••
035 Sonette. I.
An einen Schulgenossen.
«Wohin hat dich dein guter Stern gezogen,
O Schulgenoß aus ersten Knabenjahren?
Wie weit sind auseinander wir gefahren
In unsern Schifflein auf des Lebens Wogen!»
«Wenn wir die Untersten der Klasse waren,
Wie haben wir treuherzig uns betrogen,
Erfinderisch und schwärm'risch uns belogen
Von Aventüren, Liebschaft und Gefahren!»
Da seh' ich just, beim Schimmer der Laterne,
Wie mir gebückt, zerlumpt, ein Vagabund
Mit einem Häscher scheu vorübergeht –:
«So also wendeten sich unsre Sterne?
Und so hat es gewuchert, unser Pfund?
Du bist ein Spitzbub worden, ich – Poet!»
• 036 Sonette. II.
An einen Freund.
Du, der so lang im Herzen mich geborgen,
Mit allen meinen grämlichen Gebrechen,
Mit meinen hastig immer neuen Schwächen,
Mit allen meinen wunderlichen Sorgen;
Die Hand verzeihend botest jeden Morgen,
Wenn ich die Nacht vorher mit blindem Stechen,
Mit ungerechtem, stachelscharfen Sprechen
Dir schnitt in's Herz, so treu und unverborgen;
Nicht um zu spähn nach Tadel oder Lobe,
Will ich dir diese Lieder übersenden,
Die zagend unter meiner Hand erblassen:
Nein, nur zur letzten, schwersten Freundesprobe!
Ich muß mich gegen deinen Glauben wenden –
Wirst du mich darum endlich doch verlassen?
•• 037 Sonette. III.
An einen Zweiten (Künstler).
Ich sehe dich mit lässig sichrer Hand
Den feinen Nacken einer Göttin schreiben,
Dazu den Hohn um deine Lippen treiben:
«'Sist Nichts dahinter!» oder «eitler Tand!»
Seh' dich zu hinterst an der Schenke Wand
Bis Mitternacht bei den Gesellen bleiben;
Dein Schwarzaug' sucht des Witzes breite Scheiben,
Jedoch dein schöner Mund des Bechers Rand.
Du schlenderst heim, ein leichtes Liedlein pfeifend,
Drückst in die Kissen deine dunklen Locken,
Bald steigt im Traum dir neuer Schwank empor.
Zeigt er dir mich, in wachen Träumen schweifend,
Enthusiastisch bei den Büchern hocken?
Schon schwirrt dein Traumgelächter mir im Ohr –.
•• 038 Sonette. IV.
Winterabend.
Schneebleich lag eine Leiche, und es trank
Daneben ein Geselle unverdrossen,
Bis endlich ihm der Himmel aufgeschlossen,
Und er berauscht zu ihr auf's Lager sank.
Von rothem Wein den Becher voll und blank
Bot er dem Todten; bald war übergossen
Das Grabgesicht und purpurn überflossen
Das Leichenhemd; so trieb er tollen Schwank.
Die trunkne, rothe Sonne übergießt
Im Sinken dieses schneeverhüllte Land,
Daß Rosenschein von allen Hügeln fließt;
Von Purpur trieft der Erde Grabgewand:
Doch die verblaßte Leichenlippe thut,
Erstarrt, sich nimmer auf der rothen Fluth.
Im Mittagsbrand, auf des Gebirges Grat
Schlief unter alten Föhren müd ich ein;
Ich schlief und träumte bis zum Abendschein
Von leerem Hoffen und verlorner That.
Schlaftrunken und verwirrt erwacht' ich spat:
Geröthet war ringsum Gebüsch und Hain,
Des Urgebirges Eishaubt und Gebein,
Der Horizont ein sprühend Feuerrad.
Und rascher fühlt' ich meine Pulse gehen:
Ich hielt die Gluth für lichtes Morgenroth,
Erharrend nur der Sonne Auferstehen.
Doch Berg um Berg versank in Schlaf und Tod,
Die Nacht stieg auf mit frostig leisem Wehen
Und mir auch ward's im Herzen kalt und todt.
•• 040 Sonette. VI.
Wirklichkeit.
