Hermann Hettner (1821-1882)

Editorial


 

Literarhistoriker, mit Keller seit dessen Heidelberger Zeit befreundet.

Anzahl registrierte Briefe: 48 an, 36 von Keller (40 ZB Zürich)


 

16. 9. 1850  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/2; GB 1, S. 329>

Berlin dem 16t. Sept. 1850

Ich komme so eben von einem Abendgang im Thiergarten zurück und weiß in meiner gottvergessenen Einsamkeit nicht was ich anfangen will, da ich zum Schriftstellen nicht aufgelegt bin. Drei Referendare, welche neben mir wohnen und sich den ganzen Tag über gegenseitig Pandekten in den Kopf treiben, hämmern in diesem Augenblick auf einem Klavier herum und das Echo, das ihre indiskreten Finger in den nur zu willfährigen Tasten finden, erweckt auch in mir die Lust, mich mitzutheilen und da fällt es mir ein, daß ich ein wenig auf Ihrer Geduld Klavierspielen könnte, indem ich Ihnen einen Brief fabrizire, ohne erst eine konvenzionelle Antwort auf den jüngst abgesendeten erhalten zu haben. Da es mir rein selbstsüchtig um's Plaudern zu thun ist, so brauchen Sie das Geschreibsel nicht auf einmal zu lesen. Ich genieße endlich das Vergnügen, die Druckbogen des grünen Henri zu korrigiren, welcher in 3 Bänden, jeder von ungefähr 16 Bogen, erscheinen wird. Vieweg wird Ihnen den ersten Band zuschicken, sobald er gedruckt ist, damit Sie nach dem unendlichen Geschwätz endlich die Spur einer That sehen. Das "Werk" liegt wie ein Alp auf mir und ich werde zu keinem frischen und raschen Vorwärtsschreiten kommen, bis es endlich ganz aus dem Hause gefegt ist. Inzwischen treibe ich mich in den Theatern herum, was aber mit einer eigenthümlichen Strapaze verbunden ist, indem die guten Berliner Bürgersfrauen und Jungfrauen, zwischen welche ich einsamer Fremdling im Parquet gewöhnlich zu sitzen komme, so stark von allen erdenklichen kostbaren Parfüms duften, daß ich manchmal ganz betäubt werde. Doch erhole ich mich wieder durch die Augen und ich würde mir bald getrauen, einem ansehnlichen Putzmachergeschäft würdig vorzustehen vermittelst der genauen Studien, welche ich in den Zwischenakten an Häubchen und Halskrausen aller Art vornehme. Ich habe letzthin auch den Tasso gesehen und er hat mir sehr viel Vergnügen verursacht und viel dramatischer geschienen, als das handlungslose Stück mich vermuthen ließ. Dieß mag daher kommen, daß er sich jenen Charaktertypen der modernen Welt, wie wir sie im Hamlet und Faust besitzen und welche die alte Welt durchaus nicht kannte zu ihrem Glücke, gelungen und meisterhaft anreiht. Diese | Unzufriedenheit und Hypochondrie des Genie's, sein persönliches Ringen nach unerreichbarem Lebensglücke und das ungeschickte Verfehlen desselben sind ebenfalls eine Spielart dieser modernen Tragik, welche Göthe hier im glücklichen Wurfe vervollständigt und damit manchem aus der Seele geredet hat. Die Geschichte der Sappho, welche man einwenden könnte, gehört meines Erachtens gar nicht hierher. Uebrigens ist der Berliner Tasso (ein viel bewunderter Herr Hendrichs) ein höchst trauriger Mensch. Die Rachel habe ich einige Male gesehen und fast Lust bekommen, mich zu entnationalisiren und französisch zu lernen. Sie hat viel Manier, ist aber trotzdem eine großartige Person und die oder vielmehr der größte Künstler, den ich kenne. Am besten hat sie mir in Racines Athalie gefallen, wo sie eine alt orientalische tyrannische und blutbefleckte Königin so darstellte, wie es nur ein Weib kann, die in der Wirklichkeit und in den gegebenen Verhältnissen das Original selbst gewesen wäre. Sie spielte nur den zweiten Akt und diesen fast ganz in einem Sessel sitzend, in einem prägnanten, glanzvollen Kostüm mit großen ergrauten Locken. Ihre Bewegungen waren so kolossal einfach, derb und fast männlich, und doch so majestätisch, wie man es sich von einem Königsweib aus der Pyramidenzeit nur denken kann; es lag auch so viel wilde Majestät u Größe in ihr, daß man für sie Partei nahm gegen die frommen, aber langweiligen Priester Jehova's, wenigstens ich. Dem deutschen Publikum hat sie freilich in dieser Rolle am wenigsten gefallen; man sah nur ein "böses Weib" und bewunderte sie hingegen als Virginia, wo sie als liebende Braut ihre Jungfräulichkeit gegen einen Tyrannen bewahren mußte. Diese Aufgabe ist nicht nur ihrer, sondern auch jeder tragischen Personage unwürdig; wenigstens kann ich nicht umhin, einen feineren und für ein Weib weniger peinlichen Conflikt für eine tragische Situation auf der Bühne zu verlangen, als das angstvolle und tapfere Zusammenhalten ihrer Unterröcke ist. Das Stück ist übrigens nicht ohne Wirkung und von einem jetzt lebenden Franzosen geschrieben. Während Rachels Aufenthalt haben eine Menge Literaten Veranlassung genommen, in alter Weise über das altfranzösische Theater zu salbadern, was mich sehr geärgert hat. Seit Lessing glaubt jeder Lump in Germania über Corneille u Racine schlechte Witze machen zu dürfen, ohne zu bedenken, daß Lessing die Aufgabe hatte, das französische Theater als ein Hinderniß für eine nationale eigene Entwicklung weg zu räumen und daß diese Aufgabe nun längst gelöst, also das Hinderniß nicht mehr da und der Anerkennung wieder Raum zu lassen ist, wohl zu eigenem Frommen. Schiller hat selbst die Phädra übersetzt | und Göthe sogar den Mahomed, wie überhaupt der wahre Meister jederzeit mehr Pietät für alles Tüchtige hat, als der Pfuscher und Lauser. Die Franzosen seien Phrasenmacher, heißt es immer! Macht einmal solche Phrasen, die so durchgehend mit der Handlung verwebt sind, wenn ihr könnt! Wenn es in gleicher Mühe zugeht, so will ich doch lieber schöne Worte hören, als triviale! Sie hätten die Griechen schlecht nachgeahmt! Das ist nicht wahr, sie sind eben die Franzosen ihres Zeitalters geblieben und die ganze Gesinnungsweise, Manier und Form ist originell und sowohl Shakespeare, als Calderon, sowohl Sophokles als Göthe u Schiller gegenüber stehend, berechtigt und unbefangen zu genießen. Erst jetzt, da wir sie nicht mehr nachzuahmen brauchen, sind sie auch für uns wieder schön geworden. Besonders wenn ich ihre Zeit und Umgebung betrachte, beneide ich sie doppelt um ihre edle Einfachheit und moralische Frische, um ihre kindliche und doch so männliche Naivetät und hauptsächlich um ihre reine, wahre Tragik. Es wird auch bei uns der Tag erscheinen müssen, wo der junge Dramatiker nicht mehr glaubt, er dringe am sichersten durch, wenn er ein recht verzwicktes und verkünsteltes Motiv zu Markte führe.

     Es sind diesen Sommer schon mehrere Wienerkomiker hier als Gäste aufgetreten u ich gehe deswegen auch in das Friedr. Wilhelmstädt. Theater und vergnüge mich alldort in allen möglichen Dummheiten der Wienerpossen. Wenn die tragische Schauspielkunst täglich mehr in Verfall geräth, so hat sich dafür in der sogenannten niedern Komik eine Virtuosität ausgebildet, welche man früher nicht kannte. Unabhängig vom Text der Stücke, werden mit allen möglichen Organen Possen, Schlingeleien und Faxen ausgeführt, welche einen unendlichen Jubel erregen und Alt und Jung aufheitern; bald ist es ein Bein, bald der ganze Körper, bald nur das Gesicht oder gar ein einzelner Ton, gleich dem Krähen eines jungen Hahnes, was unser Lachen erregt. Diese Wienerpossen sind sehr bedeutsame, und wichtige Vorboten einer neuen Komödie. Ich möchte sie fast den Zuständen des englischen Theaters vor Shakespeare vergleichen. Auch hier sind schon eine Menge traditioneller, sehr guter Witze und Situationen, Motive und Charaktere und es fehlt nur die Hand, welche den Stoff reinigt und durch geniale Verarbeitung und Anwendung den großen Bühnen aufzwingt. Ein vortreffliches Element sind auch die Couplets, welche von den Hauptpersonen gesungen werden und gewöhnlich politische oder soziale Anspielungen enthalten. In halb wehmüthiger, halb muthwilliger Melodie, begleitet von den wunderlichsten Gesten und Sprüngen, werden diese anzüglichen Verse gesungen und es ist jedesmal ein befriedigender Moment, wenn während des rauschenden Beifalles, den das Volk reichlich spendet, zwei tolle Käuze zusammen als Refrain einen ergötzlichen | Tanz aufführen und die zierlichen Waden auf die lächerlichste Art herumschlenkern. Der deutsche Michel, Belagerungszustand, deutsche Einheit u. s. f. sind meistens der Gegenstand dieser Couplets und ziemlich erbärmlich zusammengereimt, und doch ist in alledem mehr aristophanischer Geist, als in den Gymnasialexerzizien von Platen und Prutz. Die Schauspieler oder befreundete Literaten machen diese Verse immer nach den Tagesbedürfnissen neu und wechseln damit ab in den Stücken; das Volk bekommt deren nie genug und fordert den Komiker jedesmal wenn er endlich abtreten will, auf, noch mehr vorzutragen, worauf er mit komischen Verbeugungen zurückkehrt, während das Volk in lautloser Spannung wartet und denkt: nun kommt's, nun bringt er gewiß den Hassenpflug! nun kommt der Haynau u. s. f. Der Schauspieler spielt endlich den letzten Trumpf aus und bleibt dann gewöhnlich entweder der Polizei oder eigenen Unvermögens wegen hinter den Erwartungen zurück; aber es ist rührend anzusehen, wie unverkennbar hier Volk und Kunst zusammen, unbewußt, nach einem neuen Inhalte und nach der Befreiung eines allmälig reif werdenden Ideales ringen.

     Ich befürchte als Cavalier nicht <in> Ihrer Achtung zu sinken, wenn ich die Vermuthung ausspreche, daß die Bierbrauer von London auch Ihnen einige Satisfaktion verschafft haben. Fast alle halbliberalen Waschblätter und Leute, welche selbst niemals einen Handel "ritterlich" auszufechten im Stande sind, wollen sich jetzt dadurch ein ritterliches Ansehen geben, daß sie über die wackeren Bursche schimpfen, welche Herrn Haynau ausgeklopft haben. Und doch ist die Begebenheit gerade für den Aesthetiker u Kunstliebhaber sehr erwünscht gewesen. Haynau hat uns in Ungarn so vortrefflich phantastische Bilder, ganz à la Callot geliefert, Galgen in Masse, mit langen Reihen Gehängter, gepeitschte Weibsbilder, gequälte Juden u.d.gl., dazu das Land der Zigeuner, die malerischen Kostüme etc., daß wir bei diesen Vorstellungen eine Sammlung Callot'scher Kupferblätter oder eine alte Chronik mit Holzschnitten zu durchstöbern glaubten, wozu auch der Pandurenschnauz des Generals gut passte: ist da nicht die Londonersceene ein vortreffliches Gegenstück in Breughel's oder Teniers Geschmack? Geschwungene Besen und Strohwische, zerfetzte Straßenjungen, derbe Brauknechte, dazwischen rollende Bierfässer, Kehrichthaufen und in der Mitte die abentheuerliche Gestalt! Es nimmt mich Wunder, wo der Kunstfreund einen geeigneteren Pendant hätte finden können! Neben einen Niederländer hängt man nicht einen Raphael, sondern auch einen Niederländer, und die Zeit wird beiden Bildern schon die erforderliche Bräune und jenen düstern Firniß geben, welche sie für die Galerie der Geschichte aufnahmsfähig macht. Ich hoffe, das Volk werde fortfahren, mit einem muntern Breughel aufzuwarten, wenn man ihm einen Callot-Hoffmann vorsetzt.

     Dieser Tage habe ich mit vergnüglicher Erinnerung Ihren Aufsatz über Schillers Anthologie | gelesen, sowie früher den von Stahr über Ihre und Vischers Werke; ich habe mich dabei geärgert, daß Brockhaus die letztere Arbeit in die Hinterkammer seines Blattes rangirt hat, während er das Unbedeutendste manchmal in die Hauptspalten rückt. Wie steht es mit Ihren Arbeiten? Ich fürchte, ich habe Ihnen jüngst sehr triviales Zeug geschrieben über Ihren Gedanken eines dramat. Katechismus; wenigstens habe ich nachträglich klarere Gedanken gehabt, doch will ich es nicht zum zweiten Mal risquiren, platt zu sein.

     Ich hoffe, Frau Hettner und Fräulein Tochter werden sich des vollkommensten Wohlseins erfreuen, so wie auch Sie selbst. Was mich betrifft, so habe ich die Cholera noch nicht bekommen und gedenke es auch nicht zu thun. Nach Dresden gehe ich nun nicht mehr, sondern will meinen dortigen Aufenthalt mit meiner gänzlichen Abreise zusammenreimen. Auf jeden Fall spekulire ich auch, nach Wien zu kommen, ob in diesem Zug, oder nach einem vorhergehenden Aufenthalt in der Schweiz, weiß ich noch nicht.

     Mein namenloses Trauerspiel ist den Sommer über liegen geblieben und obgleich ich nicht viel darauf gebe, will ich es doch nächstens fertig machen und es Ihnen schicken, wenn sie noch so freundlich sind, es lesen zu wollen. |
Was ich denn eigentlich thue? Ich kann Ihnen nichts sagen, als daß ich immer allein bin, etwas schreibe, lese, spekulire, düftle oder träume und die Zeit abwarte, wo das rasche Fertigmachen endlich sich einstellen will; denn ich muß Ihnen statt aller andern Aufklärung sagen, daß ich, schon ehe ich nach Heidelberg kam, in einer großen und trübseligen Mauser begriffen war, herbeigeführt durch mehrere Verhältnisse. Dieser sonderbare Zustand ist endlich im Verschwinden. Statt der Federn, welche den Vögeln während der Mauser ausgehen, sind mir alte Freunde ausgegangen und neue haben sich bereits angesetzt und im Ganzen bin ich froh, daß ich dreißig Jahre alt geworden bin, ohne schon zehn Bände hinter mir zu haben, die ich nur widerrufen müßte.

     Gutzkows neuer Roman oder der 1te Theil desselben hat mir sehr gefallen, obgleich er etwas liederlich geschrieben ist. Es sind sehr treffende u feine Zeit u Charakterschilderungen und er zeigt seine Meisterschaft im Beobachten. Ich glaube es wird ein bedeutendes Werk sein, wenn die manigfaltigen Anlagen gleichmäßig fortgeführt werden und wird eine Lücke in unserer Literatur ausfüllen.

     Wie geht es dem alten Kapp? Wissen Sie nichts von Feuerbach?

     Mit herzlichen Empfehlungen und Grüßen

     Ihr ergebenster
     G. Keller.

     Mohrenstraße 6.

 


 

17. 10. 1850  Hermann Hettner an Keller

<Heid.Hs.2751 Nr. 2; GB 1, S. 336>

Heidelberg 17 Oktbr 50.

Mein lieber Keller,

Ich bin recht undankbar, daß ich Ihnen auf Ihre letzten beiden Briefe, mit denen Sie mir eine sehr große Freude gemacht haben, bisher noch nicht antwortete. In Gedanken habe ich mich inzwischen viel mit Ihnen beschäftigt. Binnen Kurzem wird Ihnen ein Heft der Blätter für lit. Unterhaltung in die Hände fallen, in denen ich mir den Scherz erlaubt habe unmittelbar an Ihren letzten Brief anknüpfend meine Gedanken über die altfranz. Tragödie in die Welt hinaus zu schreiben. Sie würden mich aufrichtig verbinden, wenn Sie mir namentlich über die letzte Partie dieses Aufsatzes, wo ich die Rückkehr unseres Dramas zum Klassizismus behandle, Ihre Meinung sagen wollten. Die Sache ist mir sehr wichtig. Im Allgemeinen bin ich von der Richtigkeit dieser Ansichten überzeugt; aber es kann sich leicht ereignet haben, daß diese Dinge im Eifer der Propaganda eine ausschließlichere u pedantischere Form angenommen haben, als ich ihnen ursprünglich zu geben beabsichtigte. | Ich denke gar nicht daran, den Reichthum der Handlung u Scenerie im Mindesten zu beschränken, - wie darf da die Kritik gegen die Macht des Dichters irgendwie sich eine Einrede gestatten? -, ich dringe im Grunde genommen auf gar nichts Anderes, als worauf seit der Sturm u Drangperiode u der Romantik alle Dichter gedrungen haben, auf größere Ruhe u Einfachheit, auf die Reaktion gegen die Hast u Breite u Unruhe des Götz von Berlichingen.

     Mein dramatisches Büchlein steckt mir noch immer im Kopf. Ich will es betiteln "Ideen über das moderne Drama." Es besteht aus 4 Abhandlungen 1) die historische Tragödie 2) das bürgerl. Trauerspiel. 3) die Komödie. 4) Shakespearomanie u Klassizismus. Ich gedenke nächstens an die Ausarbeitung zu gehen. Wenn Sie erlauben, schicke ich Ihnen wenigstens den ersten Abschnitt über die histor. Tragödie zu, damit Sie mir sagen können, ob sich das Ding der Veröffentlichung lohnt u ob Ton u Richtung richtig gehalten ist. Sehen Sie doch einmal nach, ob Sie in einem Berliner Antiquariat jenen Band von Rötschers Jahrbüchern finden, der die Abhandlung über Zufall u Nothwendigkeit enthält. Kaufen Sie ihn dann für mich u schicken Sie mir ihn augenblicklich per | Fahrpost. Auch wenn Sie Eduard Gans' kleine vermischte Schriften - worin viel Dramaturgisches - billig erhalten, so fügen Sie diese bei. Den Betrag sende ich Ihnen umgehend.

     Wie steht es mit Ihrem Heinrich? Wie mit Ihrem Drama? Eilen Sie mir wenigstens ersteren zuzusenden. Prutz giebt von Neujahr an eine neue Zeitschrift heraus "deutsches Museum". Es wäre mir lieb, wenn ich Sie dort in einer der ersten Nummern besprechen könnte.

     Wahrscheinlich ist Dr. Bachmeyer mit einer Karte von mir bei Ihnen gewesen. Ich glaubte Ihnen sowohl wie Bachmeyer durch diese Empfehlung einen Gefallen zu thun. Hat er Ihnen sein Drama vorgelesen? Und was meinen Sie dazu? Ich wünschte sehr, wenn Sie mir ausführlich Ihr Urtheil schrieben. Ich glaube, Bachmeyer wird noch den Brief besitzen, in dem ich ausführlich meine ersten Eindrücke ausspreche u motivire. Es wäre mir interessant, wenn Sie Sich einmal diesen Brief von ihm geben ließen u mir sagten, in wie weit Sie damit übereinstimmen. Jedenfalls ist B. ein sehr bedeutendes Talent, das in jeder Weise die regste Unterstützung verdient. Gestern habe ich Julia von Hebbel (Theatermanuskript) gelesen. Es ist meine völligste Ueberzeugung, daß Hebbel nunmehr das Schicksal Lenaus | u Hölderlins theilt oder nächstens sicher theilen wird.

     Haben Sie inzwischen Bekanntschaften gemacht? Fanny Lewald kommt spätestens den 1 Novbr in Berlin an. Es würde mich freuen, wenn Sie sie recht bald aufsuchten. Jedenfalls ist sie eine sehr interessante Bekanntschaft.

