Schwester von Ida Freiligrath. Mit Keller befreundet seit 1846.
Briefwechsel mit Keller seit 1877

Anzahl registrierte Briefe: 28 an, 21 von Keller (49 ZB Zürich)


 

30. 4. 1877  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 77e Nr. 70; GB 2, S. 384 z. T.>

                                            Cannstatt d. 30. April 1877.

Sehr verehrter, lieber Freund.
 
Für Ihren so sehr lieben Brief vom 3. März hätte ich Ihnen längst einen recht herzlichen Dank sagen sollen, da er mir eine jener Freuden war, die nur selten am Horizonte des Lebens aufsteigen, dann aber auch als Sterne erster Größe stehen bleiben, um uns noch oft mit ihrem sanften Lichte zu erquicken. Freilich haben die Poeten das vor andern gewöhnlichen Menschenkindern voraus, daß sie fortwährend durch ihre Werke neue Herzensfreude, neue Erquickung für den Geist schaffen, und uns durch solche geistige Nahrung im schönsten Verkehr mit ihnen halten u. zum allerwärmsten Dank verpflichten. Solche bevorzugte Menschen können natürlich von den unbevorzugten | nur auf direkte oder indirekte Weise erfahren, weshalb Sie selbstverständlich auch nichts von mir hörten. Uebrigens gab's auch nicht viel zu hören, u. Sie haben keinesfalls etwas dadurch verloren, da ich mein ganzes Leben in verschiedenen Ländern u. Familien geschulmeistert habe u. somit selbst in keine leichte, aber recht heilsame u. nützliche Schule ging.

     Auf diese Weise bin ich nun auch in eine sehr passende Einleitung hinein gerathen, um Ihnen gleich für die köstlichen, genußreichen Stunden zu danken, die mir durch Ihre Züricher Novellen in der "Rundschau" wurden. Leider bin ich nur jetzt auf's Zappeln angewiesen, da ich erst das Märzheft gelesen habe, welches mit dem "Hanswurstel" abschließt. Nun bin ich sehr gespannt zu hören, wie sich Grasmücke, Capitain u. Amsel noch benehmen werden u. wie Frau Marianne, die originellste aller Haushälterinnen, die mich lachen u. weinen ließ, die ausgewählte Gesellschaft bewirthen | wird. Erst habe ich Ihre trefflichen Erzählungen für mich gelesen - dann habe ich sie meiner Schwester vorgelesen - u. wir haben uns wieder gemeinsam daran erfreut. Das ist der Prüfstein einer echten Novelle u. des wahrhaft Guten, daß man es immer u. immer wieder mit neuer Freude u. neuem Genuße lesen kann. Jedenfalls lösen Sie Ihr "Pensum" meisterhaft. Ich wünschte nur, daß Sie noch recht lange daran zu lösen hätten. Wie oft mußte ich beim Lesen daran denken, wie sich unser theurer Ferdinand an dieser echten Poesie, an diesem köstlichen Humor erquickt haben würde. Ich meinte seine treuen, ausdrucksvollen Augen leuchten, seinen Mund lächeln zu sehen. - Wissen Sie wohl, daß ich ein paar Nächte von Ihrem Johannes Hadlaub geträumt habe? Das liebliche Bild des zehnjährigen Knaben, "der barfuß im langen blauen Leinenrock, von reichem blondem Goldhaar Gesicht u. Schultern umwallt, ein hohes Schilfrohr in Händen tragend," die kleine Heerde Kühe vor sich her treibend - | stand u. steht noch immer vor meinem geistigen Auge. Ein schönes Bild nach dem andern taucht vor demselben auf, u. ich könnte nicht fertig werden Ihnen davon zu erzählen, wenn ich nicht befürchten müßte allzu weitläufig zu werden, wie es dämliche Art ist.

     Vielleicht haben Sie unterdessen auch etwas gelesen, was Ihnen Freude gemacht hat. Kommen Ihnen die Monatshefte von Oscar Blumenthal in die Hand? Im Märzheft (No. 3.) steht ein Aufsatz von Adolf Strodtmann über Freiligrath, der auch einen längern Passus über Gottfried Keller enthält. Ueber Hasenclever's Urtheil werden Sie lachen, über das Ferdinands sich freuen, wenn es Ihnen auch nicht neu sein wird. Ist es doch, als hörte man den theuern Heimgegangenen sprechen! Strodtmann muß sich in seinem Tagebuch viele Notizen gemacht haben, sonst könnte er die Gespräche nicht so getreu wiedergeben. Ganz correct ist er indessen auch nicht überall; namentlich ist der Passus mit Amely Bölte falsch. Richtig ist nur die Indiscretion, die sie begangen hatte, sonst verhielt sich aber die Sache anders. |

     Die zahlreich angeführten Gedichte im Strodtmann'schen Artikel werden Sie nun wohl alle in der neuen Ausgabe der gesammelten Dichtungen beisammen haben. Ida hat Herrn Weibert Autrag gegeben, Ihnen Ferdinands Dichtungen zukommen zu lassen, deren Druck nun endlich vollendet ist. Da das Buch aber per Buchhändlergelegenheit geht, so ist es auch möglich, daß es noch nicht in Ihren Händen ist. Sie werden manches schöne, alte Gedicht Ferdinands finden, welches Ihnen noch neu sein wird, da es jetzt zum erstenMal gedruckt wurde. Nun haben Sie Alles beisammen; auch die Gedichte, welche Sie in den "Neuen Gedichten" vermißten. Ida wünscht von Herzen, daß Ihnen das Buch eine kleine Freude sein möge, u. sendet es Ihnen mit den freundschaftlichsten Grüßen. Sie darf kaum hoffen, daß es mit ihren armen Augen besser wird, weshalb sie dieselben auch schonen muß, wo es nur angeht. Leider hat sie ohnehin immer noch mehr | zu schreiben, als ihr gut ist. Wo es eben geht, bin ich gern Ida's Sekretair, d. h. wo Menschen freundlich u. nachsichtig genug sind mit meiner Schreibselei fürlieb zu nehmen. Und das setze ich von Ihnen voraus, lieber Freund u. Altersgenosse. Es stimmt aber doch nicht ganz, wie ich zu meiner nicht geringen Enttäuschung gelesen habe. Ich glaube Sie haben sich verschrieben, oder sich zum Spaß ein Jahr älter machen wollen; denn ich weiß doch zu genau wie oft über unser gleiches Alter gescherzt wurde. Auch bildete ich mir etwas darauf ein, an demselben Tage und in demselben Jahre mit dem berühmten Schweizer Dichter geboren zu sein. Der 19. Juli trifft zu; aber mein Taufzeugniß lautet vom Jahre 1820. Sehen Sie nur noch einmal zu; ich bin meiner Sache gewiß. Natürlich werde auch ich mich sehr freuen mit Ihnen Gevatter zu stehen, schon deshalb, weil wir uns dann wiedersehen würden. Und wenn Sie sich zu einem neuen Frack emporschwingen, so werde ich mich wohl zu einer neuen | Fahne entschließen müssen. Vor der Hand gibt uns Percy wenig Aussicht zu solchen außergewöhnlichen Ausgaben, da es mir scheint, als wenn er noch keine "unschuldige kleine Anbetung in seinem Herzen eingerichtet hätte". Wer kann's aber wissen? Sein Herz kann auch schon "angepickt" sein, obwohl ich nicht glaube, daß er sich von einem Distelfink ein zierliches Körbchen geholt hat. Percy hat uns erst vor acht Tagen verlassen, nachdem er volle zwei Monate hier verlebt, um sich vollständig auszuruhen, zu erholen u. zu kräftigen. Er hat denn auch redlich den Wunsch seines Arztes erfüllt, u. als er uns verließ merkte man ihm, Gott sei Dank, nichts mehr von der überstandenen Krankheit an. Auch unser Kätchen war 14 Tage hier, hat uns aber leider schon vor 8 Tagen verlassen, um noch 5-6 Wochen in Kreuznach die Cur zu gebrauchen. Schwester Ida gedenkt die geliebte Tochter noch ein paar Wochen zu besuchen, so lange sie in unsrer Nähe weilt.

     Die Bibliothek unseres theuern Heimgegangenen | ist noch nicht verkauft. Die Stadt Lahr hatte angefragt, aber dieselbe wohl für ihre Mittel zu werthvoll gefunden. Jetzt ist ein Catalog der Bibliothek gemacht worden aber derselbe ist noch nicht gedruckt. Es wäre gar schön, wenn die Sammlung beisammen bleiben könnte! Es thut uns allen so weh, wenn diese schönen Bücher, die Ferdinand wahrhaft zärtlich liebte, in alle Himmelsgegenden zerstreut werden sollten. Und doch wird es wohl so werden! Wenn ich reich wäre, so gründete ich in Cannstatt ein Freiligrath-Museum, u. ließe die Bibliothek mit ihrer ganzen Einrichtung u. ihren Bildern, die nur Ferdinand so sinnig zu ordnen wußte, unangetastet. Das wäre das schönste Denkmal für alle Zeiten! Nächstes Jahr, so Gott will, soll am 18. März das Denkmal beendet sein, welches man auf dem Grabe Ferdinands zu errichten gedenkt. Wie Ferdinand im Herzen des Volkes lebt u. leben wird, welche Liebe ihm auch über Grab u. Tod hinaus folgt, das hat uns deutlich wieder sein Todestag bewiesen. | Von allen Seiten kamen Zeichen der Liebe u. des Gedenkens. Der hiesige Gesangverein zog mit umflorter Fahne zum Grabeshügel auf den Uffkirchhof, u. legte nach einigen Gesängen u. einer kurzen Ansprache, einen Kranz dort nieder. Die theure Stätte war wiederum mit Lorbeerkränzen u. blühenden Frühlingskindern ganz bedeckt.

     Aber es ist hohe Zeit zu schließen, denn ich bemerke mit Schrecken, daß ich schon zum dritten Bogen greifen mußte. Werden Sie auch Geduld haben die lange Epistel zu lesen? Es sind keine Züricher Novellen, in die man sich versenken kann. Ich bin doch schrecklich fremd in Zürich geworden, denn wenn ich auch noch mit Freude an einige einsame Spaziergänge an den Ufern der Sihl, auf der Geßner's-Insel etc. zurück denke, so weiß ich nichts von einer Steingasse, einer Elendenherberge, einem Eselsgäßlein, einer Weggengasse, einer Schlüsselgasse, | Storchengasse u. Kämbelgasse. In welcher Gasse resp. Straße, wohnen Sie eigentlich?

     Da ich voraussetze, daß Sie gar nicht mehr wissen wie ich aussehe, jedenfalls nicht wissen können wie ich jetzt aussehe, so lege ich Ihnen meine Photographie bei. Die schwarzen Locken haben sich in graue verwandelt, u. da mich niemand unter die Haube gebracht hat, so habe ich dies Geschäft selber besorgt. Der Photograph hat auch ziemlich geschickt die unzähligen Falten u. Runzeln retouchirt, so daß ich auf dem Bilde ordentlich anständig aussehe. Sie würden das auch finden, wenn Sie das Original sehen könnten.

     Mit den herzlichsten Grüßen und besten Wünschen, verbleibe ich in

                                  alter Freundschaft
                                  Ihre
                                  Maria Melos.

 


 

19. 7. 1877  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/2; GB 2, S. 386>

                                            Zürich 19 Juli 1877.

Hochverehrte, theuerste Fräulein u Freundin.
 