So manchmal irre werd' ich an der Stunde,
An Tag und Jahr, ach, an der ganzen Zeit;
Es gährt, es tost: doch mitten auf dem Grunde
Ist es so still, so kalt, so zugeschneit.
Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,
Die Zukunft preisend mit beredtem Munde?
Es rollt heran und schleudert, o wie weit,
Euch rückwärts! – Ihr versinkt im alten Schlunde.
Und dennoch kann die Hoffnung nie verlieren!
Sind auch noch viele Nächte zu durchträumen,
Zu schlafen, zu durchwachen – zu durchfrieren:
So wahr erzürnte Wasser müssen schäumen,
Muß, ob der tiefsten Nacht, Tag triumphiren,
Und sieh: schon bricht es roth aus Wolkensäumen!
••
041 Sonette. VII.
In der Stadt.
1.
Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäul und lärmenden Gedränge.
Die Wachparad' mit gellen Trommelschlägen,
Ein Hochzeitzug mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge:
Das Alles stockt, kein Glied mehr kann sich regen.
Verstummt sind Geiger, Pfaff' und Trommelschläger;
Der dicke Hauptmann flucht, daß Niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Hochzeitzug.
Doch oben, auf den Schultern schwarzer Träger,
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.
•• 042 Sonette. VIII.
In der Stadt. 2.
Was ist das für ein Schrei'n und Peitschenknallen?
Die Fenster zittern von der Hufe Klang;
Zwölf Rosse keuchen an dem straffen Strang
Und Fuhrmannsflüche durch die Gasse schallen.
Der auf den freien Bergen ist gefallen:
Dem todten Waldeskönig gilt der Drang;
Da schleppen sie, wohl dreißig Ellen lang,
Die Rieseneiche durch die dumpfen Hallen!
Der Zug hält unter meinem Fenster an,
Denn es gebricht zum Wenden ihm an Raum;
Verwundert drängt der Pöbel sich heran:
Er weidet sich an der gebrochnen Kraft;
Da liegt entkrönt der sturmgefeite Baum!
Aus seinen Wunden quillt der frische Saft.
•• 043 Sonette. IX.
Vaterländische Sonette. 1.
Die schweizerische Nationalität.
Volksthum und Sprache sind das Jugendland
Darin die Völker wachsen und gedeihen,
Das Mutterhaus, nach dem sie sehnend schreien
Wenn sie verschlagen sind auf fremden Strand.
Doch manchmal werden sie zum Gängelband,
Sogar zur Kette um den Hals der Freien:
Dann treiben Längsterwachsne Spielereien,
Gelenkt von der Tyrannen schlauer Hand.
Hier trenne sich der langvereinte Strom!
Versiegend schwinde der im alten Staube,
Der Andre breche sich ein neues Bette.
Denn Einen Pred'ger nur verträgt der Dom:
Das ist die Freiheit, der polit'sche Glaube!
Der löst und sprengt die eingewachsne Kette.
•• 044 Sonette. X.
Vaterländische Sonette. 2.
Das Eidgenossen-Volk.
Wie ist denn wohl der Diamant entstanden:
Zu unvergänglich alldurchdrungner Einheit,
Zu ungetrübter, strahlenreicher Reinheit,
Gefestiget von unsichtbaren Banden?
Wenn aus der Völker Schwellen und Versanden
Ein Neues sich zu einem Ganzen einreiht,
Wenn Freiheitslieb' es dann zum Volke einweiht,
Wo Gleichgesinnte ihre Heimat fanden:
Wer will denn da noch rütteln dran und feilen?
Zu spät, zu spät! schon ist's ein Diamant,
Der nicht mehr ist zu trüben und zu theilen.
Und wenn, wie man im Edelstein erkannt,
Darin noch kleine, dunkle Körper weilen,
So sind sie fest umgossen und gebannt.
•• 045 Sonette. XI.
Vaterländische Sonette. 3.
Warnung.
Ja, du bist frei, mein Volk! – von Eisenketten;
Kein Fürst, kein Adel schmiedet dir die Bande;
Frei von des Vorrechts unduldbarer Schande,
Und fröhlich magst du deinen Wohlstand betten.
Doch nicht kann dies dich vor der Knechtschaft retten,
Der schwarzen – die im weißen Schaafsgewande
An allen Thüren lauscht im Schweizerlande,
Sich als Polyp an jedes Herz zu kletten!