     Bei uns ist Alles beim Alten. Nächste Woche beginnt das Wintersemester, die Auspicien auf Studenten sind zweifelhaft. Die Gothaner werden um so hochmüthiger, je mehr sie faktisch an Terrain verlieren. Kapp ist aus dem Bade zurück. Sein August lebt diesen Winter auch wieder hier, mit ihm ein junger Architekt aus München, der recht talentvoll zu sein scheint. Johanna wird in München bleiben. Sonst durchaus nichts Neues.

     Sie sehen, lieber Keller, dieser Brief ist sehr dürftig. Rechnen Sie den gedruckten in den Blättern für lit. Unterhaltung als seine natürliche Ergänzung. Sie leben in der großen Stadt, Sie haben so leicht Briefe schreiben. Nehmen Sie also meinerseits den guten Willen für die That u schreiben Sie mir recht bald wieder u recht ausführlich. Ich danke es Ihnen herzlich.

     Nächsten Sonnabend sehe ich die Rachel in Karlsruh.

     In Liebe     Hettner.

     Frau u Kind grüßen bestens.

 


 

23. 10. 1850  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/3; GB 1, S. 337> 

Ich habe die verlangten Schriften bei keinem Antiquare gefunden, sende Ihnen dagegen fünf Hefte der Rötscherschen Jahrbücher, welche ich früher für einige Groschen aufgetrieben und längst durchgelesen habe. Wenn ich einmal nach Heidelberg komme, will ich sie gelegentlich wieder mitnehmen, wenn ich inzwischen mir nicht das ganze Werk anschaffe, wozu ich große Lust habe, da wir jedenfalls in einer bedeutenden Entwicklungsperiode leben, auf welche wir später einmal, wenn wir an Leben und Gedeihen bleiben, vielleicht gern zurückschauen. Nach dem was sie~ mir über Hebbel schreiben, machen einige Arbeiten von ihm in diesen Heften, besonders die im 4ten, einen wahrhaft traurigen Eindruck auf mich, welcher weit entfernt von allem schadenfrohen Spotte ist. Diese Grübeleien, dieses müssige Herausfordern | und souveraine Behaupten von Dingen, welche Niemand bestreiten wird, sehen aus wie ein gewaltsames Heraufbeschwören seines jetzigen Zustandes. Ich habe letzthin den Dingelstedt in meinem Herzen verhöhnt, als er bei Anlaß Lenaus in der A. A. Wort haben wollte, es seien noch mehrere Zeitgenossen dem Wahnsinne verfallen und hielt es für gewöhnliche Affektation, welche à tout prix intressant sein will, selbst um den Preis der Verrücktheit. Aber es ist doch etwas Wahres daran und bald entschlüpft einem der Ausruf: sauve qui peut!

     Auf ihren Aufsatz über das franz. Theat. bin ich sehr begierig; hoffentlich wird er nicht so lange liegen bleiben, als es sonst oft der Fall ist.

     Wenn Sie in Ihrer Schrift über das moderne Drama die Shakespearomanie besprechen, so werden Sie, wie ich denke, darauf aufmerksam machen, daß diese mehr an Aeußerlichkeiten hängt und werden dann darauf hinweisen, daß es mehr darauf ankomme, den Kern, die höchsten Aufgaben, welche Sh. sich stellte und welche er wiederholt mit Wohlgefallen zu lösen schien, mit ähnlichen Lieblingsaufgaben anderer Zeiten und Dichter zu vergleichen. Es gibt in Shakesp. gewisse einzelne gewaltige Scenen, welche von aller Zeitkultur und ihrem Anhängsel entkleidet, nackt und erhaben an uns herantreten und zu uns sagen: | Wir sind die wahren Proben von seinem Herzblute, uns müßt ihr fassen und mit unsern Geschwistern im Sophokles, im Calderon, im Corneille, im Schiller vergleichen, wenn ihr den wahren Maßstab finden wollt. Es handelt sich nicht so wohl um Oekonomie und Szenerie, um Sprache und Bilder, um Charaktere und Sitten, um Religion und Politik, dieses sind alles vergängliche Dinge (d. h. in Beziehung auf diese spezielle Vergleichung) - als um diese majestätisch hervortretenden einzelnen furchtbaren Situationen, für welche die Dichter Alles Andere nur gemacht zu haben scheinen und an welchen einzig man erkennen kann, wie sie sich von einander unterscheiden würden, auch wenn alle zusammen leben würden. Eine Szene dieser Art bei Shakespeare ist für mich z. B. die 2te des 1ten Aufzuges im Richard III und er hat sie wiederholt in der 4t. Szene des 4t. Aufzuges.

     Ferner die Situationen in Lear u. ander mehr. Man muß, um beurtheilen zu können, was ein solcher Klassiker für wirklich schön hielt, auf diejenigen Züge merken, mit welchen er gern zu kokettiren scheint. Bei Shakesp. ist ein solcher wiederholt das Reflektiren über einem Gegenstande, einem Atribute, einem Möbel u. s. f. u das endliche Wegwerfen desselben. So Hamlet mit Yoriks Schädel und Richard d. Zweite mit dem Spiegel IV.1. Dieses | sind die wahren genialen Züge, welche man ablauschen muß, und nicht die Willkürlichkeit und Zufälligkeit in Behandlung und Zeitwitz. In den äußerlichen Dingen, welche ich oben angeführt habe, wozu noch manche kritische Streitfragen kommen mögen, muß der Dichter sich allerdings der theoretischen u praktischen Bildung seiner Zeit unterwerfen und sich mit ihrem Bedürfnisse fortentwickeln. Will er aber auf die Sterne der Vergangenheit zurückschauen und sich an ihnen stärken und Raths erholen, so muß er sich an diese stofflichen Lichtblicke halten und zu ergründen suchen, was sie mit Vorliebe für schön und imposant gehalten haben. Nur eine Vergleichung in diesem Sinne wird wirklich fruchtbar sein.

     Es versteht sich von selbst, daß ich mit dieser langathmigen Bemerkung nicht etwa dem freien Prozesse der Kritik und der nothwendigen Entwicklung des Geschmackes zu nahe treten, sondern Sie nur speziell hier in der Bekämpfung der Manie unterstützen möchte. Und wie sehr diese immer herrlich an ihrem Ziele vorbei schießt, sehen wir an den Romantikern, welche nur das Willkürliche und Witzige an Shakesp. gepackt haben und andrerseits an Gervinus, welcher nur von seiner tiefen Philosophie und männlichen Weisheit zu sagen weiß. Jene lassen sich nachahmen, diese können auch bei jedem andern ausgezeichneten Menschen vorhanden sein. Von den spezifisch | poetischen Urkräften aber, von der eigensten wunderbaren Erfindung dramatischer Situationen und Verläufe, mit denen Sh., entblößt von jedem Zeitgewande, mit seinen olympischen Brüdern konkurirt, davon hören wir nur wenig sagen; es versteht sich ja von selbst, wie Gervinus sagt, daß in Sh. "poetische Schönheiten" so beiläufig zu finden seien.

     Kommen die Leute einmal dazu, die wahren Mittel zu erkennen, durch welche die großen Dichter wirkten (wenigstens diejenigen, welche nicht zu sehr durch die Grübelei einer kritischen Uebergangszeit zersetzt waren) so werden sie auf größere Einfachheit und Klarheit geführt werden und damit das Intriguenwesen von selbst fallen und alle andern Mittel werden in bequemster Auswahl nur zu Erreichung jenes Einen Zweckes angewandt werden.

     Es kommt im Theater lediglich darauf an, daß man komisch oder tragisch erschüttert werde und dies geschieht weit mehr, als durch Ueberraschungen und künstliche Verwicklungen, durch die vollständige Uebersicht des Zuschauers über die Verhältnisse und Personen. Er sieht mit dem Dichter, wie Alles kommt und kommen muß, er wird dadurch zu einem göttlichen Genusse, zu einer Art Vorsehung erhoben, daß er vollkommen klar die ergreifenden Gegensätze einer Situation durchschaut, welche den betheiligten Personen selbst noch verborgen sind, | oder welche zu beachten sie im Drange der Handlung keine Zeit haben. Es sind dieses die edelsten u reinsten, die einzig dramatischen Erschütterungen, welche stufenweise vorher schon empfunden u vorausgesehen worden sind und wer nach ihnen trachtet, wird unfehlbar auf der Bahn innerer Nothwendigkeit wandeln. Damit aber so Viele als immer möglich, damit das ganze Volk auf diesen hohen Standpunkt, zu diesem wahren Genusse gebracht werden könne, ist auch von selbst die größtmögliche Einfachheit, Ruhe und Klarheit bedungen, welche zur Klassizität führt und wieder führen wird, wenn die Herrschaften einmal wieder für einfache und starke Empfindungen empfänglich sind.

     Ich will jedoch nicht bestreiten, daß auch die geschickte und lebenvolle Darstellung eines munteren Stück Lebens od. Geschichte mit allen seinen Abenteuern u Verwicklungen ihre Berechtigung haben könne; der letzte und höchste Genuß wird indessen immer jener bewußte sein.

     Doch werden Sie ohne Zweifel glauben, daß ich mich sehr gern schreiben und salbadern sehe, was indessen nicht der Fall ist. Ich reite mich nur hinein wider Willen indem ich Ihnen irgend eine Erfahrung, welche ich gemacht zu haben glaube, mittheilen möchte und, bei dem Mangel | an dialektischer Geschultheit gerathe ich in Wiederholungen und sogar Widersprüche hinein. Desnahen merken Sie sich nur das, was Ihnen etwa plausibel scheint und von dem Uebrigen nehmen Sie an, daß ich es vielleicht den andern Tag selbst widerrufe. Für meinen Privatgebrauch bin ich ganz klar; meine Erfahrungen und Ueberzeugungen bilden sich schnell und leicht und gehen sogleich in das Blut über und sind schneller praktisch angewendet, als kritisch mitgetheilt.

     Dr. Bachmayr hat mich mit ihren Grüßen sowohl, als mit seiner eigenen Person erfreut. Er hat mir einige Szenen aus einem Trauerspiel Alphonso und von seinem Hauptstücke den ersten Akt vorgelesen. Da er die Manuskripte für seine Zwecke bei den Notabeln zirkuliren lassen muß, so konnte ich noch keine Einsicht in das Stück gewinnen und es mangelt mir aller u jeder Begriff davon, obgleich ich sehr neugierig bin, da sich hier auch Rötscher stark dafür intressirt, wie Bachmayr sagt.

     Ueber seine Auspizien wird er ihnen selbst berichten. Auf jeden Fall ist er nach dem, was ich bis jetzt weiß, ein bedeutendes Talent, wenn er auch nicht diejenige Ruhe und Unbefangenheit besitzt, welche ich an poetischen Talenten zu treffen wünsche. Doch mögen dies mehr Folgen lange erduldeter Hindernisse und Chikanen, als persönliche Eigenschaften sein, | und der endliche Triumph wird ihm in mehr als einer Beziehung auf den Strumpf helfen. Wir kneipen viel mit einander herum und ich habe dabei den Vortheil, die nöthigen Umtriebe für die Aufführung eines Stückes vorläufig zu studiren.

     Von meinem Roman wird leider nur der erste Band nächstens versendet werden können, welcher allein fast so stark ist, als das ganze ursprünglich war. Vieweg dringt aber darauf, daß bald etwas versendet werden müsse wegen seiner merkantilischen Intressen. Das Trauerspiel kann ich leicht fertig machen, so bald ich will; ich weiß aber nicht, ob es nicht zu einfach und zu wenig geräuschvoll ist für ein erstes Auftreten. Ich habe perfider Weise fast Lust, ein Stück expres für Berlin zu berechnen, um den Anfang zu machen, u dabei alle einflußreichen Personen im Auge zu behalten. Fr. Lewald werde ich dieser Tage aufsuchen; ich habe wirklich das Bedürfniß unter die Leute zu kommen. Ich wollte Ihnen nur einige Zeilen schreiben und habe nun über diesem Geschwätz doch vergessen, was ich seit dem letzten Briefe an sie~ schreiben wollte. Ich danke Ihnen Namens der jungen Kunst für das lebendige Intresse, das sie~ an ihr nehmen und grüße ergebenst Frau Hettner nebst Töchterlein und wer mir sonst nachfragt.

     Ihr G. Keller.

     Berlin 23 / 10 1850.

   


 

24. 10. 1850  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/4; GB 1, S. 342>

Berlin 24t. / 10 / 50

Ich wollte gestern das Paket auf die Post tragen, oder trug es auch wirklich hin, wurde aber abgewiesen wegen mangelnder Formalitäten (Preußen ist ein konstitutioneller Staat) und so blieb es über Nacht noch hier. Anstatt aber sogleich nach Hause zu gehen und zu arbeiten, schlenderte ich den ganzen übrigen Tag mit Bachmayr herum, von Kneipe zu Kneipe, das Päckchen unter dem Arme, und glich hierin jenen die freie Luft liebenden Frauenbildern, welche, ihre zahlreichen Spaziergänge zu beschönigen, etwa ein leeres Körbchen oder einen Krug an den Arm hängen. Wer mich so dahineilen sah mit dem Paket, Straßen durchkreuzend und über Gossen hüpfend, der konnte mich für den eifrigsten Geschäftsmann und das Paket für eine Sammlung der wichtigsten Urkunden halten; während - fünf verlegene und abgegriffene Rötschersche Jahrbücher darin waren! Prinz Heinrich suchte in Falstaffs Futteral eine Pistole und fand eine Sektflasche. Die Kellnerinnen in den verschiedenen Schenken glaubten durchgängig, es enthalte ein seidenes Kleid und betasteten es neugierig, was den Bachmayr so sehr beleidigte, daß er zu Repressalien schritt. Doch kamen wir endlich auf den Einfall, er könnte mir noch sein Drama vorlesen, was er dann in seiner Behausung mit solcher Energie that, daß die Wände zitterten. Vom Lesen bekam er Durst, ich vom Hören Hunger und wir sahen uns genöthigt, noch einen jener sauren Gänge zu thun und lasen dann | hinter dem Schenketisch Ihren kritischen Brief.

     Bachmayr hat sich Ihre Bemerkungen sehr zu Herzen genommen und ist außerordentlich aufgeregt, Sie zu widerlegen, da gerade das, was Sie als überflüssige Zuthat, als barberinische Eselsohren hinwegwünschen, ihm die Hauptsache und der eigentliche Brennpunkt des Stückes ist. Ich aber kann Ihnen beiden Recht geben, und zwar in dem Sinne, daß das Stück nach den von Ihnen vorgeschlagenen Abänderungen allerdings immer ein klares, regelrechtes und schönes Gedicht wäre, welches jede Kritik von vornherein abschneiden würde, daß aber doch diese Bedenken nur scheinbar sind und das Stück das Motiv des Gifttrankes nicht nur noch erträgt, sondern an ihm eine wesentliche Bereicherung besitzt und zwar eine solche, welche man nicht mehr missen mag, nachdem man sie einmal kennt. Vor Allem aus müssen wir bedenken, daß Bachmayr dieses Motiv in seiner Heimat wirklich vorfand und daß dort in den Dörfern der Glaube an solche Vergessenheitstränkchen, als im Besitz alter hexenhafter Weiber sich befindend, herrscht. An sich selbst also nimmt es billig seinen Platz in dem sogenannten Volksdrama ein. Nun will der Dichter weiter das Unzulängliche und das Verunglücken einer zwar humanen, aber nicht naturwüchsigen und oberflächlichen Cultur schildern, welche sich dem Volke aufdringen will ohne Kenntniß seiner tiefen edlen Leidenschaften und ohne Achtung vor seinen ursprünglichen Gemüthskräften. Dies wußte ich vorher aus B's Erzählungen. Ich fand es daher ganz in der Ordnung, daß die Heldin, das zwar aufgeklärte und bildungsreiche Dorfmädchen, in dem Augenblick, wo ihr von der Seite der Aufklärung und Bildung tiefes | Weh und Zerrissenheit bereitet wird, sich wieder auf die Seite, an das träumerische mystische Herz des Volkes wirft, wo ihre Liebe, ihre Jugend, ihre Seligkeit ist. Zudem gewinnt durch dieses Durchspielen alter Volksmystik durch die humane Bildung die ganze Figur einen Reiz mehr, nur hat er dies nicht genug vermittelt. Er will ihren Hang zum Wunderbaren und Mährchenhaften zwar genugsam angedeutet haben in der anfänglichen Lektüre der Grimm'schen Mährchen und in ihrem Namen Gertrud (Trude = Hexe, Norne u. s. f.) und er läßt sich nicht von der Unzulänglichkeit dieser Momente überzeugen.

     Die tragische Schuld Gertrud's ist dadurch noch nicht genug dargestellt, daß sie dem Stefan entsagt; weil es nicht allein und am wenigsten vielleicht aus Kindespflicht geschieht, sondern weil noch ein Moment hinzukommt, welches diese Entsagung eher zu einer Tugend macht: nämlich die schöne Erhebung durch das Innewerden ihrer Frauenwürde durch den Brief des Barons, durch die ganz neue Perspektive, welche sich ihr eröffnet in jenem wirklich schönen Monologe, nach Unterdrückung ihrer persönlichen Neigung, dem Baron in seinen schönen Bestrebungen für Volksveredlung eine treue und einflußreiche Helferin und ihrem Volke selbst ein guter Engel werden zu können. Dies ändert die ganze Sache auf einmal so, daß ihr Untergang nun eher verletzend erscheinen würde. Nun hat aber Bachmayr in dem Trank der Vergessenheit eine poetische Perle gefunden, um welche ich ihn vielleicht beneiden würde, wenn ich Gutzkow wäre. Nicht nur wird dadurch die Entwickelung aus dem Gebiete des rhetorischen Raisonnements und der modernen Konversation in eine höhere Region der poetischen Symbolik, der plastischen That gehoben, welche außerdem der sinnlichen Natur des Volkes trefflich entspricht: sondern erst durch | dieses vorsetzliche, nach langen geistvollen Erwägungen folgende Trinken des Fläschchens wird die Sache zu einer konzentrirten That. Erst jetzt, durch dieses gewaltsame Handanlegen an ihre heiligsten Lebenserinnerungen, an ihre zarte und unverletzliche Liebe, wird die Schuld, die vorher noch zweifelhaft war, plötzlich festgestellt. Es ist ein wahrer, unheimlicher Mord, welcher nur den deutlichen körperlichen Tod zur Folge haben kann. Erst durch diese frevelhafte That wird auch der Wahnsinn anschaulicher und, abgesehen von dem wirkungsreichen Momente des Trinkens (denken Sie sich, daß sie mit Einem Zuge das Bild des Geliebten in ihrer Seele ertödten will!), gewinnt der Dichter den weitern Vortheil, daß er sie von ihrem Wahnsinne noch einmal erwachen lassen kann, und das auf eine ebenso rührende als originelle Weise, um sie dann nach klarer Erkennung wirklich sterben zu sehen. So wäre die Einheit der Idee gerettet und wir müssen nicht so wohl das Fabelhafte und Unwahre des Zaubermittels an sich im Auge halten, als den Gebrauch, welchen das Mädchen davon machen will. Wie gesagt, dürfte ihre ganze Erscheinung zu diesem Behufe etwas dämonischer gehalten sein; wenn wir jedoch annehmen, daß, je naiver und zarter die Heldin von Natur ist, um so wirkungsvoller ihre That ist, so möchte ich eher widerrufen. Freilich dürfte noch der Uebelstand bleiben, daß der Tod dann doch nur eine Folge abergläubischer Unwissenheit scheinen und somit die Aufklärungspartei, welche das Herz vergaß, recht behalten möchte. Es ist dies aber eine bloß äußere Sache. Sie hat einmal den Trank nehmen wollen und daß sie dadurch zugleich stirbt, ist nur eine größere Bequemlichkeit für den Dichter, welcher darin einen guten Schluß findet. Es ist auch versöhnender und wohlthuender, sie todt zu wissen, als sie wahnsinnig zu verlassen in der Ungewißheit, ob sie vielleicht je wieder zu Verstand komme u. s. f. Ferner hat der Dichter die Rechtfertigung: Da sie sich einmal auf solche Dinge einließ, mußte sie auf das Schrecklichste gefaßt sein und dasselbe verdienen. Sie sagt auch in dem Monologe: wenn es sie tödten sollte, so wollte sie den Trank nehmen; denn lieber sterben, als mit dem Bilde Stefans im Herzen in den Armen eines andern Mannes liegen! Es ist daher nur eine Schönheit weiter, daß sie, indem sie Vergessenheit sucht, den Tod findet. Wir dürfen ja nicht prosaisch die Achseln zucken und sagen: Das kommt vom Aberglauben! Da sieht man's wieder einmal, welches Unheil er anrichtet; da hat das arme Ding ein Fläschchen Gift erwischt! Dramatisch ist es freilich nicht! - Sondern wir müssen die ganze Tiefe und Gewalt der Leidenschaft, den dämonischen Kampf im Auge behalten, in welchem das ursprüngliche Volkskind zu diesem Mittel griff.

