Friedrich Theodor Vischer (1807-1887)

Editorial


 

1855-1866 Professor für Ästhetik an der Universität und an der Polytechnischen Hochschule in Zürich; ab 1866 in Tübingen.
Mit Keller befreundet; Briefwechsel ab 1870, aufgenommen in Zusammenhang mit Sieben Legenden.

1874 Bedeutende Keller-Monographie in der Allgemeinen Zeitung


 

 

1. 10. 1871  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: Vischer A:41855; GB 3.1, S. 127>

Zürich 1 Oct. 1871.

Hochverehrter Herr und hoffentlich immer noch Freund u Gönner!
 
sEntschuldigen Sie mich vor Allem wenn die Adresse dieses Briefes mit Bezug auf Ihnen zukommende Titel nicht vollständig ist und belehren Sie mich gütigst, wenn Sie überhaupt zu einer freundlichen Antwort die Muße finden!

     Der Anlaß, der mich treibt, die Zahl der Sie stets heimsuchenden literarischen Plagegeister zu vermehren, ist folgender: Herr Ferd. Weibert, Inhaber der Göschen'schen Verlagshandlung in Stuttgart hat mich auf außerordentlich freundliche u schmeichelhafte Weise aufgefordert, ihm etwas in den Verlag zu liefern. Das hat mich nun wirklich | auf den Gedanken gebracht, nachzusehen und dem Herren ein kleineres Werklein anzuvertrauen, das nur noch einer corrigirenden Abschrift bedarf. Nun ist es aber nicht selten, daß solche freundliche u agressive Verleger gerade hinsichtlich der Temporalia nicht die zuverlässigsten und loyalsten sind, wie denn z. B. Scheffel Schlimmes erdulden mußte. Ich erlaube mir deshalb, eine kleine vertrauliche Information bei Ihnen anzustellen. Ich möchte bei Leibe nicht Ihnen zumuthen, Nachfrage zu halten u wünschte dies nicht einmal; nur wenn etwas Ungünstiges, Abmahnendes bereits verlautbar sein sollte (ist das nicht schön gesagt?), so würde ich Sie um geheime Kundgebung in zwei Worten bitten. Wenn man so wenig zu drucken hat, so mag man es eben nicht noch mit Verdruß und Schaden thun. Alles dies natürlich der Respektabilität | des Herrn W. unbeschadet.

     Da ich einmal auf den Wegen der Unverschämtheit wandle, so will ich Sie gleich noch ein wenig weiter plagen. Das Büchlein, um das es sich handelt, würden jene ironisch reproducirten 7 Legenden sein, von denen Sie, wenn ich nicht irre, mich vor Jahren auch haben vorlesen hören bei Wesendonks. Als Titel dächte ich mir, auf alte Heiligenbilder anspielend, zu setzen "Auf Goldgrund, sieben Legenden von N. N" Hielten Sie diesen Titel für affektirt, oder irreführend, oder läppisch usw? Ferner ist eine kleine Vermittlung nöthig bei dem "plötzlichen" Gegenstand. Wäre ein kurzes ebenfalls humoristisches Vorwort, etwa des Inhalts, der Verfasser habe einmal in einer Stimmung, wo man sage, es sei zum Katholischwerden, sich wirklich mit diesem Gedanken beschäftigt und deshalb das Leben der Heiligen, die acta sanctorum, die Kirchenväter studirt; vorliegende Legenden seien solche Quellenstudien; da er aber sich wieder anders besonnen, | so sei das Unternehmen liegen geblieben usw usw - wäre ein solches Vorwort taktlos, mißverständlich oder schädlich und thäte man besser, gar nichts zu sagen? Am meisten fürchte ich, die Kritik würde den Vorwurf des Heinisirens machen, obwohl mit Unrecht; denn vor Heine war Voltaire u vor diesem Lucian da und wegen aller Dieser kann sich der spätere Wurm doch regen.

     Ein par Worte von Ihnen würden mich sehr erfreuen; seien Sie so knapp u abtrumpfend als möglich!

     Ich kann dem erwähnten Werklein bald endlich den zweiten Band L. v. Seldwyla folgen lassen mit fünf ordentlichen Erzählungen.

     Ich möchte Ihnen gern einläßlich zum Krieg u deutschen Reich gratuliren und über die Franzosenbornirtheit fluchen, die sich beim großen Haufen in unserer alten Schweiz breit machte u noch glimmt, aber das würde mich jetzt zu weit führen.

     Mit herzlichen Grüßen Ihr ergeb.

                                               Gottfr. Keller  

  


 

18. 10. 1871  Friedrich Theodor Vischer an Keller

<ZB: Ms. GK 79f3 Nr. 226; GB 3.1, S. 129>

Stuttgart 18. Oct. 1871.
Kepplerstraße 34.

Verehrter Freund!
 