Wenn du nicht tapfer magst den Geist entbinden
Von alles Dunsts erstickender Umhüllung,
Nicht heilig deiner freien Einsicht pflegen:
So wird der Feind stets offne Thore finden,
All deiner Hoffnung rauben die Erfüllung,
All dein gefördert Werk in Asche legen!
•• 046 Sonette. XII.
Vaterländische Sonette. 4.
Den Konservativen.
«Wo ist ein Volk, so frei von allen Plagen,
Die andrer Völker traurig Erbtheil sind,
Ein blühender, glücksel'ger Heldenkind,
Als unser Schweizervölklein, zu erfragen?
«Und doch, wie fiebrisch seine Pulse schlagen!
Für seiner Freiheit Ueberfülle blind,
Hascht übermüthig es nach leerem Wind!
Wann enden seine undankbaren Klagen?»
So sprechen jene silberblanken Motten,
Die so gemüthlich in dem Rauchwerk nisten,
Dem alten, köstlichen, und es zernagen.
«Nur eben Euch noch gilt es auszurotten!
(So sprechen Wir, die radikalen Christen,)
«Mit Schimpf und Schmach euch aus dem Pelz zu jagen!»
•• 047 Sonette. XIII.
Vaterländische Sonette. 5.
Zur Verständigung.
«Du bist ein Schreier, bist ein frecher Prahler,
Ein Drescher mehr auf ausgedroschnen Halmen,
Ein Räuchlein mehr in den Empörungs-Qualmen,
Ein Vielversprecher und ein Wenigzahler.»
Gemach, gemach, Philisterschwarm, du kahler!
Bei dir nicht such' und find' ich meine Palmen;
Säng' ich, ein David, dir die feinsten Psalmen,
Sie dünkten, durch dein Lob, mich so viel schaaler.
Ich geb' es zu, ich habe viel geschrieen,
Bin dumpfes Echo von geweihtern Tönen,
Und nur die gute Sache mag mich tragen:
Doch ist's mein Herzblut, das ich ausgespieen!
Der Schlachtschrei, der beim Angriff muß erdröhnen:
Auf diesen folgt ein regelrechtes Schlagen!
•• 048 Sonette. XIV.
Vaterländische Sonette. 6.
Den christlichen Griesgrämlern.
Ihr nennt uns Träumer, Schwindler, junge Thoren,
Wenn ehrlich wir nach Licht und Wahrheit streben:
Ja, euren Namen habt ihr uns gegeben;
So merket auf mit hochgehobnen Ohren!
Wir haben uns bescheidentlich erkoren,
Dem Volk zu lichten nur dies ird'sche Leben:
Ihr laßt verhungernd es gen Himmel schweben!
Wer sind die Schwindler nun? – Ihr, alte Thoren!
Und – wenn die Sterne uns geheim erzählen
Von ew'gem Frühling, von Unsterblichkeit:
Was geht das euch denn an in unsrer Zeit?
Wir lassen uns das Sonnenlicht nicht stehlen,
Noch unsre Lampe, die die Nacht erhellt:
Denn uns gehört die ganze, schöne Welt!
•• 049 Sonette. XV.
Vaterländische Sonette. 7.
Die zwei Tellenschüsse.
Ob sie geschehn? das ist hier nicht zu fragen;
Die Perle jeder Fabel ist der Sinn.
Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin,
Der reife Kern von allen Völkersagen.
Es war der erste Schuß ein Alleswagen,
Kind, Leib und Gut, an köstlichen Gewinn:
«Blick' her, Tyrann! was ich nur hab' und bin,
Will ich bei'm Ersten in die Schanze schlagen!
«Und du stehst leer und heillos, wie du bist,
Und lässest fühllos dir am Herzen rütteln,
Und spiegelst höhnisch dich in meinem Blut?
«Und immer: Nein?! – Verlaufen ist die Frist!
Verflucht sei deines Haubtes ewig Schütteln!
O zweiter, heilger Schuß, nun triff mir gut!»
•• 050 Sonette. XVI.
Den Göthe-Philistern.
«Nur Ordnung, Anmuth!» tönt es immerdar.
Wer spricht von Ordnung wo die Berge wanken?