     In der Baroneß und dem Amtmann wollte Bachmayr den Gegensatz der oberflächlichen und seichten städtischen Bildung zu dem unverfälschten und starken Gemüthe des Volkes ausdrücken. Die Baroneß läßt sich durch das Verlassenwerden eines Geliebten nicht anfechten, und der Amtmann glaubt mit allerhand Kniffen und armseligen Ränken die Bauern beherrschen zu können, während die Dorfweiber über der unglücklichen Liebe zu Grunde gehen und die Bauern zu Leidenschaften aufgereizt werden, welche dem flachen Amtmann weit über den Kopf wachsen. | Insofern ist die Episode vollkommen berechtigt; nur hätte ich mir beide Figuren nobler gewünscht, ohne daß sie an Oberflächlichkeit verlören und und habe es Bachmayr auch gesagt, worauf er jedoch nicht eingehen kann. Die Schauspieler können indessen Vieles verbessern.

     Sie sagen in Ihrem Briefe an B., sein Stück sei nicht auf Aberglauben, sondern auf die klare, nach Bildung ringende Natur Gertruds gebaut. Vielmehr möchte ich sagen, ohne gerade jenes anzunehmen, daß dieses auch nicht der Fall sei, indem wir in der Wahnsinnsszene bemerken, daß das schnell eingepfropfte Vielwissen sie in ihrem Irrsinne mehrfach quält und beschäftigt. Wenigstens habe ich es so verstanden. Bachmayr hat zwar die Hauptintention gehabt, die heilige und unveräußerliche Selbstbestimmung der freien Person darzustellen und thut sich viel darauf zu Gute, als auf etwas Neues. Ich dagegen halte dieses Resultat bei weitem für nicht so neu, vielmehr für sehr alt und für den Gegenstand unzähliger Schauspiele und Romane: als mir die andere Seite des Stückes, die schlimmen Wirkungen erfahrungsloser Humanität (Baron) und der ehrgeizigen Halbbildung des Dorfreformators, die sich dem kernhaften Volke gewaltsam aufdringen wollen, ebenso neu als glücklich und auf männliche Weise durchgeführt scheinen. Für mich wenigstens liegt hierin die Hauptbedeutung des Stückes.

     Für mich ist es nun ebenfalls außer Zweifel, daß Bachmayr mehr dramatisches Zeug in sich hat, als alle unsren jungen Dramatiker zusammengenommen. | Doch kann ich nicht verhehlen, daß ich es für ein Glück halte, daß er bei dieser Gelegenheit aus dem allzu naiven und gemüthlichen Oestreich fortkam und, wie ich hoffe, eine Zeit lang in dem kritischen Norden leben wird. Denn es sind in seinem Stücke noch gar zu naive und phrasenhafte Stellen, welche man bei uns zu Lande nunmehr belächelt. Er wird eine festere und bedeutendere Sprache erwerben, welche seine Werke auch für den Druck zu wahren Kunstwerken macht.

     Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, wie das Stück erst durch den Trank an eigentlicher Plastik gewinnt und wie schön u ergreifend die Situation ist, wo das Mädchen, aus seiner reinen unschuldigen Welt in die Tiefe  und Finsterniß bestimmter unheilvoller That hinabgestoßen wird und wie neu und unheimlich diese That ist. Doch darum keine Feindschaft nicht. Wir werden deßwegen doch auf unserer Bahn der Reinigung und Vereinfachung fortschreiten.


 

17. 2. 1851  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/5; GB 1, S. 347>

Berlin 17 Febr. 1851.

Lieber Freund!

Ein heimwärtsfahrender Student wird von mir benutzt, Ihnen nur einen flüchtigen Gruß zukommen zu lassen und die Stockung unseres Verkehres ein bischen zu heben.

     Vor Allem aus muß ich Sie beglückwünschen zu Ihrer Berufung nach Jena, welche ich aus einem Ihrer Briefe an Bachmayr ersehen habe. Zu Ostern werden wir also ein Stück näher gerückt sein! Dann danke ich Ihnen herzlich für Ihren so sehr eleganten und galanten Brief in den Blättern f. l. Unterhaltung. Er hat mir große Freude gemacht, und ich kann nur im Allgemeinen sagen, daß ich Alles wahr u schön gefunden habe. Eine speziellere Beantwortung ward mir leider unmöglich, da ich den Aufsatz nicht zum zweiten Mal mit Muße lesen konnte, indem jene Nummer alsobald aus den Lesekabinetten verschwand und seither nicht erhältlich war. Aus dem gleichen Grunde habe ich auch ihren Aufsatz über Hebbel, von welchem ich gehört, | bis jetzt noch gar nicht zu Gesicht gekommen~. Denn es ist in dieser Stadt der Intelligenz ungeheuer schwierig, etwas dergleichen zu erhalten, wenn man nicht am ersten Tage des Erscheinens glücklicher Weise dazu kommt.

     Von Bachmayr weiß ich nichts. Ich habe ihn ein wenig im Verdachte, daß er sich nicht allzu sehr um Jemand kümmert, wenn man gerade nichts zu seiner dramatischen Carrière beitragen kann, welche er mit allzu großer Subjektivität verfolgt. Doch wünschte ich sein Stück recht bald mit Bedacht lesen zu können, da ich es nur einmal schnell vorlesen hörte. Indessen hat er mir Stellen aus andern Stücken rezitirt, auch habe ich ein Lustspiel gelesen, und Alles zeugte vom gleichen großen Talente. Dieses ist um so beachtenswerther, als es fast ausschließlich spezifisch dramatischen Charakters ist, und nicht etwa eine allgemeine halbpoetische Stimmung. Es thut mir nur leid, daß er wieder in das verfluchte Wien zurück mußte, wo die Leute gar nichts von der Welt wissen. Er ist noch so konfus, daß es nothwendig seinen Arbeiten die rechte Klarheit u Bewußtsein etwas rauben muß. Er glaubt blind an Gervinus u Gagern ist religiös, pantheistisch, demokratisch u konstitutionell alles durcheinander. Da er nun noch dazu ein gewaltsamer und geräuschvoller, fast aufdringlicher | Mensch ist, so fürchte ich, daß dies seltsame Wesen ihm in seinen Angelegenheiten fast mehr schadet, als die Charakterlosigkeit und Dummheit der Theatertyrannen. Er hat in seinem Wien eben nicht Gelegenheit gehabt, sich zu kultiviren, da die Kerle dort alle selbst Quer- oder Dummköpfe sind; um so mehr bedaure ich, daß er wieder hinverschlagen wurde. Ich selbst kam indessen gut mit ihm aus, da ich den edlen Kern von diesen äußern Zufälligkeiten zu unterscheiden wußte, und habe ihn recht lieb gewonnen.

     Bei Fanny Lewald bin ich erst vor etwa 10 Tagen gewesen; sie gefiel mir gut u war sehr freundlich, so daß ich nun öfter hingehen werde. Sie ist eine wunderliche Person u es klang mir gar seltsam, als sie erzählte, sie hätte Sie bei ihrem Freunde, dem Großherzog v. Weimar, angelegentlich empfohlen als Jenenser Unterthan.

     Ich werde mich alsgemach hinter die hiesigen Theaterverhältnisse machen u sehen, ob ich mehr Glück finde, als Bachmayr Gerechtigkeit.

     Von meinen Produkten schreibe ich Ihnen kein Wort mehr, als bis sie dieselben in den Händen haben. |

     Wenn Sie mir gelegentlich schreiben, so berichten Sie mir um Gotteswillen, was die Herren in Heidelberg nun für Gesichter machen und ob sie sich noch nicht schämen?

     Ich habe im Herbste gelesen, daß Hagen nach Zürich verreis't sei, weiß aber nicht, ob in Folge einer endlichen Berufung, da ich seit Jahr u Tag keine Nachrichten aus Zürich habe, weil ich auch nicht hinschrieb.

     Wollen Sie mich wohl Ihrer verehrten Frau Professorin recht herzlich empfehlen, so wie Ihrem hoffentlich muntern Elisabethchen. Auch Hr. Moleschott bitte ich zu grüßen. Ich habe mit Vergnügen Feuerbachs Aufsatz über sein Buch gelesen, dagegen mit Aerger seine neuliche Ausweisung aus Leipzig, doch hinwieder mit Vergnügen, daß er dort seine Heidelberger Vorlesungen drucken läßt. - Die Berliner Theatermenschen werden bald toll vor Dummheit. Sie bringen eine erbärmlichere Novität nach der Andern auf die Bühne. Doch befinde ich mich noch immer vortrefflich bei Shakespeare und Weißbier! Ich wohne noch immer Mohrenstr. 6

     u bin Ihr ergebenster
     Gottfr. Keller.


 

4. 3. 1851  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/6; GB 1, S. 351>

Berlin d. 4t. März 1851.

Lieber Freund!

So sehr mich Ihre freundliche Antwort auf meinen jüngsten Brief erfreut und erquickt, war sie mir doch ein Donnerschlag, als ich daraus ersah, daß Ihnen mein Hr. Verleger voreiliger Weise Aushängebogen meines Romanes zugestellt hat, ohne wenigstens den Abschluß des ersten Bandes abzuwarten. Dieser Umstand ist es vorzüglich, welcher mich antreibt, Sie schon wieder mit einer Epistel zu bestürmen, um dem mangelhaften u gewiß seltsamen Eindruck, welchen das Fragment auf Sie machen muß, vorläufig mit einigen Andeutungen nachzuhelfen, da das Unheil einmal geschehen ist. Doch davon weiter unten.

     Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß ich mit sehnlicher Erwartung dem fertigen Theile Ihrer Dramaturgischen Studien. entgegensehe, und das nicht so wohl, um Sie nachher eifrig mit meinem konfusen und empirischen Urtheile bedienen zu können, als daran meine eigenen dramatischen Lebensgeister ein wenig zu wärmen und unterhalten, da sie durch andere Arbeitsrückstände und Konfusion der Geschäfte immer noch schlummern u brach liegen müssen. Die treffliche Geschichte von dem übel berathenen Rocke, welche Sie mir zu Gemüthe führen, läßt mich der Ueberzeugung leben, daß auch Sie nicht blos aus äußerlicher oder innerlicher Freundlichkeit ein so ehrendes Zutrauen in mein Raisonnement, so wie das vorläufige | Lob des grünen Henri aussprechen. Doch schließt dies keineswegs aus, daß Sie dennoch meine Kräfte überschätzen könnten, und ich werde daher meine allfälligen Bemerkungen über Ihre Studien zugleich mit einer Selbstkritik begleiten, damit Sie gleich sehen, daß selbige nicht etwa apodiktisch sein sollen.

     Ihre Zweifel an der inneren Berechtigung Ihrer Arbeit sind insofern ganz in der Ordnung, als sie beweisen, daß es Ihnen ernst mit der Sache ist und daß Sie eine wahre Pietät für Ihren Gegenstand empfinden. Dies festgestellt, dürfen Sie dann aber auch um so überzeugter sein von der Berechtigung und dem Willkommensein des Buches; denn wo rechtes Streben und lebendiger Geist zusammen wirken, kann es keinen absoluten Irrthum geben. Ich, der ich mich einstweilen noch, bis auf weitere vielleicht eintreffende Enttäuschung, für einen Produzenten und Experimentator halten möchte, muß Ihnen offen gestehen, daß ich bisher noch keine dramaturgische Arbeit, sei es von Rötscher oder von immer wem, gelesen habe, ohne etwas daraus gelernt zu haben, wenn ich auch über den konkreten Fall nicht einig mit dem Philosophen war. Selbst in dem von Schiefheiten wimmelnden dicken Buche des Herrn Gervinus habe ich eine reichliche Ausbeute an Anregungen zum Weiterspinnen gemacht. Um wie viel mehr darf sich also die Klasse der Lernbegierigen und lebensfrohen~, welche ich mit repräsentire, von Ihnen versprechen, der Sie ja unsern anerkannten Bedürfnissen und Grundsätzen, so wie dem Leben der Gegenwart und den Hoffnungen der Zukunft unendlich näher stehen, als | alle jene Herren. Doch abgesehen von allen Eventualitäten, sage ich Ihnen mit aufrichtigem Ernste, daß Ihr Buch, nach dem was ich von Ihnen weiß und von Anderen täglich lese, das Beste und Bedeutendste sein wird, was in neuerer Zeit geschrieben wurde, und daß ich mir eine äußerst wohlthuende Wirkung davon verspreche in jedem Fall.

     Bei aller inneren Wahrheit reichen für unser jetziges Bedürfniß, für den heutigen Gesichtskreis, unsere alten klassischen Dokumente nicht mehr aus, und ich glaube keine krasse Dummheit zu sagen, wenn ich behaupte, daß die Lessingische Dramaturgie uns mehr in historischer u formeller Hinsicht noch berührt, fast wie sein Kampf mit dem Pastor Götze. Und was ist seither geschrieben worden? Die praktischen, ebenfalls klassischen Erfahrungen und Beobachtungen von Göthe, Schiller u Tiek! aber diese Leute sind längst gestorben und ahnten nicht den riesenschnellen Verfall der alten Welt. Es verhält sich ja ebenso mit den Meisterdichtungen Göthes u Schillers; es ist der wunderliche Fall eingetreten, wo wir jene klassischen Muster auch nicht annähernd erreicht oder glücklich nachgeahmt haben und doch nicht mehr nach ihnen zurück, sondern nach dem unbekannten Neuen streben müssen, das uns so viele Geburtsschmerzen macht. Daß es so lange (? laßt doch der Natur ein wenig Ruhe!) ausbleibt, berechtigt uns zu keinem Pessimismus; sobald der rechte Mann geboren wird, der erste, beste, wird es da sein. Und alsdann werden veränderte | Sitten und Völkerverhältnisse viele Kunstregeln und Motive bedingen, welche nicht in dem Lebens- u Denkkreise unserer Klassiker lagen, und ebenso einige ausschließen, welche in demselben seiner Zeit ihr Gedeihen fanden. So sehe ich wenigstens die Sache an und begrüße daher jeden Lichtblick mit Freuden, welcher die gegenwärtige Dämmerung durchblitzt. Was ewig gleich bleiben muß, ist das Streben nach Humanität, in welchem uns jene Sterne, wie diejenigen früherer Zeiten, vorleuchten. Was aber diese Humanität jederzeit umfassen solle: dieses zu bestimmen hängt nicht von dem Talente und dem Streben ab, sondern von der Zeit und der Geschichte.

     Was die künftige politische Comödie und ihr wahrscheinliches Hervorgehen aus der jetzigen Lokalposse betrifft, so glaube ich Ihnen schon im vergangenen Jahre etwas darüber gemeldet zu haben. Ich weiß daher nicht, ob ich mich jetzt wiederhole, wenn ich Ihnen meine Ansichten u Vermuthungen unmaßgeblich mittheile. Gerade dies ist ein Gegenstand, ein Gebiet, in welches die Klassiker vor 50 Jahren noch keine Aussichten hatten und ich bin überzeugt, daß wenn wir jetzt einen dreißig- oder vierzigjährigen Göthe hätten, ja selbst nur einen Wieland, so würde dieser aus den vorhandenen Anfängen bald etwas gemacht haben. Denn sowohl die Form, als die Art des Witzes und seines Vortrages sind neu und ursprünglich. Und was das Beste und Herrlichste ist: Das Volk, die Zeit haben sich diese Gattung selbst geschaffen nach ihrem Bedürfnisse, sie ist kein Produkt literarhistorischer Experimente, wie etwa die gelehrte Aufwärmung des Aristophanes und Ähnliches! Gerade deswegen wird vielleicht ihre Bedeutung von den gelehrten Herren ignorirt, bis | sie ihnen fertig und gewappnet, wie die junge Pallas, vor den Augen steht.

     In der gegenwärtigen Beschaffenheit der Possen ragen vorzüglich zwei wichtige Momente hervor. Das Eine ist die freie Willkür in der Oekonomie und die Allegorisirung politischer und moralischer Begriffe, aber in durchaus unsern Zuständen homogener Weise und nicht wie es z. B. Platen in blinder Nachahmung gethan hat. Dadurch wird der für die politische Comödie durchaus nöthige göttliche Unsinn und unbeschränkte Muthwillen wieder hergestellt. Das andere Moment ist die Verbindung der Musik mit der Dichtung, in den Couplets. Diese hat, wenigstens in ihrer jetzigen Bedeutung, das Wiener Volk mit seinen obskuren Possendichtern erfunden und der Bühne geschenkt und es ist weiter nichts dazu zu thun, als reinere Poesie und ein tüchtiger Inhalt, welches übrigens für das Ganze ebenfalls gilt. Die Weihe der Poesie wird von wahren Dichtern, welche den Willen und das Bedürfniß des Volkes darzustellen im Stande sein werden, gebracht werden und sicher nicht ausbleiben, wenn der tüchtige Inhalt durch die Geschichte verschafft wird. Gegenwärtig reitet man immer auf dem Philister und seiner Misere herum, welches eben kein poetischer Stoff ist, und auf den Erbärmlichkeiten der jetzigen Politik, insofern die Polizei es erlaubt. Dies ist schon lohnender; jedoch wird der rechte Stoff erst dann vorhanden sein, wenn die Völker frei, geordnete würdige Zustände und wahre Staatsmänner und andere Träger der Cultur vorhanden sind. Alsdann werden auch die Conflikte und Differenzen der Völkerschaften würdiger Art sein und einen tüchtigen Inhalt für eine wahre Poesie abgeben. Denn im Theater über einen Lumpenhund zu lachen, ist nichts Erbauliches; | erst wenn wirklich große, aber einseitige Staatsmänner, großartige Dummheiten ganzer Völker, edle Philosophen, die sich in irgend ein Paradoxon hinein geritten haben, Gegenstand des dramatischen Spottes werden, wird auch die Posse eine edlere Natur annehmen können und müssen.

     Inzwischen ist es immerhin schon ein bedeutendes Schauspiel, die Bevölkerung einer so pfiffigen Weltstadt, wie Berlin, vor der Bühne versammelt und dem muthwilligen Schauspieler, der ihr seine Anspielungen mit wehmüthiger Laune vorsingt, eifrigst lauschen und zujubeln zu sehen. Bemerkenswerth ist auch, daß die Kunst der komischen Darstellung der Dichtung weit vorausgeschritten ist und bereits schon jetzt für eine klassische Komödie beinahe fertig und reif wäre, während in der Tragödie die Darstellung fast eben soweit hinter den Dichtungen, die wir besitzen, zurückgeblieben ist. Vorzüglich beim Vortrage der Couplets, welche die jeweilige Kritik der Tages Misere, des politischen u moralischen Unfuges enthalten, excelliren die Komiker. Sie machen wunderliche und höchst muthwillige Gesten und Sprünge dazu, meistens zwei zusammen; das Werfen der belebten Beine gibt der Satire noch Nachdruck, während das Orchester bei und nach den Refrain's durch brummige Paukenschläge, durch einen schrillen Pfeifentriller oder einen lächerlichen Strich auf der Baßgeige den Eindruck noch erhöht und das Gelächter vermehrt. Ich habe lebhaft mitgefühlt, wie in solchen Momenten das arme Volk und der an sich selbst verzweifelnde Philister Genugthuung findet für angethane Unbill, ja wie solche leichte Lufthiebe tiefer dringen und nachhaltiger zu wirken vermögen, als manche Kammerrede. Ich führe die Einzelheiten der Darstellung, vorzüglich die Mimik u die Musik, nur deswegen an, damit Sie sehen, wie auch hierin ein wichtiger Lebenskeim für die Zukunft liegt: denn sie bedingen ein inniges Zusammenwirken des Dichters mit den | andern Bühnenkünsten und ein Eingehen desselben in die lebendigen Gebräuche. Er wird sich vor unplastischen und unsingbaren Phantasien hüten müssen, während diese lustigen Schnurren ihm neue Ideen  und einen kräftigeren Ton angeben werden. Die Natur dieser Komödie bedingt es ferner, daß Vieles in Uebereinkunft mit dem ganzen Personal der Bühne und nach den momentanen Vorkommnissen und Stimmungen der Oeffentlichkeit eingerichtet werden muß, und daraus wird wieder etwas Lebendiges und Wahres entstehen. Denn es ist eine Lüge, was die literarischen Schlafmützen behaupten, daß die Angelegenheiten des Tages keinen poetischen u bleibenden Werth hätten. In Berlin ist es der Dichter Kalisch, welcher das für jetzt Bestmögliche leistet. Seine Sachen werden auf dem Königsstädtischen Theater gegeben; allein wie gesagt, der Inhalt ist halt noch nicht viel werth.