Recht herzlich hat es mich gefreut, einmal einen Brief von Ihnen zu bekommen als directes Zeugniß, daß ich bei Ihnen in freundlichem Andenken bin. Auch mein Sohn hat mir dankbar erzählt, wie freundlich Sie gegen ihn gewesen sind. Was mich aber ganz besonders freut, das ist, daß die Welt endlich einmal wieder, etwas von Ihnen zu lesen bekommen soll. In meinem Schreibtisch liegt ein Blatt Papier mit einigen fast erloschenen Bleistift-Notizen, - etwa 14 Jahre alt. Es war ein erster Anlauf zu einem Concept für eine Anzeige der Leute von Seldwyla. Ich wollte mit der Ausführung warten, bis etwas Neues von Ihnen erschienen wäre. Eigentlich war es nicht recht, wohl etwas aufschiebende Faulheit, doch diese nicht so stark, daß ich sie nicht überwunden hätte, wenn ein neuer Schub gekommen wäre. - Ich kann betheuern, daß ich dieß nicht aus Eitelkeit sage, - daß es nicht bedeuten soll: "sieh, so bist du um das gekommen" etc., behüte! nur chronometrisch | ist es gemeint, nur als Zeit-Elegie, - nur ein bischen wohlweis, sanft flötender Predigtklang. Aber also bravo! daß es jetzt in's Laufen kommt. Dem Weibert ein Verdienst-Orden erster Klasse mit Eichenlaub! Um zur Beantwortung Ihrer Fragen zu gelangen: ich weiß für jetzt nichts über ihn, will mit der Antwort nicht zögern u. habe doch in den paar Tagen seit m. Rückkehr noch Niemand gefunden, den ich fragen könnte. Wir wollen es so halten: wenn in 14 Tagen kein Brief von mir kommt, der Nachtheiliges meldet, so machen Sie Ihren Contract.

     "Auf Goldgrund"? Ich wäre nicht dafür. 1.) Weil ich gegen die Titel bin, die aus Satztheilen bestehen. Sie sind unbequem. "Haben Sie ""Auf Goldgrund"" gelesen?" - Was sagen Sie über ""Auf Goldgrund""? Oder: "G. K. schrieb hierauf Legenden - auf Goldgrund - oder: ""Auf Goldgrund"". 2.) Es klingt ironisch. Nun werden freilich die Legenden selbst Ironie auf die Legende sein; aber nicht so, wie plumbe Köpfe es verstehen, sondern eine gemüthliche Ironie, eine Ironie, die den wirklichen Goldgrund der Liebe hat. Die | scharfe Kürze eines Titels aber könnte den Schein einer Ironie ohne solche schöne Grundlage mit sich führen, könnte zu sagen scheinen: gebt einmal Acht, was das für ein Goldgrund sein wird. Man könnte zwar sagen: wenn Sie einfach setzen: 7 Legenden von G. K., so klingt das eben auch recht ironisch; - wohl, aber es ist nicht so zugespitzt markirend, wie: "Auf Goldgrund!"; es gibt gleich zu denken, so daß man sich fragt: was Donnerwetter, mögen das für Legenden sein von G. K.!, aber es enthält diesen Anreiz doch nur in der stillen Form objectiv gehaltenen Titelstils. Kurz: "Auf Goldgrund" klingt mir zu subjectiv, zu erregt u. erregend, auffordernd.

     Nicht so bestimmt weiß ich auf die Frage betreffs eines humoristischen Vorworts zu erwidern. Das eine Mal will mir scheinen, es wäre besser, Sie ließen die Legenden ganz für sich sprechen, das andremal meine ich, es wäre Schade um das nette Vorwort, wenn es wegbliebe. Es wäre selbst so eine kleine Legende, die von Ihrer Hand gewiß allerliebst ausfiele. Doch will mir immer wieder das erste Gefühl die Oberhand gewinnen. Je objectiver Alles, je besser. Sie müßten das Vorwort doch ein bischen ausspinnen, dann würde es leicht zu viel Erfindung; wollten Sie es aber | ganz kurz halten, so würde es scharf ironisch abschnappen, was eben auch dem wirklichen Sinn der Novellen - der gemüthlichen Ironie - nicht recht entspräche.

     Und also auch ein zweiter Band Leute von Seldwyla soll bald folgen, - trefflich! Ich schleck schon den Mund danach aus. Ihr Name ist schon lang in Ehren bei Vielen, aber noch lang nicht genug in die Weite anerkannt. Die zwei Frühlingsregen Ihrer neuen Publicationen werden die Decke wegfegen, die sich durch langes Schweigen über ihn gelegt hatte, er wird der Majorität sichtbar werden oder, gemein prosaisch zu reden, erst recht in's große Publikum dringen - wie es eben denn doch sein soll u. ihm gebührt.

     Ich hab gar oft an Sie gedacht bei der Umwälzung in Zürich u. dann während unseres Krieges. Ich besorgte damals, Sie werden um's Amt gekommen sein, u. freute mich, zu hören, daß Sie geblieben u. ausdauern, bis wieder die Bildung u. Vernunft an's Ruder kommt. Daß Sie im deutschen Krieg nicht bei den "Neutralen" sein werden, war ich von Anfang überzeugt. Der Sieg Deutschlands kommt doch gewiß mittelbar auch der Schweiz zu gute, denn daß Deutschland den europ. Frieden will, ist doch gewiß kein leeres Geschwätz. Wer den Nachbar nicht in Ruhe läßt, bedroht jeden Nachbar, ein mürb geschlagenes Frankreich neben sich zu haben kann der Schweiz nur erwünscht sein.

