da erschien unversehens der Tell, welcher mit seinem Knaben einsam seines Weges ging. Es war ein berühmter fester Wirth und Schütze, ein angesehener und zuverlässiger Mann von etwa vierzig Jahren, auf welchen die Wahl zum Tell unwillkürlich und einstimmig gefallen war. Er hatte sich in die Tracht gekleidet, in welcher sich das Volk die alten Schweizer ein für allemal vorstellt, roth und weiß mit vielen Puffen und Litzen, roth und weiße Federn auf dem eingekerbten roth und weißen Hütchen. Ueberdies trug er noch eine seidene Schärpe über der Brust und wenn dies Alles nichts weniger als dem einfachen Waidmann angemessen war, so zeigte doch der Ernst des Mannes, wie sehr er das Bild des Helden in seinem Sinn durch diesen Pomp ehrte; denn in diesem Sinne war der Tell nicht nur ein schlichter Jäger, sondern auch ein politischer Schutzpatron 358 und Heiliger, der nur in den Farben des Landes, in Sammet und Seide, mit wallenden Federn denkbar war. Der Schnitt seines Kleides war aus dem sechszehnten Jahrhundert, so wie er überhaupt als alte Schweizertracht noch bei dem Volke gilt und aus den letzten großen Heldentagen der Schweizer herrührt. Sie pflegten sich mit einer Last von Federn zu schmücken und sonst großen Aufwand zu treiben aus Beute und fremdem Gold und gingen so in den Tod für fremde Herren. Aber in seiner braven Einfalt ahnte unser Tell die Ironie seines prächtigen Anzuges nicht; er trat mit seinem eigenen Knaben, der wie eine Art Genius aufgeputzt war, besonnen auf die Brücke und fragte nach der Verwirrung. Als man ihm die Gründe angab, setzte er dem Zöllner auseinander, daß er gar kein Recht habe, den Zoll zu erheben, indem sämmtliche Thiere nicht aus der Ferne kämen oder dahin gingen, sondern als im gewöhnlichen Verkehr zu betrachten seien. Der Zollmann aber, erpicht auf die vielen Kreuzer, beharrte spitzfindig darauf, daß die Thiere in einem großen Zuge los und 359 ledig auf der Straße getrieben würden und gar nicht vom Felde kämen, also er den Zoll zu fordern berechtigt sei. Hierauf faßte der wackere Tell den Schlagbaum, drückte ihn wie eine leichte Feder in die Höhe und ließ Alles durchpassiren, die Verantwortung auf sich nehmend. Die Bauern ermahnte er, sich zeitig wieder einzufinden, um seinen Thaten zuzusehen, uns Rittersleute aber grüßte er kalt und stolz und er schien uns auf unseren Pferden für wirkliches Tyrannengesindel anzusehen, so sehr war er in seine Würde vertieft.

Endlich gelangten wir in den Marktflecken, welcher für heute unser Altorf war. Als wir durch das alte Thor ritten, fanden wir das winzige Städtchen, welches nur einen mäßigen Platz bildete, schon ganz belebt, voll Musik, Fahnen und Tannenreiser an allen Häusern. Eben ritt Herr Geßler hinaus, um in der Umgegend einige Unthaten zu begehen, und nahm den Müller und den Harras mit; ich stieg mit Anna vor dem Rathhause ab, wo die übrigen Herrschaften versammelt waren, und begleitete sie in den Saal, 360 wo sie von dem Ausschusse und den versammelten Gemeinderathsfrauen bewunderungsvoll begrüßt wurde. Ich war hier nur wenig bekannt und lebte nur in dem Glanze, welchen Anna auf mich warf. Jetzt kam auch der Schulmeister angefahren mit seiner Begleiterin; sie gesellten sich zu uns, nachdem das Gefährt nothdürftig untergebracht, und erzählten, wie soeben auf der Landschaft dem jungen Melchthal die Ochsen vom Pfluge genommen, er flüchtig geworden und sein Vater gefangen worden sei, wie die Tyrannen überhaupt ihren Spuk trieben und vor dem Stauffacher'schen Hause merkwürdige Scenen stattgefunden hätten vor vielen Zuschauern. Diese strömten auch bald zum Thore herein; denn obgleich nicht Alle überall sein wollten, so begehrte doch die größere Zahl die ehrwürdigen und bedeutungsvollen Hauptbegebenheiten zu schauen und vor Allem den Tellenschuß. Bereits sahen wir auch aus dem Fenster des Rathhauses die Spießknechte mit der verhaßten Stange ankommen, dieselbe mitten auf dem Platze aufpflanzen und unter Trommelschlag das Gesetz verkünden. 361 Der Platz wurde jetzt geräumt, das sämmtliche Volk, mit und ohne Kostüm, an die Seiten verwiesen und vor allen Fenstern, auf Treppen, Galerien und Dächern wimmelte die Menge. Bei der Stange gingen die beiden Wachen auf und ab, jetzt kam der Tell mit seinem Knaben über den Platz gegangen, von rauschendem Beifall begrüßt; er hielt das Gespräch mit dem Kinde nicht, sondern wurde bald in den schlimmen Handel mit den Schergen verwickelt, dem das Volk mit gespannter Aufmerksamkeit zusah, indessen Anna und ich nebst anderm zwingherrlichen Gelichter uns zur Hinterthür hinaus begaben und zu Pferde stiegen, da es Zeit war, uns mit dem Geßler'schen Jagdzuge zu vereinigen, der schon vor dem Thore hielt. Wir ritten nun unter Trompetenklang herein und fanden die Handlung in vollem Gange, den Tell in großen Nöthen und das Volk in lebhafter Bewegung und nur zu geneigt, den Helden seinen Drängern zu entreißen. Doch als der Landvogt seine Reden begann, wurde es still. Die Rollen wurden nicht theatralisch und mit Geberdenspiel gesprochen, 362 sondern mehr wie die Reden in einer Volksversammlung, laut, eintönig und etwas singend, da es doch Verse waren; man konnte sie auf dem ganzen Platze vernehmen, und wenn Jemand, eingeschüchtert, nicht verstanden wurde, so rief das Volk: «lauter, lauter!» und war höchst zufrieden, die Stelle noch einmal zu hören, ohne sich die Illusion stören zu lassen. So erging es auch mir, als ich Einiges zu sprechen hatte; ich wurde aber glücklicher Weise durch einen komischen Vorgang unterbrochen. Es trieben sich nämlich ein Dutzend Vermummte der alten Sorte herum, arme Teufel, welche weiße Hemden über ihre ärmlichen Kleider gezogen hatten, ganz mit bunten Läppchen besetzt, auf dem Kopfe trugen sie hohe kegelförmige Papiermützen, mit Fratzen bemalt und vor dem Gesicht ein durchlöchertes Tuch. Dieser Anzug war sonst die allgemeine Vermummung gewesen zur Fastnachtszeit und in derselben allerlei Späße getrieben worden; er scheint von der löblichen Tracht herzurühren, in welcher einst die verurtheilten Ketzer verhöhnt wurden und welche nachher in den Fastnachtsspielen sich erhielt. 