     Nun noch einige Worte über den Henri vert. Ich habe bei diesem Unglücklichen das gewagte Manöver gemacht, daß ich meine eigene Jugendgeschichte zum Inhalt des ersten Theiles machte, um dann darauf den weiteren Verlauf des Romanes zu gründen, und zwar so, wie er mir selbst auch hätte passiren können, wenn ich mich nicht zusammengenommen hätte. Es kommt nun Alles darauf an, ob es mir mehr oder weniger gelungen sei, das Gewöhnliche u Jedem Naheliegende darzustellen, ohne gewöhnlich u platt oder langweilig zu sein; und dies ist es, was ich mir vorgeworfen zu sehen befürchte. Ich hatte nicht die Intention, aus eitler Subjektivität diese Jugendgeschichte einzufügen, weil sie die meinige ist, sondern obgleich sie es ist und stellte mir dabei einfach die Aufgabe, mich selbst mir objektiv zu machen und ein Exempel zu statuiren. Deßnahen ließ ich auch Alles weg, was nicht charakteristisch für den Endzweck des Buches ist.

     Ich hatte die doppelte Tendenz: einestheils zu zeigen, wie wenig Garantien auch ein aufgeklärter u freier Staat, wie der Zürcher'sche, | für die sichere Erziehung des Einzelnen darbiete heutzutage noch, wenn diese Garantien nicht schon in der Familie oder den individuellen Verhältnissen vorhanden sind, und anderntheils den psychischen Prozeß in einem reich angelegten Gemüthe nachzuweisen, welches mit der sentimental-rationellen Religiosität des heutigen  aufgeklärten aber schwächlichen Deismus in die Welt geht und an ihre nothwendigen Erscheinungen den willkürlichen u phantastischen Maßstab jener wunderlichen Religiosität legt und darüber zu Grunde geht. Dieß wird der Inhalt des zweiten Theiles sein. Doch ist mir die angewandte Novellistik, zum Theil auf äußeres u inneres Erlebniß gegründet, noch weit bedenklicher, als die Jugendgeschichte und ich habe eine jämmerliche Angst, das Buch aus den Händen zu lassen, da es mir viel verderben kann und ich, nach dem langen Zaudern u Sprechen davon, mich schämen muß, wenn es durchfällt. Meine Hauptstütze ist die Hoffnung, daß das spezifische Geplauder u Geschwätz des Buches für stillere u feinere Leute, welche nicht auf großen Eclat sehen, angenehm und unterhaltend sein möchte. Und dies wäre mir am Ende genug; denn ich hätte wenigstens den Beweis, daß ich schreiben kann, und könnte diese edle Kunst dann später besser anwenden. Allein gerade bei dem ersten Theil ist es mir höchst unangenehm, daß Sie nur die Hälfte davon gelesen haben, indem derselbe zu seiner Ehrenrettung durchaus abgerundet sein muß. Haben Sie die Güte mir nach Ihrer Ankunft in Jena bald Ihre Adresse zu schicken, damit Sie dann das ganze Buch erhalten können.

     Meine verehrte Gönnerin, die Frau Professor Hettner, bitte ich bis dahin auch noch für den Heinrich wohlgesinnt zu bleiben; er wird sich bald genug schlecht aufführen und dann Ihrer Gnade vielleicht verlustig werden.

     Ihr immer gleicher    
     Gottfr. Keller.


 

16. 4. 1851  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/7; GB 1, S. 358>

Berlin d. 16t. April 1851.

Lieber Hettner!

Sie haben mir durch Uebersendung Ihres trefflichen Manuskriptes eine große Freude bereitet und ich danke Ihnen auf das Wärmste dafür. Fast bedaure ich, daß der Genuß ein so einseitig egoistischer war und ich Ihnen nicht wenigstens mit einigem gegründeten Tadel nützen und vergelten kann. Ich weiß nicht, liegt es an der durchgehenden Vortrefflichkeit Ihrer Schrift, oder meinerseits an einem Mangel an höherer Uebersicht u Belesenheit, daß ich wirklich mit dem besten Willen nichts zu sagen weiß. Der beste Ausweg wird der sein, daß unsere Ansichten und Erfahrungen zu gleich sind, als daß sich eine erhebliche Bemerkung entwickeln könnte. Beim Beginne der Lektüre glaubte ich mehr Eingehen in das eigentlich Poetische beanspruchen zu müssen, habe mich aber alsobald bekehrt durch die Klarheit und den festen Verlauf Ihrer Schrift selbst. Ich habe demzufolge dieser Privatliebhaberei für das sogenannt spezifisch Poetische den letzten Abschied gegeben, indem ich fühlte, daß sie rein als Sache des produzirenden Individuums vorausgesetzt werden muß und nicht zur prinzipiellen Verhandlung | gehört. Diese kindliche Freude an der wunderlichen Situation und an der poetischen Ausführung hat die Stürmer u Dränger u nachher die Romantiker bestochen und ihren kritischen Blick verwirrt, so daß wir noch jetzt an den letzten Narrheiten zu dauen haben. Die wunderbare u gewaltige poetische Ausführung in den Historien des Shakesp. hat die Leute verführt, daß sie das Ganze für muster- und endgültig hielten, und die nachherigen Täuschungen verursacht, indem es sich erwies, daß gerade diese Ausführung sowenig wieder erreicht werden konnte, als der Schillersche Idealismus von den Jambenmachern eingeholt wurde.

Ihr Buch entwickelt sich sehr schön und lehrreich durch das Wesen der historischen Tragödie hindurch bis zum bürgerlichen Trauerspiele und findet sich zuletzt in diesem wieder auf der Höhe der wahren Geschichte. Schneidet schon der Abschnitt über die bürgerl. Trag. tief in unsere Gegenwart ein, so verspreche ich mir um so mehr von "der Oekonomie der tragisch. Kunst" die beste Wirkung. Es ist hier kein Wort, das sich nicht geltend machen wird; freilich werden viele Herren sich wundern, daß alles so einfach u natürlich scheint und doch von keinem gemerkt worden ist in der allgemeinen Gedankenlosigkeit. Ungeheuer begierig bin ich, was Ihre köstliche Besprechung des Erbförster für Gesichter produziren wird. Hier ist doch Grund vorhanden, sich ein wenig zu schämen. Ich freue mich sehr auf den übrigen Theil Ihrer Arbeit; hoffentlich werden Sie das Ganze bald herausgeben.

     Nur Einen unmaßgeblichen Wunsch habe ich auf dem Herzen, betreffend den historischen Cyklus oder auch die | Trilogie. Ich möchte nämlich (d. h. nur in diesem bescheidenen Briefe) daß Sie die Zulässigkeit desselben nicht unbedingt und für alle Zeiten verwerfen. Wenn wir von den zu erwartenden großen Dichtern der Zukunft sprechen, so setzen wir natürlich auch größere Zustände und eine gewaltige Geschichte voraus, was uns zwingen wird, zugleich auch ein gebildetes u bewußtes Volk anzunehmen. Alsdann, glaube ich, könnte da oder dort der Fall eintreten, wo ein Volk oder ein Stamm ein solches mit seinem eigensten Sein durchwebtes Stück ruhmvoller Geschichte, getragen von großen Personen oder Ereignissen, durchlebt hätte und es zugleich mit seinem ganzen Gemüthe empfände, daß der dramatische Abschluß und die poetische Verklärung ihm ein Bedürfniß wäre. Dies Volk hätte dann gewiß so viel Bildung und geistige Ausdauer, daß es entweder einen solchen sein eigenes Schicksal kristallisirenden Cyklus entweder an hohen Festtagen nach einander aushalten, oder sich bei jedem einzeln gegebenen Theile orientiren könnte, indem ihm das Ganze immer geläufig wäre. Es kann natürlich nicht die Rede sein von einem grundsätzlichen u schulmeisterlichen Verfahren, sondern nur von der Berechtigung des einzelnen vorkommenden Bedürfnisses. Dieses Bedürfniß würde nur da ganz hervortreten, wo eine Nation durch die behandelte Geschichte große errungene Wahrheiten und einen schönen Triumph über sich selbst wie über ihre Feinde im konzentrirten Lichtbilde genösse. Wo nun eine Monotragödie nicht ausreichte, müßte eben der Cyklus herhalten; denn ich würde mit Liebe ausgeführte Abschnitte einem gewaltsam zusammengepreßten u allzu simbolischen~ | Dichtwerke vorziehen, welches auch weniger im Sinne des Volkes liegt. Doch ist dies alles noch in blauer Ferne und ich möchte einzig ein theoretisches Schlupfloch nicht ganz verstopft wissen, welches übrigens durch ein glänzendes Faktum bald wieder eingestoßen ist.

     Den Melchior Meyr, über den Sie sich mit Recht so moquiren, habe ich öfter in der Gesellschaft gesehen, er ist ein Intimikus von Rötscher und es wird nächstens ein Franz v. Sickingen von ihm hier aufgeführt, welcher nach der Aussage seiner eigenen Freunde ein pures Schulmeisterwerk sein soll. Er sieht auch gerade nicht aus wie ein Poet. Bachmayrs Stück ist endlich zu haben und ich werde es dieser Tage kaufen, und mit großem Intresse lesen.

     Ich lese jetzt den Schiller Körnerschen Briefwechsel (nachträglich!) und ergehe mich daher in den Gegenden, die Ihnen zu Ihrem künftigen Wirkungskreise angewiesen sind. Mögen die freundlichen Geister Sie freundlich umschweben und segnend an der Gränze entgegenkommen, wenn Sie dieser Tage Ihren Einzug halten, wozu ich herzlich Glück wünsche.

     Mit nochmaligem Danke empfehle ich mich feierlichst Ihrer ganzen verehrten Dreifaltigkeit.

     Ihr Gottfr. Keller

Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich Ihnen endlich jenes erste Trauerspiel senden werde. Ueberhaupt bitte ich Sie, an die Unvermeidlichkeit jedes meiner angekündigten Produkte zu glauben, wenn das Fatum den unglücklichen Leser auch noch so spät einholt!


 

29. 8. 1851  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 78q Nr. 12; GB 1, S. 361>

Berlin d. 29 August 51.

So eben, liebster Hettner, empfange ich Ihre Zeilen, welche mich bei ähnlichen Gedanken, die ich seit einigen Tagen über unsere Verbindung hegte, betrafen. Also einstweilen die Nachricht, daß ich allerdings noch in Berlin bin und zwar immer in der alten Wohnung und auch hierselbst verbleiben werde bis zum Spätherbste, da ich endlich hier, schon im Begriffe, mich davon zu machen, noch gute neue Freunde und Bekannte gefunden und mich entschlossen habe, in Berlin den Grundstein zu meiner restaurirten poetischen Carrière zu legen.

     Aus verschiedenen Rücksichten ist es mir unmöglich, ihrem lockenden Vorschlage einer Thüringerreise zu entsprechen, hauptsächlich verhindert mich die Arbeit. Ich habe unerwartet einen Seitenpfad, einen bedeckten Schleichweg in die Flanken des jetzigen Theaterintendanten gefunden, mit Umgehung des furchtbaren Rötscher'schen Vorwerkes, und werde den guten Mann mit einem soeben fabrizirt werdenden Lustspiele überfallen. Wenn Alles gut geht, so kehre ich im Winter, nach einem Besuch in der Schweiz, wieder hieher zurück und suche mich dann, zu vermehrter Uebung, einigermaßen am Theater festzusetzen, wo sich für unsern Bachmayr dann vielleicht auch etwas thun läßt. Ich habe mit Vergnügen Ihren Aufsatz gelesen. Schon längst habe ich auch einen in petto, weiß aber nicht wohin damit, da mir Alle die Notabilitäten der Blätter gleichgiltig oder feindlich scheinen. Zudem kann ich meinen Namen nicht | darunter schreiben, da ich, selbst bald mit mehreren Produkten hervortretend, nicht vorher als herausfordernder Rezensent auftreten mag und kann.

     Diesen Herbst soll es mit mir endlich vorwärtsgehen, ich kann fast nicht mehr atmen in der alten, verdorbenen Athmosphäre der Vergangenheit und freue mich auf ein wohlgemuthes, rasches und anspruchloses Produziren von Lust- Trauer- und allen möglichen Spielen; denn es ist meine Ueberzeugung, daß man nur durch harmlose und nichtgrüblerische Arbeit, mit welcher man nicht den Himmel stürmen will, endlich zu etwas Gesundem u Glücklichem gelangt.

     Ich habe seither die Judith v. Hebbel gesehen von seiner Frau (ich glaube ich saß im Parkett neben ihm, wenn mich nicht einige Zeichen u Symptome trügen) und es machte mir großen Eindruck. Es ist ein ganz gewaltiges und tiefes Stück, wenigstens so viel ich darunter verstand; dies Ringen der Vorweltmenschen mit den Göttern und dem Gotte, die sie in ihrer Naturwüchsigkeit sich geschaffen, ist ein majestätisches Schauspiel. Ich dachte fortwährend an Feuerbach, und wie der einfache und klare Gedanke, dessen allseitige Ausführung seine Lebensaufgabe ist, sich so schön bewährt, daß man ihn überall anwenden kann, in der Kirche, wie im Theater und auf dem Markte, im sprüchebeschriebenen Mausoleum der Berliner-Könige, wie in ihrer Schloßkirche und auf dem Perron der Bahnhöfe, wo Friedr. Wilhelm seine Reden hält. |

Ich lebe jetzt in einem angenehmen Kreise einiger geistreichen Leute, einige Kaufleute, Beamte und Privatgelehrte, ruhige und solide Männer von freier Gesinnung, obgleich sie nicht mit einer Partei gehen.

     Die Hauptbekanntschaft ist jedoch der Dichter Scherenberg, welcher das Epos Waterloo gemacht hat und nun ein großes Epos über Friedrich den Großen macht. Er ist ein ganzer u voller Dichter, fast fünfzig Jahr alt, aber von jungem Herzen. Er hat sich nach vielen Schicksalen erst jetzt Bahn gebrochen. Der Gegenstand seines Gedichtes wandte ihm natürlich die Aufmerksamkeit u die Gunst des Treubundes und der spezifischen Preußen zu, so daß auf demokratischer Seite und auswärts das Vorurtheil herrscht, als wäre er selbst ein Treubündler. Dem ist aber nicht so; er läßt die Leute machen, Wrangel und andere Generale besuchen ihn in seiner einfachen Wohnung, aber er geht nirgends hin und lebt ganz frei u still für sich. Ich bin überzeugt, daß dieser Mann einer der größten Poeten der nächsten zwanzig und letzten zwanzig Jahre ist. Er hat viel dramatische Einsicht u Erfahrung u wahrscheinlich werden wir einige Zeit zusammen halten und arbeiten, wobei es noch zustatten kommt, daß ihm hier die Thüren offen stehen. So geht es in der Welt!

     Doch bitte ich Sie, diese Projekte noch geheim zu halten, vorzüglich weil ich nicht immer über ungelegte Eier gackern mag, ehe die alten einmal in der Welt sind. |

     Ich sehe einem weiteren Briefe und bald Ihren dramaturg. Studien entgegen.

     Haben Sie keine Lust, sich Berlin wieder einmal anzusehen?

     Kennen Sie einen Dr. Widmann in Jena, der einen Roman "Tannhäuser" geschrieben hat? es wird unter meinen Bekannten viel von ihm gesprochen und er intressirt mich gewisser Antezedenzien wegen. Was thut er dort und für was gilt er?

     Also viele Grüße und Empfehlungen

     von Ihrem
     Gottfr. Keller


 

20. 9. 1851  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/8; GB 1, S. 365>

Berlin Sept. 1851.

Lieber Hettner!
 
Vorerst wünsche ich Ihnen und Ihrer geehrt. Frau Gemahlin herzlich Glück zu der abermaligen Bereicherung Ihres Hauses und um so mehr, da es ein glückverheißend. Stammhalter ist. Die altherkömmlichen u einfachen Namen, die Sie Ihren Nachkommen geben, erquicken Einen besonders in Berlin, wo in den Theezirkeln, wenn von den Kindern der Geheimräthe die Rede ist, die Luft von lauter Hulda's, Ottomar's und Tankreden geschwängert ist. Amalien und Emilien sind hier bereits dem untersten Proletariat angewiesen, Beatrix und Lothar halten sich noch mit Mühe im Mittelstande.

     Den Aufsatz über Bachmayr habe ich nach Ihrer Anleitung Herrn v. Rochau zugeschickt und er ist gestern mit einigen ärgerlichen Druckfehlern erschienen. Uebrigens ist es ein flüchtig gemachter Auszug der größeren frühern Arbeit, die ich in ihrem Umfange nicht der C. Z. übergeben konnte. Ich denke, Sie sind jetzt aus dem Walde zurück und hoffe, daß Sie viel Heiteres u Gutes erlebt haben. Hoffentlich werden Sie ungeachtet Hrn. v. Rochau's Entfernung v. Berlin doch noch hieher kommen. Ich bin immer zu Ihrer Disposition, | doch, da es Ihnen nichts verschlägt, in der ersten od. zweiten Woche des Oktober noch freier, als im September.

     Mein Lustspiel betreffend, hat sich seither noch ein zweites hinzu gefunden, Stoff u Plan sind aber ganz einfach u harmlos und besser zu mündlicher Mittheilung geeignet. Inzwischen mache ich einige historische Studien zu einem Trauerspiele; denn ich möchte mich so einrichten, daß es mit nächstem Neujahr rasch nach einander losgeht, da ich von der Zweckmäßigkeit, frisch fortgesetzter Produktion in mehrfacher Hinsicht überzeugt bin. Desnahen benutze ich die bisherige Bärenhäuterei noch zu mehrfacher Vorbereitung.

     Ich freue mich sehr auf Ihr Buch und werde sogleich eine Anzeige schreiben. Was die Erwähnung meines geringen Namens betrifft, so ist dieselbe bedenklich; doch, vorausgesetzt, daß Sie die Haltbarkeit meiner brieflichen Expektorationen gewiß wohl erwogen und dieselben, wo es nöthig, purifizirt haben, mag die Sache immerhin bleiben, da man, offen und ehrlich gesagt, nicht wissen kann, welchem einflußreichen Esel da oder dort dergleichen nützlich in die Nase sticht. Doch werden Sie sich auf einiges Nasenrümpfen gefaßt zu machen haben, wenn Sie, nebst ihren durchgreifenden Untersuchungen und Urtheilen mit so obskuren | Leuten aufmarschirt kommen, wie Bachmayr u ich sind. Dieser Letztere dürfte übrigens bald etwas Neues hören lassen, denn er wird nicht wohl abwarten können, bis das alte Stück durchgedrungen. Die hiesigen Kerle haben ihm ja gesagt, er möchte ihnen bald was Anderes vorlegen! Warum nimmt er sie nicht beim Wort? Statt dessen kaut er immer noch am Mißgeschick seines Tranks d. Vergessenh. herum und belauert den trügerischen Barometer der Zeitungsrezensionen!