Ihre Güte u Freundlichkeit, die Sie mir neuerdings mit Ihrem reichbedachten Briefe vom 30 April angethan, hat einen schlechten Dank gefunden. Daß mein Schweigen aber nicht eigentlicher Undank, sondern mehr Mißgeschick u Unbilde der Zeit ist, glauben Sie mir wohl auf mein inständiges Gebitt und Ansuchen!

     Freiligraths Werke habe ich bald nach Ihrem letzten Briefe durch die Verlagshandlung im Auftrage der erlauchten Wittwe erhalten und ich bitte Sie, Ihrer verehrten Frau Schwester meinen tiefgefühlten herzlichsten Dank ausrichten zu wollen. Ich bin stolz darauf, dieß letzte Geschenk und Andenken an den Verewigten noch neben den mancherlei frühern Zeichen seiner Freundlichkeit zu besitzen. |

     Und wie soll ich Ihnen selbst für das liebe Bildchen danken, das Sie mir geschenkt? Es hat mich ganz unvermittelt überrascht, wie wenn man Jemand nach dreißig Jahren unerwartet wieder sieht. Aus dem dunkeläugigen rosigen Jungfräulein ist freilich ein gestrenges Tantchen geworden; allein ich glaube doch nicht, daß es allzu böse gemeint sei mit dem Ernst der Züge.

     In diesem Augenblicke bringt man mir einen Brief, welcher Ihre zierliche Geburtstagskarte enthält. Sie müssen nämlich wissen, daß in unserm Hause, wie in den meisten zürch. Familien, der Geburtstag nicht gefeiert wird. Ich speziell denke nie an denselben am betreffenden Tage selbst und so habe ich diesen gegenwärtigen Brief unbewußt an unserm gemeinschaftlichen Geburtsfeste angefangen, welcher Zufall mich einigermaßen darüber tröstet, daß ich Ihnen nicht auch | ein Zeichen der Theilnahme gesandt habe. Das nächste Mal will ich es besser machen. Für jetzt danke ich Ihnen gar schön für die Rosenknospen. Das Jahr Vorsprung müssen Sie mir aber lassen. Ich bin unabänderlich anno 1819 geboren. Ich muß mich nächstens einmal dem Glas des Photographen aussetzen u will Ihnen dann den sichtbaren Beweis meiner höheren Alterswürde zukommen lassen.

     Wenn Sie sich an den Zürch. Novellen ein bischen amüsirt haben, so freut mich das sehr. Ich werde Ihnen dann das Buch schicken, das etwa nächsten Herbst erscheinen wird, mit ein par Stücken vermehrt.

     Hasenclevers Dictum über mich hatte mir schon Ferdinand erzählt während seiner letzten Anwesenheit in Zürich. Der lustige Maler muß selbst bekneipt gewesen sein; denn als ich 1850 mit Ferdinand ein par Tage in Düsseldorf war, that von Morgens bis Abends die ganze Gesellschaft, bei der wir waren, nichts anderes als Essen und Trinken, u es freut mich gerade nicht | insonderlich, daß ich allein das Opfer u nach so viel Jahren durch den Personalienschwätzer Strodtmann als "mürrischer Fresser u Trinker" ausgetrommelt wurde. In dem bewußten Aufsatz ist überhaupt alles durcheinandergeworfen, wie Kraut u Rüben.

     Die Zürcher Straßen, deren Sie sich nicht erinnern, sind alte krumme Nebengassen im Innern der Stadt, die Sie kaum betreten haben. Ich wohne jetzt in der sog. Enge auf linker Seeseite auf dem obern Bürgli, ein Hügel, von welchem ich den ganzen See u das Gebirge, die Wälder des Sihlthals u das Limatthal, kurz die ganze Rundsicht überschaue. Da hause ich im obersten Stockwerk mit meiner Schwester Regula, welche allerlei unzulängliche Versuche anstellt, mich zu tyrannisiren.

Für heute muß ich nun enden, werde aber, ohne pedantisch eine Antwort abzuwarten, bald einmal wieder zu Ihnen plaudern, wie es eine stille Stunde etwa mit sich bringt. Grüßen Sie inzwischen ehrerbietigst die Schwester von mir; ich habe stets einen gewaltigen Respekt vor wohlderoselben u fürchtete mich immer halb u halb vor ihr. Ihr Augenleiden geht mir nichts desto weniger nahe; möge es mit der Zeit doch besser werden! Ihnen wünsche ich also Glück u Heil u gute Gesundheit zum 19 Juli u daß Sie gewogen bleiben Ihrem ergebenen

                                  Gottfr. Keller

 


 

21. 9. 1877  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 77e Nr. 72; GB 2, S. 388 z. T.>

Cannstatt d. 21. Sept. 1877.

Sehr verehrter, theurer Freund!
 
Wenn Sie auch nicht "pedantisch" auf eine Antwort warten, so thun Sie's wenigstens antipathisch, d. h. Sie haben, wie die meisten Männer, eine gelinde Abneigung gegen Alles Briefschreiben. Ich finde das auch sehr natürlich, namentlich bei einem Dichter, der auf diese Weise seine Zeit nicht zersplittern darf. Geibel hat oft erklärt, daß er nur, wenn es unumgänglich nöthig wäre, einen Brief schrieb. Ich muß es ihm deshalb besonders hoch anrechnen, wenn bei ganz absonderlichen Gelegenheiten ein Gruß von ihm geflogen kommt. Nun ist es durchaus nicht meine Absicht Sie durch meine Ihnen jedenfalls zu rasch erscheinende Antwort gleich wieder zu dem verhaßten Briefschreiben zu veranlassen, sondern ich will, | als alte, pedantische Schulmeisterin nicht länger zögern die 26 lieben Geburtstagsbriefe, welche ich erhalten (ich möchte den bewundernden Seufzer hören, der sich jetzt Ihrer Brust entwindet) nach u. nach zu beantworten und pflicht schuldigst meinen tiefgefühltesten Dank für dieselben auszusprechen. Da ich aber in dieser Beziehung die Pedanterie weit treibe, u. die Briefe geordnet habe, wie sie der Reihe nach ankamen, so bin ich heut bis zu dem Ihrigen gelangt, der so ziemlich die Mitte bildet, da mir verschiedene Freunde auch eine Nachfeier gönnen wollten. Ich habe also nicht nur den 19. sondern bereits am 18, 19, 20, 21 u. 22 Juli Geburtstag gefeiert. Entsetzen Sie sich nicht allzu sehr. Wählen Sie lieber die goldene Mittelstraße u. feiern Sie nur den 19. Juli. Entsagen Sie aber der Unsitte Ihres Landes den Geburtstag unbemerkt vorüber gehen zu lassen. Ich finde das sehr garstig u. undankbar für allen Segen, den uns das Leben bringt, wozu ich nicht nur die frohen, sondern auch die trüben Tage rechne. So ein Geburtstag ist für mich gleichsam eine Haltestelle - | ein Meilenweiser, an dem man stehen bleibt, den zurückgelegten Weg überschaut, u. den zurückzulegenden überdenkt. Wir wissen freilich nicht was uns auf demselben begegnet, wissen nicht wie viel Meilen noch vor uns liegen, sollen aber doch fröhlich unsere Straße ziehen u. nicht vergessen, daß wir jeden Tag das Ziel erreichen können. Uebrigens will ich galant genug sein zu glauben, daß Sie wirklich schon begonnen hatten mir zu schreiben, als mein Glückwunsch eintraf. Sie sind aber ein Schalk und ein Spottvogel, was mir namentlich die "erlauchte Wittwe" klar macht. Ferdinand war freilich in geistiger Beziehung ein Fürst, dessen Wittwe aber deshalb noch nicht den weltlichen Titel "Erlaucht" erhalten hat. Das macht aber Alles der "gewaltige Respekt" u. die "Furcht", die Sie vorgeben meiner Schwester gegenüber zu haben. Diese läßt Sie indessen ohne "Furcht" aber doch mit "gewaltigem Respekt" vor dem Dichter, herzlichst grüßen u. Ihnen sagen, daß sie ganz kürzlich wieder - aber mit weit höherem Genuß denn früher - Ihren "grünen Heinrich" gelesen habe. Sie konnte nicht müde werden mir von der | Fülle von Lebensweisheit u. Poesie zu erzählen, die Ihr Meisterroman enthält. Ida hat mir nicht einmal erlaubt ihr vorzulesen, weil sie selbst in ganzer Fülle schöpfen wollte. So steht mir denn noch der Genuß bevor auch meinerseits con amore aus den Schätzen Ihrer dichterischen Begabung mir das zu holen u. fest zu halten, was auch mich beglücken u. erheben kann.

     Auf Ihre Novellen freue ich mich wahrhaft so wie auf die "paar Stücke der Vermehrung". Solche meisterhafte Erzählungen in denen Sie die Geschichte mit der Dichtung so wunderbar lieblich zu verweben wissen, erfreuen mich nicht blos beim Lesen, sondern verschaffen mir einen fortwährenden Genuß. Eine Dame, (Namen nennen dich nicht, da ich Sie so gern neugierig machen möchte) die hier im Hause wohnt, schwärmt auch für die Züricher Novellen. Unglückerweise haben wir uns beide in Landolf verliebt, der, um das Unglück zu vermehren, doch gar nicht mehr am Leben ist. Wäre er aber noch am Leben, so wäre das Unglück noch viel größer, denn wir könnten ihn doch nicht beide besitzen - ich müßte ohnhehin auf ihn verzichten u. mit neidischen Augen das Glück der bevorzugten Nebenbuhlerin sehen. |

     Sie sehen wie gefährlich Ihre Schilderungen sind, wie verderblich dieselben wirken können. Wie wir aber auch staunend in Ihre Wunderwelt blicken und Sie mit Paul Heyse "den "Shakespeare der Novelle", den "unsterblichen Seldwyler" nennen. Lassen Sie sich deshalb Strodtmanns albernes "Personaliengeschwätz" nicht kümmern. Sie haben Recht; es geht Alles in dem Aufsatz durcheinander wie Kraut und Rüben. Nur hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie sich klassischer ausdrücken u. sagen würden "wie Mäusedreck und Coriander".

     In diesen Tagen werden Sie Grüße von meiner Schwester u. mir durch Frau Ludmilla Assing erhalten haben. Sie beabsichtigte sich einige Tage in Zürich aufzuhalten u. freute sich auf ein Wiedersehen mit Ihnen. Wir haben uns sehr über den lieben Besuch gefreut, da meine Schwester so sehr die treue Anhänglichkeit der geistvollen Freundin zu schätzen weiß. Frau Ludmilla war freundlich genug zweiMal nach Cannstatt zu kommen, und wir hätten nur gewünscht, daß sie noch | längere Zeit in Stuttgart geblieben wäre, um öfter den Genuß zu haben mit ihr zu verkehren. Wer aber eine Villa in Florenz besitzt, die ein Sammelplatz aller he<r>vorragenden Geister ist, wer sein Kaminfeuer mit Pinienäpfeln u. Myrthenreisern anzünden kann, u. wem Jahr aus Jahr ein im Garten Lorbeer u. Myrthen grünen, u. Rosen blühen, der wird sich freilich nicht vom nordischen Himmel locken lassen. Hoffentlich hat derselbe aber so viel Sonnenschein gebracht, daß  Sie sich dem Glas des Photographen anvertrauen konnten. Ich will aber etwa nicht treiben; am allerwenigsten zu einem schriftlichen Gruß.