     Wenn Sie in Safran bei H. Reg-rath Wild sitzen, grüßen Sie ihn auch recht schön von mir. Das Grüße-Aufgeben wäre weitläufig, diesen aber setze ich her als Zeugniß, daß ich oft im Geist mit Ihnen kneipe. Vor Allem aber herzlichen Gruß an Sie von Ihrem ergebenen Fr. Vischer. |

Nachschrift.

Weibert höchst solid. - Aus guter Quelle.

                                               Noch einmal herzlichen Gruß
                                               von
                                               Fr. Vischer.
20. Oct. 1871

  


 

22. 3. 1872  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: Vischer 41857, zit. nach Kopie: Ms. GK 78l Nr. 2; GB 3.1, S. 132>

 

Hochverehrter Freund u Herr!
 
Endlich bin ich im Stande, Ihnen auf Ihre in Zürich mir geschenkten vielfachen reichen Geistesgaben wenigstens anfangsweise mit einem kleinen Kümmerling zu antworten, den ich heute unter Band an Sie abgeschickt habe. Ich habe aber jetzt Angst, daß das kleine Wesen als eine Narrheit oder Kinderei werde aufgefaßt werden in seiner Isolirung u Plötzlichkeit. | Ihre freundlichen u guten Räthe betreffend Titel u Vorwort habe ich, wie Sie sehen, weislich befolgt. Etwas Vorwort glaubte ich doch anfertigen zu müssen, um einer allzu großen Willkür in Beschreibung oder Erwähnung des Büchleins wenigstens das Loch zuzumachen. Nachträglich danke ich Ihnen aber herzlichst für jenen wohlwollenden Brief und die gute Information, mit welcher Sie sich bemüht haben. Hoffentlich kann ich bald ein dickeres Buch drucken lassen, um die Scharte dieser lückenbüßerischen Legenden auszuwetzen. | Ich habe letzten Sonntag bei Frau Heim, welche sich als Protectrice aufspielte, eine 2½stündige Geschichte vorgelesen u einige ähnliche liegen schon auf Lager. Madame Wesendonck ist im Zorn von Zürich abgefahren, weil man eine Tragödie nicht lobte, die sie gemacht. Ich selbst bin in höchste Ungnade gefallen, weil ich ihr abgerathen, sie drucken zu lassen. Sie machte mir förmlich schriftliche Grobheiten; ich war zerknirscht. Nun will | ich mich an Frau Heim halten, ich glaube, sie macht keine Manuskripte.

     Grüßen Sie mir Ihren freundlichen u liebenswürdigen Herren Sohn auf's Beste, wenn Sie ihn in der Nähe haben.

     Bei diesem Brief werden Sie nicht aus der Gewohnheit kommen, die Leute immer von sich an Sie schreiben zu sehen. Aber ich weiß dato gar nichts von Ihnen.

     Behalten Sie ein wenig im Andenken Ihren achtungsvoll
                                               u freundschaftl. ergebenen
                                               G. Keller
Zürich 22. III. 72.

  


 

2. 4. 1872  Friedrich Theodor Vischer an Keller

<ZB: Ms. GK 79f3 Nr. 220; GB 3.1, S. 133>

  

Verehrter Freund!
 
Für heute nur Weniges; es ist noch Vacanzzeit u. ich reise zu meinem Bruder aufs Land. Ihre Legenden, für deren Zusendung ich herzlich danke, sind zwar kein ganzer Beweis, was Sie können, aber so unzweifelhaft originale Poesie, daß ich recht Lust habe, sie anzuzeigen, - wiewohl nicht ohne einige Kriteleien, im Wesentlichen aber einfach mit dem Prädicat des Herzerfreuenden. Kommt aber bald mehr, so wird es besser sein, zu warten; es folgen vermuthlich Novellen? Dann könnte man den Dichter betrachten wie er es auf dem realen Boden treibt, gegenüber seiner Lebenswahrheit, Schwung, Styl u. | Humor auf dem mythisch-phantastischen Boden.

     Grüßen Sie bestens Frau Heim; ich denke Sie mir gar gern wie Sie dort sitzen u. meiner altbewährten Freundin u. liebenswürdigem Beichtmütterli vorlesen.

     Für heute nur diese paar eiligen Zeilen! Bitte um Nachricht, wann etwa Weiteres erscheinen wird. Da der Philister doch der breite Teig des Publikums-Kuchen ist, so wär's gut, wenn bald etwas käme, das auch dieser versteht, woran auch dieser sich erfreut.

     Mein Sohn dankt herzlich für Ihren freundlichen Gruß.

                                               In alter Freundschaft
                                               Ihr F. Vischer.
2. April 1872

  


 

19. 5. 1872  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: Vischer A: 41856; GB 3.1, S. 133>

Zürich 19 Mai 1872.

Verehrter Freund!
 
Die Muße eines trüben Pfingstmontags abschließend habe ich eben den Vortrag über Krieg u Künste fertig gelesen, den Sie mir durch den Hrn. Verleger gütigst haben zukommen lassen. Ich gratulire Ihnen neuerdings zu den stoffgebenden Ereignissen u sodann des Werkleins wegen selbst, das auf seinem Felde ein würdiges Monument bildet und mit der Theorie des Vorwortes zusammen wiederum eine interessante Studie ist.