     Ich habe auch einige Erzählungen und Novellen ausgeheckt, welche farbenreich und sinnlich, und reinlich und bedächtig geschrieben, in einem Bändchen vereinigt, den schlechten Eindruck verwischen sollen, den mein formloser und ungeheuerlicher Roman auf den großen Haufen machen wird.

     Also auf Wiedersehen? Ich empfehle mich ergebenst grüßend Ihrer Frau Hettner, der lieben Elisabeth u dem Felix.

                                               Ihr alter Gottfr. Keller


 

16. 7. 1853  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/10; GB 1, S. 367>

Berlin d. 16t. Juli 1853.

Lieber Hettner!
 
Ich kann es nun nicht länger anstehen lassen, so schwer es mir auch fällt, durch einen leeren Brief ein Lebenszeichen von mir zu geben. Ich habe vor 1½ Jahren eine Summe von Ihnen geliehen und diese unglückliche That droht unser Verhältniß gänzlich zu Grunde zu richten. Ihren letzten Brief, worin Sie mir mittheilten, daß Sie das Geld brauchten, habe ich ein Jahr lang unbeantwortet gelassen, weil ich mich schämte, einen leeren Brief zu schicken und lieber Alles drauf ankommen ließ, bis ich im Stande wäre, mich durch die That zu rechtfertigen. Leider ist mir dies auch jetzt noch nicht möglich, während es mich peinigt, fast die Gewißheit zu haben, daß sich indessen eine üble Meinung von meinem Charakter bei Ihnen ausgebildet hat. Und dennoch, obgleich hievon die Schuld ganz an mir läge, würden Sie mir Unrecht thun. Wenn ich Ihnen verschiedentlich versprach, meine Verpflichtung bald zu lösen, so glaubte ich selbst aufrichtig daran und nur ein dämonisches Ungeschick in wie außer mir hinderte mich. Ich bin leider keine Lorenz Kindleinsnatur, | welche bei Wasser und Sorgen immer munter drauf los schreibt. Das verworrene Netz von Geldmangel, kleinen Sorgen, tausend Verlegenheiten, in welches ich mich unvorsichtiger Weise mit meinem Eintritte in Deutschland verwickelte, wirft mich immer wieder zur Unthätigkeit zurück; die Mühe, wenigstens der täglichen Umgebung anständig und ehrlich zu erscheinen, drängt die Sorge für die Entfernteren immer zurück, und die fortwährende Aufregung, die man verbergen muß, diese tausend Nadelstiche absorbiren alle äußere Produktivität, während freilich das Gefühl und die Kenntniß des Menschlichen an Tiefe und Intensität gewinnen. Ich würde mir diese drei letzten Jahre später nicht abkaufen lassen. So rückten meine Sachen mit fabelhafter Langsamkeit vorwärts, welche Sie, als rühriger u fleißiger Mann nur begreifen können, wenn Sie einst das Detail kennen. Alles dies wird nun bald ein Ende nehmen, denn es ist nun Zeit. Wenn der Roman heraus und etwas Dramatisches fertig ist, so werde ich aus der Schweiz eine radikale Verbesserung meiner Lage bewirken und überhaupt ein andrer Mensch werden. Vieweg wird nächstens drei Bände des Romans versenden und der vierte wird Ende August nachfolgen. Er ist auch des Teufels! Das Eine Mal schreibt er mir, das Buch sei seiner Meinung nach das Beste in seiner Art und es müsse Erfolg haben, das andere Mal macht er mir Grobheiten. Ein Lustspiel habe ich nun ganz voll und reich zusammengedacht und ich hätte es längst in acht Tagen geschrieben, wenn ich nicht das Wort gegeben hätte, nichts anderes zu machen, ehe der Roman fertig ist, und gerade dies schien ein Fluch zu sein, daß der unselige nicht fertig wurde. Die Heine-Romanzero Geschichte | werde ich der 2t. Auflage meiner Gedichte einverleiben, welche Vieweg auf Michaelis veranstalten will. Zunächst werde ich zwei Bändchen Novellen machen, welche Vieweg drucken will; diese werden in 2 Monathen fertig sein und den Grund zu einer einstweiligen fortlaufenden Erwerbsquelle legen. Allen Constellationen nach und nach dem, was ich auf dem Theater floriren sehe, habe ich durchaus keinen Grund, in Bezug auf meine Dramen muthlos zu sein. Ihr griechisches Buch habe ich, obschon ich es bekommen konnte, nicht gelesen, weil es mir zu peinliche Vorstellungen erregte, so wie mir Ihr Name immer ein Vorwurf ist, wenn ich ihn irgendwo erwähnt finde. Monsieur Widmann war im letzten Frühjahr hier und hat 14 Thaler für Droschken ausgegeben, um in Berlin wieder eine Anstellung zu suchen, hat sie aber nicht gefunden. Er ist ein ganz miserabler Schwätzer und hat auch über Sie geschimpft, so wie über andere Ehrenleute, ganz blödsinnig und taktlos. Fangen Sie gerade keine Händel mit ihm an, aber nehmen Sie sich in Acht vor ihm. Seine Erzählungen am warmen Ofen sind ein interessantes Beispiel, wie man heut zu Tage ohne Beruf scheinbar gute und doch schlechte Bücher macht. Absichtlich gemachte Studien in Wald und Feld, Reminiszenzen, gute Notizen, den Bauern und Jägern abgefragt und aufgeschrieben, zierliche Sächelchen appetitlich zusammen geschmiedet und mit reinlichem Style vergoldet, aber inwendig nicht eine Spur von Nothwendigkeit, von durchgehender Tiefe, und nichts fertig; man muß gestehen, die Leutchen geben sich heutzutage doch einige Mühe. Wenn Stahr nicht ganz versimpelt wäre, so würde er etwas von den | Kniffen gemerkt und das Ding nicht als "klassisch" austrompetet haben.

     Doch ich vergesse, daß ich nicht zu diesen Plaudereien berechtigt bin, ehe Sie mir mit einigen Zeilen schreiben, ob Sie bös sind oder nicht, und ob Sie mir zu meiner Verurtheilung noch eine Frist von einigen Monaten geben wollen? Ich glaube Sie ernstlich versichern zu können, daß Sie dies nicht bereuen werden.

                                               Ihr Gottfr. Keller

Mohrenstraße 6.

Ich habe in letzter Zeit einige gute Bekanntschaften gemacht und andere in Aussicht und werde sobald thunlich einen Frack erwerben, um aus meinem Fegefeuer glorreich hervorzusteigen.


 

15. 10. 1853  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/12; GB 1, S. 378>

Berlin d. 15t. Okt. 1853.

Lieber Freund!
 
Ihre freundlich besorgte Nachfrage, welche mich wohlthuend berührte, obschon ich als Unkraut in keinerlei Gefahr schwebe, veranlaßt mich, Ihnen endlich den schuldigen Brief zu entrichten.

     Vor allem wünsche ich, daß sich die Gesundheitszustände in Ihrer lieb. Familie gebessert haben! Sie sind ja dies Jahr ein ordentlicher Märtyrer geworden! Daß es Ihnen am Meere gut erging und gut gefiel, freut mich; ich bin nur neugierig, ob ich auch noch den Tag erlebe, wo ich wieder in eine vernünftige Gegend komme und entweder Meer oder Gebirg sehe. Die Märkische Landschaft hat zwar etwas recht Elegisches, aber im ganzen ist sie doch schwächend für den Geist, und dann kann man nicht einmal hinkommen, da man jedesmal einen schrecklichen Anlauf nehmen muß, um in den Sand hinein zu waten. Ich bin fest überzeugt, daß es an der Landschaft liegt, daß die Leute hier unproduktiv werden. Ich sagte es schon hundertmal zu hiesigen Poeten, die sich domizilirt haben, und sie stimmen alle ein und schimpfen wo möglich noch mehr als ich; aber keiner weicht vom Fleck, lieber sterben sie elendiglich auf dem Platze, ehe sie von dem verfluchten Klatschnest weggehen. Wie sehr werde ich mich sputen, wenn ich einmal kann, denn ich fühle wohl, daß ich hier auch eintrocknen würde. Ein Hauptgrund zu der Impotenz ist auch die verfluchte Hohlheit und Charakterlosigkeit der hiesigen Menschen, die gar keinen ordentlichen fruchtbaren Gefühlswechsel und Ausdruck möglich macht. So kommen die Leute aus dem Rechten heraus, ohne zu wissen, wie es eigentlich zugegangen. Doch muß ich gestehen, daß für die eigentliche Gelehrtenwelt die Sache sich anders verhält und hier eine gute Luft zu sein scheint oder wenigstens einmal war.

     Ein vorübergehender Aufenthalt hier hingegen ist jedenfalls auch für künstlerische und andere Seiltänzernaturen gut. |

     Den Roman der Lewald habe ich noch nicht gelesen und werde es schwerlich bald thun. Wie es scheint, will sie sich mit Gewalt zur Alleinherrscherin beider Geschlechter dies- u jenseits des Rheines erheben und wo möglich die einzige Romanschreiberin ihrer Zeit sein. Den Robinson will ich sobald möglich lesen. Können Sie mir eine gute Uebersetzung bezeichnen?

     Ich habe nun mit großer Freude ihre Reiseskizzen gelesen und kann Sie versichern, daß ich lang kein so zweckmäßig geschriebenes und gelungenes Buch dieser Gattung gelesen habe. Bei Ihrer Construirung der alten Denkmäler mußte ich mich freilich als Lernender verhalten ganz und gar, aber auf wie angenehme, plastische und genußvolle Weise lernte ich! Bei den landschaftlichen Schilderungen haben Sie kein Wort zu viel und keines zu wenig gesagt, so daß gerade die rechte Vorstellung, Anregung und Sehnsucht nach dem Lande entsteht, und dieß Maß ist, wie ich glaube, etwas sehr Glückliches und Seltenes, was nicht Alle oder vielmehr nur wenige treffen. Es war bisher noch am Meisten bei den geistreichen eleganten Schriftstellern früherer Perioden zu finden, und dürfte ungefähr dem Sinne der Alten selbst angemessen sein. Ich habe zufällig zugleich den Sophokles gelesen und beide Lektüren haben sich auf's Schönste verschmolzen. Ich kann nicht begreifen, wie die Ansicht hat aufkommen können, welche erst Humboldt widerlegt hat, daß die Alten keinen Sinn für das Landschaftliche gehabt hätten! Sie brauchten ja nur ihre Götter zu nennen, so sah man Meer, Himmel und Gebirge vor sich und wenn der Dichter den Helios über dies oder jenes Vorgebirge hervorkommen ließ, so war die Vorstellung aller Griechen, die die Lokalität kannten, gewiß keine bittere! Was braucht es da noch einen Feuerwerker wie Jean Paul oder einen Düftler wie Adalbert Stifter!

     Ihre Schilderung des Menschlichen im jetzigen Griechenland ist ebenfalls | trefflich; daß Sie wegen der Russischen Geschichten mißverstanden wurden, lag an der Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit unserer lesenden und schwatzenden Gesellschaft, welche blos ein vermeintliches Kenn[t]zeichen aufzuschnappen braucht, um in ihrer Faulheit dann die Sache einzuschachteln. So hat man Sie gleich zu Bruno Bauer gestellt, welcher auf absolute u positive Weise jetzt das Russenthum verkündet. der Esel!

     Ich schicke Morgen die letzten Korrekturen des 3t. Bandes des gr. Heinr. fort. Die 3 Bände werden nun sofort versandt. Es ist mir wünschbarer, daß der 4t. allein kommt, da er eigentlich das Buch der ursprünglichen Intention ist. Ich muß mich nun allerdings an Sie halten behufs der Besprechung, da ich hier niemand kenne, der gefällig genug wäre, etwas für mich zu thun. Wenn Sie daher eine Anzeige machen wollten, so würden Sie sehr viel dazu beitragen, daß ich bald aus der Patsche käme, indem meine Landsleute darauf lauern. Die Augsb. Zeitung ist dort der Barometer der Berühmtheit. Ich glaube gelesen zu haben, daß Sie über Tiek dort etwas geschrieben und nahm desnahen an, Sie hätten sich mit den Pascha's in Augsburg ausgesöhnt. Wenn dem so ist, so würden Sie mir fast einen sicheren Erfolg im Geldpunkte verursachen, wenn Sie ewas hin praktiziren könnten. Versteht sich von selbst, ganz sachgemäß und kritisch; denn dies hilft selbst in jenem Punkte mehr, als gewaltsames Lob, abgesehen von Anstand und Ehrlichkeit, an die wir uns halten wollen. Ich kann jetzt endlich sagen, daß ich in ein kontinuirliches und ergiebiges Arbeiten hineingekommen bin und denke mich binnen einem Vierteljahre herauszufressen. Das Romanzerogedicht werde ich auf Weihnachten nun doch allein herausgeben, da es in dem Gedichtbändchen nicht mehr Platz hatte "weil die vorräthigen gepreßten | u vergoldeten Pappdeckel zu eng seien." Das kommt von unserer Buchbinderpoesie. Man wird nächstens leere Einbände kaufen mit schönen Titeln. Vieweg hat vor zwei Jahren die starke Zahl von 1500 gedruckt mit der Bedingung, daß er nach einiger Zeit den Rest, der nicht verkauft sei, als zweite Auflage mit Vermehrung, die ich unentgeldlich liefern muß, versende. Die Auflagen der Geibel etc. sind nur 500 stark; Vieweg hat mir also 3 Auflagen mit einer abgezwackt. Doch muß er mir nun den Romanzero erklecklich bezahlen.

     Etwas possierliches ist mir mit meinem Jeremias Gotthelf passiert, den ich, wie Sie wissen, mir zum Dramatisiren aufgespart. Die Berliner sind jetzt plötzlich darüber hergefallen, Einer hat eine Oper gemacht und Ring will ein Lustspiel machen, das nach der Verhunzung, die er mir mittheilte, ganz wässerig wird. Ich war ganz verblüfft und verwundert über diese Trüffelhunde, die fortwährend das gute Material aufwühlen und es dann verhunzen. Ich theilte ihm absichtlich mein Vorhaben mit und werde nichts destoweniger meine Gedanken ausführen. Denn es reizt mich nun, geradezu darauf loszugehen und alle das Volk abzutakeln. Ich werde auch expreß eine Agnes Bernauerin machen, und damit Hebbel und Melchior Meyr zusammen attakiren.

     Ein Bändchen Novellen ist ganz spielend entstanden und Vieweg wird es wahrscheinlich mit dem 4t. Band des Romans zusammen herausschicken. Nur fürchte ich, daß nun zuviel nacheinander kommt und ich den Anschein eines anmaßlichen Schmierers gewinne, da die Leute nicht wissen, wie langsam und jämmerlich es bei mir herging.

     Ich werde Ihnen nächstens wegen des Romanes noch einmal schreiben u schließe daher für heute. Mit tausend Grüßen Ihr G. Keller.

  


 

26. 6. 1854  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/17; GB 1, S. 396>

Mein lieber Freund!
 
Da Sie vielleicht mich nun täglich erwarten, treibt es mich, Ihnen einige Nachricht von mir zu geben. Vor vierzehn Tagen haben mir meine Landsleute endlich einiges Geld geschickt, aber nach dem Etat, welchen ich schon im Oktober v. J. eingesandt hatte. Es waren 420 Thaler, welche also zu einer bequemen und ehrenhaften Ortsveränderung nicht ausreichten. Ich muß also nun vom Schluß des Romanes und von den Novellen, überhaupt vom Verleger das Uebrige erwarten. Gründliche Abhülfe u Auskommen werde ich sicher durch die dramatischen Sachen haben, worauf ich mich täglich, seit ich das Theater wieder mehr besuche, mehr verlasse, es müßte denn mit dem Teufel zu gehen. Der fehlerhafte Roman kann nicht maßgebend sein, weil diese weitschichtige, unabsehbare Strickstrumpfform nicht in meiner Natur liegt. Ganz etwas anderes ist es, wenn man nur einige Bogen zu füllen hat, und das auf peripatetische Weise und in naturgemäßer Dialektik. Ich werde nächstens dem Vieweg den 4t. Band abschicken und muß dann vor allem abwarten, wie er es mit dem Drucke hält, ob ich denselben noch von Berlin aus korrigiren soll etc. |

     Gestern bekam ich eine Zuschrift von einem angehenden Verleger Hugo Scheube in Zeitz, welcher mir mit sehr verbindlichen und vielverheißenden Worten seinen in Heidelberg zu gründenden Verlag anbietet und anzeigt, daß er mit Ihnen über Ihr literarhistor. Werk Contrakt abgeschlossen habe. Wahrscheinlich haben Sie die Freundschaft gehabt, ihn aufmerksam zu machen und zu verführen, so daß ich mir also nicht zu viel einbilden darf auf diesen Brief, welcher sonst ein aufmunterndes Zeichen wäre, und in Berlin, wo manche verblühende Größen gegenwärtig mit Manuskripten von Laden zu Laden vergeblich laufen, mir Neid erwecken dürfte. Es kommt indessen alles auf Vieweg an, was er hören läßt, wenn er den Schluß des Rom. hat. Sie werden ohne Zweifel näheres wissen über besagten Anfänger, welcher mir allerlei weitaussehende Mittheilungen macht. Sie wissen, daß ich einen Verleger brauche, der das Geld nicht peinlich hervor klauben muß; auch muß man an die Zukunft denken und sich eine allfällige Sammlung nicht zum Voraus zersplittern oder erschweren. Ich habe immer die Hoffnung, abgesehen von der dramatischen Laufbahn, eine nicht große aber gute Sammlung erzählender Schriften zu Stande zu bringen, zu welchem Zwecke ich auch d. gr. Heinr. noch einmal umarbeiten und ihm eine gemeingenießbare Form geben würde. Auch werde ich in 3-4 Jahren doch noch eine glücklichere Sammlung meiner Gedichte zu Stande bringen und zu alledem darf ich meine Verhältnisse mit den Verlegern nicht verpfuschen, da sie wohl meine hauptsächliche Existenzgrundlage sein und bleiben werden. Ich will einstweilen dem Hrn. Scheube verbindliche Antwort geben, da seine Mittheilung unter allen Umständen u besonders jetzt, wo alle ordinären Buchhändler | peinliche und wichtige Gesichter schneiden, Dank verdient. Schreiben Sie mir aber doch, was Sie von der Sache denken.