     Grüßen Sie mir unbekannterweise Ihre liebe Schwester, die sehr wohl daran thut, wenn sie die Versuche nicht aufgibt zu tyrannisiren. Brüder gewinnen nur unter der liebevollen Tyrannei der Schwestern. Und wozu hieße die Ihrige auch Regula?

     Und somit Gott befohlen, mein lieber, wirklich ein Jahr älterer Freund. Nichts destoweniger bleibe ich Ihre Altersgenossin

                                                und treue Freundin
                                                Maria Melos.

 


 

31. 1. 1878  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/3; GB 2, S. 389>

Zürich 31 I. 78

Verehrte, gütige u liebenswürdigste Fräulein u Freundin!
 
Sie haben nun gesehen, wie pedantisch ich im Briefschreiben bin und in der Dankbarkeit; ich will mich aber nicht lang rechtfertigen oder entschuldigen, zumal ich Ihnen zutraue, daß Sie es mich nicht entgelten lassen. Auch haben Sie einige Strafe verdient wegen der verdächtigen Flattusen, die Sie meinem alten Marterroman machen.

     Den Zürchernovellen, die ich sogleich kunstreich zu verpacken gedenke, lege ich zwei Photographieen bei, wie Sie zur Hälfte befohlen haben; es ist aber keine natürlich und ungezwungen ausgefallen, die kleinere sieht aus wie ein Schulmeister und die größere wie ein Schuster; nur in der Verwitterung | sind beide treu. Uebrigens sehe ich so eben, daß ich das Papier verkehrt aufgelegt habe.

     Die Frau Ludmilla Assing habe ich letztes Jahr nicht sehen können. Sie zitirte mich brieflich auf eine bestimmte Zeit in den Gasthof, es war mir nicht möglich hinzugehen und so verschwand sie denn wieder vom hiesigen Horizonte, ohne daß ich etwas Weiteres vernahm

     Letzten Sonntag mußte ich an ein Leichenbegängniß in Hottingen und kam auf dem Wege an dem Hause oder den Häusern vorüber, wo im Jahr 1846 Freiligraths und Wilhelm Schulz gewohnt haben und eine gewisse Fräulein Marie Melos. Fast alles ist todt aus jener Zeit. Einen verrückten Lehrer Ludolf, der auch in dem Zangger-Hause wohnte, traf | ich später in Heidelberg noch viel verrückter.

     Die Geburtstagssitten kann ich hier nun nicht mehr ändern, und wenn ich aller Welt gratulirte, so würde mir es doch Niemand thun, als Sie. Ich will mich daher lediglich an Sie halten in diesem Punkt und wir wollen, so lange Sie mir noch gewogen bleiben, fleißige gegenseitige Gratulanten sein.

     So eben entdecke ich in Ihrem lieben Briefe wieder die anonyme Verehrerin, welche Sie zu kennen vorgeben. Behalten Sie mir dieselbe warm und den Namen für sich, so komme ich nicht in Versuchung.

     Meine Schwester dankt höflich für den freundlichen Gruß und erwidert | denselben herzlichst d. h. so herzlich die nüchterne Person es mit gutem Willen im Stande ist; denn sie hat niemals aus den himmlischen Quellen der oberen Bergpartieen getrunken, wo die Schafheerden der Dichtersippschaften weiden und die Musen auf kleinen Melkstühlen sitzen.

     Dafür füge ich aber um so feuriger meine eigenen Grüße bei als Ihr ergebener

                                                Gottfr. Keller. 

 


 

5. 2. 1878  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 73; unveröffentlicht>

Cannstatt d. 5. Febr. 1878.

Mein verehrter, theurer Freund und Altersgenosse!
 
Wenn ich genau wüßte, daß mir jeder verspätete Dank so viel Freude, Genuß u. Besitz einbrächte, so glaube ich fast, daß ich mir das Danken ganz abgewöhnen würde. Aber freilich befleißigen sich nicht alle Freunde solcher Liebenswürdigkeit u. Aufmerksamkeit, wie Sie es thun, weshalb mein ohnehin dankbar gestimmtes Herz das Danken nicht gleich an den Nagel hängen wird. Daß sich mir aber die Verzögerung so günstig erweisen würde, hätte ich weder geahnt noch gehofft, weshalb mir auch die Versuchung nahe tritt künftighin in's Aufschieben zu gerathen. Sie tragen dann die Verantwortung solcher Unterlassungssünden auf Ihrem Gewissen.

     So hören u. staunen Sie denn, daß wir | schon vor mehreren Wochen von H. Weibert "Ihren Befehlen gehorsam" ein Exemplar der Züricher Novellen zugeschickt bekamen, welches wir Beide mit neidischen Augen betrachteten. Die Preisfrage: welche der beiden Schwestern darf sich dieses Exemplar ganz ausschließlich aneignen? blieb unentschieden. Wären wir nicht so wohlerzogene, friedliebende u. uns gegenseitig liebende Schwestern, wir hätten uns unsere grauen Haare im Kampfe um dies Besitzthum ausgerissen. So aber trat von vornherein ein Waffenstillstand ein. Mit Wehmuth u. Resignation blickten wir auf ein Exemplar von Dr. Hoefners nie ermüdender Feder "Dunkle Fenster" welches er beiden Schwestern zusendete u. mit gebundner Rede widmete. Auch auf den "Briefwechsel zwischen Schiller u. Cotta", von Dr. Vollmer herausgegeben, fielen unsere Augen, da das Titelblatt die Inschrift trägt: "dem hochverehrten Schwesternpaar etc". Hier aber war keine Widmung. Der Besitz der "Züricher Novellen" blieb zweifelhaft. Unzweifelhaft | nur war, daß wir uns mit wahrem Hochgenuß in diese Lektüre vertieften.

     Wer beschreibt nun unser freudiges Staunen unsere angenehme Ueberraschung, als Ihre Sendung eintraf? Meine Feder vermag solches nicht - ich muß es einer gewandteren überlassen. Dieses Exemplar nahm ich nun sofort u. unbestritten in mein Besitzthum. Einige Schwierigkeiten würde nun wieder die Frage wegen der Photographien hervorgerufen haben, die ich eigentlich beide mir aneignen wollte, wenn - trotz der vorgeblichen Tyrannei, die ich ausüben soll - Ida nicht sofort die Frage gelöst hätte, indem sie erklärte: "Die Cabinetphotographie behalte ich." So blieb mir nur der "Schulmeister", der auch am besten für mich paßt. Fände ich aber einmal einen solchen "Schuhmacher" so würde ich ihm unbedingt mein Schuhwerk anvertrauen u. könnte einer anregenden Unterhaltung beim Anmessen meiner Stiefeln gewiß sein. Aber ich will nur gleich die Hoffnung eines solchen Fundes aufgeben, da er mir doch nicht gelingen würde. |

     Nun wäre es aber an der Zeit zu danken. Wie soll ich Ihnen aber danken für all' Ihre Güte u. Freundlichkeit, für Ihren lieben Brief, für Ihr liebes Bild - u. für Ihre geistigen Schöpfungen, die mir ein so fortwährender Genuß sind? Ich wollte, daß ich Ihnen die Hand drücken u. Ihnen in's Auge schauen könnte, das wäre besser, als alle Dankesworte. Einer Vorlesung über Ihre Eitelkeit würden Sie aber dabei nicht entgehen. Glauben Sie denn, vermöge Ihrer Unsterblichkeit, allein eine Ausnahme unter den Sterblichen zu machen? Wollen Sie ewig jung bleiben? Wollen Sie noch das Ansehen eines 18jährigen Jünglings tragen, wenn Sie schon ein halbes Jahrhundert den Gang der Welt beobachteten? Ich möchte das Gepräge meines Alterthums gar nicht einbüßen - u. würde es nicht für die Jugend hingeben, deren ich mich noch im Jahre 1846 erfreute. Wenn wir uns jetzt wiedersehen sollten, würden wir uns in den ersten Augenblicken wohl befremdend anschauen. Da aber die alte Freundschaft dieselbe geblieben ist so würde das Befremdende bald schwinden. |

     In der Schweiz würde mir auch Alles neu u. wunderbar vorkommen, trotzdem ich noch sehr lebhafte Erinnerungen an die landschaftlichen Schönheiten derselben habe. Wäre ich Malerin, ich getraute mir noch einzelne Bilder aus der Erinnerung hinzuwerfen, wozu Sie vielleicht, als Kunst- u. Sachverständiger sehr die Achseln zucken werden. Was nicht mehr ganz frisch im Gedächtniß ist, haben Sie durch Ihre unvergleichlichen Schilderungen wieder schön aufgefrischt. Ich bitte dies nicht als "verdächtige Flattusen" zu nehmen, deren Bekanntschaft ich noch nie gemacht habe. Was ich namentlich bei Ihnen bewundere, ist das Talent die wirklich historischen Facten so getreu mit den Gebilden Ihrer Phantasie zu verschmelzen, daß Alles wie aus einem Guße ist. Und der Maler verläugnet sich auch nie in Ihren Schilderungen, denn nur ein solcher kann es möglich machen die landschaftliche Umgebung so klar, so naturgetreu u. so poetisch uns vor Augen zu führen. Ob ich ein gut gemaltes | Bild ansehe - oder eine Ihrer Beschreibungen lese, gilt mir gleich. Ich muß oft daran denken, wenn meine Blicke auf ein liebes schönes Bild von Zürich fallen, welches mir der theure Ferdinand beim Scheiden von dort, im Frühjahr 1846 schenkte. Es hat immer die Räume meiner verschiedenen Wohnzimmerchen geschmückt - u. ist mir nun jetzt doppelt lieb u. werth geworden. - Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen auch verrathen, daß Ihre "Verehrerin" auch Malerin ist. Sie gibt in der hiesigen Töchterschule den Unterricht im Zeichnen - u. ist ein hübsches, schlankes, sehr kluges Mädchen. Ueber die 18 Jahre ist sie hinaus, hat aber noch ganz die Frische der Jugend. Sie heißt Susanna, woran Sie sich müssen genügen lassen, denn den Familiennamen verrathe ich nicht. Nächstens wird sie wieder in den Züricher Novellen schwelgen, auf deren zweiten Band sie äußerst gespannt ist. Wird Ihnen nicht ganz unruhig zu Muthe?

     Mehr Ruhe scheinen Sie Frau Ludmilla | gegenüber gehabt zu haben. Sie hätten doch jedenfalls ein rendez-vous versuchen müssen, ob zur bestimmten oder unbestimmten Zeit blieb sich gleich. So vermuthete Frau Ludmilla, wie sie meiner Schwester schrieb, daß Sie verreist gewesen wären. Sie sind eben ein sehr weiser Mann, wie ich Ihnen noch zum Schluße meiner Epistel bemerken muß. Sonst hätten Sie auch nicht ausfindig gemacht, daß Schwester Ida "einem ähnlichen Drucke geduldig nachzugeben behauptet". Ich bin aber auch weise und vermuthe, daß es mit "Ihrem Drucke" dieselbe Bewandniß hat. Grüßen Sie mir nur den Schwester-Tyrannen herzlich, da wir so viel Beziehungen zu einander haben - u. auch hinsichtlich der Prosa uns freundlichst begegnen.

            Gott befohlen, mein theurer Freund!
            Nochmals den innigsten Dank
                                                von Ihrer
                                                alten Freundin
                                                Maria Melos.

 


 

29. 12. 1880  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/8; GB 2, S. 398>

Zürich 29 Dec. 1880

Hochverehrte Fräulein und theuerste Freundin!
 