363 Die armen Kerle waren den neueren Spielen nicht grün, da sie in dieser seltsamen Maskirung sich Gaben zu sammeln gewohnt und daher für deren Erhaltung begeistert waren. Sie stellten gewissermaßen den Rückschritt und die Verkommenheit vor und tanzten jetzt wunderlich genug mit Pritschen und Besen umher. Besonders zwei derselben störten das Schauspiel, als ich eben reden sollte, indem sie einander am Rücktheile des Hemdes herumzerrten, welches mit Senf bestrichen war. Jeder hielt eine Wurst in der Hand und rieb sie, indem er sie aß, an dem Hemde des Andern, während sie fortwährend sich im Kreise herumdrehten, wie zwei Hunde, die einander nach dem Schwanze schnappen. Auf diese Weise tanzten sie zwischen Geßler und Tell vorbei und glaubten Wunder was zu thun in ihrer Unwissenheit; auch erfolgte ein schallendes Gelächter, indem das Volk im ersten Augenblicke seinen alten Nücken nicht widerstehen konnte. Doch alsobald erfolgten auch derbe Püffe und Stöße mit Schwertknäufen und Partisanen, die erschrockenen Spaßmacher suchten sich unter die 364 Zuschauer zu retten, wurden aber überall mit Gelächter zurückgestoßen, so daß sie längs der fröhlichen Reihen kein Unterkommen fanden und ängstlich umherirrten, mit zerzausten Mützen und furchtsam ihre Verhüllung an das Gesicht drückend, damit sie nicht erkannt würden. Anna empfand Mitleiden mit ihnen und beauftragte Rudolph den Harras und mich, den mißhandelten Fratzen einen Ausweg zu verschaffen, und so wurde ich meiner Rede enthoben. Dies störte übrigens nicht, da man gar nicht die Worte zählte und manchmal sogar die Schiller'schen Jamben mit eigenen Kraftausdrücken verzierte, so wie es die Bewegung eben mit sich brachte. Doch machte sich der Volkshumor im Schooße des Schauspieles selbst geltend, als es zum Schusse kam. Hier war seit undenklichen Zeiten, wenn bei Aufzügen die That des Tell auf derbe Weise vorgeführt wurde, der Scherz üblich gewesen, daß der Knabe während des Hin- und Herredens den Apfel vom Kopfe nahm und zum großen Jubel des Volkes gemüthlich verspeiste. Dies Vergnügen war auch hier wieder eingeschmuggelt 365 worden, und als Geßler den Jungen grimmig anfuhr, was das zu bedeuten hätte, erwiederte dieser keck: Herr! Mein Vater ist ein so guter Schütz, daß er sich schämen würde, auf einen so großen Apfel zu schießen! Legt mir einen auf, der nicht größer ist, als Euere Barmherzigkeit und der Vater wird ihn um so besser treffen! Als der Tell schoß, schien es ihm fast leid zu thun, daß er nicht seine Kugelbüchse zur Hand hatte und nur einen blinden Theaterschuß absenden konnte. Doch zitterte er wirklich und unwillkürlich, indem er anlegte, so sehr war er von der Ehre durchdrungen, diese geheiligte Handlung darstellen zu dürfen. Und als er dem Tyrannen den zweiten Pfeil drohend unter die Augen hielt, während alles Volk in athemloser Beklemmung zusah, da zitterte seine Hand wieder mit dem Pfeile, er durchbohrte den Geßler mit den Augen und seine Stimme erhob sich einen Augenblick lang mit solcher Gewalt der Leidenschaft, daß Geßler erblaßte und ein Schrecken über den ganzen Markt fuhr. Dann verbreitete sich ein frohes Gemurmel, tief tönend, man 366 schüttelte sich die Hände und sagte, der Wirth wäre ein ganzer Mann und so lange wir solche hätten, thue es nicht Noth! Doch ward der wackere Mann einstweilen gefänglich abgeführt und die Menge strömte aus dem Thore nach verschiedenen Seiten, theils um anderen Scenen beizuwohnen, theils um sich sonst vergnüglich umher zu treiben. Viele blieben auch im Orte, um dem Klange der Geigen nachzugehen, welche da und dort sich hören ließen. Auf die Mittagsstunde machte sich aber Alles bereit, auf dem Grütli einzutreffen, wo der Bund beschworen wurde, mit Weglassung der Schiller'schen Stellen, die sich auf die Nacht bezogen. Eine schöne Wiese an dem breiten Strom, von ansteigendem Gehölz umschlossen, war dazu bestimmt, wie auch der Strom überhaupt den See ersetzen mußte und den Fischern und Schiffsleuten zum Schauplatz diente. Anna setzte sich zu ihrem Vater in das Gefährt, ich ritt neben her und so begaben wir uns gemächlich auf den Weg dahin, um als Zuschauer auszuruhen und ausruhend zu genießen. Auf dem Grütli ging es sehr ernst und 367 feierlich her; während das bunte Volk auf den Abhängen unter den Bäumen umhersaß, tagten die Eidgenossen in der Tiefe. Man sah dort die eigentlichen wehrbaren Männer mit den großen Schwertern und Bärten, kräftige Jünglinge mit Morgensternen und die drei Führer in der Mitte. Alles begab sich auf das Beste und mit vielem Bewußtsein, der Fluß wogte breit glänzend und zufrieden vorüber; nur tadelte der Schulmeister, daß die Jungen und die Alten bei der feierlichen Handlung keinen Augenblick die Pfeifen aus dem Munde thäten, und kaum Walter Fürst und Stauffacher die ihrigen bei Seite gethan hätten; Melchthal aber, der viel Geld mit dem Ochsenhandel verdiente, rauchte eine Cigarre und der Pfarrer Rösselmann schnupfte unaufhörlich. Das störte in der That aber Niemand als den Schulmeister, welcher weder rauchte noch schnupfte.