     Ihr Schriftchen über den Robinson hat mich seither vielfach beschäftigt. Ich wollte, ich hätte es vor dem Schreiben des gr. Heinr. gekannt, indem ich dadurch auf manches aufmerksam wurde. Ich lese jetzt die Bekenntnisse des h. Augustinus, welche auch nichts anderes sind als eine geistige Robinsonade, nämlich insofern man zuschaut, wie sich ein Individuum alles neu erwerben, aneignen und sich einrichten muß. In diesem Vorgange liegt der Reiz, ob die Entdeckungen u Findungen dann neue Früchte, Thiere u bequeme Thalschluchten oder moralische Gegenden u Gegenstände betreffen. Ich lese auch den Rabelais zum ersten Male und bin frappirt, wie viele literarische Motive und Manieren, welche man so gewöhnlich für nagelneu oder von einer gewissen Schule herstammend ansieht, schon seit Jahrhunderten vorhanden sind, ja wie man eigentlich sagen kann, alle wirklich guten Genres seien von jeher dagewesen und nichts neues unter der Sonne. Um nur ein Beispiel anzuführen: hielt ich den Witz, einen unverständlichen Galimatias literarisch anzuwenden, für neu und glücklich in der Tiek'schen Novelle die Reisenden, wo zwei Verrückte dergleichen Reden halten, welche mit großer Lustigkeit und Geschick gemacht sind. Nun finde ich im 2t. Buche des Panatgruel, Kap. 11 u. s. f. zwei Reden von Rabulisten, in welchen das förmliche Vorbild zu jener Art von Schindluder, in welchem sich die Herren Romantiker so sehr als "patentirt" zu bewegen gefielen, zu finden ist. Man sollte allen Leuten, welche anfangen wollen, sich mit der Produktion zu befassen, dringend rathen, durchaus allen vorhandenen Stoff systematisch durchzulesen und so mit allen eitlen Einbildungen, als würden sie neu sein, tabula rasa zu machen. Es bringt nun zwar Mancher ein Motiv od. eine Manier auf's Tapet, welches er wirklich nirgends gelesen hat, und das doch schon alt ist. In solchen Fällen glaubt man sich gerade schmeicheln zu dürfen, auf das verfallen zu sein, worauf früher schon bessere Leute, ohne | doch etwas davon zu wissen. Die Sache verhält sich aber alsdann so:

     Viele Witze und Motive, Fabeln, Anektodten u. s. f.  werden von den Volksschichten gepflegt und gehandhabt, kommen in die Mode in Bauern- wie Studentenkneipen, Werkstätten u Marktplätzen, verschwinden hier und tauchen dort wieder auf und schwimmen in der Luft umher. Nun kommt so ein Originalgenie und glaubt Wunder was zu thun, wenn er unmittelbar an der Mutterbrust der Natur liege, aus der "lauteren Volksquelle" schöpfe, u wie die Ausdrücke alle heißen, wenn er hinuntertauche in die Tiefe des immer neuen Volksgemüthes und Stoff da sammle, wo die "Salonmenschen" nicht hinkommen. Er schreibt sich also derlei Witze hinter das Ohr und bringt sie als nagelneu und urkräftig glücklich zum Drucke, während dieselben schon vor Jahrtausenden vielleicht längst in klassischen Gedichten aufgeschrieben wurden. So gibt es Dinge der verschiedensten Art, welche sich das Volk immer wieder erzählt, z. B. erotische Anektodten, die Bocaccio klassisch geformt, aber nicht erfunden hat, welche vielmehr schon in Indien gang und gäbe waren. So eine Menge Belustigungen, Scherze, Dialoge, Fabeln u. s. f. Und das Ganze des poetischen Stoffes befindet sich in einem merkwürdigen oder vielmehr sehr natürlichen fortwährenden Kreislaufe. Es wäre der Mühe werth, einmal eine Art Statistik des poetischen Stoffes zu machen und nachzuweisen, wie alles wirklich Gute u Dauerhafte eigentlich von Anfang an schon da war und gebraucht wurde, sobald nur gedichtet und geschrieben wurde. Nicht einmal der lyrische Weltschmerz, den man immer modern nennt, ist neu; er ist, sofern er schön ist, schon vollkommen in chinesischen Liedern ausgedrückt, mit allem heutigen Apparate: landschaftlichen Stimmungen, kleinen netten Pointen u. d. gl. Welcher Reichthum an konkreten plastischen u drastischen Einfällen u Bildern, mit denen man sich heute so abquält, in der indisch. u andern orientalisch. Poesie liegt, | ist bekannt. Mit Einem Worte: es gibt keine individuelle souveraine Originalität und Neuheit im Sinne des Willkürgenies und eingebildeten Subjektivisten (Beweis Hebbel, der genial ist, aber eben weil er durchaus neusüchtig ist, so überaus schlechte Fabeln erfindet.) Neu in einem guten Sinne ist nur, was aus der Dialektik der Kulturbewegung hervorgeht. So war Cervantes neu in der Auffassung des Don Quixote (ich weiß nicht einmal, ob durchaus) aber nicht in der Ausführung und in den einzelnen poetischen Dingen. Und dies ist der beste Fingerzeig, wonach ein Dicher streben und in was seine Ehre setzen soll.

     Ich habe mich sehr erfreut an den Hermen v. P. Heise, d. h. an den neuern Sachen, die er in Italien u seither gemacht hat, an der Furie, Perseus, zum Theil auch an den Idyllen aus Sorrent. Er steckt zwar darin ganz in strikter Goethethuerei, ohne das, was seither geschah in der Welt, bemerken zu wollen; aber der Mensch ist ja noch ganz jung; möchten doch Alle, welche ihm die Zukunft absprechen, sich erinnern, was sie eigentlich in jenem Alter gemacht und nachgeahmt haben; höchstens war es Heine statt Goethe. Und dann, wer so nachahmen kann und eine solche Sprache führt, wird gewiß einmal etwas Tüchtiges aufstellen, wenn die Rinde fällt. Wenn der arme Heise nur bald aus der unglücklichen Konstellation zwischen den beiden Süßwasserfischen Kugler und Geibel, über welcher der König v. Baiern schwebt, heraus kommt. Wenn etwas Selbständiges in ihm steckt, so wird und muß er bald über die Schnur hauen.

     Neulich sah ich auch den Sonnenwendhof v. Mosenthal. Es ist, wie im Struensee, eine mit ächt jüdischer Gemeinheit und Frechheit zusammengestoppelte Sammlung kleiner Effektchen, die auf alle Schwächen des Publikums spekuliren. Nichts wird verschmäht, was einem Guckkasten | wohl ansteht. Was in der Gotthelf'schen Erzählung, die Sie kennen, gut und dramatisch verwendbar war, hat er mit außerordentlicher Kunst verhunzt und in's Gegentheil verkehrt, ebenso sehr aus angeborner Gemeinheit, als aus oestreichischer Dummheit. Ein förmliches Armuthszeugniß stellte er sich dadurch aus, daß das ganze Stück im Dialekt geschrieben ist. Wer einen Volksstoff nicht in die Schriftsprache übersetzen kann, sondern den Charakter in "no schaun's, i hob sie liab ghobt" etc suchen muß, der weiß überhaupt nicht, was ein Drama ist und sein soll, oder kann wenigstens keines machen. Das Traurigste ist indessen, daß ein Berliner Hoftheater auf diesen Zopf anbeißt; Dekorateur, Maschinist und Schauspieler wetteiferten, den Mosenthal noch zu übermosenthalen und das Publikum läuft nun schon zum zwanzigsten Male hinein. Ich sah übrigens, wie die Leute bei pathetischen Stellen lachten und sich nur an dem Sammelsurium von bunten Spielereien amüsirten. Obgleich das Stück im östreichischen Gebirge spielt, trägt die eine Schauspielerin ein Bernerkostüm, die andere ein Appenzeller die dritte ein Tiroler, die 4t. ein steirisches u. s. f. Herdengeläute, Alpenglühn, Milchessen, Jodeln (u zwar sehr schlecht u ungeschickt) und lauter solche Dummheiten wechseln ab, genug, wie es nur jüdischer Schacher zusammenschachern kann.

     Der Gutzkow ist doch ein jämmerlicher Mensch in seinen "Anregungen" in seinem Blatte. Er weiß doch wirklich nicht mehr, was er will. Doch für einmal ist es nun genug geschustert; hier habe ich gar keine Gelegenheit, zu plaudern, denn alle Leute, vom alten Varnhagen bis zum Max Ring herunter, haben kein unbestochenes und gesundes Urtheil mehr. Varnhagen lebt eben in der Vergangenheit; die jüngeren aber sind förmliche Hallunken, die es nicht über sich vermögen, etwas zu loben, woran sie keinen Theil haben, oder etwas zu tadeln, was eine ihnen gewogene Größe gemacht hat. |

     Gute Grundsätze werden genug ausposaunt, aber jeder thut das Gegentheil von dem, was er sagt, mit der größten Schamlosigkeit.

     Ich wünschte sehr zu wissen, wie Sie eigentlich mit Vieweg stehen und warum Sie von ihm abstrahiren; schreiben Sie mir doch etwas darüber. Was meine Verhältnisse betrifft, so denken Sie etwa nicht, daß dieselben noch lange auf demselben Punkt bleiben und lassen Sie sich überhaupt darüber nichts kümmern. Was ich schon lange sagte, eine Veränderung wird jedenfalls mit dem abgeschickten 4t. Bande eintreten.

     Mit besten Empfehlungen u Grüßen an Ihre Frau u Sie

                                                Ihr Gottfried Keller.

Berlin d. 26t. Juni 1854.

  


 

21. 10. 1854  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/18; GB 1, S. 402>

Berlin d. 21/10 54.

Lieber Freund!
 
Ihr Brief enthebt mich einer momentanen Verlegenheit; in Folge des zürcherisch. Ausschreibens, das ich gelesen, gedachte ich sogleich noch einmal zu schreiben, war aber ungewiß, da ich die Universitäts-Etiquette u Ehre nicht kenne, ob ich Ihnen die Selbstmeldung zumuthen, dieselbe ankündigen, oder auf freie Berufung antragen etc solle. Die ausgekündigten Meldungen werden zum guten Theil gesetzliche Form sein; denn gewiß sind schon manche Stellen so gut wie besetzt.

     Da Sie nun sich aber bereits gemeldet haben, so will ich sogleich noch einmal schreiben, muß aber den Erfolg meiner Stimme aus der Wüste den Göttern anheimstellen. Da ich aber doch noch zu rechter Zeit heimzukommen hoffe, werde ich mündlich noch operiren. Die eigentliche Schule insonderheit die phil. Fakultät, wird im Herbst 55 eröffnet und vor Ostern gewiß in Bezug gerade auf unser Gebiet nichts definitiv besetzt. Es wäre freilich allzu hübsch, wenn wir im nächsten Jahre zusammen in Zürich leben würden.

     Was mich betrifft, so sitze ich immer noch Bauhof 2 in Berlin, und zwar, um es nur zu gestehen, schändlicher Weise aus dem einzigen Grunde, weil ich den 4t. Band noch nicht fertig habe! Es ist eine skandalöse Geschichte mit diesem verfluchten Alp von Roman! Ich darf nichts anders schreiben, bis er abgeliefert ist, und doch mag ich ihn zeitweise gar nicht ansehen und die Buchhändler, Vieweg wie andere, verderben Einem die Laune noch ganz! Was ich denn thue? Ich mache Sachen fertig im Gedächtniß, da ich nicht | daran schreiben darf, und fabrizire mit dem größten Plaisir Dramen, Novellen Gedichte Aufsätze u alles mögliche, was ich alles schreiben werde, der Reihe nach. Daneben fülle ich meine Leselücken aus. So habe ich die alte Dacier'sche franz. Uebersetz. des Plutarch durchgelesen, und kann nun gar nicht begreifen, wie man ohne Plutarch zu kennen, habe existiren können! So geht es mit dieser verfluchten Autodidakterei.

     Mit Scheube nahm es folgenden Verlauf. Als er wiederholt in mich drang u mich persönlich besuchte, bot ich ihm endlich die Novellen an, welche ich nach dem Roman fertig machen wollte. Ich sagte ihm, daß Vieweg sie schon seit 1 Jahr in Händen habe und nichts darüber äußere. Er wollte sie sogleich nehmen, aber das Manuskr. v. Vieweg erst heraus haben, um keine Ansprüche v. diesem zu riskiren. Ich schrieb an Vieweg, er solle sich entweder selbst erklären, oder mir das Manuskrpt. sogleich übersenden, da ich einen Verleger dafür wüßte, der mir aus der Verlegenheit helfe. Ich schrieb, da ich keine Antwort erhielt, wiederholt und stellte ihm deutlich vor, welchen Charakter ein solches Zurückhalten von Manuskr. habe etc. aber bis auf heute habe ich keine Antwort erhalten. Bloß dieser Tage erhielt ich ein Couvert v. Vg. mit einem Bestellzettel aus Bremen, wonach eine dortige Buchhandl. 3 IVt. Bände des grünen H. dringend verlangt. Dies soll wahrscheinlich eine Mahnung sein. Inzwischen wurde ich mit Scheube einig, die Novellen einstweilen auf sich beruhen zu lassen, und | dafür einen Band v. 20-25 Bogen Charakteristiken u Schilderungen in der Art meiner Jugendgeschichte zu projektiren, wofür ich noch reichlichen Stoff habe, der nicht in den grün. Heinr. paßte, und den man in der dritten Person verwenden kann. Scheube sollte mir sogleich 300 Thaler dafür zugehen lassen und schickte mir dieselben in Wechseln mit 4monatlicher Verfallzeit auf sein Haus in Zeitz, das in Berlin kein Mensch kennt. Er hatte mich allso mystifizirt; denn ich konnte die Wechsel rein zu nichts anderm brauchen, als zum Schuldenzahlen, während ich etwas baares Geld zu behalten beabsichtigte, und er selbst zahlt in der That also die Summe erst später aus. Nichts destoweniger glaubt er mich nun durch diesen Kniff so verbunden zu haben, daß er von nich<t>s als Freundschaft spricht, projektirt und mich in jeder Weise in Beschlag genommen wissen will, so daß ich mir schon festgestellt habe: vorläufig einmal und nie wieder mit Scheube!

     Das Verfahren Viewegs nun ist eine ungeschickte brutale Pfändungsmanier. Er wird, wenn er den Schluß d. gr. H. hat, nun wieder angerückt kommen; allein ich werde nicht mehr der Frühere sein; obgleich sein Benehmen beschimpfend ist, so ist es mit andern nicht besser und es ist ein Hund wie der andere, davon bin ich überzeugt. V. ist wenigstens solid, und was er zu leisten verspricht, das thut er wirklich und in bester Form. Mein 4t. Band ist indessen allmälig doch | angewachsen und da ich gerade jetzt gut daran bin, so wird er bis Ende Oktober abgehen können. Wenn V. alsdann anbinden will so werde ich ihm sagen was die Uhr ist.

     Ich wünschte am liebsten mit einem Verleger einen Contrakt abzuschließen, wonach ich etwa 600 Thaler jährlich (etwa auf 5 Jahre) sicher einnehme, und wogegen er alles drucken kann, was ich mache. Wie der Bremer Bestellzettel ausweis't, braucht also von dem Roman eine einzige dortige Buchhandl. 3 Exempl. hienach muß das Buch doch gut gehen. Was meinen Sie nun, wenn ich Vieweg als erste Bedingung, in fernerer Verbindung zu bleiben, die Forderung stelle, daß er, zum Zeichen, daß er mich anständig zu behandeln gesonnen sei, zu allererst unser Abkommen über den grün. Heinr. revidire, und mir ein festes und anständiges Mittelhonorar von 2½-3 Louis d'or pr. Bogen zugestehe. Hierdurch würde ich auf einen Schlag 6-800 Thaler für schon Gethanes erhalten und mit dem Neujahr würde oder müßte zugleich das regelmäßige Einkommen beginnen. Durch die dramatischen Sachen denke ich ebenfalls etwas gutes einzunehmen. Aber freilich müßte ich bei dieser Forderung fest bleiben und dann wirklich mit Vieweg abbrechen, wenn er nicht darauf einginge, was sich auch bedenken läßt.

     Wenn ich aber wieder bedenke, was er der Lewald gibt, | so sehe ich nicht ein, warum ich nicht die Hälfte davon beanspruchen könne? Schreiben Sie mir doch Ihre Meinung hierüber, denn ich möchte nicht etwa aus Uebereilung eine Arroganz oder Ungeschicklichkeit begehen, die unzweckmäßig wäre.

     Ich werde den künftigen Monat endlich 14 Tage zu dem 1t. Lustspiele verwenden, um einen Anfang zu machen mit dem Theater. Die übrigen Sachen werde ich erst in der Schweiz u bei besserer Verfassung verfolgen können. Und somit Adieu, schimpfen Sie mich nicht aus; denn ich thue es schon selbst. Der alte Kapp u der junge August (welcher nach Amerika geht) sind hier gewesen; den Alten erwarte ich wieder mit dem Max, den er hier auf Universität bringen will. Johanna ist in Heidelberg u immer traurig, wie sie schreibt; ich kann ihr nicht helfen; ein jedes Jucken braucht seinen eigenen Kratzer. Das Jugendidyll v. Golz habe ich gelesen und bewundere mit Ihnen das famose Talent und das Auge dieses Menschen, bin aber ärgerlich über den unverschämten supranaturalistischen Höllenzwang, den er mit verwerflichen und hohlen Stylmitteln ausüben will. Auch ist der gute alte Jüngling so verhetzt und verheddert in künstlichen, vergeistelten u forcirt-blasirten Redensarten, daß dazwischen seine | wahren und schönen Stellen wie Lügen stehen. Es ist die alte Geschichte: wer die Worte Natur, Biederkeit, Gefühl, Herz etc immer im Munde führt, ist eine fortwährende Desavouirung seiner selbst und gewöhnlich ein verzwickter Geselle oder ein Nachtwächter. Neu ist diese ost- u westpreußische, pommer'sche u märkische Biederkeits u Naturkultur, diese patriotische Gefühlseisenfresserei, wie sie sich in Scherenberg, Niendorf z. Theil im alten Häring Alexis und in Bog. Golz aufthut. Golz ist wie von Scherenberg heruntergeschnitten, nur daß er ein anderes Genre bebaut. Alle diese Nordlands u Preußenrecken gebehrden sich, als ob noch kein Mensch außer ihnen etwas gefühlt, geglaubt u gesungen hätte; es ist doch eine schöne Sache um die unverwüstliche Menschennatur und um den Sonnenschein. Dieser hat ganz positiv in diesen blassen preußischen Landstrichen einige mal ein bischen stärker auf die Birken und auf die Sandraine geschienen, und sogleich entstehen einige gute Dichter, welche ihren Boden besingen, als wäre er erst heute entdeckt worden; es sind nun 50 Jahre, seit zur Zeit der Musen u Grazien in der Mark diese Zauberlande auch einmal entdeckt waren.

                                                Ihr treuer G. Keller.


 

Januar 1855  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/19; GB 1, S. 407>

Lieber Hettner!
 
Ihre Anzeige hat mich angenehm und auch sehr unangenehm überrascht. Ersteres in der Hoffnung, Sie werden sich in Dresden wohl befinden und weil die Schweizer für ihr läppisches Benehmen bestraft werden. Ich hatte um Nachricht gebeten und keine erhalten, obgleich ich erfuhr, daß man auf Sie spekulire und überhaupt für Aesthetik etwas Ordentliches thun wolle; so hat man auch eine Gypssammlung beschlossen, obschon eine ganz artige kleine Sammlung da ist mit den Hauptfiguren (außer den großen Gruppen). Gegen mich benimmt man sich ebenfalls so sonderbar. Seit ich die Literatur Geschichte abgesagt, hat mir kein Mensch ein Wort geschrieben, und doch erwartet man immer noch, daß ich mich stelle. Kürzlich reis'te ein Major durch nach England mit einem großen Schnauz, der mir mündlich zu sagen beauftragt war, aber ganz lakonisch, ich sollte unverzüglich nach Hause kommen, da nunmehr die Dinge sich entscheiden. Ich werde mich aber wohl hüten zu gehen, obschon meine Mutter mich ebenfalls flehentlich antrieb, da der Professor und der fixe Gehalt ihr sehr in die Nase stechen und sie von meinen dortigen Freunden aufgestachelt wurde. Aber gerade, die Art wie ich mich erst zeigen soll und der Umstand, daß man mich nicht schlechthin, ohne Anmeldung und Verhör berufen kann, beweist mir, daß ich es nicht thun kann. Es würde jetzt unter allen Umständen ein bloßes gezwungenes Unterkommen sein. Wenn dergleichen wünschbar ist, so hoffe ich binnen 2 Jahren soweit zu sein, daß ich mich an der Anstalt als Privatdozent habilitiren kann, und alsdann einen so selbständigen und brauchbaren Kram vorzubringen, daß man mich honoris causa anstellt oder anstellen muß, und nicht aus Barmherzigkeit.

     Nächste Woche wird wohl endlich der vierte Band meines Buches erscheinen | Bei Scheube, der nun in Gotha residirt, wird auf Ostern ein Band Charackteristiken von mir erscheinen, novellistischer Natur, mit dem Titel, die Leute von Seldwyla. Die eigentlichen Novellen habe ich noch aufbehalten und will nun sehen, wie sich Hr. Vieweg schließlich stellen wird.