Wenn ich Sie nicht für eine gütige Seele hielte, so würde ich jetzt mit großem Zagen daran gehen, Ihnen zum Neujahr Glück zu wünschen. Zwar sind Sie theilweise selbst Schuld, daß ich verhindert war, Ihnen rechtzeitig zu schreiben. Denn Sie haben im Juli Ihr neues Bildniß wie einen Partherpfeil auf mich abgeschossen und sind dann auf unbestimmte Zeit in unbekanntes Land entflohen. Nun, an meinem herzlichen Dank für das zierliche und feine Bild hätten Sie auch früher so wenig zu beißen gehabt, wie jetzt, während ich das Kleinod vergnüglich in meiner kleinen Freiligraths-Galerie aufgestellt habe. Ich werde veranlaßt, ein älteres Oelbild von 1873, wo ich noch jung und schön war, photographieren zu lassen, | was dann radiert werden soll. Da will ich für Sie auch gleich eine Photogr. bestellen, um meinen guten Willen zu zeigen.

     Herr Weibert hat mir geschrieben, er werde Ihnen ein Exemplar des Grünen Heinrich senden, der erst im Spätherbst fertig geworden. Das Buch ist von der Mitte des 3t. Bandes an neu geschrieben, Sie brauchen also das Frühere nicht zu lesen. Ich habe allerlei hineingeflunkert, um es deutlicher zum Roman zu machen; denn noch immer gibt es Esel, die es für baare biographische Münze nehmen. Das Tollste ist, daß jetzt, nachdem ich ein Jahr redlich daran gearbeitet habe, um allerhand Ungeschmack auszumärzen, und nachdem 25 Jahre lang die Leute sagten, der Tod des Heinrich sei unmotivirt und gewaltsam, Kritiker kommen und behaupten, er müsse todt bleiben und die alte Ausgabe sei besser. |

     So geht es mir, wie dem Bauer in der Fabel, der mit seinem Sohn und seinem Esel zu Markt ging und zuletzt dazu kam, mit dem Sohne den Esel zu tragen.

     Ich bin jetzt etwas fleißiger als vorigen Winter. Ich schmiere frische Novellen in die deutsche Rundschau, die vom Januar bis April oder Mai monatlich fortgesetzt werden. Da es ein Buch daraus giebt, so werden Sie das Zeugs auch zu lesen bekommen, wenn Sie mir bis dahin gewogen bleiben. Haben Sie einen schönen Sommer u Herbst gehabt? Es dunkelt, und ich muß in die Stadt um eine kalte Pastete und eine Torte für die nächsten Tage zu bestellen, sowie Confect für 2 Pathen-Kinder. Denken Sie sich die Schändlichkeit: erst in den letzten Jahren bin ich wiederholt zu Gevatter gebeten | worden; ich mußte in der Kirche herumstehen, Knixe machen, und jetzt alljährlich auf Geschenke denken, Schaumünzen oder Sparbüchsengeld einwechseln et, kurz was einen armen alten Kerl nur ärgern kann!

     Verleben Sie ein friedliches und süßes Neujahr und verdienen Sie sich ferner den Himmel an mir, als Ihrem

                                                treu ergebenen
                                                Gottfr Keller

 


 

16. 2. 1881  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 82; GB 2, S. 399 z. T.>

Görlitz, Promenade 2,
den 16. Febr. 1881.

Sehr verehrter, theurer Freund!
 
Gestern ließ ich eine Schlesische Zeitung nach Zürich fliegen, die eine Besprechung Ihres "grünen Heinrich" enthielt. Hatte ich Recht zu glauben, daß diese Hinterwäldler Blätter sich nicht bis zur freien Alpenluft Bahn brechen würden? Nun, wenn Ihnen eine freundliche, anerkennende Kritik doppelt unter die Augen tritt, so denke ich, ist das immer besser, als wenn es gar nicht geschieht. Vergangene Woche enthielt dieselbe Zeitung eine Besprechung der "deutschen Rundschau" wobei Ihr "Sinngedicht" wieder das größte Lob davon trug und es mir eine große Genugthuung war zu lesen, daß Ihre | Novellen allein noch wahre Poesie und Romantik enthielten. Ich habe mich sehr gefreut, daß Sie diesen Winter so fleißig begonnen u. so frisch darauf los "geschmiert" haben. Ich zapple ordentlich darauf die neuen Novellen zu lesen - werde mich aber wohl gedulden müssen, bis dieselben als Buch erscheinen, da ich die deutsche Rundschau hier nicht zu lesen bekomme. Es ist aber wirklich eine wahre Geduldsprobe. Und eine noch viel größere finde ich die, daß der grüne Heinrich immer noch nicht in meinen Händen ist, dessen Bekanntschaft ich doch so gern erneuern möchte. Wenn Sie mir sagen, daß ich das Buch erst von der Mitte des III. Bandes wieder zu lesen brauchte, so finde ich, daß dies ein schlechter Rath ist, da ich Ihre Dichtungen immer so gern wieder lese. Hätte man nur noch mehr Zeit dazu. Ich bedaure stets all die Poesie u. Lebensweisheit, die in Ihren Werken | enthalten ist, mir nur selten vor die Seele führen zu können. Der Tag ist immer so rasch dahin, ehe man etwas ordentliches gethan hat, u. wer weiß wie bald auch das ganze Leben dahin sein wird. Jetzt namentlich verfliegen die Tage rascher, weil ich den Winter bei meiner lieben Freundin verlebe, die mich schon seit Jahren gebeten hatte einmal den ganzen Winter bei ihr zuzubringen. Da mich Schwester Ida auch gut entbehren konnte, indem sie seit Anfang Dezember Besuch einer lieben jungen Freundin (Tochter des alten Eichmanns in Düsseldorf) hat, die ihr eine sehr angenehme Gesellschaft ist, so bin ich nach meinem Sommeraufenthalt in Sachsen gar nicht nach Canstatt zurückgekehrt, sondern überschritt dann gleich die Grenze nach Schlesien. Ich habe nur eins hier auszusetzen, daß es mir nämlich zu gut geht u. daß ich auf unverantwortliche Weise verwöhnt werde. Ich stemme mich freilich so viel wie möglich dagegen, | aber es ist entsetzlich schwer sich in seinen alten Tagen nicht verwöhnen zu lassen. Meine Freundin ist seit einigen Jahren Wittwe u. hat keine Kinder. Sie ist eine sehr reiche, wohlthätige u. kunstliebende Frau. Ihr schönes Haus ist auf's bequemste eingerichtet mit den herrlichsten Gemälden, Kupferstichen u. Kunstgegenständen geschmückt. Es ist von einem großen Garten umgeben - und in diesem Garten wieder befindet sich ein Gewächshaus, welches meine ganze Wonne ist. Da blüht u. duftet schon ein ganzer Frühling u. ich kann sogar "ungestraft" hier unter Palmen wandeln. So traf mich denn Ihr lieber Brief v. 29. Dez. nicht in Canstatt in den alten gewohnten Räumen, sondern in Schlesien, wohin ihn mir Schwester Ida sandte. Wir schreiben uns fleißig u. freuen uns der guten, gegenseitigen Berichte. Nur in den letzten Wochen war ich etwas beunruhigt zu hören, daß Ida | an einer leichten Rose am Fuß litt, die auch, wie es scheint, noch nicht ganz aufgehört hat zu blühen. Indessen soll es durchaus nichts Beunruhigendes sein - und Ida läßt sich dabei nicht in ihren täglichen Spaziergängen u. gelegentlichen Ausflügen stören. Wahrscheinlich hat sie Ihnen schon selbst geschrieben und Ihnen von Allem berichtet was Sie mehr interessiren wird, als was ich Ihnen melden kann. Im Frühling gedenke ich wieder gen Cannstatt zu segeln, kann aber freilich jetzt die Zeit meiner Ankunft dort noch nicht bestimmen, da ich - da ich nun einmal in Schlesien bin - noch einige Besuche bei Freunden abstatten muß.

     Und nun vergessen Sie mir auch nicht die versprochene Photographie zu schicken, auf welche ich mich sehr freue. Welcher Künstler hat denn das Oelbild im Jahr 1873 geliefert? Sie werden | mir doch nicht weiß machen wollen, daß Sie nur damals "schön" waren? Wahre Dichter haben ein Privilegium auf Schönheit. Wer will überhaupt über Schönheit streiten? Sie läßt sich auch nicht definiren u. kunstgerecht auseinander legen. Ich habe oft Schönheiten beobachtet, die andern Menschen unverständlich waren und die mir den Eindruck einer himmlischen Seligkeit machten, von der man auch nur dann u. wann eine Ahnung hat. Uebrigens habe ich auch ein doppeltes Anrecht auf Ihr Bild, weil mir Schwester Ida damals gleich Ihre Kabinetphoto. wegnahm u. dieselbe für ihre Sammlung behielt.

     Auch kann ich gar nicht mit Ihnen  über die "Schändlichkeit" übereinstimmen, Sie zu Gevatter zu bitten. Wissen Sie nicht, daß Sie mit jedem Pathenkinde eine Stufe höher in den Himmel rücken? Lassen Sie sich deshalb nur die Einkäufe | von Pasteten, Torten, Confect, Schaumünzen etc. gefallen, da sie Ihnen gewiß hohe Zinsen einbringen werden. Es ist auch ganz gut, daß Sie sich einstweilen auf die Gevatterschaft vorbereiten, die Ihnen einmal mit mir bei Percy's Erstgeborenem blüht. Vor der Hand hat der Betreffende aber noch keine Braut u. wir haben Zeit zur Sammlung für den feierlichen Moment. Einstweilen will ich dem lieben, zukünftigen Herrn Gevatter ein recht herzliches Lebewohl sagen, denn meine prosaische Unterhaltung taugt gar nicht für ein "Sinngedicht". Gott behüte Sie theurer Freund! Ihrer Muse den lieblichsten Frühlingssonnenschein, der jetzt unsere Fluren erquickt u. den letzten Schnee schmelzen wird.

                                                Ohne Wandel
                                                Ihre
                                                alte Freundin
                                                Maria Melos.

 


 

16. 7. 1881  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/9; GB 2, S. 401>

Zürich 16 Juli 1881.

Verehrte theuerste Freundin!
 
Sie haben sehr wohl gethan, mir mit Ihren gütigen Zeilen auf die Spur zu helfen; denn ohne das würde ich unsern Geburtstag richtig vergessen haben, abgesehen davon, daß ich über Ihren Aufenthalt im Ungewissen war. Ich schreibe auch nur in der Eile, da ich im Abschreiben des veränderten Schlusses eines Buches (des Sinngedichts) begriffen bin. Dazu rollt der Donner über den See, um die Kraft und Wohlmeinenheit meiner Glückswünsche zu verstärken und bestätigen. Und in der That könnten Glücks- und andere Wünsche nicht schöner reisen, als nach solchen Landen und an solche Leute, wie jetzt die Meinigen. Für die Ihrigen bringe ich Ihnen den herzlichsten Dank dar; sie sind mir um so kostbarer, als sie von einem Congreß dreier Schwestern herkommen, | die sich 40 Jahre nicht gesehen. Verleben Sie nun an der Wartburg den 19 Juli recht schön und heiter, daß sein Glanz noch viele heitere Nachfolger anlockt. Ich werde ebenfalls ein Glas guten Weines auf Ihre und der verehrten Schwester Gesundheit leeren.

     Für die freundlichen Zeilen der letzteren danke ich auch schönstens. Die Biographie Ferdinands habe ich schon, so weit sie erschienen, und Neues, Erfreuliches darin gefunden. So z. B. wußte ich nie, daß er in seiner Jugendzeit ritt und jagte, was mir eine willkommene Ergänzung ist.