Als der Schweizerbund unter donnerndem Zuruf des lebendigen Berges umher beschworen war, setzte sich die ganze Menge, Zuschauer und Spieler unter einander gemischt, in Bewegung; der größte Theil wogte wie eine Völkerwanderung 368 nach dem Städtchen, wo ein einfaches Mahl bereitet und fast jedes Haus in eine Herberge umgewandelt war, sei es für Freunde und Bekannte, sei es für Fremde gegen einen billigen Zehrpfennig; denn so unbefangen, wie wir die Aufzüge des Stückes durcheinander geworfen, hielten wir auch für gut, sie durch eine Erholungsstunde zu unterbrechen, um nachher die gewaltsamen Schlußereignisse mit desto frischerem Muthe herbeizuführen. Der eigentliche Festwirth hatte in Betracht des ungewöhnlich warmen Wetters rasch den Markt, oder besser gesagt, den ganzen und einzigen inneren Raum des Städtchens in einen Speisesaal umgeschaffen; lange Tischreihen waren errichtet und gedeckt für diejenigen der «Verkleideten» und sonstigen Ehrenpersonen, welche das gemeinsame Essen theilen wollten, die übrigen besetzten die Häuser und viele einzelne Tische, welche vor die Häuser gestellt waren. So gewann das Städtchen doch wieder das Ansehen einer einzigen Familie, aus allen Fenstern blickten die abgesonderten Gesellschaften auf die große Haupttafel, und diejenigen vor den Häusern sahen 369 bald wie unregelmäßige Verzweigungen derselben aus. Den Stoff zu den lauten Gesprächen lieh die allgemeine Theaterkritik, die sich über alle Tische verbreitete, und deren mündliche Artikel die Künstler selbst verfaßten. Diese Kritik befaßte sich weniger mit dem Inhalte des Dramas und mit der Darstellung desselben, als mit dem romantischen Aussehen der Helden und mit der Vergleichung mit ihrem gewöhnlichen Behaben. Daraus entstanden hundertfache scherzhafte Beziehungen und Anspielungen, von denen kaum der Tell allein frei gehalten wurde; denn dieser schien unangreifbar. Aber der Tyrann Geßler gerieth in ein solches Kreuzfeuer, daß er in der Hitze des Gefechtes einen kleinen Rausch trank und seinen blinden Ingrimm bald auf sehr natürliche Weise darzustellen im Stande war. Die heitersten Scherze veranlaßten die jungen Leute, welche in Frauentracht an der Tafel saßen. Es waren drei oder vier Burschen wie Milch und Blut, mit Sorgfalt gekleidet und benahmen sich sehr züchtig und zimpferlich; während sie verliebter und kecker Natur und angehende Don Juans 370 waren, ließen sie sich nun von ihren Cameraden, den ländlichen Cavalieren, spröde den Hof machen und ahmten auf's Beste die Art sittsamer Frauen nach. Die wirklichen Mädchen betrachteten aus der Entfernung ziemlich wohlgefällig ihre neuen Rivalinnen; doch wenn die verkleideten Schälke plötzlich sich unter sie mischten und ein mädchenhaft vertrauliches Wort flüstern wollten, fuhren sie schreiend auseinander. Aber dies alles belustigte mich nicht sehr, da ich mich genug um Anna zu kümmern hatte. Sie saß am Ehrenplatze zwischen ihrem Vater und dem Regierungsstatthalter, gegenüber dem Tell und seiner wirklichen anwesenden Ehefrau. Nachdem sie schon ihrer reizenden und vornehmen Erscheinung wegen die allgemeine Aufmerksamkeit erregt, machte sich nun auch der ehrbare Ruf ihres Vaters, ihre feine Erziehung und im Hintergrunde ihr artiges Erbe geltend; ich mußte zu meiner großen Bekümmerniß sehen, wie der Platz, wo sie saß, von allerhand hoffnungsvollen Gesellen belagert wurde, ja wie alle vier Facultäten sich bestrebten, dem gravitätischen Schulmeister zu Gefallen 371 zu leben. Ein frisch patentirter junger Doctor spielte den Erfahrenen, ein Jurist machte Witze, ein Vicarius verdrehte die Augen und sprach von der Poesie, wie eine Kuh von der Muscatnuß (um das Sprüchwort zu gebrauchen), und ein rationeller Landwirth, der die Philosophie vertrat, zog alle Augenblicke eine große Schweinsblase hervor, welche wenigstens funfzig Gulden in allen Silbersorten enthielt, und suchte mit starkem Gerassel einige Kreuzer, um einen Aufwärter zu bezahlen. Doch Alle waren stattliche blühende Bursche mit einer behaglichen Zukunft; ich war arm und hatte einen Beruf gewählt, der nicht nur mit ewiger Armuth verbunden war nach meinen eigenen Begriffen und zu meinem stolzen Vergnügen, sondern überhaupt bei allen diesen Leuten nichts gelten konnte, während der Stand eines jeden der vier Hoffnungsvollen, selbst wenn diese arm waren, großes Ansehen bei dem Volke genoß, wie Alles, was es nach seinen Begriffen für nothwendig hält und vom Staate controlirt oder besoldet sieht. Ich entdeckte daher zum ersten Mal mit Schrecken, welch' einer geschlossenen 372 Macht ich gegenüberstand. Anna war gegen Alle gleich freundlich, so unbefangen und offen, wie ich sie gar nie gesehen und am wenigsten gegen mich; aber obgleich mich gerade das hätte beruhigen sollen und ich überdies die ungewöhnlich edle Denkart des Schulmeisters kannte, so wurde es mir doch ganz heiß und ich beschuldigte sogleich die Weiber, daß sie unter dem Vorwande der Selbstverläugnung und des kindlichen Gehorsams es doch immer vorzögen, wenn auch unter heuchlerischen Thränen, sich unvermerkt dahin zu salviren, wo guter Rath und Wohlstand wäre, und wenn sie eine Ausnahme machten, so geschähe das weniger aus Liebe, als aus Eigensinn, welcher sich auch in Uebertreibung und Ungeberdigkeit alsobald kund gebe! Doch kam mir kein Gedanke an einen besonderen Vorwurf gegen Anna, weil mir Alles achtungswerth und nothwendig schien, was sie that oder je thun würde, und ich entschuldigte sie sogar im Voraus, wenn sie etwa in den Fall gerathen sollte, nach dem Willen ihres Vaters einem Angesehenen und Reichen ihre Hand zu geben. Auch achtete ich 373 diese ganze mächtige Volksschaft zu sehr und fühlte mich nur unbedeutend und unnütz in diesem Augenblicke. Betrübt erhob ich mich von meinem Sitze, wo ich zufällig zwischen zwei fremde Personen gerathen war, und schlenderte um die Tische herum, meine Vettern und Basen aufsuchend, die sich im vollen Jubel befanden. Sie waren zu sehr mit ihrer Freude beschäftigt, als daß sie meinen Trübsinn hätten bemerken können, und ich war nahe daran, in das empfindsame Mitleid mit mir selbst, das ich in früheren Tagen gekannt, zu verfallen, als Margot, die Braut, welche in stiller Glückseligkeit neben dem Müller saß, mich heranwinkte, mit freudestrahlenden und doch theilnehmenden Augen fragte, warum ich mich so einsam und düster umhertreibe, mich mit ungewohnter Herzlichkeit beim Arme nahm und an ihrem Stuhle festhielt. Ich