     Die Theorie freilich, oder wenn man es einfacher eine Maxime nennen will, wird wohl von einem gewissen Virtuosenthum | bestritten werden, welches nicht nur das letzte Wort niederschreibt und auswendig lernt, sondern auch an jeder Stelle Hebung u Senkung der Stimme, sogar ein Lächeln etc. vorauseingeübt u festgestellt hat und den Eindruck der Unmittelbarkeit trotzdem zu machen behauptet; freilich auch beim größten Theile der Hörer, wie sie unsere Sääle fassen, auch machen - in Abwesenheit der Katze!

     Ich bin Ihnen auch noch meinen Dank schuldig für die freundliche Entgegennahme der Legendchen. Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, einmal ein wenig in's Gericht zu gehen mit meinen Sachen, so ist es mir sehr lieb, wenn Sie noch Einiges abwarten wollen; der 2t. Band Seldwyla soll bis zum Herbst erscheinen. Auch ist noch einiges | andere da, womit ich bei günstigen Zeitläufen gelegentlich abschließen kann. Glauben Sie alsdann eine bestimmte Figur von mir zu haben, so wird es mir allerdings zur großen Freude gereichen, gleich weit von unmotivirter günstiger Voreingenommenheit sogenannter Talententdecker u von der malitiösen Kühle Fernstehender entfernt einmal sachlich behandelt zu werden und dabei zu lernen.

     Mit den Legenden geht es mir seltsam; ich glaubte die Freiheit der Stoffwahl damit zu behaupten gegenüber dem Terrorismus des äußerlich Zeitgemäßen, immerhin aber eine deutliche gut protestantische Verspottung katholischer Mythologie zu begehen. Nun lese ich heute, wie ein junger Landsmann, der Dr. Stiefel, den Sie auch kennen, | der viel zu mir in's Haus kam u mich genau kennen kann, in der Wiener "freien Presse" aus dem Büchlein eine Art schmählicher Denunciation à la Wolfgang Menzel gegen mich schmiedet! Es scheint überhaupt zuweilen, als ob die jungen Aesthetiker jetzt dociren u schreiben, ehe sie lesen können, oder aber ein angehendes hinterlistiges Pfaffenthum bilden, welches das Wetter machen will. Mündlich muß ich diese unglücklichen 7 Geschichtchen auf alle mögliche Art commentiren u erklären. Um so deutlicher werde ich in den nächsten Sachen für manche Leute sein.

     Die tragi-komische Geschichte mit dem alten Aufsäß, der in Straßburg mit einer Hundepfeife nach Wasser pfeift, während solches im Zimmer steht, damit eine patriotische Feier stört, zu welcher er extra gereist ist, von alten Patrioten für einen auspfeifenden Franzosen gehalten u geholzt wird ist eine ganz Jean Paul'sche Schnurre o weh der Raum geht aus. Machen Sie's fertig. Ihr G. Keller

  


 

31. 1. 1875 / 29. 6. 1875  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: A: Vischer 41859; GB 3.1, S. 136>

Zürich 31 Januar 75.

Lieber u verehrter Herr u Freund!
 
Ein glücklicher Zufall hat gewollt, daß ich heut schon in stiller Sonntagsruhe das Papier zurecht gelegt hatte, um an Sie zu schreiben, als ich Ihre freundliche Sendung erhielt, wodurch wenigstens mein schlechtes Gewissen etwas beschwichtigt wurde.

            Das Anerbieten des Herrn Engelhorn ist mir sehr schmeichelhaft; allein ich kann schwerlich darauf eingehen, weil ich für die spontanen Eingebungen kaum Zeit gewinne u überdies wegen meiner amtlichen Stellung die Betreibung eigentlich industrieller Schriftstellerei, wie die Textlieferung zu rein buchhändlerischen Unternehmungen doch ist, sich nicht schicken u zu böswilligen Anschuldigungen über meine Zeitverwendung Anlaß bieten würde etc. Ich danke Ihnen inzwischen bestens für die wohlwollende Vermittlung.

            Ihre Arbeit über meine Wenigkeit habe ich noch in Wien angefangen zu lesen, kam dann in's Tirol, wo eine englisch-wienerische Alteburg-Bewohnerin (Matzen bei Brixlegg) die sämmtlichen | Nummern hatte und stolz darauf war, den Gegenstand einer solch' stattlichen Auseinandersetzung persönlich betrachten zu können.

            Ich statte Ihnen jetzt spät aber darum nicht minder herzlich meinen Dank ab für Alles was Sie so freundlich, aufmunternd, und auch im kritischen Theil so nutzbringend und sachgemäß gesagt haben. Es ist die erste wirklich eingehende Arbeit dieser Art, die ich erlebt habe u es hat mich Alles gefreut, namentlich auch die humane Art, wie Sie das Compositions-Uebel am grünen Heinrich behandelten. Es verpflichtet mich diese Großmuth, den tragikomischen u naiv-dummen Hergang gelegentlich doch einzugestehen u zu beschreiben. Vielleicht kann ich mit dergleichen das Curriculum vitae bestehen, zu dem ich mich leichtsinniger Weise von Lindau habe engagiren lassen; denn ich habe ja fast nichts gemacht u gelebt, was sich dort sagen ließe, namentlich nach solchen 24 Pfündern, wie Sie einen abgefeuert. Bei diesem Anlaß muß ich Lamberts gedenken. Er hat ächt salomonisch bei Pfarrer Lang den Handel wegen des Druckfehlers damit geschlichtet, daß er ihm angab, er sei ermächtigt zu verkünden, das Wort klar gehöre dem Alexander Schweizer u gediegen dem Hrn. Lang. Ich hab' gedacht, s' ist am besten, man theilt's! sagte er mit drolligem Gesicht, das Sie kennen! Ich mußte sehr lachen. |