     Dieser Tage war Bogumil Golz bei mir. Es ist ein alter Herr von 54 Jahren, und persönlich angesehen, ist sein Mystizismus zu begreifen und zu verzeihen, da er ein leidenschaftliches Original ist, der es im Grunde ganz menschlich und freisinnig meint. Es geht ihm schlimm, indem die Konservativen sagen, er sei kein Christ, die Demokraten, er sei reaktionär. Er ist so ehrlich, daß er den Pfaffen, die ihm Glaubensbekenntnisse abzwingen wollen, heraussagt, er glaube gar nicht an ihren Gott u. s. f. Jedenfalls etwas durcheinander, wie mir scheint. Indessen ist es schändlich, daß die Kritik ihn so oberflächlich behandelt; es ist, als ob alles, was man heutzutage mit guten Gründen und mit Fleiß schreibt, nur so Kohl wäre, von dem man selbst nicht wisse, wie man dazu komme; die Herren urtheilen immer nach sich selbst. Golz hat auch immer Quängeleien mit der Unterbringung seiner Bücher und mußte bis jetzt jedesmal eine theure Reise machen, um sein Manuskript an Ort und Stelle zu verhandeln. Damit er ein wenig in die Konkurrenz hinein kommt, so könnten Sie einmal (da sie gewiß besser im Credit stehen, als ich) bei Vieweg anfragen, ob er G's Schriften unter guten Bedingungen zu verlegen geneigt wäre? Ich glaube, Sie könnten ihn wohl darauf aufmerksam machen, wie Golz gewiß noch ein sehr gelesener Autor werden wird. Der Grenzbotenschmidt ist doch zuweilen nicht übel; seine letzte Nummer, wo er die Waldau u Gutzkow durchhechelt, ist sehr | ergötzlich.

     Da Sie nunmehr strikte auf den geheimen Rath zu gehen, so empfehle ich mich mit aller Ehrfurcht, besonders auch der Frau Gemahlin, welcher zu Ihrem jüngsten Kinde in meinem letzten Briefe schlechter Weise zu gratuliren vergessen.

     Ich hoffe, Sie seien alle recht gesund und wohl. Hr. Widmann hat hier ein Drama Nausikaa eingereicht; der probirt auch alles, ob es helfen möchte, wird aber nichts helfen.

     Wenn Sie Zeit haben, so machen Sie doch sofort nach Empfang des 4t. Bandes die Schlußrezension. Für die künftigen Sachen werde ich Sie nichtmehr plagen, da ich von mir aus alle künftigen Bücher sich selbst überlassen werde. Diesmal aber ist es noch nöthig wegen des Buchhandels, denn der Vertrieb muß durch den 4t. Band gerettet werden.

     Obschon ich sehr betrübt bin, daß Sie nicht nach der Schweiz kommen (besonders auch weil man nicht weiß was für ein Esel jetzt hinkommt [(]Kinkel ist ganz unmöglich des deutschen Bundes wegen) so hat die Sache doch die gute Seite, daß ich mich auf der Heimreise unter Ihrer Aegide unter der Dresdener Bande umsehen kann. Vor Mai werde ich nun nicht mehr fortkommen, indem ich doch hier noch das Lustspiel und das Trauerspiel machen will. Ich stehe jetzt täglich um 5 od. 6 Uhr auf, und gehe um 12 zu Bette und verbrenne wöchentlich für 22 sgr. Oehl.

                                                Ihr alter G. Keller.


 

9. 5. 1855  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/20; GB 1, S. 409>


Lieber Hettner!
 
Der Umstand, daß Sie Ihren Wohnort geändert und nach Dresden übergesiedelt sind, ohne mir etwas darüber zu schreiben, läßt mich fast befürchten, daß Ihnen entweder etwas zugestoßen sei oder daß Sie etwas gegen mich haben. Scheube, der vor mehreren Wochen hier war, sagte mir, daß er Sie in Dresden gesehen und daß Sie krank seien. Hoffentlich ist dies vorüber und überhaupt nicht von Erheblichkeit gewesen; wenn Sie jedoch wohl sind, so bitte ich Sie, mich etwas hören zu lassen und vorzüglich, wenn Sie sich über mich zu beschweren haben, mir es deutlich zu sagen; denn zu allen Erfahrungen wäre mir dies die bitterste, alte Freunde zu verlieren nur aus dem Grunde, weil ich mich nicht rühren kann und weil mich die niederträchtige Gemeinheit der Leute so lang als möglich in einem unseligen Bann eingeschnürt hält. Ich habe erst vor sechs Wochen das letzte Kapitel meines Romans und zwar am Palmsonntag buchstäblich unter Thränen geschmiert und werde diesen Tag nie vergessen. Nachdem mich nun Vieweg vorher fast gefressen um das Manuskript, läßt er den 4t. Band ruhig liegen und vorenthält mir jede Antwort und billige Abrechnung, wahrscheinlich aus erbärmlicher Rachsucht, weil ich gezwungen war mit Scheube einen Kontrakt einzugehen. Ich hatte mich so darauf gefreut, nun jeden Monat dieses Frühlings und Sommers einen alten Entwurf abzuthun und mich | bis zum Herbst in jeder Beziehung herauszumachen, und nun ruinirt mir dieser brutale Hund alle die schönen Tage und alle Hoffnungen. Denn abgesehen von der pekuniären Ausgleichung entzieht er mir durch die perfide Verschleppung oder gar Unterschlagung des 4t. Bandes die nothwendige Aufeinanderfolge meiner Produkte und den kleinen äußerlichen Erfolg, den ich gegenwärtig so wohl brauchen könnte. Dazu kommt, daß ich gegenwärtig etwas erlebe, was einem heitern und schönen Sterne zu gleichen scheint und mir vielleicht nur durch diese Misere und Verbitterung verloren geht. Sie werden also wohl fühlen, daß ich meinerseits nicht zum Briefschreiben eingerichtet bin, da ich manchmal nicht weiß wo mir der Kopf steht; und ich thue es jetzt nur, weil mich eine Unruhe plagt und eine schlimme Ahnung, als ob überall etwas gegen mich vorgehe.

     Scheube wird einen Band Erzählungen von mir drucken unter dem Titel "die Leute von Seldwyla". Er ist auch selbst daran Schuld, daß er ihn nicht schon hat; doch bin ich jetzt daran und werde ihn wohl diesen Monath fertig kriegen.

     Es nimmt mich Wunder, wie Sie in Dresden leben, und was Ihre verehrte Frau und Ihre Kinder machen. Wenn Sie also immer können oder aufgelegt sind, so seien Sie so gut mir ein par Zeilen zukommen zu lassen. Ich wohne noch Bauhof No 2.

     Mit besten Grüßen an Sie und die Ihrigen

                                                Gottfr. Keller.

Berlin d. 9t. Mai 1855.

Wird denn Ihre Literaturgeschichte nun herauskommen?


 

2. 11. 1855  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/23; GB Bd. 1, S. 417.>

Berlin d. 2t. Nov. 55.

Lieber Hettner.

Ich kann es nicht länger anstehen lassen und muß Ihnen diesen unangenehmen Brief einstweilen schreiben. Ich habe Sie abermals angeführt, aber gewiß ganz gegen meine Berechnung, und will es versuchen, Ihnen wenigstens erklärlich zu machen, wie es gekommen ist, damit Sie mich einigermaßen entschuldigen mögen. Ich hatte von Vieweg für das Buch, das erst Scheube verlegen sollte, 400 Thaler zu erwarten in 2 Zahlungen. Doch wie der Kontrakt abgeschlossen werden sollte und er merkte daß ich sehr pressant war und von ihm abhing, zwickte er mir schnell noch 50 Thaler herunter, so daß es nur noch 350 waren. Nun mußte ich aber hievon dem Scheube 300 zurückgeben, worüber er 2 Wechsel auf mich gezogen und in den großen Handel geworfen hatte, auf den 15t. August und 15t. Juli. Inzwischen, als das Buch gedruckt wurde, stellte es sich heraus, daß mein Manuskript die kontraktliche Stärke nicht hatte, indem in dem Kontrakt stand: 25 Duodezbogen, was 37½ Bogen ausmacht zu 16 Seiten; ich hatte natürlich nur solche im Auge, hatte das Wort Duodezbogen, welches 24 Seiten bedeutet, in meinem Leben nie gehört, es war der Roman zum Maßstab genommen, in welchem die Bogen auch von 1-16 Seiten bezeichnet sind, wie es auch in dem neuen Buche der Fall ist, aber item, es werden 24 Seiten | auf den Bogen gesetzt, und da ich das Ding arglos unterzeichnet hatte, so mußte ich mir abermals einen verhältnißmäßigen Abzug gefallen lassen, so daß ich am Ende statt der 400 Thaler, welche ich ursprünglich in Aussicht hatte, 290 erhielt, mit welchen ich dem Scheube seine 300 zurückgeben mußte, was eine große Schwierigkeit war, da mich Vieweg malitiöser Weise auf die zweite Zahlung noch lange warten ließ. So hatte ich nur die Wahl, entweder in's Wechselgefängniß zu spazieren oder Ihnen mein Wort nicht zu halten und habe im Vertrauen auf eine ausgleichende Zukunft das letztere vorgezogen. Es kann mir indessen nicht lange mehr so gehen und wenn ich nur erst etwas Luft bekomme, wird sich die Sache schon wenden; denn es ist mir jetzt alles klar und durchsichtig und ich weiß genau was ich thun will; ich hätte mich auch diese letzten Monate unfehlbar nachgeholt, wenn mir der Teufel, nach 5jähriger guter Ruhe, nicht eine ungefüge Leidenschaft auf den Hals geschickt hätte, die ich ganz allein seit 3/4 Jahren auf meiner Stube verarbeiten muß und die mich alten Esel neben dem übrigen Aerger, Zorn und mit den Schulden um die Wette zwickt und quält. Ich sage Ihnen, das größte Uebel und die wunderlichste Composition, die einem Menschen passiren kann, ist, hochfahrend, bettelarm und verliebt zu gleicher Zeit zu sein und zwar in eine elegante Personage. Doch behalten Sie um's Himmelswillen diese Dinge für sich.

   Vieweg scheint jetzt zu den übrigen Brutalitäten auch noch die unangenehme Weise anzunehmen, daß er die Bücher verschleppt und sich | ein Vergnügen daraus macht, dem Intresse des Schriftstellers an einem beförderten Erscheinen seines Buches keine Rechnung zu tragen. Eh' er das Manuskript hat, wird man geängstigt und tribulirt mit Briefen und Correkturbogen; sobald aber der Schluß abgeliefert ist, steht alles still und er läßt die Sache gemüthlich liegen. Dies ist eine so nakte und unverschämte Fabrikbehandlung, daß es kaum zu ertragen ist, und beinahe wären jene Verleger vorzuziehen, welche kein Geld haben, aber dafür wenigstens phrasenreich dankbar und aufmerksam sind, wenn sie etwas Gutes zu verlegen  bekommen. Vom ersten Band Ihrer Literaturgeschichte ist auch noch nichts zu sehen. Hoffentlich sind Sie mit den lieben Ihrigen gesund und so grüße ich Sie bis zu meiner gänzlichen Rehabilitation in Ihrem Hause, an der ich eifrig arbeite, bestens

                                        Ihr Gottfr. Keller.

 
 

1. 2. 1856  Hermann Hettner an Keller

<Heid.Hs.2751 Nr. 32; Hettner/Keller, S. 147>

Dresden 1 Febr. 1856.

Sie werden mir arg zürnen, mein lieber Freund, daß ich so lange Zeit Ihren freundlichen Brief unbeantwortet ließ. Arbeiten u Zerstreuungen der mannichfachsten Art haben die Schuld dieser Zögerung; mein Leben ist hier so überhetzt und trubelvoll, daß ich mich oft in allem Ernst nach der ländlichen Einsamkeit kleiner Universitätsstädte zurücksehnen kann.

   Es freut mich, daß es Ihnen in Ihrer Heimath wieder gefällt. Namentlich freut mich Ihre Rückkehr auch für Ihre gute Mutter, die ich aus der Geschichte des grünen Heinrich verehren und lieben gelernt habe. Und Zürich bietet jetzt so viele Anregung u Mannichfaltigkeit des Verkehrs, daß Sie auch in dieser Beziehung Berlin schwerlich sehr vermissen werden. Ich denke mir, daß Sie jetzt schon recht tüchtig im Sinnen und Denken, Dichten u Ausführen stecken.

   Die Leute von Seldwyla sind mir noch nicht zugekommen. Ich sehe ihnen mit Spannung entgegen. In der öffentlichen Besprechung will ich gutzumachen suchen, was ich in der Anzeige des Romans etwa gesündigt habe.

   Sie nehmen so freundschaftlich Theil an meinem Geschick, daß ich Ihnen vor Allen melden muß, wie meine gute Frau jetzt in Gesundheit und Gemüthstimmung | wieder zu ihrer früheren Frische u Unbefangenheit zurückgekehrt ist. Die Schüchternheit ihrer Natur hatte sich anfangs hier allzusehr durch das anspruchsvolle Blaustrumpfwesen der hiesigen Damenwelt schrecken lassen; allmälig hat sie sich überzeugt, daß nicht Alles Gold ist, was glänzt und daß hinter der gleißenden Aussenseite viel Hohlheit steckt. Damit ist Ruhe u Glück wieder in unseren Mauern heimisch worden; und ich segne diese glückliche Wendung um so inniger, je ernstere Sorgen mir dieser stille Trübsinn machte. Fräulein Hilgenfeld, deren Bruder ich nochmals Ihrer einflußreichen Obhut empfehle, weilt noch in unserem Hause. Am Weihnachtsabend las ich ihr u meiner Frau einen großen Theil des ersten Bandes Ihrer Gedichte vor. Wir überzeugten uns aufs Neue, wie sinnig und lieblich diese Gedichte sind und wie feinfühlig und edel das Gemüth, das sich in diesen Gedichten ausspricht.

   Ist Ihnen denn mein Buch endlich zugekommen? Ihnen und Vischer und Köchly? Bestiavia hat sich in der That als ächte Bestia gezeigt in der Saumseligkeit, mit welcher er die Versendung betrieben hat. Noch habe ich meine Freiexemplare nicht; ich fürchte die Absicht, mich um die Uebersetzung ins Englische zu prellen. Sagen Sie mir Ihr Urtheil offen. Wollen Sie etwas für die Oeffentlichkeit thun, so bin ich Ihnen um so dankbarer verpflichtet. Da die Züricher Jahrbücher noch zu stocken scheinen, so | wäre mir eine andere große Schweizer Zeitschrift ebenso erwünscht, oder irgendein deutsches Blatt. Machen Sie es ganz nach Ihrem Belieben. Ich hetze und dränge nicht.

   Auerbach ist wieder mit einem nichtsnutzigen Drama, das eine ganz elende Spielergeschichte ist, niedergekommen u holt sich soeben wieder bei den verschiedenen Directionen u Intendanzen etzliche Körbe. Wem nicht zu rathen ist, ist nicht zu helfen. Gutzkow bringt in den nächsten vierzehn Tagen sein neues Stück "Ella Rose" zur Aufführung; Dawison meint, daß es einige dankbare Effecte habe[n]. Auch hat Dawison durch sein meisterhaftes Spiel sehr den Königsleutnant zu Ehren gebracht; was Auerbach um viele Nächte Schlafes beraubte. Mosenthal hat hier den "Goldschmied von Ulm" am Neujahrstage aufführen lassen! Ich habe das Stück nicht gesehen; die Bayer-Bürk nannte es poesielos, pries es aber als ein gutes Scenarium für einen geschickten Regisseur; die Menge ist entzückt, denn es ist ein Spectakelstück mit Opernmusik. Uebrigens hat mir Mosenthals Persönlichkeit gefallen; er sieht wie ein philiströser Kanzleibeamter aus, erscheint aber als bescheiden und ehrlich. Auch habe ich inzwischen Gustav Freytag kennen gelernt. Er hat auf mich einen viel günstigeren Eindruck gemacht als ich erwartete, obgleich allerdings ein Stück Waldemar und Finck in ihm unverkennbar ist.

   Nun erzählen Sie aber auch mir, was Sie inzwischen gesehen, erlebt und gearbeitet haben. Mit Bedauern höre ich, daß | Vischer von seiner Frau getrennt lebt. Mir sind diese Fälle besonders auch deshalb so leid, weil die Gegner so leicht Angriffswaffen zur Bekämpfung  des neuen Prinzips erhalten; was wird der Verfasser des Eritis sicut Deus jubiliren! Wissen Sie etwas Näheres über die Veranlassung?

   Auch schreiben Sie über die Verhältnisse des Polytechnikums. Moleschott ist sehr entzückt von Zürich. Sie werden ihn sicher liebgewinnen; er ist eine kreuzbrave Seele.

   Mein kleiner Georg treibt seine Schauspielerstückchen lustig fort. Auch scheint sich Felix's Augenleiden allmälich zu bessern. Elisabeth ist ein stilles gutes Kind. Am Weihnachtsabend waren allesammt sehr lustig und glücklich.

   Meine Frau grüßt herzlichst. Baldigster Antwort entgegensehend verbleibe ich in treuster Liebe

                                              herzlichst der Ihrige

                                            Hettner

Bergstr. Nr 1.

  
 

6. 2. 1856  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/25; GB Bd. 1, S. 421>

Zürich d. 6t. / 2 1856.

Lieber Freund!

Ich habe Ihr Buch seit länger als 14 Tagen und es beinahe zu Ende gelesen; die Exemplare an Köchli und Vischer habe ich sofort abgegeben, aber noch keinen der Herren darüber gesprochen; Vischer werde ich heut Abend sehen und Köchli seinen Einladungen gemäß nächstens einmal besuchen. Da ich wenigstens meine Freixemplare (Leute v. Seldw.) erhalten, so scheinen Sie ja von der bewußten Viehhürde aus noch schlechter behandelt zu werden als ich; man hatte mir geschrieben, es sei bereits ein Exemplar an Sie abgegangen, also war es gelogen. Ich will heute hinschreiben, daß man auch eines für Auerbach in Ihr Paket legen soll, welches ich dann nebst den gehörigen Grüßen abzugeben bitte. Das ist ja ein schreckliches Wandeln auf dieser via bestia. Wenn der Hund mein Buch vor einem Vierteljahr versendet hätte, wie er recht gut gekonnt, so wäre jetzt bereits das Schicksal desselben entschieden und ich um einen Schritt weiter gebracht; aber darin scheint das Gewissen, das der Strolch bei jeder Autorversäumniß anruft, aufzuhören! Im Buchhandel ist noch keine Spur von unsern beiden Sachen. Doch mag sich der Herr Vieweg nur vorsehen; wenn | er es zu arg macht, so soll ihm in mir ein so stachliges und verhängnißvolles Unkraut erwachsen, wie es seit langem nicht geschehen, und ich will seiner Firma einen feurigen Strohwisch an den Schwanz hängen, der weithin leuchtet.

   Ueber Ihr Buch meine Meinung zu sagen, ist etwas bedenklich, da ich mich fast gänzlich wie ein Lernender zu demselben verhalten muß und den Gegenstand oder die Gegenstände desselben fast gar nicht kenne, vielmehr aufgefordert werde, sie nun kennen zu lernen. Dennoch will ich mich unterfangen und einige oberflächliche Bemerkungen zum Besten geben. Vor Allem muß ich dankbar die einfache durchsichtige Zweckmäßigkeit in der Anordnung und den scheinbar leichten Fluß und anmuthigen Fortgang des Werkes anrühmen, indem Alles an seiner rechten Stelle steht und fast mühelos seine Wirkung thut, ohne mit ostensiblen Parabasen und eigensinnigen doktrinären Satzlabyrinthen dem Leser Gewalt anzuthun. Indem Sie sich nicht mit der gehabten Arbeit breitmachen und nirgends Ihren Rapport zum Leser schwerfällig machen, gelingt es Ihnen doch vollständig, uns für eben diese Arbeit zu intressiren und bestimmen uns, diese möglichst nachzuleben und die vorgeführten Gegenstände unmittelbar kennen zu lernen und dies ist ein großer Gewinn und wird Ihr Verdienst sein: fortan nicht nur die englische Revolutionsgeschichte (à la Dahlmann) sondern auch die entsprechende Cultur- u Literargeschichte in einem klaren und bündigen Werk als lehrreiches Exempel u Demonstrandum | gewonnen zu haben. Wie zutreffend und zeitgemäß dies ist, zeigen die einzelnen Capitel, wie das über Toland etc. und wenn ich mir denke, daß nun die französische Abtheilung folgt, so kann ich Ihr schönes Unternehmen nicht anders als ein sehr glückliches bezeichnen und wird sich gewiß als solches ausweisen.

den 21t. Februar.