hätte sie aus Dankbarkeit umhalsen und küssen mögen, zumal sie mir so schön und liebenswürdig vorkam, wie früher nie. Eine Braut zur Beschützerin zu haben, schien mir halb gewonnenes Spiel. Ich empfand sogleich eine warme und 374 treue Freundschaft für sie, und auch sie schien froh zu sein, die dünne Scheidewand der bisherigen Ironie zwischen uns fallen zu lassen und einen ihrem künftigen Hause ergebenen Vetter aus mir zu machen. Sie unterhielt sich fortwährend und angelegentlich mit mir und veranlaßte den Müller, an dem vertraulichen Geplauder Theil zu nehmen. Das that er denn auch mit freundschaftlicher Kraft, wir wurden herzlicher und offener gegen einander, kurz, ich glaubte endlich zu meinem großen Troste zu entdecken, daß man mich achtete und werth hielt. Zutraulich bei diesem hübschen Paare stehend, sah ich nun ruhiger über die Versammlung hin und rückte endlich ein Stück weiter, um mich bei dem Schulmeister und seiner Tochter einzufinden. Trotz des Vorkommnisses in der Gartenlaube war unser Verkehr nicht sehr fortgeschritten, wir wechselten kaum einige Worte, im Uebrigen blieben wir still und zufrieden in unserer gegenseitigen Nähe, und selbst heute hatten wir fast Nichts unmittelbar zu einander gesprochen. Als ich mich nachlässig hinter Anna's Stuhl lehnte, bot mir der Schulmeister, 375 während er mit den Nachbaren sprach, leichthin das Glas, wie man einem Angehörigen thut, den man oft sieht; seine Tochter kehrte sich nicht einmal um und fuhr fort, ihre Verehrer anzuhören. Das schmeichelte mir nun wieder, vor einer Viertelstunde hätte es meine Betrübniß vermehrt; ich schlug die Arme übereinander und hörte gelassen dem Gespräche zu. In ihrem Wetteifer waren die vier jungen Herren ein wenig kühn und prahlerisch geworden; ihre Studentenbildung und die Sitten ihres ländlichen Herkommens geriethen wunderlich durch einander, sie verloren ihren Takt gegenüber dem feinen Kinde, das sie wie eine Mücke zu fangen glaubten, sagten Dummheiten ohne alle Originalität und Anmuth, und als das Zeichen zum Aufbruch erklang, gaben sie Anna ihre Visitenkarten! Was das heißen sollte, wußte kein Mensch; Einer hatte angefangen, die Anderen wollten nicht zurückbleiben. Sie hatten diese Karten beim Abgange von der Universität machen lassen, wie sie es bei Anderen gesehen, die Hälfte davon gegen diejenigen ihrer Freunde vertauscht, indem sie einander besuchten, 376 wenn sie nicht zu Hause waren, die andere Hälfte war nun noch vorräthig, und obgleich hier zu Lande keine Visitenkarten abgegeben wurden, wenn die Leute nicht zu Hause waren, so trugen sie doch stets einige bei sich, wie die Habichte auf einen günstigen Zufall lauernd, wo sie eine derselben anbringen konnten. Jetzt hatten sie mit kühner Hand sich die Gelegenheit vom Zaun gebrochen und ohne Weiteres die glänzenden Dinger hervorgeholt. Anna hielt sie anscheinend bewunderungsvoll in der Hand; auf einem stand ªDr. med.¨, auf dem andern ªCand. jur.¨, auf dem des Vicars ªV. D. M.¨ Als Anna fragte, was Letzteres bedeute, lag es mir auf der Zunge, zu sagen: ªV¨erªD¨ammter ªM¨ucker! Denn der arme junge Priester war zwar ein sogenannter freisinniger Theologe, hatte aber von der Universität eine bedenkliche ästhetische Muckerei heimgebracht. Er erklärte aber, es hieße ªVerbi divini Minister.¨ Nur der rationelle Landwirth besaß keine Karte; dafür zog er noch einmal seine Blase heraus, setzte sie klirrend auf den Tisch, grub einen Franken aus derselben hervor und warf denselben 377 ohne alle Veranlassung einem Kinde hin. Ich bemerkte, daß dies von den Anwesenden sehr mißfällig angesehen wurde und triumphirte nun vollkommen in meinem schadenfrohen Gemüthe. Es kann mich aber vielleicht entschuldigen, daß alle Vier sechs bis sieben Jahre älter als ich und schon gereist waren; auch haben sie seither nach ihrem Wunsche achtbare und vermögliche Frauen bekommen und sind eben so tüchtige als geachtete junge Männer mit Ausnahme des Verbi divini Minister, welcher einen schlimmen Handel bekam und außer Landes ging.

Auf einmal kehrte sich Anna um und bat mich, ihr die Karten aufzubewahren; sie bemerkte lächelnd, ich möchte ja recht Sorge dazu tragen, und als ich sie einsteckte, war mir, als ob ich alle vier Helden in der Tasche trüge. Doch diese mochten auch bereits einsehen, daß sie einen unschicklichen und thörichten Streich begangen, und verloren sich aus unserer Umgebung; denn als kluger Bauern eben so kluge Söhnlein waren sie nur oberflächlich in solche Schnörkeleien hineingerathen 378 und so eben durch Anna's feines Wesen fälschlich zu deren Anwendung verlockt worden.

Während man nun von allen Seiten aufbrach, hatte sich in unserer Nähe, wo der Statthalter, Wilhelm Tell, der Wirth und andere Männer von Gewicht saßen, eine bedächtige Unterhandlung entsponnen. Es handelte sich um die Richtung einer neuen Straße erster Klasse, welche von der Hauptstadt her durch diese Gegend an die Gränze geführt werden sollte. Zwei verschiedene Pläne standen sich in Bezug auf unser engeres Gebiet entgegen, welche mit gleichwiegenden Vortheilen und Schwierigkeiten verbunden waren; die eine Richtung ging über eine gedehnte Anhöhe, fast zusammenfallend mit einer älteren Straße zweiten Ranges, mußte aber im Zickzack geführt werden und stellte bedeutende Kosten in Aussicht; die andere ging mehr gerad und eben über den Fluß, allein hier war das anzukaufende Land theurer und überdies ein Brückenbau nothwendig, so daß die Kosten also sich gleich kamen, während die Verkehrsverhältnisse die Wünschbarkeit ebenfalls ziemlich gleich vertheilten. Aber an 379 der älteren Straße auf der Anhöhe lag das Gasthaus des Tell, weit hinschauend und viel besucht von Geschäftsmännern und Fuhrleuten; durch die große Straße in der Niederung würde sich der Verkehr dort hingezogen haben und das alte berühmte Haus vereinsamt worden sein; daher sprach sich der wackere Tell, an der Spitze eines Anhanges anderer Bewohner der Anhöhe, energisch für die Nothwendigkeit aus, daß die neue Straße über dieselbe gezogen werde. In der Tiefe hingegen hatte ein reicher Holzhändler, die Schifffahrt abwärts benutzend, seine weitläufigen Räume angelegt, dem nun die Straße zum Transport aufwärts unentbehrlich schien. Er war seit einer Reihe von Jahren, schon in der Restaurationszeit, Mitglied des großen Rathes und einer jener Männer, die weniger ideellen Stoff in eine gesetzgebende Behörde bringen, als durch geschäftliche Sach- und