                                                           den 29 Juni 1875

Sie sehen, verehrter Freund, was mir die casuistisch frömmliche Präambel oben genützt hat! Ein halbes Jahr Unterbruch. Heute bin ich zur endlichen Fortsetzung aufgestachelt worden durch den frischen Fleiß u muntern Styl Ihres Sohnes, von dem mir wieder eine Arbeit in die Hände kam. Wie ein kleiner fetter fauler Hamlet sehe ich diesen jungen Fortinbras mit seinen Gewaffneten vorüberstürmen!

            Zuerst muß ich Mörikes gedenken, dessen Tod ich nicht zur Zeit, sondern nachträglich vernommen d. h. aus sekundären Zeitungsnotizen errathen habe. Wie sich ein stiller Berggeist aus einer Gegend verzieht, ohne daß man es weiß. Wenn sein Tod nun seine Werke nicht unter die Leute bringt, so ist ihnen nicht zu helfen, nämlich den Leuten!

            Emil Kuh, von dem Sie mir geschrieben hatten, ist mir voriges Jahr nicht mehr zu Gesicht gekommen, da meine Reisezeit- u Lust vorüber war. Ich hörte in Wien, daß er etwas ermüdend sei im persönlichen Verkehr. Als brieflicher Freund ist er liebenswürdig u mittheilsam, | eine Tugend, die sonst aus der Welt verschwunden ist unter den jüngern Autoren. Das schreibt möglichst kurze Billets, immer nur Geschäft, wie wenn jede ungedruckte u unhonorirte Zeile ein Verlust wäre.

            Wegen Ihrer Aufsätze über meine Siebensachen muß ich aber doch ein bischen Widerbellen, natürlich nur unter uns, in zwei Punkten <,> Ihre strafende Bemerkung über gewisse Unzukömmlichkeiten, Batzen, wie Sie's nennen, sind mir nur an zwei Orten verständlich u auch da sind die vermeintlichen Schweinereien eine tragikomische Folge einer an sich harmlosen Künstelei, die dadurch bestraft wurde.

            Nämlich die "Nasenzöpfe" in einer der Legenden, mit diesen verhält es sich so. Ich wollte, unter dem Eindruck des Krieges, nationale Tendenzen hineingeheimnissen. Guhl der Geschwinde (Guhl allemannisch Hahn z. B. bei Hebel) sollte Frankreich vorstellen, Maus, der Zahllose, den Panslavismus, welche die Muttergottes als deutscher Recke successive besiegt. Das äußere Wesen des Slavischen sollte unter anderm durch allerlei gezopftes Haar- u Schnauzwerk gemalt sein u da dachte ich mir als Uebertreibung wirkliche lange barbarische Nasenhaare als Zöpfchen u es fiel mir nicht im Traum ein, daß etwas wirklich Eckelerregendes, wie Nasenschleim u d. gl. in's Spiel komme. | Die andere Stelle ist in den gerechten Kammmachern, wo einer derselben ruft: Ich sehe, wie die verehrl. Jungfer Bünzlin mir wollüstig zuwinkt u die Hand auf - das Herz legt, sollte es heißen. Hier sollte der Witz darin bestehen, daß der Tölpel sagen wollte, liebreich oder zärtlich zuwinkt, u aus Unkenntniß der Sprache das Wort wollüstig gebraucht, wobei aber die falsche Prüde sofort eine nicht zu duldende Unanständigkeit oder Sauerei versteht u ihn unterbricht, aus gleicher Dummheit. Anstatt den Satz "die Hand auf's Herz legt" ruhig auszuschreiben, wollte ich drastischer unterbrechen, ohne zu merken, wie vertrakt die Sache aufgefaßt werden kann. Ich sah das erst nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe. Als ich die Correktur der zweiten Auflage erhielt, sah ich die scheinbare Zote wieder u wollte sie corigiren, vergaß es aber glücklich! So strafen sich die allzu ausgedüftelten Schnurren!

            Eine kleine Berichtigung muß ich noch anbringen wegen des Spiegel das Kätzchen. Dieses Mährchen ist stofflich ganz erfunden | und hat keine andere Unterlage, als das Sprüchwort "der Katze den Schmeer abkaufen", welches meine Mutter von einem unvortheilhaften Einkaufe auf dem Markte zu brauchen pflegte. Wo das Sprüchlein herkam, wußte weder sie noch ich u ich habe die Composition darüber ohne alles Vorgelesene oder Vorgehörte gemacht. Nun aber nehmen Sie diese verjährten Quängeleien nicht übel!