Wer spricht von Anmuth während die Gedanken
Noch schutzlos irren mit zerrauftem Haar?
Noch kämpfen wir, durchringend Jahr um Jahr,
Noch thut uns noth ein scharf, ob unschön, Zanken,
Durch dieses Zeitenwaldes wirre Ranken
Lacht eine Zukunftsau' uns noch nicht klar.
Und Göthe ist ein Kleinod, das im Kriege
Man still begräbt im untersten Gewölbe,
Es bergend vor der rauhen Feindeshand:
Doch ist der Feind verjagt, nach heißem Siege
Holt man erinnerungsfroh hervor dasselbe
Und bringts zum Ehrenplatz an seine Wand.
•• 051 Sonette. XVII.
Brentano, Kerner.
«Was sind das für possirliche Gesellen
In blutgen Locken und mit Räucherpfannen?
Ob sie nach Schätzen graben? Geister bannen?
Sie lassen sonderbare Töne gellen.
«Sahst du dem Einen rothes Blut entquellen,
Indeß dem Andern stille Thränen rannen?
Sie huschen leis, gespensterhaft von dannen
Auf dieser Zeiten grundempörten Wellen.
«Auch scheinen sie ein hölzern Schwert zu tragen
Und um die Stirn ein üppiges Geflecht,
Strohkränze, draus die feinsten Rosen ragen?»
Sie ziehen gen die Sonne in's Gefecht –
Freund! das sind Dichter; laß' sie ungeschlagen!
Denn Dichter, weißt du – haben immer Recht.
•• 052 Sonette. XVIII.
Herwegh.
Schäum' brausend auf! – Wir haben lang gedürstet,
Du Goldpokal, nach einem jungen Wein:
Da traf in Dir ein guter Jahrgang ein!
Wir haben was getrunken, was gebürstet!
Noch immer steht Zwing-Uri stolz gefirstet,
Noch ist das Land ein kalter Todtenschrein
Der schweigend harrt auf seinen Osterschein –:
Zum Wecker bist vor Vielen Du gefürstet!
Doch wenn nach Sturm der Friedensbogen lacht,
Wenn der Dämonen finstre Schaar bezwungen,
Zurückgescheucht in ihres Ursprungs Nacht:
Dann soll Dein Lied, das uns nur Sturm gesungen,
Erst voll erblühn in reicher Frühlingspracht!
Nur durch den Winter wird der Lenz errungen.
• 053 Sonette. XIX.
Subjektives Dichten.
Erst wollte ich mit vieler Mühe flechten
'Ne lange Geißel lederner Terzinen,
Mit breitem Klatsch die Kläffer zu bedienen,
Die mit dem Ich in unsern Liedern rechten.
Ein Pinsel aber möge das verfechten,
Was solchen engen Herzen krumm erschienen!
Und feige wär's, nach jedes Kunzen Mienen
Zu drehen sich und gar das Lied zu knechten.
Ein wunderlicher Kauz ist der Poet,
Der das, was alle Andern bloß empfinden,
Mit wunderlichen Worten sagen kann;
Wenn's nun in seinem Namen besser geht,
Wie möget ihr ein Aergerniß da finden,
Ihr eigensüchtig Volk: Er, Sie, Es, Man?
•• 054 Sonette. XX.
Der deutsche Freiheitskrieg.
Du deutsches Volk mit deinem Löwenzorn,
Wie du Vernichtung schwurst den argen Franken,
Hochschwanger gingst mit riesigen Gedanken,
Begeistert aus der Freiheit Feuerborn;
Ein Sankt-Georg mit eingedrücktem Sporn,
Den Feind zurückwarfst über seine Schranken,
In großer Heldeneintracht sonder Wanken
Doch – in der Wunde ließest deinen Dorn:
Wie hoch wir um dein Heldenblut dich ehren,
Doch mahnst du uns an jenen närr'schen Tropf,
– Lass' dirs gesagt sein lachend und mit Zähren –
Der, als die Laus ihn biß in seinen Schopf,
Sich gegen solche Plackerei zu wehren,
Mit Ingrimm kratzte auf des Nachbars Kopf.
• 055 Sonette. XXI.
Auch an die «Ichel.» 1.
«Ich mach' die Seelen selig, Ich allein!»