Localkenntniß eben so schlichte als unentbehrliche und darum stehende Erscheinungen in denselben und jeder herrschenden Partei von Nutzen sind. Er war radical und stimmte in allen politischen Fragen im Sinne des Fortschrittes, 380 aber ohne viel Umstände, indem er mehr durch sein Beispiel, als durch Reden wirkte. Nur wenn eine Frage in den Geldbeutel eingriff, pflegte er die Debatte mit genauen Erörterungen und Bedenklichkeiten aufzuhalten; denn auch der Radicalismus war ihm ein Geschäft und er der Meinung, mit den äußersten Ersparnissen, die man den Kosten von sechs Unternehmungen abgezwackt, könne man eine siebente obendrein ermöglichen. Er wollte die Sache der Freiheit und Aufklärung nach der Weise eines klugen Fabrikanten betrieben wissen, welcher nicht darauf ausgeht, mit ungeheuren Kosten auf Ein Mal ein kolossales Prachtgebäude herzustellen, in welchem er die Arbeiter zur Noth beschäftigen könnte, sondern der es vorzieht, unscheinbare räucherige Gebäude, Werkstatt an Werkstatt, Schuppen an Schuppen zu reihen, wie es Bedürfniß und Gewinn erlauben, bald provisorisch, bald solid, nach und nach, aber immer rascher mit der Zeit, daß es raucht und dampft, pocht und hämmert an allen Ecken, während jeder Beschäftigte in dem lustigen Wirrsal seinen Griff und Tritt kennt. 381 Deswegen eiferte er immer gegen die schönen großen Schulhäuser, gegen die erhöhten Besoldungen der Lehrer u. dgl., weil ein Land, welches mit einer Menge bescheidener, aber mit allen Mitteln vollgepropfter Schulstuben gespickt sei, in bequemer Nähe überall, wo ein Paar Kinder wohnen, und wo an allen Ecken und Enden tapfer und emsig gelernt würde in aller Unscheinbarkeit, erst die wahre Cultur aufzeige. Der gravitätische Aufwand, behauptete der Holzhändler, behindere nur die tüchtige Bewegung; nicht ein goldenes Schwert thue Noth, dessen mit Edelsteinen besetzter Griff die Hand genire, sondern eine scharfe leichte Axt, deren hölzerner Stiel, vom rüstigen Gebrauche geglättet, der Hand vollkommen gerecht sei zur Vertheidigung wie zur Arbeit, und die ehrwürdige Politur an einem solchen Axtstiele sei ein viel schönerer Glanz, als Gold und Steine jenes Schwertgriffes darböten. Ein Volk, welches Paläste baue, bestelle sich nur zierliche Grabsteine, und der Wandelbarkeit könne noch am besten widerstanden werden, wenn man sich unter ihrem Panier schlau durch die Zeit 382 bugsire, leicht und behende; erst ein Volk, das dies begriffen, immer bewaffnet und marschfertig, ohne unnützes Gepäck, aber mit gefüllter Kriegskasse versehen sei, dessen Tempel, Palast, Festung und Wohnhaus in Einem Stück das leichte, luftige und doch unzerstörbare Wanderzelt seiner geistigen Erfahrung und Grundsätze sei, überall mitzuführen und aufzuschlagen, könne sich Hoffnung auf wahre Dauer machen, und selbst seinen geographischen Wohnsitz vermöge ein solches länger zu behaupten. Besonders von den Schweizern wäre es ein Unsinn, wenn sie ihre Berge mit schönen Gebäuden bekleben wollten; höchstens am Eingange wären allenfalls ein paar ansehnliche Städte zu dulden, sonst aber müßten wir es ganz der Natur überlassen, die Honneurs zu machen; dies sei nicht nur das Billigste, sondern auch das Klügste. Von den Künsten ließ er einzig Beredsamkeit und Gesang gelten, weil sie seinem «Wanderzelte» entsprachen, Nichts kosten und keinen Platz einnehmen. Sein eigenes Besitzthum sah ganz nach seinen Grundsätzen aus; Brenn- und Bauholz, Kohlen, Eisen und Steine 383 bildeten in ungeheuren Vorräthen ein großes Labyrinth, dazwischen kleine und große Gärten, denn wenn ein Platz für einen Sommer frei war, so wurde schnell Gemüse darauf gesäet; hie und da beschatteten mächtige Tannen, die er noch hatte stehen lassen, eine Sägemühle oder Schmiede. Sein Wohnhaus lag mehr wie eine Arbeiterhütte, als wie ein Herrenhaus dazwischen hingeworfen und seine Frauensleute mußten für ein bescheidenes Ziergärtchen einen fortwährenden Krieg führen und mit demselben stets um das Haus herum flüchten; bald wurde es an diese, bald an jene Ecke geschoben, von Hecken oder Geländern war auf dem ganzen Grundstück nichts zu sehen. Es lag ein großer Reichthum darin, aber dieser änderte täglich seine äußere Gestalt; selbst die Dächer von den Gebäuden verkaufte der Mann manchmal, wenn sich günstige Gelegenheit bot, und doch saß er seit langer Zeit auf diesem Besitze und die fragliche Straße schien demselben die Krone aufzusetzen; denn eine gute Straße dünkte ihm das beste Ding von der Welt, nur müsse sie ohne kostspielige Meilenzeiger und ohne Akazienbäumchen 384 und derlei Firlefanz sein. Auch war er fast immer auf der Straße in einem leichten, einfachen, aber vortrefflichen Fuhrwerke, dessen Remise ebenfalls auf steter Wanderung begriffen war und lediglich aus losen Bauhölzern bestand. Der Holzhändler meinte nun, der Wirth müsse oben seine Hütte zuschließen und einen Gasthof unten an die neue Straße und Brücke bauen, wo noch ein größerer Verkehr zu erwarten wäre, da hier noch die Schiffsleute hinzukämen. Allein der Wirth war der entgegengesetzten Gesinnung. Er saß in dem Hause seiner Väter; es war seit alten Zeiten immer ein Gasthaus gewesen; von seiner sonnigen Höhe war er gewohnt, über das Land hinzublicken und das Haus hatte er mit schönen Schweizergeschichten bemalen lassen. Von der Vertheidigung mit einer schlechten Axt wollte er nichts hören, dieselbe sei höchstens zum gelegentlichen Erschlagen eines Wolfenschießen gut; sonst bedurfte er einer trefflichen und fein gearbeiteten Büchse, die Uebung mit derselben war ihm der edelste Zeitvertreib. Er war auch der Meinung, ein freier Bürger 385 müsse arbeiten und sorgen, sich ein unabhängiges Auskommen zu schaffen und zu erhalten, aber nicht mehr als nöthig sei, und wenn die Sache in sicherem Gange, so zieme dem Mann eine anständige Ruhe, ein vernünftiges Wort beim Glase Wein, eine erbauliche Betrachtung der Vergangenheit des Landes und seiner Zukunft. Er betrieb einen beschränkten Weinhandel, nur mit gutem und werthvollem Wein, mehr gelegentlich als geschäftsmäßig; in seinem Hause ging Alles seinen Gang, ohne daß er viel umhersprang, wozu er auch zu beleibt war. Auch er war ein Mann des Rathes und der That, aber mehr in der moralischen Welt und in politischen Dingen ein einflußreicher Volksmann, ohne daß er im großen Rathe saß. Bei den Wahlen hörten Viele auf ihn; daher mochte die Regierung ihn so wenig gegen sich aufbringen als den Holzhändler. Sie hatte