     Nachträglich danke ich bestens für die Zeitungsnummer, die Sie mir aus Görlitz gesendet. Daß Sie dort so schön und glücklich gewohnt haben, gönnte ich Ihnen so herzlich, als ob ich selbst daran Schuld wäre. Doch dies nur vorläufig; die eigentliche Briefschuld werde ich nachher abtragen. | Ich habe nämlich seit Frühjahr wieder einmal eine allgemeine Stockung in diesem Punkte erlitten oder vielmehr erleiden gemacht.

     Das Bild, von dem ich Ihnen gesprochen, ist erst vorige Woche zum Photographen gewandert. Bis Sie wieder in Cannstatt sind, werde ich Ihnen ein Exemplar schicken können, wo Sie dann Ihre Betrachtungen über meine irdische Schönheit mit Muße fortsetzen mögen. Die beiden Bildchen aus Weimar freuen mich sehr und ich danke schönstens dafür, obgleich sie mich wieder durch Vergleichung demüthigen. Als Einzel-Apollo à la Trippel kann man mich allenfalls, besonders seit Sie mich unter die Sterne versetzen, immer noch produziren. Dagegen fehlt mir für ein Doppelmonument absolut der würdige Zweite oder Andere. Bin ich derjenige mit r am Ende, so fehlt mir der mit E oder e, und wenn er sich fände | und ein langer Kerl ist, so bin ich wieder zu kurz u. s. w. Es wird also am besten sein sich über unser Epigonenthum nicht zu ärgern und statt auf ein Postament sich auf einen warmen Ofen zu setzen.

     Ich hatte gefürchtet, daß Frau Freiligrath durch ein par schlechte Witze in meinem letzten Briefe aufgebracht sei. Ihre freundlichen Zeilen beruhigen mich und ich werde mich in Zukunft um so frömmer aufführen.

     Für jetzt leben Sie beide verehrte Erscheinungen im Leben dichtender Pilgersleute recht wohl und gesund und genehmigen die Grüße treuer Freundschaft und Ergebenheit

                                                Ihres
                                                Gottfr Keller

 


 

24. 10. 1881  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/10; GB 2, S. 404>

Zürich 24 Oct. 1881.

Hochverehrte gütige Freundin u Dame. Seit vier Wochen oder länger wollte ich Ihnen schreiben und wartete nur auf die Exemplare meines neuen Erzählungsbüchleins, um Ihnen eines davon mitschicken zu können, von einem Tag auf den andern. Unverständlicher Weise höre und sehe ich nichts von dem Zeuge, das schon lange fertig gedruckt ist.

     Die überraschende Nachricht von der Uebersiedlung nach Düsseldorf zwingt mich nun doch, den edlen Schwestern noch vorher meinen Gruß zu senden, meine herzliche Theilnahme an Bewegungen und Sorgen auszudrücken und meine besten Wünsche für glückliches Vollbringen und die Genesung des lieben Sohnes unter der Mutterhand beizufügen. |

     Ich habe mich inzwischen fortschreitend an dem Lebensbilde des verewigten Vaters erfreut, das so vortrefflich fast nur durch seine eigenen Aeußerungen seine Werke ergänzt und erleuchtet. Ueberrascht hat mich auch das mir unbekannt gewesene sehr schöne u poetische Bildniß von Hasenclever, das einem der Hefte beigegeben ist.

     Ihre knurrige Sceene am Postschalter zu Eisenach hat mich herrlich ergötzt; vornehmlich Ihre zornigen Augen, nach abgelegter Bescheidenheit, hätte ich zu erblicken gewünscht, und ich kann mir denken, wie der postalische Flegel sich gesputet hat, der drohenden Löwin den Brief hinzuwerfen. Den 19t. Juli hätt' ich dies Jahr wieder einmal am Tage selbst beinahe vergessen und erst gegen 11 Uhr Abends, in einer Wochengesellschaft, erinnerte ich mich noch der Abrede und trank noch | schleunig ein Glas Zürri-Wein auf Gesundheit und langes Leben der Pilgerinnen auf der Wartburg. Ich kann diese Vergeßlichkeit an dem Tage selbst nicht mehr ändern; ich glaube wenn alle 11,000 Jungfrauen mit mir an demselben geboren wären, so würde ich wenigstens am Morgen niemals daran denken.

     Die Photographie nach dem Oelbildchen ist nicht gut ausgefallen wegen des Farbenglanzes. Dennoch will ich sie in das Buch legen, das ich Ihnen an die neue Adresse nach Düsseldorf senden werde. Das Bild wird übrigens jetzt in München gestochen oder radirt. Vielleicht kann ich einen Abzug für Sie erwischen, wenn Sie's durchaus haben wollen.

     Hier ist auch fortwährend naßkaltes Wetter gewesen und ich habe 14 Tage ebenfalls über einem schändlichen Catarrh, Schnupfen etc. verloren. Nun will ich Sie aber nicht länger in Ihrer Unruhe und Reisevorbereitung stören. Lassen Sie sich's nicht zu sehr angreifen und grüßen Sie herzlichst von mir die verehrte Frau Ida. Und Glück auf den Weg in's alte Rheinland!

                                                Ihr ältester u getreuster
                                                G. Keller

 


 

14. 12. 1881 Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/11; GB 2, S. 406>

Zürich 14 Dec. 81.

 Verehrte Freundin, tugendreichstes Fräulein! Ich nehme an, Sie seien jetzt mit der erlauchten Frau Schwester am Rhein, nach so viel Jahren, so weit wieder fest angesiedelt, daß Sie ein kleines Buch und einen Brief in Empfang nehmen und wenigstens letztern lesen können, obgleich nicht viel darin steht. Das Buch dürfen Sie mit Zeit und Weile auch lesen, bis es Sie langweilt; denn es scheint mir mit demselben endlich eine Art Nachsömmerlein aufzugehen, indem in Zeit von drei Wochen, seit es erschienen, schon die 2t. Auflage gedruckt wurde, obschon die erste 1500 stark ist. Diesen nachträglichen | Sonnenblick schreibe ich Ihrer freundlichen Altersgenossenschaft mit mir zu und dem Umstande, daß ich Ihnen zum letzten gemeinsamen Geburtstage so pünktlich gratulirt habe, so daß Sie wenigstens nicht vergebens am Schalter des groben Postbedienten zu Eisenach angeklopft haben. Das hat ein guter Geist des schönen Thüringer Landes oder vielleicht die heilige Elisabeth selber im Himmel gesehen und ganz im Stillen dem unbeholfenen aber frommen Werklein des kurzen Erdmännleins eine Stätte bereitet. Wenn wir hoffentlich einst zusammen gen Himmel fahren, so werde ich mich | an Ihre goldene Sternenschleppe hängen und mich von Ihnen der Frau Landgräfin vorstellen lassen.

     Einstweilen sehe ich noch wie ein Kaminfeger aus, wie Sie aus dem Bilde entnehmen, das ich in das Buch lege. Der Photograph ist an der Mundpartie des in Oel gemalten Originals gescheitert, weil die Farben resp der Firniß zu sehr glänzten.

     Ich denke, die beiden Schwesterdamen seien in besserer Gesundheit, als im October herrschte, nach Düsseldorf gekommen und jetzt dort im Kreise alter und neuer Freunde und Verehrer bestens wohnhaft. Besonders hoffe ich, daß dem Sohne Percy die mütterliche Pflege bereits | wohlthätig geworden sei und wünsche guten Fortgang.

     Grüßen Sie gütigst die Mama und den Sohn recht angelegentlich von meiner Seite und sich selbst, so treulich Sie können, indem Sie sich zu diesem Behufe vor den Spiegel stellen, von

                                                Ihrem ergebenen Freunde
                                                G. Keller.

 


 

2. 2. 1882 Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 77e Nr. 85; unveröffentlicht>

Düsseldorf IV.
Herderstraße 31.
den 2. Febr. 1882.

Theuerster und gewiß auch nachsichtigster aller Freunde und Altersgenossen!
 