Spricht Rom. Lang hielt ich diesen Hokus-Spruch
Für das Erbärmlichste, was je in's Buch
Der Sünde schrieb das Erdenelend ein.
Da kommet ihr, euch würdig anzureihn,
Und sprecht: Ein Ende macht das Leichentuch!
Der Jenseitsglaube ist ein dürrer Fluch,
Hier laßt uns Hütten baun, hier ist gut sein!
Auch ich glaub' wandellos: Hier ist gut wohnen;
Auf! laßt uns sehn, wie wir zurecht uns finden:
Die Menschenseele ist zum Glück bestimmt.
Was aber ward und wird aus den Millionen,
Die unversöhnt, bleich, siech von hinnen schwinden? –
Wie pitoyabel euer Lichtlein glimmt!
•• 056 Sonette. XXII.
Auch an die «Ichel.» 2.
Wer ohne Schmerz, der ist auch ohne Liebe,
Wer ohne Leid, der ist auch ohne Treu',
Und dem nur wird die Sonne wolkenfrei,
Der aus dem Dunkel ringt mit heißem Triebe.
Bei euch ist nichts, als lärmendes Geschiebe,
In wildem Tummel trollt ihr euch herbei,
Meßt vor dem Geist das Erdreich sonder Scheu,
Als ob zu hoffen kein Kolumb mehr bliebe.
Euch ist der eigne Leichnam noch nicht klar,
Ihr kennet kaum den Wurm zu euren Füßen,
Die Blume nicht, die sproßt aus eurem Grab:
Und dennoch krönt ihr schon mit Stroh das Haar,
Als Eintagsgötter stolz euch zu begrüßen –;
Der Zweifel fehlt euch –: das bricht euch den Stab!
•• 057 Sonette. XXIII.
Auch an die «Ichel.» 3.
Es ist nicht Selbstsucht und nicht Eitelkeit,
Was sehnend mir das Herz grabüber trägt;
Was mir die kühngeschwungne Brücke schlägt,
Ist wohl der Stolz, der mich vom Staub befreit.
Sie ist so kurz, die grüne Erdenzeit,
Unendlich aber, was den Geist bewegt!
'sMuß wenig sein, was ihr im Busen hegt,
Da ihr so satt hier, so vergnüglich seid.
Und wenn auch einst die Freiheit ist errungen,
Die Menschheit hoch, wie eine Rose, blüht,
Ihr tiefster Kelch vom Sonnenlicht durchdrungen:
Das Sehnen bleibt, das uns hinüberzieht!
Das Nachtigallenlied ist nicht verklungen,
Bei dessen Klang die Rosenknosp' erglüht.
058 Sonette. XXIV.
Auch an die «Ichel.» 4.
Wenn ein Poet ein Stück vom ew'gen Leben
Im Herzen trägt schon hier als Morgengabe,
Wenn in Verklärung alle Dinge schweben,
Die er berührt mit seinem Zauberstabe,
Und er den Blick nach dem, was über'm Grabe,
Unsterblichkeitgetränkt, nicht mag erheben:
O, was er auch im Rausch gesungen habe -
Euch soll es drum kein gültig Zeugniß geben!
Wenn, sonnend sich auf seinem Maienthron,
Buntschillernd eine Schlange sich erhebt,
So ist sie mit den Blumen Poesie:
Jedoch der Atheist von Profession,
Der nur vom Atheismus-Knochen lebt,
Ist eine eingefleischte Blasphemie.
•• 059 Sonette. XXV.
Reformation.
Im Bauch der Pyramide tief begraben,
In einer Mumie schwarzer Todtenhand
War's, daß man alte Waizenkörner fand,
Die dort Jahrtausende geschlummert haben.
Und prüfend nahm man diese seltnen Gaben
Und warf sie in lebendig Ackerland;
Und siehe da: die gold'ne Saat erstand,
An der sich Herz und Auge konnt' erlaben!
So blüht die Frucht dem späten Enkelkinde,
Die mit dem Ahnen schlief in Grabesschooß; –
Das Sterben ist ein endlos Auferstehen.
Wer hindert nun, daß wieder man entwinde
Der Kirche Mumienhand, was sie verschloß:
Das Wort des Lebens, wieder es zu säen?