dem großen Rathe, behufs eines Gesetzes über den fraglichen Straßenbau, ihr Gutachten vorzulegen; man wünschte, daß der betreffende Nachtheil des Entscheides nicht den Behörden zur Last gelegt, sondern an Ort und Stelle 386 ausgekocht würde, und zu diesem Ende hin hatte der Statthalter diese Gelegenheit ergriffen, die beiden Männer an einander zu bringen und zu einer Verständigung aufzufordern. Der Statthalter war ein freundlicher und wohlbeleibter Mann mit einem hübschen Gesichte und vornehm grauen Haaren; er trug feine Wäsche und einen feinen Rock, an der feinen Hand goldene Ringe und lachte gern. Immer war er gelassen, führte seine Geschäfte mit Festigkeit durch, ohne sich auf die Gewalt zu berufen und als Regierungsperson zu brüsten. Er war sehr gebildet, allein davon zeigte er jederzeit nur so viel nöthig war und that dies auf eine Weise, als ob er den Bauern nur etwas erzählte, das er zufällig erfahren und sie eben so gut wissen könnten, wenn es sich just gefügt hätte. Mit seinem feinen Rock und seinen Manschetten ging er überall hin, wo ein Bauersmann hinging, nahm seinen Putz nicht in Acht dabei und verdarb ihn doch nicht. Zu den Leuten verhielt er sich nicht wie ein Vogt zu seinen Untergebenen, oder wie ein Offizier zu seinen Soldaten, auch nicht wie ein Vater zu den Kindern 387 oder ein Patriarch zu seinen Hirten, sondern unbefangen wie ein Mann, der mit dem Andern ein Geschäft zu verrichten und eine Pflicht zu erfüllen hat. Er strebte weder herablassend, noch leutselig zu sein, am wenigsten suchte er den besoldeten Diener des Volkes zu affectiren. Er gründete seine Festigkeit gar nicht auf die Amtsehre, sondern auf das Pflichtgefühl; doch wenn er nicht mehr sein wollte als ein Anderer, so wollte er auch nicht weniger sein. Oder vielmehr wollte er gar nicht, denn er war Alles, was er vorstellte. Und doch war er kein unabhängiger Mann; einer reichen, aber verschwenderischen Familie entsprossen und in seiner Jugend selbst ein lustiger Vogel, kehrte er mit erlangter Besonnenheit gerade in das väterliche Haus zurück, als dasselbe in Verfall gerieth; es war gar Nichts zu leben übrig geblieben, sein verkommener, lärmender Vater mußte noch erhalten werden, so sah sich der junge Mann genöthigt, gleich ein Amt zu suchen und war endlich unter vielen Wechseln und Erfahrungen Einer von Denen geworden, die ohne ihr Amt Bettler und Regierungspersonen 388 von Profession sind. Er konnt aber als eine Ehrenrettung und Verklärung dieser verrufenen Lebensart gelten; den ersten Schritt hatte er in der Jugend und in der Noth gethan, und als es nachher nicht mehr zu ändern war, zog er sich wenigstens mit Ehre und wahrer Klugheit aus der Sache. Der Schulmeister pflegte von ihm zu sagen: er sei Einer von den Wenigen, die durch das Regieren weise werden. Doch alle Weisheit half ihm jetzt nicht, den Holzhändler und den Wirth zu einer Verständigung zu bringen, damit er der Regierung berichten könne, welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein gewünscht werde. Jeder der beiden Männer vertheidigte hartnäckig seinen Vortheil; der Holzhändler hielt sich schlechtweg an den Vernunftgrund, daß die Wahl zwischen einer ebenen und geraden Linie und zwischen einem Berge heutzutage unzweifelhaft sein müsse, und barg so seinen eigenen Vortheil hinter die Vernunft; auch ließ er merken, daß er als Mitglied der Behörde derselben zum Siege zu verhelfen hoffe. Der Wirth dagegen sagte geradezu, er wolle sehen, ob er es 389 um die Regierung verdient habe, daß man ihm das Haus seiner Väter in eine Einöde setze! Herabzusteigen und an dem feuchten Wasser sich anzunisten, wie eine Fischotter, dazu werde man ihn nicht überreden; oben, wo es trocken und sonnig, sei er geboren, und dort werde er auch bleiben! Hierauf versetzte sein Gegner lächelnd: Das möge er unbehindert thun und von der Freiheit träumen, während er ein Unterthan seiner Vorurtheile sei; Andere zögen es vor, in der That frei zu sein und sich munter umherzutreiben. Schon fing die Gelassenheit an zu weichen und bei den beiderseitigen Anhängern Worte wie: Starrsinn und Eigennutz! laut zu werden, als ein fröhlicher Haufe den Tell zur Fortsetzung seiner Thaten abholte; denn er sollte noch auf die Platte springen und den Vogt erschießen. Etwas zornig brach er auf, indeß auch die Uebrigen sich zerstreuten und nur Anna mit ihrem Vater und ich sitzen blieben. Die Unterredung hatte einen peinlichen Eindruck auf mich gemacht; besonders am Wirth hatte mich dies unverholene Verfechten des eigenen Vortheiles, an diesem Tage und in solchem 390 Gewande gekränkt; diese Privatansprüche an ein öffentliches Werk, von vorleuchtenden Männern mit Heftigkeit unter sich behauptet, das Hervorkehren des persönlichen Verdienstes und Ansehens widersprachen durchaus dem Bilde, welches von dem unparteiischen und unberührten Wesen des Staates in mir war und das ich mir auch von den berühmten Volksmännern gemacht hatte. Ich äußerte diesen Eindruck in vorlauten Worten gegen Anna's Vater, hinzufügend, daß mir der Vorwurf der Kleinlichkeit, des Eigennutzes und der Engherzigkeit, welcher den Schweizern von fremden, namentlich deutschen Reisenden gemacht würde, nun bald gerecht erschiene. Der Schulmeister milderte in etwas meinen Tadel und forderte mich zur Duldsamkeit auf mit der menschlichen Unvollkommenheit, welche auch diese sonst wackeren Männer überschatte. Uebrigens, meinte er, sei nicht zu läugnen, daß unsere Freiheitsliebe noch zu sehr ein Gewächs der Scholle sei und daß unseren Fortschrittsmännern die wahre Religiösität fehle, welche in das schwere politische Leben jenen heiteren, frommen, liebevollen Leichtsinn 391 bringe, der aus warmem Gottvertrauen entspringe und erst die rechte Opferfreudigkeit, die allerfreieste Beweglichkeit von Leib und Seele möglich mache. Wenn unsere fleißigen Männer einmal einsähen, daß im Evangelio noch eine viel aufgewecktere und schönere Beweglichkeit gelehrt würde, als diejenige sei, welche der Holzhändler predige, so werde das Politisiren noch viel erklecklicher von Statten gehen und erst die reifen Früchte bringen. Ich wollte eben hiergegen mein rundes Veto einlegen, als Jemand mir auf die Achsel klopfte; als ich mich umwandte, stand der Statthalter hinter uns, welcher freundlich sagte: Obgleich ich nicht der Ansicht bin, daß man in einer guten Republik stark auf die Meinungen der Jugend achte, so lange die Alten das Salz nicht verloren haben und