            Die letzte Seldwyler Geschichte haben Sie wie ich bei der Frau Heim hörte, zu tendenziös u lokal gefunden. Ich glaube der Hauptfehler liegt darin, daß es eigentlich ein kleiner Romanstoff ist, der novellistisch nicht wohl abgewandelt werden kann. Daher vieles deducirend u resümirend vorgetragen werden mußte, anstatt daß es sich anekdotisch geschehend abspinnt, daher der tendenziöse langweilige Anstrich. Im Uebrigen glaubte ich mich zum Schluß in einem modernen ernsteren Culturbild versuchen zu sollen u es schien | mir der Mühe werth, nachzuzeichnen, wie auch in den verfeinerten Verhältnissen der sogenannten freisinnigen Religiosität Unheil u Familienstreit entstehen kann. Uebrigens ist nach meiner tiefen Ueberzeugung die social conventionelle freie Theologie u Kirchlichkeit nicht haltbar u der vulgäre Glaube "etwas müßte sein wegen des Plebs" wird wie jede Selbstanlügerei, unter Umständen ein schlimmes Ende nehmen. Die bewußte Verlogenheit aber macht sich bereits im Charakter der Neupriester geltend u zu den alten Lastern kommt noch die Eitelkeit u rhetorische Prunksucht, das Histrionenthum.

            Die Wirkung dieser Novelle in Zürich war einigermaßen drastisch u lehrreich. Während ein Alexander Schweizer u Biedermann sich nichts anmerken lassen u sich nach wie vor mit mir benehmen, ist ein Lang wie des Teufels. Er macht | in der Predigt wiederholte Ausfälle, indem er wohlweislich die eigentliche Pointe ignorirt u nur den Unglauben denuncirt u Göthe'sche Citate, aus Faust etc. entgegensetzt u ganz so predigt, wie es in der Geschichte vorgezeichnet ist, wie wenn er davon behext wäre, so daß ich eigentlich eitel darauf sein sollte. So treibt er's auch in theologischen Aufsätzen. Andere desgleichen. Auch schiebt der grob kluge Pfaff mir gesprächsweise falsche u verwerfliche Motive unter etc etc.

            Wenn diese Herren könnten, wie sie wollten, so könnten wir einpacken, ob wir wollten oder nicht, das ist sicher! Und daß sie Urtheil u Denkart der Gebildeten u Ungebildeten, die durch Kirchenbesuch die "gute Sache der Aufklärung" glauben unterstützen zu sollen, verwirren u korrumpiren, davon hat man auch schon Proben.

            Doch wenn ich meine Tiraden nicht endlich schließe, so kommt der Brief wieder nicht fort. Ich brüte immer über einer ästhetisch-literarischen Kundgebung herum, um einmal nach dieser Richtung hin etwas zu thun u mich aus dem mysteriösen Mutternebel abgeschiedener einsamer Producirlichkeit herauszuarbeiten. Aber die Zeit will fast nirgends langen. | Doch wird eine glückliche Wohnungsänderung hiezu Bahn brechen. Ich wohne jetzt auf dem Bürgli (über der Terasse) in der Enge u bleibe Abends meistens zu Hause. Grüßen Sie bestens Ihren Herr Sohn u bleiben Sie mir gewogen

                                               Ihr ergeb. G. Keller

  


 

14. 5. 1881  Friedrich Theodor Vischer an Keller

<ZB: Ms. GK 79f3 Nr. 233>

 

Verehrter Herr u. Freund!
 
Sie werden in Bälde das zweite Heft "Altes u. Neues" von der Verlagshandlung Bonz erhalten u. meinen Aufsatz über Sie darin wiederabgedruckt finden. Ich schreibe Ihnen vorher, um einen äußerst lästigen Possen zu erklären, den mir der Zufall gespielt hat. - Ich hatte zuerst mit Weibert verhandelt u. es fehlte nur noch der Contrakt, als ich mit ihm zerfiel. Wodurch? erzähle ich Ihnen einmal gelegentlich. Er hatte mir die 3 ersten Hefte Ihrer neuen Aufl. des Grünen Heinrich geschenkt. Ich verschob das Lesen, bis das vierte da wäre. Ich contrahirte dann mit Bonz, der Druck begann, der Artikel über Sie kam dran. Ich hatte mich in die Annahme festgerannt, Weibert werde mir trotz unserem Zerfall den vierten | Band noch zugehen laßen. Er wußte, daß mein Artikel für das "Alte u. Neue" zum Wiederabdruck betimmt war, also in seinem wie unserem Interesse lag, daß ich vom Erscheinen des vierten Bands schnell erfahre u. von der ganzen Umarbeitung  Kenntniß nehme; auch blieb ja ihm wie mir, wenn er mir ihn vorenthielt, ein defektes Exemplar. In diesem Vertrauen sah ich mich gar nicht um, ob der 4. Band erschienen sei. Der Druck war schon bis gegen Schluß vorgeschritten, als ich zufällig erfuhr, daß dieß seit geraumer Zeit der Fall sei. Ich verschaffte mir ihn schnell, mußte ihn über Nacht überfliegen, das Frühere zu lesen war nicht mehr Zeit, u. so kein Ausweg, als mit dem "Zusatz" kümmerlich zu helfen - Pech! Pech!

     Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen einen gar netten Stoff für eine Novelle zu denunziren. Nehmen Sie zur Hand: Chr. M. Wielands | Leben u. Wirken in Schwaben u. d. Schweiz, von Prof. Dr. Ofterdinger. (Heilbronn Henninger 1877). Hier finden Sie die köstliche Geschichte vom Pfarrer Brechter. Dieß ist der Kern des Stoffes, den ich meine. Nun hat man dabei Wieland, kann sein Leben in der Schweiz, speziell das pietistische Serail in Zürich, dann seine Wendung zum französ. Geist in Bern hineinziehen, auch Julie von Bondeli (dazu die Schrift von Bodemann), man hat Warthausen, die dortige Gesellschaft, das Wiederfinden der Jugendbraut Sophie von Laroche - was will man mehr?# Die 2 Theater: Brechters Geschichte u. die Espritsphäre näher zu verbinden, als schon durch Wielands Theilnahme für jenen der Fall ist, müßte nicht schwer sein. Auch der Schluß ist so nett: Lösung durch Stellentausch mit dem Diaconus in Schwaigern. Diesem könnte man, mein' ich, eine hübsche Tochter geben, die man | schon vorher aufmarschiren ließe, die dann der Brechter nähme. Etc. Etc. - Könnte ich selbst es je machen, ich hab keine Zeit; aber könnt' ich auch, so wie Sie kanns Keiner machen.

     Es träumt mir auch schon lang von einem Lustspiel oder lustigen Novelle mit Schauplatz: Pegnizschäfer-Boden in Nürnberg. Sehen Sie sich doch ja einmal die Fülle von Komik an, die sich aufdrängt, - man darf nur Proben aus der damaligen Nürnberger Poësie ansehen. Dazu das Perrükencostüm, Galanterie der Zeit -

     Wie geht es Ihnen? Ihre Novellen: das Sinngedicht hab' ich in meiner beständigen Zeitnoth noch gar nicht gelesen, man rühmt sie mir höchlich.

     Grüßen Sie, wer gerade nach mir fragt. Herzlich wünscht Ihnen gute Zeit zum rüstigen Fortmachen

                                               Ihr ergebener Freund
                                               Fr. Vischer.
Stuttgart 14. Mai 1881

 

# Sie würden wohl gern Warthausen besuchen, ist ja nicht weit. Gehört   einem H. v. König. Die alten Zimmer sollen zum Stand der damal. Zeit   wieder hergerichtet sein.

  


 

28. 7. 1881  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: Vischer 41863, zit. nach Kopie: Ms. GK 78l Nr. 2; GB 3.1, S. 146>

Zürich 28 Juli 1881

Hochverehrter Herr u Freund!
 
Ich bin wieder recht unverschämt und undankbar geworden mit meinem langen Zurückhalten der Antwort, das jedoch sehr unwillkürlich ist. Ich glaubte nämlich mit meinem Dankbriefe eine kleine Auseinandersetzung meiner Absicht bei Abänderung des Gr. Heinr. verbinden zu wollen, eh' Sie das Ganze gelesen hätten, kam aber dann natürlich von der Idee wieder ab. (Es ist mir mit dem Lebenlassen dieses Nichthelden gegangen, wie dem Bauer und seinem Sohne mit dem Esel, den sie zuletzt an einer Stange trugen, um es den Leuten recht zu machen. Ein Herr Germanist sagte sogar, er werde sich an das alte Buch halten. Hieraus hab' ich ersehen, daß er auch dieses kaum gelesen hat, da er die Arbeit gar nicht merkte, die in der Revision liegt; denn es ist gewiß kaum eine Seite, die ohne Striche und Correkturen geblieben ist, und im Ganzen sind über 30 Bogen des alten Textes verschwunden. Das Weggeräumte ist aber wirklich Schutt!) |

     Doch genug hievon. Hätt' ich eine Ahnung gehabt, daß der Verleger Ihnen die neue Ausgabe nicht vollständig zustellte, so würde ich es sofort von mir aus gethan haben. Nun habe ich freilich über meine 12 Exemplare verfügt. Weibert hatte schon vor Jahr und Tag mich glauben lassen, daß Sie selbstverständlich das Buch direkt von ihm erhalten würden. Die Flegelei wirft ein seltsames Licht auf seine Gepflogenheiten; ich wäre wirklich neugierig zu erfahren, welcher Natur Ihr Zerwürfniß mit ihm gewesen ist.

     Es thut mir nun leid, daß Sie für den Wiederabdruck und die Abrundung Ihrer wohlwollenden Arbeit das Material nicht rechtzeitig erhielten; denn immerhin trage auch ich einen Theil der Schuld, indem ich den vierten Band erst im vorigen Herbst abgeliefert habe, während ich für die Verschleppung vor mir selbst doch Entschul<d>igung finde. Die nahen Beziehungen zum eigenen Leben, die Schwere desselben und der verflossenen Decennien drückten mir eben auf den Kiel. Jetzt bin ich an einer andern Reparaturarbeit, die mir auch noch im Wege lag. Ich soll meine lyrische Dichterei, da sie einmal da ist, sammeln und zurecht stutzen, und da treten | bittersüße Reminiszenzen u Gewissensfragen gleich zu halben Dutzenden auf.

     Für Ihre freundlichen Anregungen betreffend die Wieland'schen und Pegnitzschäferlichen Stoffe höchlich dankbar, habe ich mir seither diese Sujets doch noch nicht näher ansehen können, weil ich einestheils noch mit dem Novellencyclus "das Sinngedicht" für die Buchausgabe beschäftigt war (mit deren Lectüre ich Sie zuzuwarten bitte, bis das Buch da ist) theils mit Anderem. Ehestens werde ich mich daran machen, freilich mit dem leisen Bedenken, ob wir nicht zu sehr in die Literargeschichte hineingerathen. Doch Alles kommt auf den Spiritum specialium an, der Einen beim Herzutreten anhaucht. Die Pegnitzschäferei könnte sogar für eine dramatische Fabel, für die man das rechte Costüm und Feld nicht fand, dasselbe unversehens liefern.