Seit dem Jahre 1866, in dem mein liebes Mütterchen zur ewigen Heimath einging, bin ich im Besitz eines Bücher- u. Spiegelschrankes von alterthümlicher Construction u. Vergoldung. Diesen Schrank schenkte mein seliger Vater der Mutter im Jahr 1805, wo beide sich in das sanfte Joch der Ehe begaben. So lange ich denken kann habe ich diesen Schrank wie ein kleines Heiligthum betrachtet, u. meine allerfrühesten Erinnerungen sind mit demselben verflochten. Der alte Freund erzählt mir oft liebe, oft auch traurige Geschichten, die niemand hört wie ich, und die auch nie aufgezeichnet werden. Seitdem aber der Schrank in meinem | Besitz ist, steht er immer in dem Zimmer welches ich bewohne, u. birgt meine kleine Bibliothek, die mir dadurch besonders werthvoll ist, daß die Bücher fast lauter liebe Widmungen enthalten, u. mir zum größten Theil - nach u. nach - von unserm Ferdinand geschenkt wurden.  Zu gleicher Zeit ist mir dieser Bücherschrank aber auch Bildergallerie, da ich keinen Palast besitze, in dem ich mir speciell eine solche einrichten könnte. Die auszustellenden Bilder sind überhaupt nur Portraits, von denen auch stets nur eines am Rücken unserer Classiker lehnt. Ich vermeide somit allen Neid u. alle Eifersucht u. kann mich so auch wochenlang ungestört in die Züge eines lieben Freundes vertiefen. Indessen habe ich dies Jahr zuerst erfahren, daß dies Verfahren ein gewagtes Experiment oder auch ein gänzliches Verfahren ist. Es ereignete sich nämlich, daß am 14. Dez. v. J. Gottfried Keller mein Ausstellungslokal bezog. Bis zum 21. Dez. blickte | er mich immer freundlich lächelnd an. In der zweiten Woche konnte er eine kleine Verstimmung nicht bergen, da er nicht einmal zu Weihnachten einen freundschaftlichen Gruß empfangen habe. "Aber, liebster Freund", redete ich ihn an - "wie können Sie nur so ungerecht sein! Wissen Sie denn nicht, daß unser Dienstmädchen von ihrem Tanzvergnügen nicht heimkehrte u. wir sie entlassen mußten, wodurch uns eine Kette von Kehr- Feuer- u. Küchendivertissements zu Theil wurde, die nichts von Feder, Dinte u. Papier wissen wollten? Es ergriff mich ein stilles Sehnen, nicht nach Ihnen, bester Freund - sondern nach Ihrer trefflichen Schwester, die ich mit Besen, Staubtuch u. Kochlöffel in die Herderstraße hätte zaubern mögen." Sie nahmen mir das aber sehr übel; denn als in der dritten Woche vom 28. Dez. bis 4. Jan. auch noch kein Neujahrsgruß abgegangen war, machten Sie entschieden ein sehr finsteres Gesicht. Als ich Ihnen nun in der vierten Woche erklärte, daß ich jeden | freien Abend Ihr "Sinngedicht" zur Hand nähme, um es Schwester Ida vorzulesen, daß wir uns in langen Besprechungen seiner Vorzüge ergötzten, aber als strenge Kritiker (ein Amt welches ich meinem Schwesterlein gern allein überlasse) auch das nicht verschweigen könnten, was zu tadeln wäre, so runzelten Sie wohl die hohe, freie Stirn, ließen aber doch ein freundliches, vielleicht auch etwas sarkastisches, mitleidiges Lächeln Ihre Lippen umspielen, als wenn Sie hätten sagen wollen: Ihr armen Sterblichen! Trotz Eures Tadels, ist auch dies Sinngedicht seiner Unsterblichkeit gewiß! Wir zankten uns ein wenig, weil ich sehr naseweis erwiederte, daß ich das schon allein wüßte u. doch auch ein Wörtlein in dieser Angelegenheit sprechen könnte, sintemalen ich, oder meinetwegen auch die h. Elisabeth, dazu beigetragen hätte, daß in der dritten Woche des Erscheinens das Sinngedicht die zweite Auflage erlebt hätte. Wir ereiferten uns gegenseitig nicht wenig. Ihre Augen schossen Blitze, | daß sich die meinigen schließen mußten u. so machte ich kurzen Prozeß und packte Sie ein. Das war ein ausgezeichnetes Mittel, denn Sie haben sich musterhaft sanft u. liebevoll betragen, so lange Sie v. 18- 28. Jan. in Soest weilten, welches alte, romantische Nest, mit seinen vielen Erinnerungen an Ferdinand, Ihnen ganz besonders gefallen mußte. Seitdem ich aber die arme Gisberte Freiligrath verlassen habe, die jetzt sehr einsam ist, weil sie im Nov. v. J. ihre Schwester Lina begraben mußte, fangen Sie wieder an ganz rebellisch zu werden. Ich glaube Sie sind der Ausstellung müde u. verlangen nach Ruhe. Dasselbe Verlangen hege ich aber auch; denn ich will Ihnen nur gestehen, daß ich die schrecklichsten Gewissensbisse habe, Ihnen noch keinen Gruß aus Düsseldorf, noch keinen warmen, innigen Dank für all die treuen Wünsche zu unserer Uebersiedelung, für all die Beweise alter Freundschaft zugerufen zu haben. Ihr lieber | Brief v. 24. Okt. traf uns schon im tiefsten Einpacken u. in arger Verwüstung der sonst so trauten Räume. Wir freuten uns aber innigst Ihres Reisesegens, und ich nahm mir vor Ihnen baldmöglichst von unserm Ergehen Bericht zu erstatten. Indessen ging die Uebersiedelung doch fast über unsere Kräfte, obwohl die guten Eichmann's uns hülfreich zur Seite standen u. Percy sich durch Fleiß u. Geschicklichkeit Kisten zu öffnen u. auszupacken etc. etc. besonders auszeichnete. Es dauerte manche Woche, ehe wir uns nur einigermaßen heimisch fühlten, u. ehe Schreiner u. Tapezierer das Haus geräumt hatten. Nun ist's aber auch gemüthlich, trotzdem noch manches fehlt u. ausgeschmückt werden könnte. Die Hauptsache ist, daß unser Percy sich unter der mütterlichen Pflege u. in seinen behaglichen Zimmern mehr u. mehr erholt u. täglich blühender u. frischer aussieht. Ida ist natürlich sehr glücklich, u. freut sich das Opfer des Umzugs gebracht zu | haben. Auch die Tante söhnt sich beim Anblick des Neffen mehr u. mehr mit Düsseldorf aus, obwohl sie oft ein stilles Heimweh nach dem Neckar u. den dortigen Freunden nicht unterdrücken kann. Wir leben hier noch sehr still und zurückgezogen u. werden es wohl auch fernerhin thun. Das Haus, welches wir allein bewohnen, liegt von der Stadt u. auch vom Rheine sehr entfernt. Felder u. Wiesen umgeben uns - u. der Grafenberg sendet Waldesluft zu uns herüber. An dem kleinen Hause befindet sich auch ein kleiner Garten, der aber noch der Einrichtung bedarf, eine Veranda u. ein Balkon. So können wir uns der frischen Luft erfreuen, ohne das Haus u. sein Bereich zu verlassen. Kommen Sie nur hübsch diesen Sommer u. sehen Sie selbst wo wir geblieben sind; denn vor der Hand reflektiren Sie doch noch nicht auf eine Himmelfahrt, sintemal es auch sehr fraglich mit meiner Sternenschleppe aussehen würde. O, Sie Spötter! Uebrigens bin ich eine Feindin aller Schleppen, | namentlich wenn sie Sterne im Gefolge haben sollten, die mir doch zu gefährlich sein würden. Kommen Sie nur, damit ich Ihnen selbst für all Ihre schönen Dichtungen danken u. Ihnen erzählen kann, was mir am besten gefallen hat. Wenn man den Schluß Ihres Sinngedichtes auch erhoffte, so war doch die Wendung ganz unvergleichlich u. bewies mir wieder wie richtig Walesrode's Behauptung ist: "daß kein wahrer Dichter existire, der nicht auch gesunden Humor hätte". Sie müssen sich auch unsern 6 Fußlangen Percy ansehen, um dessen Pathenschaft Sie so schmählich gekommen sind. Da er aber nicht abgeneigt zu sein scheint auch einmal eine "bessre Hälfte" heimzuführen, so können wir immer noch hoffen zusammen Gevatter zu stehen, was uns allerdings viel Kosten verursachen wird, weshalb wir schon anfangen möchten zu sparen. Wenn Sie alle drei Wochen eine neue Auflage erleben, so sind Ihre Ausgaben allerdings gesichert; mit den meinigen | sieht es dagegen sehr unsicher aus.

     Und nun nehmen Sie auch noch einen besondern Dank für Ihr liebes Bild, welches mir viel Freude gemacht hat u. mit welchem ich schon ganz vertraut geworden bin wie Sie sehen. Die Aehnlichkeit mit einem Kaminfeger habe ich aber, trotz meines Studiums noch nicht entdecken können. Noch mehr werde ich mich aber freuen, wenn Sie mir auch einen Abzug des Münchner Stiches erobern wollen.

     Besser als Ihre Photo ist dem Maler Buchner die Photographie des Hasenclever'schen Bildes von Ferdinand gelungen. Die Radirung darnach werden Sie aus dem "Dichterleben" kennen; da aber die Photo. so viel treuer u. besser ist, so erlaubt sich Schwester Ida sie Ihnen als kleines Andenken zu überreichen. Ida glaubt, daß Sie selbst mit im Atelier von Hasenclever waren, als Ferdinand zu diesem Bilde saß. Ist es nicht so? Es wurde im Jahre 1851 gemalt.

     Aus Ihren lieben Briefen geht hervor, | daß Sie dem Erscheinen des "Dichterlebens" mit Interesse gefolgt sind. Nun möchte Schwester Ida gern wissen, ob Sie sich das Buch selbst angeschafft haben, da sie den Verleger beauftragte, Ihnen - nach der Vollendung des Werkes - ein Exemplar zuzusenden.

     Und nun Gott befohlen, mein theurer Freund! Zürnen Sie mir nicht wegen meines langen Schweigens, zürnen Sie mir aber auch nicht wegen meiner langen u. langstieligen Plauderei. Schwester Ida u. Percy senden Ihnen die herzlichsten Grüße u. besten Wünsche denen ich mich natürlich in erster Reihe anschließe.

                                                Immer von ganzem Herzen
                                                Ihre
                                                älteste und treuste
                                                Freundin
                                                Maria Melos.

 


 

14. 7. 1882  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 86; unveröffentlicht>

Düsseldorf IV.
Herderstraße 31.
den 14. Juli 1882.

Wenn Sie so freundschaftlich sein wollten mich nicht mehr mit "Verehrte" anzureden, so könnte ich auch gleich getrost mit: Lieber, theurer Freund, anfangen.

     Also die "verehrte Frl. Marie" (nebenbei gesagt bin ich "Maria" getauft worden) befindet sich dies Jahr auf keiner Sommerfrische. Sie wandelt nicht in den heimathlichen, sehnsuchterweckenden Tannen- und Buchenwäldern umher, besteigt keine Wartburg, schreitet über kein holpriges Pflaster der vielberühmten Stadt Eisenach, läßt sich von keinem "postalischen Esel" wüthende Blicke zuwerfen, sondern begnügt sich auf die weidenden Schafheerden unserer "Haide" zu schauen u. dem Herrn Blasius zu lauschen, der in diesem Jahre | nicht müde wird die Aeolsharfe zu spielen. Schon geht es seit Wochen wieder bergab - bald sind die Hundstage da - aber es will keine Wärme, kein anhaltender Sonnenschein kommen. Ist es einen Tag Sommerwarm gewesen, so ziehen schwere Gewitter heran, die zünden, u. mit Hagel u. Regengüssen hernieder rauschen. Da braucht man wirklich nicht zu verreisen, um sich noch besonders zu erfrischen, denn man hat genug der Abkühlung. Um die Temperatur zu erwärmen hatte unser Percy nichts Eiligeres zu thun, als sich mit der lieben Jutta zu verloben, die er seit dem Jahre 1880, wo er aus Californien heimkehrte u. seine Mama in Crefeld besuchte, die damals bei der Familie Buchner weilte, fest in's Herz geschlossen hatte. Jutta hatte wunderbarer Weise dasselbe mit Percy gethan, u. so geschah es denn, daß am 28. Juni 1882 plötzlich von dem was das Herz | erfüllte, der Mund überfloß u. eine glückselige Verlobung gefeiert wurde. Es kommt mir wunderbar genug vor, daß ich diesen Liebesfrühling noch erlebe, während ich doch schon den schönsten und unvergleichli<ch>sten von Ferdinand u. Ida mit durchleben durfte. Ja, wie die Zeit dahin jagt, u. wie sie schon längst die braunen Haare weiß gefärbt hat!

     Sie sehen der erste Schritt ist nun gethan, um zu unserer Pathenwürde zu gelangen, auf die wir seit Jahren so geduldig gewartet haben. Vor der Hand müssen wir immer noch warten, aber das thut nichts, Sie gewinnen somit Zeit sich den Frack zu bestellen u. das Tauflied zu überlegen, während ich mich im Voraus freuen kann Sie nun endlich bei dieser Gelegenheit wiederzusehen. Es scheint wenigstens nicht, daß Sie uns die Freude Ihres Besuchs früher gönnen wollen. Dennoch wäre es gar hübsch, wenn Sie die Eltern des zukünftigen Pathchens | kennen lernten. Ich wollte sie Ihnen wenigstens zum 19. Juli im Bilde schicken, aber dasselbe ist noch nicht so weit gediehen, um versandt werden zu können. Indessen verspreche ich Ihnen feierlich sobald wie möglich ein Exemplar zu senden.

     Die besten, treusten Wünsche sende ich meinem lieben Altersgenossen voraus. Ich brauche dieselben gar nicht erst in Worte zu kleiden, denn ich denke Sie kennen die alte Freundin sattsam genug, um zu wissen, daß sie Ihnen nur das Höchste, Schönste wünscht, nach dem zu streben u. dafür zu leben es wohl der Mühe lohnt. Auch hege ich noch den ganz speciellen Wunsch, daß Sie den 19. Juli dies Jahr nicht vergessen u. nicht blos am Schluß des Tages daran denken, um dann noch einen Extra-Schoppen auf unser beiderseitiges Wohl zu leeren. Machen Sie lieber einen extra schönen Spaziergang zur Feier des Tages u. lassen Sie sich von Ihrer lieben Schwester | Ihr Lieblingsgericht bereiten. Ich mache auch immer so eine kleine Extrabestellung zum 19. die gewöhnlich in Milchgries besteht. Sie sind freundlichst darauf eingeladen.