Thoren geworden sind, so will ich doch versuchen, junger Herr! euren Kummer zu lindern, damit euch über vermeintlichen trüben Erfahrungen nicht dieser schöne Tag zu Schanden gehe; zudem habt ihr noch nicht einmal jenes Jugendalter erreicht, welches ich eigentlich meine, und da ihr schon so 392 kräftig zu tadeln wißt, so versteht ihr gewiß noch eben so gut zu lernen. Vor Allem freut es mich, euch in Betreff der beiden Männer, welche so eben weggingen, euren Muth wieder aufzurichten; es mögen allerdings nicht Alle gleich sein in unserem Schweizerlande; doch vom Herrn Cantonsrath sowohl, wie vom Leuenwirth mögt ihr sicher glauben, daß sie Hab und Gut sowohl dem Lande in Gefahr hingeben, als es Einer für den Andern opfern würde, wenn er in's Unglück geriethe, und das vielleicht gerade desto unbedenklicher, als der Andere sich heut kräftiger um die Straße gewehrt hat. Sodann merkt euch für eure künftige Tage, wer seinen Vortheil nicht mit unverholener Hand zu erringen und zu wahren versteht, der wird auch nie im Stande sein, seinem Nächsten aus freier That einen Vortheil zu verschaffen! Denn es ist (hier schien sich der Statthalter mehr an den Schulmeister zu wenden) ein großer Unterschied zwischen dem freien Preisgeben oder Mittheilen eines erworbenen, errungenen Gutes und zwischen dem trägen Fahrenlassen dessen, was man nie besessen hat oder 393 dem Entsagen auf das, was man zu schwächlich ist, zu vertheidigen. Jenes gleicht dem wohlthätigen Gebrauche eines wohlerworbenen Vermögens, dieses aber der Verschleuderung ererbter oder gefundener Reichthümer. Einer, der immer und ewig entsagt, überall sanftmüthig hintenansteht, mag ein guter harmloser Mensch sein; aber Niemand wird es ihm Dank wissen und von ihm sagen: Dieser hat mir einen Vortheil verschafft! Denn dieses kann, wie schon gesagt, nur der thun, der den Vortheil erst zu erwerben und zu behaupten weiß. Wo man dies aber mit frischem Muthe und ohne Heuchelei thut, da scheint mir Gesundheit zu herrschen, und gelegentlich ein tüchtiger Zank um den Vortheil ein Zeichen von Gesundheit zu sein. Wo man nicht frei heraus für seinen Nutzen und für sein Gut einstehen kann, da möchte ich mich nicht niederlassen; denn da ist nichts zu erholen, als die magere Bettelsuppe der Verstellung, der Gnadenseligkeit und der romantischen Verderbniß, da entsagen Alle, weil Allen die Trauben zu sauer sind, und die Fuchsschwänze schlagen mit bittersüßem Wedeln um die dürren 394 Flanken. Was aber die Meinung der Fremden betrifft (hier wandte er sich wieder mehr an mich), so werdet ihr einst auf euren Reisen lernen, weniger darauf zu achten. Man macht den Engländern und den Amerikanern die gleichen Vorwürfe der Engherzigkeit, des Eigennutzes; uns, die wir als kleine Schaar unter den Tadlern leben, hängt man scharfsinniger Weise noch die Kleinlichkeit an; wenn ihr aber einst die Gränzen überschreitet, so werdet ihr erleben, daß der große Sinn nicht mit den Quadratmeilen zunimmt, und wo etwas dergleichen in den Lüften zu schweben scheint, es eigentlich nur ein trügerischer Wolkenmantel der Unentschlossenheit und der Verzweiflung ist.

Nach dieser Rede schüttelte uns der Statthalter die Hände und entfernte sich. Ich war indessen nicht überzeugt worden, so wenig als dem Schulmeister die Wendung des Gesprächs zu behagen schien. Doch kamen wir darin überein, daß er ein liebenswürdiger und kluger Mann sei, und indem ich ihm, mich durch seine Ansprache geehrt fühlend, wohlwollend nachblickte, pries ich 395 ihn gegen den Schulmeister als einen verdienstvollen und daher gewiß glücklichen Mann. Der Schulmeister schüttelte aber den Kopf, und meinte, es wäre nicht Alles Gold, was glänze. Er hatte seit einiger Zeit angefangen, mich zu dutzen und fuhr daher jetzt fort: Da du ein nachdenklicher Jüngling bist, so gebührt es dir auch, früher als Viele einen Blick in das Leben der Menschen zu gewinnen; denn ich halte dafür, daß die Kenntniß recht vieler Fälle und Gestaltungen jungen Leuten mehr nützt, als alle moralischen Theorien; diese kommen erst dem Manne von Erfahrung zu, gewissermaßen als eine Entschädigung für das, was nicht mehr zu ändern ist. Der Statthalter eifert nur darum so sehr gegen das, was er Entsagung nennt, weil er selbst eine Art Entsagender ist, d. h. weil er selbst diejenige Wirksamkeit geopfert hat, die ihn erst glücklich machen würde und seinen Eigenschaften entspräche. Obgleich diese Selbstverläugnung in meinen Augen eine Tugend ist und er in seiner jetzigen Wirksamkeit so verdienstlich und nützlich dasteht, als er es kaum anderswie könnte, so ist er doch nicht 396 dieser Meinung und er hat manchmal so düstere und prüfungsreiche Stunden, wie man es seiner heiteren und freundlichen Weise nicht zumuthen würde. Von Natur nämlich ist er eben so feuriger Gemüthsart, als von einem großen und klaren Verstande begabt, und daher mehr dazu geschaffen, im Kampfe der Grundsätze beim Aufeinanderplatzen der Geister einen tapferen Führer abzugeben und im Großen Menschen zu bestimmen, als in ein und demselben Amte ein stehender Verwalter zu sein. Allein er hat nicht den Muth, auf einen Tag brotlos zu werden, er hat gar keine Ahnung davon, wie sich die Vögel und die Lilien des Feldes ohne ein fixes Einkommen nähren und kleiden, und daher hat er sich der Geltendmachung seiner eigenen Meinungen begeben. Schon mehr als ein Mal, wenn durch den Parteienkampf Regierungswechsel herbeigeführt wurden und der siegende Theil den unterlegenen durch ungesetzliche Maßregeln zwacken wollte, hat er sich wie ein Ehrenmann in seinem Amte dagegen gestemmt, aber das, was er seinem Temperament nach am liebsten gethan hätte, nämlich 397 der Regierung sein Amt vor die Füße zu werfen, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen und mittelst seiner Einsicht und seiner Energie die Gewalthaber wieder dahin zu jagen, von wannen sie gekommen: das hat er unterlassen, und dies Unterlassen kostet ihm zehnmal mehr Mühe und Bitterkeit, als seine ununterbrochene arbeitsvolle Amtsführung. Den Landleuten gegenüber braucht er nur zu leben, wie er es thut, um in seiner Würde fest zu stehen. Bei den Behörden aber und in der Hauptstadt braucht es manches verbindliche Lächeln, manche, wenn auch noch so unschuldige Schnörkelei, wo er lieber sagen würde: Herr! Sie sind ein großer Narr! oder: Herr! Sie scheinen ein Spitzbube zu sein! Denn wie gesagt, er hat ein dunkles Grauen vor dem, was man Brotlosigkeit nennt.