 Mit aller Theilnahme habe ich den fortgesetzten Faust-Kampf verfolgt, den Sie im neusten Hefte führen, obgleich ich nicht gestimmt wäre, mit jedem neu Hinzutretenden der sich am großen Gegenstande auch bemerklich machen will, mich abzumühen. |

     Ueber den zweiten Theil bin ich durch Ihre tapfere Beharrlichkeit auch endlich zur Ruhe gekommen. Ich war nämlich aus Mangel an durchgeführter Belesenheit in diesem Punkte lange Zeit einer Art Behexung unterworfen, indem ich steif und fest glaubte, daß es dem alten Göthe keineswegs voller Ernst gewesen sei mit der Arbeit, daß er vielmehr sich eine spielende Altersvergnüglichkeit gemacht, um unter Anderm das Abschließen seines Werkes durch etwaige Nachfolger zu verhüten. Dadurch, glaubte ich, seien wir einzig in den Besitz der Reihe von großen Sachen gelangt, die auch im IIt Theil noch zu finden sind, und darum könne man das Uebrige mitlaufen lassen, ohne es anzusehen. Ich habe mich endlich nun überzeugen müssen, daß es heiliger Ernst und keineswegs Spaß war, und da erst jetzt recht die Sache dogmatisch werden und sogar die Bühne beschreiten soll, so bekommt sie eine andere Nase. Der alte Apollo wird mir in dem Finale des Lebens, wie der Tragödie, plötzlich zu einem Sprach- und Stylverderber, sobald er eine fanatische Gemeinde hinter sich hat, und damit Gott befohlen.

     Ich wünsche Ihnen eine recht frische und glückliche Ferienzeit; das Jahr scheint ja durchgängig zu gerathen. Wenn auch nicht diesmal, so hoffe ich doch bald einmal in's Oberdeutsche hinauszustechen und Sie dann bei Ihrem Heimatsbiere nochmals zu genießen. Mit herzlichem Gruße Ihr

                                               getreuer
                                               G. Keller |

FürIhre Agitation zum Schutz der hesperischen und anderer Thiere wird Ihnen die schönste internationale Bürgerkrone nicht ausbleiben.

   


 

Januar 1882  Friedrich Theodor Vischer an Keller

<ZB: Ms. GK 79f3 Nr. 222, Visitenkarte>

 

Prof. Dr. Vischer.
 
Mit bestem Gruß. - Sie verstehen mich nicht falsch, wenn ich frage, ob Sie etwa Weibert den Auftrag gegeben haben, mir "das Sinngedicht" zu schicken. Wenn dieß, so melde ich, daß es nicht geschehen ist.

   


 

20. 1. 1882  Keller an Friedrich Theodor Vischer

<SNM: A: Vischer 41864; GB 3.1, S. 148>

Zürich 20 Jan.1882.

Verehrter Herr u Freund!
 
Ihre Anfrage kommt mir sehr gelegen, da ich veranlaßt werde, die Versäumniß endlich gutzumachen, die sich bezüglich des Sinngedichts eingeschlichen hat.

     Weibert ist nämlich nicht der Verleger des Buches. Er hat, als es während fünf Monaten in der Deutsch. Rundschau erschien, mit keinem Worte verlauten lassen, daß er dies Erscheinen auch nur bemerkt hätte, weshalb ich die Novellen einem Berliner übergab, der dieselben | aus freien Stücken begehrt hatte. Der Herr Weibert scheint ein launischer Patron zu sein, wenn er nicht gar absichtlich und künstlich den Flegel spielt.

     Nun hatte ich geglaubt, Ihren Namen auf den Zettel gesetzt zu haben, den ich dem neuen Verleger behufs direkter Versendung von Exemplaren zugestellt, und erst neulich trat zu Tage, daß jenes nicht geschehen war. Ich wollte Ihnen dann ein Exemplar der 3ten Auflage schicken, die so eben gedruckt wird, mag es nun aber nicht mehr abwarten, sondern | lasse sofort eines der ersten Auflage abgehen, das noch da liegt. Der Text ist vollkommen der gleiche.

     In diesem Augenblicke langt ein Paketchen an, welches Ihre "Lyrischen Gänge" enthält, und wofür ich vorläufig meinen schönsten Dank sage. Die erste Durstlöschung wird sogleich begonnen werden und die Vernunftlesung dann folgen. Sie sind jedenfalls sicher, daß die Sammlung überall sofort ganz gelesen wird, was bei Gedichtbüchern selten geschieht.

     Ich habe nicht das beste Gewissen wegen der neuen | Novellchen; sie bleiben bedeutend hinter dem zurück, was ich in der Vorstellung davon gedacht hatte, was eben das Schicksal alles Gemächtes ist.

     Im Uebrigen soll Ihnen das angetretene Jahr 82 in guter Gesundheit und ohne jeglichen Verdrieß glücklich verlaufen auf Wunsch

                                               Ihres alt ergebenen
                                               Gottfr Keller

 
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