     Weshalb wollen Sie mir denn einen "Buß-Brief" schreiben? Wissen Sie wohl, daß mich das Wort tief getroffen hat, u. es an mir wäre Ihnen einen Bußbrief zu senden? Seitdem ich nämlich meine letzten Zeilen für Sie abgehen ließ, hat mir's ordentlich schwer auf der Seele gelastet, daß ich Ihnen gar nicht warm genug für Ihr herrliches Sinngedicht gedankt habe. Ich kann aber brieflich immer nur schlecht danken, denn ich kann das Empfundne nie recht in Worte bringen u. leide überhaupt an mangelhafter Ausdrucksweise. Ich wünschte Ihnen mündlich sagen zu können, wie so Vieles mich in dem Buch entzückt hat, obwohl ich Ihnen auch nicht verhehlen würde, daß ich nicht mit Allem einverstanden bin. Namentlich können Schwester Ida u. ich uns nicht | mit Reginen's Tod aussöhnen. Es würde aber zu weit führen, wollte ich Ihnen das Alles schriftlich auseinander setzen. Am meisten hat uns die Novelle Salvador Correa's in Bewunderung Ihres Erzählertalents versetzt. Mit welcher Freude u. Genugthuung habe ich vor Kurzem der lieben Schwester den längern Artikel über Gottfried Keller im Juniheft der Rundschau, von Otto Brahm, vorgelesen. Wir hätten Alles unterschreiben mögen, bis auf das was er über Reginens Tod sagt. Der Artikel war auch Veranlassung, daß ich Idan - in stillen Stunden - wieder manche Erzählung der Leute v. Seldwyla vorlas. Mit welcher Freude ich vom "unsterblichen Seldwyler" vorlese, bedarf wohl kaum der Versicherung. Ich wünschte nur die "stillen Stunden" wären häufiger. Indessen haben wir deren jetzt nicht viele, wo so oft lieber Besuch bei uns einkehrt. Kroekers waren auch zu Pfingsten einige Tage hier, und | kommen, so Gott will, nächsten Sonntag Abend wieder, nachdem sie einige Wochen in Ostpreußen (Eduard's Heimath) verlebt haben. Indessen wird ihr Aufenthalt nur sehr kurz sein. Später kommt Louischen mit ihren beiden ältesten Knaben, die seit einem Jahre die Schule in Elbing besuchen u. eine deutsche Erziehung erhalten sollen.

     Und nun Gott befohlen, lieber, theurer Freund! Schwester Ida schreibt Ihnen selbst, um Ihnen zu sagen, welche Freude gestern Ihr Brief erregte.

     Treten Sie das neue Jahr Ihres Lebens gesund u. heiter an, und lassen Sie es für uns Alle, ein genuß- und segensreiches sein!

                                                Immer in alter treuer Freundschaft
                                                Ihre
                                                Maria Melos.

 


 

17. 7. 1882  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/12; GB 2, S. 407>

Zürich 17 Juli 1882.

 Da wäre ich also, allertheuerste Freundin, mit meinem Tribut an Glückswünschen, so gut ich ihn in den Jagdgründen meines Lehnswesens, des Herzens, habe aufbringen können. Und ich danke Ihnen zugleich für Ihren so hurtig entgegengekommenen Geburtstagssegen! Möge es uns, die wir nun auf der andern Seite schon ein gutes Stück hinunter gelaufen sind, bis zu Ende noch so leidlich ergehen, wie bisher.

     Ich danke Ihnen auch für den reichhaltigen letzten oder vorletzten Brief, und bin namentlich sehr stolz darauf, im | goldenen Tabernakel Ihres Erbschrankes einlogirt zu sein, so daß ich mich fast mit dem katholischen Namen Maria versöhne, welchen Sie dem leichter und weltheiterer klingenden Marie so sehr vorzuziehen scheinen.

     Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie das Sinngedicht ein wenig loben, welches das leichtsinnige Zeug nöthig hat. Der Tod der armen Regine war leider nothwendig, um die Gestalt der weiteren Berührung mit der Welt zu entziehen. Fiele dieser Tod weg, so würden die gleichen Damen, die ihn jetzt nicht leiden mögen, die Achsel zucken und sagen: Es ist doch eine kuriose Geschichte mit dieser Küchenmagd, was soll das eigentlich heißen u. s. w. Und so geht mir wenigstens die artige Ausstattung nicht verloren, die ich an die Figur verwendet habe. Es geht uns Allen mehr und minder so, mein liebes Fräulein; erst wenn wir gegangen sind, läßt man uns gelten und bedauert uns.

      Auch Ihnen gratulire ich inzwischen zu der Verlobung des Neffen und damit zu der Bereicherung Ihres Verwandtenkreises und zur neuen Belebung Ihrer sonnigen Pathenträume, die sich nur rechtzeitig erfüllen mögen.

     Der allerliebste Bleistiftbrief der Frau Ida hat mich recht gefreut und ich danke höchlichst für denselben, beste Gesundheit und gute Augen wünschend. |

     Ich muß schließen, da ich mich verspätet habe und die Poststunde sofort schlagen wird. Unseren luftigen Wohnsitz auf der Höhe am See müssen wir leider verlassen, weil die Schwester den weiten und zu steil ansteigenden Weg aus Mangel an Athem nicht mehr machen kann und sich namentlich in der Isolirung zur Winterszeit langweilt. Wir werden vom 1 Oct. an in Hottingen wohnen, in einem Eckhause am Zeltweg und der Gemeindegasse, an welcher die Freiligrath'sche Herrschaft einst gewohnt hat

     Feiern Sie einen vergnügten Tag! Wenn immer möglich, werde ich Ihrer gedenken und das dämonisch verhexte Vergessen des eigenen Geburtstages dieses Mal gewiß überwinden

                                                Ihr Alles und Alle doppelt
                                                u dreifach grüßender G. K.

 


 

28. 8. 1882  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 87; GB 2, S. 409 z. T.>

Düsseldorf IV.
Herderstraße 31.
den 28. Aug. 1882.

Theuerster Freund!
 
Mit wem könnte ich mich wohl am Geburtstag des "Unerreichbaren" lieber u. besser unterhalten als mit Ihnen? Wer hegt wohl größere Verehrung für den "Alten" u. wer versteht ihn besser zu würdigen als Sie? Sagt man doch - u. gewiß mit vollem Recht - daß nur Ihre Prosa der des Unsterblichen zu vergleichen sei. Nun werden Sie das vielleicht wieder für ein Compliment halten, was es doch gar nicht sein soll, u. ich will nur frisch darauf weg ohne Einleitung, u. ohne Präludium in höheren Tonarten, vorerst meinen allerschönsten Dank für den lieben Briefsegen aussprechen, der den 19. Juli so hell erleuchtete u. der "Herben, Bittern" (deshalb liebe ich Maria) auch noch nachträglich | den Tag verherrlichte. Es ist doch schön, daß wir einen Geburtstag haben, wobei ich jedenfalls besser wegkomme wie Sie. Auch hat mir noch nie ein X Band einen so lieben Brief eingetragen, wie die Ihrigen, weshalb ich mich eigentlich noch besonders bei dem hiesigen Geschichts- u. Staatskalendermacher bedanken möchte. Er zeigt sich wenigstens als einen gebildeten Mann, der - wenn er auch vielleicht Ihre Dichtungen nicht kennt - doch zu sagen weiß wann Sie geboren sind. Was soll ich aber zu den drei Generationen der orientalischen Wagnerianerinnen sagen, die am 19. Juli mit Gottfried Keller zu Mittag essen u. so unwissend sind diesem Meister kein Hoch auszubringen? Freilich waren Sie "Erinnen", da sie die Rache über die eignen Häupter herauf beschworen u. sich der reinsten Freude beraubten. Aber deutsch gesagt waren sie Schafsköpfe, oder auch Gänse, woraus Sie mit besonderer Genugthuung sehen können, daß ich | Ihre Werke nicht ohne Nutzen studire. Mir ist's nicht so gut geworden wie Ihnen am 19. Juli. Ich habe kein feierliches lucullisches Mahl in orientalischer Gesellschaft u. Weise eingenommen, keine lauten u. stille Toaste ausgebracht, sondern meine Suppe mit Rindfleisch, Bohnen u. Griesbrei ganz allein verzehrt. Die Sache verhielt sich so. Zu Krefeld war am 18. Juli Abends feierliches Verlobungsfest, wozu das Trio der Herderstraße natürlich eingeladen war, da sich eine Verlobung nicht gut ohne Bräutigam feiern läßt. Indessen ließ ich Mama u. Sohn allein fahren u. in Krefeld übernachten, da ich die eigentliche Verlobung schon mitgefeiert hatte und meinen Geburtstag auch daheim antreten wollte. Da nun Ida u. Percy Hotspur¿ in Krefeld fest gehalten wurden, um zu Mittag die "Gespenster" (schlesischer Ausdruck für Ueberbleibsel) mit aufzuzehren, so dinirte ich allein. Obgleich nun Niemand zu sehen war, hatte ich mir doch meine liebsten Freunde | eingeladen u. saß vergnügt mitten unter ihnen. Daß Sie nicht fehlten, bester Freund, versteht sich wohl von selbst. Ich hatte Ihnen sogar als Held des Tages den Ehrenplatz eingeräumt, den Sie auch würdig behaupteten, weshalb ich wohl so eine stille Ahnung Ihres heimlichen Toastes in Zürich gehabt haben muß. Im Lauf des Nachmittags kamen die Gefeierten von Krefeld heim - u. nun ging's erst an die rechte Feier. Abends erklangen die Gläser u. es wurde ein sehr harmonisches "Hoch soll er leben etc."! auf Gottfried Keller gesungen.

     Da ich Sie nun hoffentlich in eine milde Stimmung gebracht habe, muß ich doch - aber nun zum letzten Mal - erwähnen, daß "der Hecht doch blau ist", was Sie bei einem Frauenzimmer ganz natürlich finden werden. Sie ahnen schon daß ich auf Regine anspiele. Ich muß Ihnen freilich als Autor das Recht einräumen, die arme Regine sterben zu lassen - aber ich kann nimmermehr dem Dichter | das Recht einräumen, einen so unästhetischen Tod zu wählen. Ich könnte Ihnen bogenlang darüber schreiben, was aber jedenfalls sehr langweilig für Sie sein u. auch zu gar nichts helfen würde. Eins aber möchte ich erwähnen, was mir nicht allein bei Ihnen, sondern schon bei andern Schriftstellern (ich will hier nur Ebers Homo sum anführen) aufgefallen ist. Dichter, welche nicht zugleich gläubige Christen sind, sollten in den Entwickelungen ihrer Charaktere dies Gebiet vermeiden. Regine betet die ganze Nacht hindurch, ehe sie die größte Sünde begeht, mit vollem Bewußtsein u. reiflicher Ueberlegung sich das Leben zu nehmen. Das ist für mich undenkbar. Auch Ihr "verlornes Lachen" hat eine solche Klippe, weil Sie eben das wahre Christenthum nicht kennen oder nicht kennen wollen. Der Apostel mahnt mit Recht: "Seid allezeit fröhlich." Ich meine, das kann auch nur der Christ, selbst wenn er in tiefer äußerlicher Trübsal sitzt, wovon ich jedoch die innerliche | nicht ausschließen will.