Aber zum Teufel! sagte ich, sind denn unsere Herren Regenten zu irgend einer Zeit etwas Anderes, als ein Stück Volk und leben wir nicht in einer Republik?

Allerdings, mein lieber Sohn! erwiederte der Schulmeister; allein es bleibt eine wunderbare 398 Thatsache, wie besonders in neuerer Zeit ein solches Stück Volk, ein repräsentativer Körper durch den einfachen Prozeß der Wahl sogleich etwas ganz merkwürdig Verschiedenes wird, eines Theils immer noch Volk, und andern Theils etwas dem ganz Entgegengesetztes, fast Feindliches wird. Es ist wie mit einer chemischen Materie, welche durch das bloße Eintauchen eines Stäbchens, ja sogar durch bloßes Stehen auf geheimnißvolle Weise sich in ihrem ganzen Wesen verändert. Manchmal will es fast scheinen, als ob die alten patricischen Regierungen mehr den Grundcharakter ihres Volkes zu zeigen und zu bewahren vermochten. Aber lasse dich ja nicht etwa verführen, unsere repräsentative Demokratie nicht für die beste Verfassung zu halten! Besagte Erscheinung dient bei einem gesunden Volke nur zu einer wohlthätigen Heiterkeit, da es sich mit aller Gemüthsruhe den Spaß macht, die wunderbar verwandelte Materie manchmal etwas zu rütteln, die Phiole gegen das Licht zu halten, prüfend hindurch zu gucken, und sie am Ende doch zu seinem Nutzen zu verwenden.

399 Den Schulmeister unterbrechend, fragte ich, ob denn der Statthalter als ein Mann von solchen Kenntnissen und solchem Verstande sich nicht reichlicher durch eine Privatthätigkeit ernähren könnte als durch ein Amt? Worauf er antwortete: daß er dies nicht kann, oder nicht zu können glaubt, ist wahrscheinlich eben das Geheimniß seiner Lebenslage! Der freie Erwerb ist eine Sache, für welche manchen Menschen der Sinn sehr spät, manchen gar nie aufgeht. Vielen ist es ein einfacher Tick, dessen Verständniß ihnen durch ein Handumdrehen, durch Zufall und Glück gekommen, Vielen ist es eine langsam zu erringende Kunst. Wer nicht in seiner Jugend durch Uebung und Vorbild seiner Umgebung, so zu sagen, durch die Ueberlieferung seines Geburtshauses, oder sonst im rechten Moment den rechten Fleck erwischt, wo der Tick liegt, der muß manchmal bis in sein vierzigstes oder funfzigstes Jahr ein umhergeworfener und bettelhafter Mensch sein, oft stirbt er als ein sogenannter Lump. Viele Personen des Staates, welche zeitlebens tüchtige Angestellte waren, haben keinen Begriff vom Erwerbe; 400 denn alle öffentlich Besoldeten bilden unter sich ein Phalansterium, sie theilen die Arbeit unter sich und Jeder bezieht aus den allgemeinen Einkünften seinen Lebensbedarf ohne weitere Sorge um Regen oder Sonnenschein, Mißwachs, Krieg oder Frieden, Gelingen oder Scheitern. Sie stehen so als eine ganz verschiedene Welt dem Volke gegenüber, dessen öffentliche Einrichtung sie verwalten. Diese Welt hat für Solche, die von jeher darin lebten, etwas Entnervendes in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit. Sie kennen die Arbeit, die Gewissenhaftigkeit, die Sparsamkeit, aber sie wissen nicht, wie die runde Summe, welche sie als Lohn erhalten, im Wind und Wetter der Koncurrenz zusammengekommen ist. Mancher ist sein Leben lang ein fleißiger Richter und Executor in Geldsachen gewesen, der es nie dazu brächte, einen Wechsel auf seinen Namen in Umlauf zu setzen. Wer essen will, der soll auch arbeiten; ob aber der verdiente Lohn der Arbeit sicher und ohne Sorgen sein, oder ob er außer der einfachen Arbeit noch ein Ergebniß der Sorge, des Geschickes und dadurch zum Gewinnst werden soll, 401 welches von beiden das Vernünftige und von höherer Absicht dem Menschen Bestimmte sei: das zu entscheiden wage ich nicht, vielleicht wird es die Zukunft thun. Aber wir haben beide Arten in unseren Zuständen und dadurch ein verworrenes Gemisch von Abhängigkeit und Freiheit und von verschiedenen Anschauungen. Der Statthalter glaubt sich abhängig und enthält sich während jeder Krise mit edlem Stolze gleichmäßig aller eigenen Kundgebung und weiß dabei nicht einmal, wie Viele sich bemühen, hinter seinem Rücken seine innersten Gedanken zu erfahren, um sich danach zu richten.

Ich empfand eine große Theilnahme für den Statthalter und ehrte ihn aufrichtig, ohne mir darüber Rechenschaft geben zu können; denn ich mißbilligte höchlich seine Scheu vor der Armuth, und erst später ward es mir klar, daß er das Schwerste gelöst habe: eine gezwungene Stellung ganz so auszufüllen, als ob er dazu allein gemacht wäre, ohne mürrisch oder gar gemein zu werden. Indessen waren mir die Reden des Schulmeisters über das Erwerben und über den 402 rechten Tick keine lieblich Musik; es wurde mir ängstlich, ob ich diesen auch erwischen würde, da ich einzusehen begann, daß für alles dies rüstige Volk die Freiheit erst ein Gut war, wenn es sich seines Brotes versichert hatte, und ich fühlte vor den langen nun leeren Tischreihen, daß selbst dieses Fest bei hungrigem Magen und leerem Beutel ein sehr trübseliges gewesen wäre. Ich war froh, daß wir endlich aufbrachen. Anna's Vater schlug vor, wir Beide sollten uns zu ihm in's Fuhrwerk setzen, damit wir zusammen dem Schauspiele nachführen; doch gab sie den Wunsch zu erkennen, lieber noch ein Mal den Schimmel zu besteigen und noch ein wenig hinaus zu reiten, da es später unter keinem Vorwande mehr geschehen würde. Hiermit war der Schulmeister auch zufrieden und erklärte: so wolle er wenigstens mit uns fahren, bis er etwa Gelegenheit finde, einer bejahrten Person den Heimweg zu erleichtern, da ihn die Jungen alle im Stiche ließen. Ich aber lief mit frohen Gedanken nach dem Hause, wo unsere Pferde standen, ließ dieselben auf die Straße bringen, und als ich Anna in 403 den Sattel half, klopfte mir das Herz vor heftigem Vergnügen und stand wieder still vor angenehmem Schreck, weil ich voraussah, bald allein neben ihr durch die Landschaft zu reiten.

 

(Dieses Kapitel wurde seiner Länge wegen unterteilt. Fortsetzung mit Kapitel 8a)

 


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