François Wille (1811-1896) |
Politiker, wohnhaft auf dem Gut Mariafeld in Meilen (ZH);
mit Keller befreundet
Anzahl registrierte Briefe: 23 an, 13 von Keller (27 ZB Zürich)
<ZB: Ms. GK Ms. GK 78k (Nr. 8); GB 4, S. 113>
Zürich Enge 22 VIII. 76
Geehrter Herr Doctor.
Die Selbsterhaltung hat mich gezwungen, Ihren letzten werthen Brief etwas liegen zu lassen, da ich unfehlbar Manuskript
abzuliefern hatte, das erste meiner neuen Zeitrechnung.
Mit der Besprechung des Ludwig'schen Buches hat es eine gewisse Schwierigkeit für mich, weil ich die Hauptsache, nämlich die Technik der Oelmalerei, nicht verstehe. Ich habe zwar einst selbst gemalt u habe vor, mir bald wiedereinmal was zu malen zu dekorativen Zwecken; aber ich habe den Witz eben nie recht gelernt u verstanden u darum davon abspringen müssen. Ich muß also vermeiden, Dinge zu sagen, welche unrichtig oder | das gerade Gegentheil der Wahrheit sind, wenn ich nicht eine verkehrte Wirkung mit meiner Besprechung erzielen will.
Da ich im September nach München gehe, um die Ausstellung zu besuchen, so werde ich mich daselbst über fraglichen Theil des Inhaltes etwas zu orientiren suchen. Denn bei aller Wahrheit und Verdienstlichkeit der allgemeinen Grundsätze, wie sie in dem Buch enthalten sind, ist es eben doch möglich, daß es in wichtigen Dingen unberechtigte Schrullen enthält, wie es schon eine Schrulle ist, das L. durchaus nur alte Poussins malen will. Es liegt hierin ein gewisser Anspruch, der seinerseits wieder eine Donquichotiade ist, wenn auch eine unschuldige u liebeswürdige. | Wenn L. nur ein bischen moderner und ordinärer sein wollte, so hätte er mit dem, was er wirklich kann, längst eine glücklichere u dabei selbständige Stellung erreicht als Künstler. Natürlich werden Sie ihm diese Bemerkungen nicht mittheilen. Es ist hiezu zu spät u würde nur weh thun.
Ich muß mir also noch etwas Zeit nehmen, wenn ich Ihrem Wunsche auf eine zweckmäßige Weise entsprechen will. Was einen Besuch betrifft, so werde ich gelegentlich etwa sonntägliche Dampfschifffahrten unternehmen u auf einer solchen Tour nachsehen, ob Sie zuhause sind. Ist es alsdann nicht der Fall, so hat es nichts zu sagen; man setzt den Spaziergang einfach fort nach Küsnacht oder Meilen.
Ihr ergeb
G. Keller.