     Nun bin ich aber fertig, u. Sie müssen mir nicht zürnen, daß ich meine Ansicht aussprach u. nicht etwa denken, daß ich mich nicht von ganzer Seele über das herrliche Sinngedicht gefreut hätte. Ich freue mich daran, so oft ich's nur zur Hand nehme. Sie müssen auch nicht glauben, "daß man uns nur gelten ließe, wenn wir gegangen sind". Ich sollte doch meinen, das dürften Sie am allerwenigsten denken. Wenn wir gegangen sind, so urteilen die Menschen nur liebevoller u. es liegt gleichsam ein Verklärungsschimmer auf unsern Handlungen u. Leistungen.

     Sie steigen also von Ihrer luftigen Höhe hernieder u. begeben sich in die Gegend in welcher wir vor 36 Jahren hausten. Das war uns eine ordentliche Freude. Auch sympathisiren Schwester Ida u. ich sehr mit Ihrer lieben Schwester, die wir herzlich zu grüßen bitten, da wir | gewöhnlich auch keinen Athem mehr haben, wenn wir eine Höhe erklimmen. Wir unternehmen also keine Besteigung des Montblancetc. Dagegen übersende ich Ihnen die versprochenen jugendlichen Springinsfelde, denen der Athem noch nicht ausgeht, was auch schlimm wäre, da sie ja erst im Begriff sind die Höhe des Lebens zu erklimmen. Wie gefällt Ihnen das Pärchen? Hat sich Percy nicht auch so ein liebes Sinngedichtchen ausgesucht?

     Und nun noch die allerherzlichsten Grüße von Schwester Ida u. ihre u. meine besten Wünsche zu einem glücklichen nicht allzu ungemüthlichen Umzug. Denken Sie auch fernerhin freundschaftlichst unser u. erfreuen Sie uns dann u. wann theuerster Freund, mit guten, weisen Worten.

                                                Allzeit
                                                Ihre
                                                getreue
                                                Maria Melos.

 


 

30. 12. 1882  Keller an Maria Melos

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 4/14; GB 2, S. 410>

Theuerste Freundin.
 
Ich komme nur schnell zu sehen, ob Sie in diesen wässerigen Zeitläuften noch keine Rheinnixe geworden seien, und Ihnen in jedem Falle zum neuen Jahre Glück und Heil zuzurufen, d. h. wenn Sie nicht ausgeflogen sind mit Ihren unruhigen Taubenflügeln.

     In Ihrem letzten gütigen Briefe, der mit den andern vom Umzuge her eingepackt liegt, haben Sie mir eine | allerliebste theologische Rede gehalten, auf die ich jetzt aus Mangel an geistlicher Vorbereitung noch nicht eingehen kann, dazu braucht es mehr Sammlung, als ich heute habe. Nur die armen Selbstmörder muß ich einen Augenblick beschützen und Ihnen sagen, daß Tausende unter ihnen nicht ohne Beten und Seufzen untergegangen und christlich gesinnt gewesen sind, allein das Schicksal eben stärker war als alles andere, d. h. wenn es mit dem Menschen so weit ist, so ist es eben so weit. Die sog. Gebildeten und Freidenkenden unter ihnen bilden die große | Minderzahl.

     Doch was ist das für ein Gegenstand für einen Gratulationsbrief! Lassen Sie sich die fröhlichen Neujahrstage nicht dadurch verderben.

     Auf das Frühjahr kommen meine sogenannten gesammelten Gedichte heraus, womit ich jetzt beschäftigt bin; das wird ein schönes Ragout abgeben, obgleich ich Vieles beseitigt und anderes ausgeflickt habe.

     Meine schön gelegene Höhenwohnung habe ich der Entfernung und der kränklichen Schwester wegen verlassen müssen und wohne jetzt im Zeltweg in der Nähe der Häuser, wo Freiligraths | und Schulz's gehaus't haben vor 36 Jahren.

     Verzeihen Sie diesen Tintenfleck, von dem ich nicht weiß wo er plötzlich herkommt. Betrachten Sie ihn als eine unwillkürliche Illustration meines dunkeln unchristlichen Innern und bleiben Sie dennoch gut, ein wenig wenigstens,

                                                Ihrem alt ergebenen
                                                G. Keller

 


 

22. 1. 1883  Maria Melos an Keller

<ZB: Ms. GK 79e Nr. 88; GB 2, S. 411>

Düsseldorf IV.
Herderstraße 31.
den 22. Jan. 1883.

Mein theurer Freund!
 
Wäre ich bei den außerordentlich wäßrigen Zeiten wirklich zur Rheinnixe geworden, so würde ich die neue Verwandlung sofort benutzt haben, um rheinauf zu schwimmen - in die Limmat einzubiegen u. dann in Zürich zu landen, um Ihnen einen Besuch abzustatten u. Ihnen mündlich zu danken für die große Neujahrsfreude, die Sie mir u. meiner Schwester Ida durch Ihre lieben Briefe gemacht haben. Es war echt freundschaftlich von Ihnen unserer zu gedenken u. uns einmal wieder ein Lebenszeichen zu geben, was wir um so höher anschlagen u. zu würdigen wissen, weil Ihre Zeit | mit besseren Dingen ausgefüllt ist als an alte Freundinnen Briefe zu schreiben. Einzelne Dichter sind ja überhaupt abgesagte Feinde vom Briefschreiben, weil sie meinen, daß die Zeit zersplittert würde u. die besten Gedanken verloren gingen. Indessen nenne ich das zu weit gegriffen u. meine, daß auch in dieser Beziehung der Altmeister u. Unerreichbare für Alle ein leuchtendes Beispiel sein kann. Lassen Sie sich herzlich die Hand drücken für alle lieben guten Worte u. Mittheilungen u. seien Sie versichert, daß die Schwestern auch Ihrer herzlichst gedacht u. Ihnen das Beste gewünscht haben, was man sich wünschen kann. Glücklicherweise sind wir von den Fluthen des Rheines verschont geblieben, weil wir fern von der Stadt am nördlichen Ende wohnen. Hätten Sie sich vergangenes Jahr entschließen können einmal nachzusehen, wo wir geblieben, so würden Sie keine Minute um | uns beunruhigt gewesen sein. Wir wohnen ganz in der Nähe des zoologischen Gartens, der meinen Lieblingsspaziergang ausmacht u. mit dessen Thieren ich auf dem freundschaftlichsten Fuße stehe. Dieselben hatten es hier besser, wie ihre Collegen in Köln, von denen viele umkamen, oder unfreiwillige Fußbäder nehmen mußten. Kommen Sie nur dies Jahr hübsch einmal rheinab geschwommen u. lernen Sie bei dieser Gelegenheit das junge Paar kennen, die sich Ende Februar (so Gott will den 24.) in's sanfte Joch der heiligen Ehe begeben wollen. Da gibt es dann bis dahin noch mancherlei Unruhe u. gleich nach der Hochzeit einen Umzug für uns. Ich wünschte mir dazu die von Ihnen mir angedichteten Taubenflügel, die ich mir freilich schon oft vergeblich gewünscht habe. Wie ein leises Heimweh zieht's immer durch meine Seele, wenn ich Psalm 55 d. 7 lese. |

     Gut, daß Sie Ihren Umzug vor Beginn der rauhen Jahreszeit beendet haben. Sie schreiben mir gar nicht wie Ihnen die neue Wohnung gefällt u. ob es Ihnen in derselben so behaglich ist wie auf der luftigen Berghöhe. Ihrer lieben Schwester wird's jedenfalls behaglicher sein, denn es ist keine Kleinigkeit so weit von der Stadt zu wohnen, wenn man für die Wirthschaft zu sorgen hat. Die Herren denken immer, daß sich das Alles von selber macht u. überhaupt keine Mühe verursacht. Ich möchte wohl wissen ob ich mich noch in jenen Straßen zurecht fände, wo ich mit Freiligrath's den Winter 45 auf 46 verlebte. Wahrscheinlich hat sich dort viel verändert. Bin ich doch nie mehr seit jener Zeit in die Schweiz gekommen, von der ich eigentlich nur den Züricher See kenne.

     Auf Ihre gesammelten Gedichte freue ich mich im voraus, u. bin gespannt zu sehen was Sie ausgemerzt und was Sie Neues hinzu gethan haben. | Ich werde Ihnen seiner Zeit mittheilen, wie mir das "Ragout" gemundet hat, was Ihnen freilich keinen Eindruck machen wird, da mein Urteil u. meine Kritik Null sind. Auch meine "theologische Rede" scheint Sie durchaus nicht bekehrt zu haben, was ich allerdings auch nicht voraussetzte oder erwartete. Wenn aber Ihr "dunkles unchristliches Innere" nicht schwärzer ist als der kleine unbedeutende Tintenklex, so wäre allerdings noch große Hoffnung vorhanden Sie zu bekehren. Nur bilde ich mir gewiß nicht ein, daß ich dies zu Stande bringen könnte. Mit Ihrer Ansicht über Selbstmörder gebe ich mich aber noch lange nicht zufrieden u. werde dieselbe nie theilen können. Wenn Sie glauben daß die meisten von ihnen nur mit Beten u. Seufzen aus dieser Welt geschieden sind, so mag dies wörtlich richtig sein, aber die Seele hat von diesem Beten nichts gewußt. | Glauben Sie denn wirklich, daß die arme Regine, die doch ganz schuldlos war nicht Hülfe gefunden hätte bei dem treuen barmherzigen Gott, wenn sie in der That gebetet u. mit Gott gerungen hätte? Können Sie glauben, daß eine so arme, verzweifelte Seele ohne Trost gelassen würde? Die Hülfe u. Rettung wären sicher nicht ausgeblieben, weshalb es auch unwahr ist, daß sie sich das Leben nehmen mußte. In Ihrer Dichtung mußte dies großartig angelegte edle Wesen sterben, wozu ich freilich auch keinen triftigen Grund einsehen kann. In Amerika wußte niemand etwas von ihren Familienverhältnissen und niemand würde darnach gefragt haben. Und was die innere u. äußere Bildung betrifft, so habe ich Dienstmädchen gekannt u. kenne deren noch, die besser an die Stelle der gnädigen Fräuleins passen würden, wenn ein solcher | Wechsel für sie möglich wäre. Nein, mein theurer Freund, in dieser Beziehung bleibe auch ich unbekehrt u. möchte mich nimmer zu solchem Ausspruch bekehren: "wenn es mit dem Menschen so weit ist, so ist es eben so weit". Das wäre freilich bequem u. würde alles weitere Nachdenken überflüssig machen. Ehrenwerther und tapferer ist es auszuharren u. treu zu bleiben, bis die erlösende Stunde schlägt. Wenn wir aber auch in dieser Lebensfrage verschiedener Ansicht sind, so wird das unserer Freundschaft keinen Eintrag thun u. noch weniger werden Sie mir deshalb zürnen. Aufrichtigkeit gehört zur wahren Freundschaft, u. Sie werden auch wissen welche warme Verehrerin Sie an mir haben.

     Und nun Gott befohlen, theurer Freund! Schwester Ida schreibt Ihnen selbst einige Zeilen; u. so schließe ich denn mit den treusten Wünschen | für Ihr Wohlergehen u. mit dem sehr egoistischen Wunsche, daß im Jahre 1883 die Muse recht oft bei Ihnen einkehren u. Sie zu neuen Dichtungen begeistern möchte. Es ist mir immer ein wahrer Genuß u. eine Herzensfreude ein Werk von Ihnen zur Hand zu nehmen u. mich in dasselbe zu vertiefen. Sie werden aber auch denken, daß ich ein unverschämter Nimmersatt bin, was ich gern eingestehen will. Deshalb aber doch immer in unveränderter

                                                Freundschaft bleibe
                                                Ihre
                                                alte
                                                Maria Melos.

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