Da bin ich liederlicher Mensch ganz von dem angefangenen Briefe abgekommen. Unsre beiderseitigen Bücher sind nun seither erschienen und hoffentlich haben Sie das meine nun auch. Was mich an dem Ihrigen erbaut und erfreut hat, werde ich baldigst in einem Aufsätzchen zu beschreiben suchen; wo ich dasselbe unterbringe, weiß ich freilich noch nicht, wahrscheinlich in einem St. Galler literar. Blatte, wenn es überhaupt in der Schweiz geschieht; denn die neue Monatschrift in Zürich wird sich kaum halten und ist in den Händen der doktrinären und zünftigen Professoren-Partei, zu welcher leider auch Vischer sich gestellt hat. Köchly hat sich gleich Anfangs von der Zeitschrift zurückgezogen. Ich will aber noch bei den Herren anfragen, ob sie eine größere Rezension aus unzünftiger Hand aufnehmen wollen. Ich komme nur alle acht Tage mit Vischer zusammen in einem kleinen Wirthshausklübchen er ist ein sehr liebenswürdiger und frischer Mensch als Person, hat sich aber, wie gesagt, ganz zu dem Universitätsvolk geschlagen. Die Verhältnisse des Polytechnikums lassen sich sachlich sehr gut an; es sind zum Beginn über Erwarten zahlreich Schüler eingetroffen; allein der Professoren- und Stellenbesetzungshader grassirt auch da und übt nicht den wohlthätigsten | Einfluß. Dies wird wohl eine Weile noch so fort währen, bis die Herren einsehen, daß nichts dabei herauskommt. Die Schuld tragen hauptsächlich einige festgesessene Bursche der Universität, welche seit Jahren gegen den energischen Regierungspräsidenten Escher, der jetzt gesundheitshalber abgetreten ist, murrten, aber nicht laut zu werden wagten, die aber nun, seit er weg ist, auf einmal Alles nachholen wollen und fortwährend krakehlen. Mit Moleschott fings an, allein sie haben sich in Dubs verrechnet und dieser läßt sich ebenso wenig auf der Nase tanzen, als Escher. Wenn es sich um die akademische Freiheit und um das organische Wohl der Institute handelte, wie diese Herren vorgeben, so wäre ich gewiß auf dieser Seite, allein es handelt sich um Ausschließung und Vermeidung unbequemer, frischer und konkurrirender Kräfte und um eine simpelhafte gegenseitige Garantie der Fakultäten. Die Hauptwühler haben nicht einmal ein lebendiges Intresse für unsere Anstalten sondern tragen die Nase stets nach den Hofrathsstellen in Deutschland hingerichtet und geriren sich demgemäß. Um auf Vischer zurückzukommen, so waren dessen Gründe gegen Moleschott, wenn man sich auf seinen doktrinären Standpunkt setzen wollte, noch etwas plausibel. Er gab nämlich vor böse zu sein gerade gegen diesen Materialismus, weil der im Grunde nur die Carrikatur seiner eigenen Identitäts-Philosophie sei und diese kompromittire(!) also die Geschichte von der vornehmen und plebejischen Demokratie. Es klingt aber doch nach etwas; was er sich aber neulich dachte, mag der Teufel wissen; der Erziehungsrath hatte die Fa[l]kult. beauftragt, ein Gutachten zu berathen, ob eine 2te ord. Professur für Philosophie zu errichten sei. In einer Versammlung ich weiß nicht ob des akad. Senates od. der Fakultät bejahte Vischer als Referent die Frage und zwar dahin, daß die Stelle gleich mit einer gewissen Person, einem hiesigen außerordentl. Professor der Philos. zu besetzen sei. Dieser ist ein ganz unbedeutender Mensch und Esel! der aber freilich Niemandem auf der Welt zu nahe tritt und Niemandem Gefahr bringt, also der Besoldung würdig ist! | Dagegen verwahrte sich Köchly, da kein Vorschlag, sondern ein allgemeines Gutachten verlangt sei; sogleich heftiger und grober Wortwechsel zwischen Vischer und Köchly. Vischer verbat sich den groben Ton Köchlys und dieser erklärte, er werde keine Sprechübungen bei Vischer nehmen; dieser hält nämlich solche in einem Colleg. Die Sitzung mußte aufgehoben werden und eine folgende nahm ein ähnliches Ende. Hier hat also Vischer sich direkt dazu hergegeben, einen unfähigen Menschen in die Stelle bringen zu helfen. Die Sache verhält sich aber noch komischer. Der bewußte Mensch sollte allerdings durch einen Theil des Erziehungsrathes in die Professur eskamotirt werden (aus Gevatterschaftgründen<<)>> und deshalb erfolgte die Anfrage an die Fakultät; nun war diese diesmal so prompt und entgegenkommend daß sie über das Ziel hinausschoß, den fraglichen armen Sünder gleich vorschlug, damit ja kein unbekanntes Ungeheuer aus dem Reiche komme, und um zugleich ein Vorschlagsrecht für die Zukunft zu erschleichen. Also 2 Fliegen mit einer Klappe. Aber gerade dadurch wurde der ganze Handel aufgedeckt und es frägt sich nun, ob es gelingt. Doch werden Sie sich wundern wie ich zu dieser langweiligen Klatscherei komme? Weil ich einmal am Schreiben bin und Sie vielleicht die Personen u deren Verhalten intressiren. Dem Köchly werfen die Professoren par excellence Servilismus gegen die Behörden vor, weil er sich mit den Schweizern gut stellt und sich mit den einsichtigeren und freieren Geschäftsmännern für die Sache der freien Wissenschaft, und nicht für die Zunft intressirt.

   Sonst ist ein schrecklich reges Leben hier. Alle Donnerstag sind akademische Vorlesungen à la Singakad. in Berlin, im größten Saal der Stadt, wohin sich die Weiblein u Männlein vielhundertweise drängen und gegen 2 Stunden unentwegt aushalten. Semper hat einen allerliebsten und tiefsinnigen Vortrag gehalten über das Wesen des Schmuckes. Vischer wird den Beschluß machen mit dem Makbeth. Daneben sind eine Menge besonderer | Cyklen der einzelnen Größen, so daß man alle Abend die Dienstmädchen mit den großen Visitenlaternen herumlaufen sieht um den innerlich erleuchteten Damen auch äußerlich heimzuleuchten. Freilich munkelt man auch, daß die spröden und bigotten Züricherinnen in diesen Vorlesungen ein sehr ehrbares und unschuldiges Rendez-vous System entdeckt hätten und daß die Gedanken nicht immer auf den Vortrag konzentrirt seien.

   Ich gehe jetzt oft mit Richard Wagner um, welcher jedenfalls ein hochbegabter Mensch ist und sehr liebenswürdig. Auch ist er sicher ein Poet, denn seine Nibelungentrilogie enthält einen Schatz ursprünglicher nationaler Poesie im Text. Wenn Sie Gelegenheit haben, so lesen Sie doch dieselbe, Sie werden es gewiß auch finden. Auch Semper sehe ich, dieser ist ein ebenso gelehrter und theoretisch gebildeter Mann, als er genialer Künstler ist, und persönlich ein wahrer Typus der einfachen und gediegenen Künstlernatur. Er sagte, er habe den letzten Strich am Dresdner Museum noch fertig gemacht, als eben der Generalmarsch geschlagen wurde, und ist nun bekümmert, daß die kleine achteckige Kuppel oben dennoch nicht nach seiner Angabe fertig gemacht wurde. Diese Dresdner Gruppe hier unterscheidet sich überhaupt vortheilhaft von den andern Gruppen. Heinrich Simon riecht nach dem Lewald'schen Judenthum; wenigstens jetzt, da er in Jura und Politik nichts zu thun hat und aus langer Weile ästhetisirt; Schrecklicher Weise kündigte er auf den Sommer Stahr und Lewald an! Diesem Paare ist doch auf dem Erdenrund nicht zu entfliehen! Neulich sah ich, daß Stahr in der Nationalzeitung wiederum Platz genommen hat und über ein Büchlein von Helgoland ein furchtbares Stück Raum gestohlen hat von dieser Zeitung, die Monathe lang | keinen Platz für ein Feuilleton hat!

   Grüßen Sie doch sehrest den Auerbach von mir und hätte sein Schatzkästlein mit großem Danke erhalten. Ich warte nur noch, ihm zu schreiben, bis ich weiß, ob Vieweg ihm mein Büchlein geschickt hat oder schicken wird, weil ich im Nichtfalle es dann von hier aus thun und dazu schreiben werde. Die eigentlichen Erzählungen in Auerbachs Buch sind alle gut und hübsch, dagegen das andere Mischmasch allerdings sehr trivial und abgedroschen. Ich weiß nicht, was er damit will! Wenn er es hundert Geschichten nennt, so ist das eine schlechte Bezeichnung, denn es sind ja reine Aphorismen; hundert gute Anektodten sind eben nicht auf der Straße gefunden, das kostet Fürze, wie der alte Koch zu Rom sagte. Schreiben Sie mir auch, was Sie aufrichtig an meinem Buche auszusetzen haben; an dem Ihrigen hatte ich anfänglich auch was auszusetzen; nämlich ich war der Ansicht, daß sie die historisch-politischen Einleitungen äußerlich etwas selbständiger hätten halten sollen, d. h. weniger von Makaulay sprechen etc. Allein später fand ich, daß Sie ganz recht und redlich gehandelt haben; Makaulay zu umgehen oder zu umschreiben wäre gleich thöricht gewesen und es handelte sich ja nur um ein klares Resümé.

   Ich freue mich sehr, daß Frau Hettner wieder munter geworden ist und sich nicht in's Bockshorn jagen ließ; es ist aber doch fast schade darum; denn Sie war in ihrer Trauer so liebenswürdig und naiv, daß ich mich gewiß in Sie verliebt hätte, wenn mein Herz nicht schon in Beschlag genommen gewesen wäre. Ich lasse das Elisabethchen feierlichst grüßen, den Felix und den Görgelein; es ist gut, daß Felixens Augen gebessert haben, damit er dem Görgle behülflich sein kann bei dessen | Produktionen.

   Ich amüsire mich immer vortrefflich über Gutzkows "Wahrnehmungen" am Fuße seines häuslichen Heerdes, welches immer avis au<x> lecteurs sind. Ich glaube, neulich hat er auch auf Auerbach einen Pfeil abgeschossen, als er sagte: "Freund, deine Harmlosigkeit ist nicht Maske, wie du schlauerweise glaubst, sondern du bist wirklich so harmlos, als du zu sein vorgibst etc. etc." Da platzen die "Geister" auch aufeinander. Der verfluchte Auerbach hat aber auch gar keine Raison, daß er immer wieder Dramen macht; dem hat's einmal die Birchpfeiffer angethan.

Doch jetzo will ich endlich enden; ich grüße Sie mit den Ihrigen tausendmal und verbleibe

                                                      Ihr Gottfried Keller.

Schreiben Sie mir auch ein bischen bald

   
 

24. 3. 1856  Hermann Hettner an Keller

<Heid.Hs.2751 Nr. 33; Hettner/Keller, S. 155>

Dresden 24 März 1856.

Lieber Freund,

Sie werden Sich gewundert haben, so lange Zeit ohne Nachricht von mir zu bleiben. Leider ist die Veranlassung dieser beharrlichen Schweigsamkeit eine sehr traurige. Meine Frau ist seit länger als sieben Wochen sehr gefährlich erkrankt und noch immer läßt sich für die Genesung kein sicherer Ausweg finden. Das Sorgen u Mühen nimmt in den letzten Jahren bei mir gar kein Ende.

   Auch heut nur einige Zeilen.

   Zunächst die Nachricht, daß weder Auerbach noch ich bis jetzt in den Besitz Ihres neuen Buches gelangt sind. Als Sie mir in Ihrem letzten Brief schrieben, dß das Buch wahrscheinlich schon längst in meinen Händen sei, schrieb ich sofort an Bestiavia. Aber ich habe bis jetzt weder Buch noch Antwort. Das ist doch wirklich ein abscheulicher Kerl. Thun Sie Ihrerseits gefälligst noch einige weitere Schritte. Ich verspreche Ihnen sicher eine ausführliche Anzeige in der Allg. Ztg oder in der Kölnischen oder in der Natztg, je nach Ihrem Wunsch. |

   Haben Sie Stahrs Perfidie gegen mich in der Natztg gelesen? Wenn Sie noch Neigung fühlen, ein befürwortendes Wörtlein zu sagen, so würde mir die Kölnische Ztg sehr erwünscht sein. Ich würde Sie in diesem Fall bitten, den Aufsatz unmittelbar an "Herrn Joseph Du Mont Verleger der Kölnischen Zeitung" zu schicken u ihm zu schreiben, dß Sie dies auf meine ausdrückliche Veranlassung thun. Ich kenne Dumont persönlich. Es versteht sich ganz von selbst, daß mir der offenste Freimuth von Ihrer Seite genehm ist. Haben Sie keine Lust, so schadet es auch nichts; ich bin nicht faiseur à la Auerbach.

   Ihre Nachrichten aus Zürich haben mich sehr angesprochen. Vischer ist und bleibt doch ein unverbesserlicher Doctrinär. Moleschott wird jetzt schon bei Ihnen sein.

   Was arbeiten Sie jetzt? Schreiben Sie mir recht bald.

                            In alter Liebe u Treue

                            Hettner

  


 

12. 4. 1856  Hermann Hettner an Keller

<Heid.Hs.2751 Nr. 34; GB Bd. 1, S. 427>

Dresden 12 April 1856

Lieber Keller,

Vor einigen Tagen endlich habe ich Ihre Leute von S. erhalten.

   Ich bin jetzt in der traurigsten Lage. Seit acht Wochen wankt meine Frau mit unsäglichen Leiden ihrer unrettbaren Auflösung entgegen. Meine Stimmung ist trostlos. In dieser Zeit hat mich Ihre vortreffliche Dichtung erhoben u erquickt, in einer Weise, wie es nur die vollendetste Schönheit vermag.

   Freund, Sie haben ein klassisches Werk geschaffen. Namentlich Ihre Frau Regula u Ihr "Romeo u Julie" wird leben, so lange die deutsche Zunge lebt. Glückauf, Glückauf.

   Sobald ich nur ein klein wenig wieder zu Athem komme aus meinem schweren Drangsal, mache ich Ihnen eine ausführliche Anzeige. Es ist dies nicht ein Freundschaftsdienst, den ich Ihnen erweise, sondern ein Herzensbedürfniß, das ich erfülle.

   Auerbach theilt mit mir das Entzücken über Ihre | Dichtung. Er hat gestern eine sehr ausführliche Anzeige an die Allg. Ztg geschickt, die Ihnen hoffentlich Freude machen wird. Ich will nur hoffen, dß die Redaction nicht allzu lange mit dem Abdruck zögert.

   Sagen Sie Moleschott, was für ein trauriges Schicksal mir bevorsteht. Lassen Sie den schönen Frühling warm u strahlend in Ihr Herz ziehen; für mich bietet er diesmal nur Schmerz u Trauer.

   An Moleschotts die besten Grüße

                                                   Treulichst

                                                  Hettner

  
 

31. 1. 1860  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77.15 Nr. 29; GB Bd. 1, S. 439>

Lieber Hettner!

Damit Du nicht etwa glaubst, ich hätte Deinen 2ten Band erhalten und schreibe Dir aus Nachlässigkeit nicht darüber, so melde Dir hiermit, daß ersteres nicht geschehen ist. Es ist dies wahrscheinlich wieder einmal eine von Vieweg's Willkürlichkeiten; denn Vischer hat das Buch bereits. Ich werde sein Exemplar lesen, wenn er es nicht mehr braucht, bitte Dich aber, Vieweg darüber nicht zu coramiren, es wird die Zeit schon kommen, wo ich ihm seine Sünden auf's Mal zu Gemüth führen werde. Deine Grüße an Vischer zu erwidern, habe ich jüngst vergessen, obgleich er es mir aufgetragen hatte. Er hat auch Verlagsverdruß, indem er einen neuen Band "kritische Gänge" bei Cotta herausgeben wollte, worin seine Aufsätze aus den ehemaligen Jahrbüchern der Gegenwart mitenthalten sein sollten, die vor länger als 12 Jahren erschienen sind. Auf Cotta's Begehren fragte er beim Verleger der verschollenen Jahrbücher überflüssiger Weise an, und der sagte natürlich nein, | es sei denn, daß Vischer das Honorar mit ihm theile. Dies mag Vischer auch nicht thun, und so bleiben jene hübschen Arbeiten bis auf Weiteres liegen.

   Auerbach hat in Berlin bei der Prinz Regentin wieder einmal ein Drama vorgelesen; es juckt ihn gewiß nach den ausgesetzten 1000 Thalern Preis, welche dem Gutzkow so viel Schmerzen machen. Man schrieb mir, daß Auerbach alte Freunde sehr hochmüthig vernachlässige, mit denen er früher viel zusammen war. Der Kalender, welchen er so ostensibel durch die ganze deutsche Welt versendet, ist doch eine zu magere Wurst, um damit nach der Speckseite großer Wirkungen zu werfen. Ich kann nicht begreifen, daß er mit seiner Verständigkeit nicht einsieht, daß er tiefer in das Vermögen seiner Phantasie und Kunst hineingreifen und das Jahr hindurch gar füglich ein reichhaltigeres Buch vorbereiten sollte, wenn er alljährlich ein ganzes großes Volk bescheeren will. Statt dessen stoppelt er ein Heft zusammen, das an Gehalt mit Dutzenden von ähnlichen Unternehmungen nicht einmal wetteifert!

   So eben habe ich das neue Drama von Heyse gelesen. Es ist eine durchaus hübsche und gediegene Arbeit, die, das Tagesniveau betrachtet, nicht viel zu | wünschen übrig läßt.

   Wie es mit der Angelegenheit des Polytechnikums steht, weiß ich nicht, da der Präsident Kappeler seit mehreren Wochen in der Bundesversammlung zu Bern sitzt.

   Ein ärgerliches Gelächter haben mir dieser Tage einige Hefte der Zeitschrift "Teut" erregt, worin ein Rudel Schwachköpfe die Stiftung einer neuen "Sturm und Drangperiode" verkünden, aus deren Gährung [sich] die potenzirten künftigen Göthe und Schiller hervorgehen sollen. An sittlicher Haltung und an allgemeinem Verstand ist man seit hundert Jahren im Ganzen nicht viel vorwärts gekommen, sonst wären dergleichen Kindereien nicht möglich. Auch in der Schweiz hat der Dr. Eckardt, ein vollendeter Marktschreier und falscher Prophet, der zudem gar keine Kenntnisse besitzt, einen ästhetischen und dilettantischen Schreibeschwindel entfacht unter dem Stichwort "nationaler Kunst u Literatur<">, wie man ihn hier früher nie gekannt hat. Ein ganzes Bataillon von drucksüchtigen Pfaffen, Gerichtsschreibern, Sekretärs, Kellnern und Hande<<l>>skommis hat die | Canaille auf die Füße gebracht, fordert sie auf, ihm "nationale Dramen" zu liefern, "Volksgedichte", "Volksromane" etc. und belobt ihren Fleiß. Es ist eine völlige Sündfluth, die der Bursche losgelassen hat. Die Gebildeten, welche dem Treiben zusehen, werden von ihm als schlechte Patrioten denunzirt (er selbst ist nämlich ein geborner Wiener od. Oestreicher) auch in Religion macht er und erbot sich den Berner Behörden, die pantheistische Vischer'sche Aesthetik in's Christliche zu übertragen, wenn man ihn anstelle. Vor dem Ausland gerirt er sich als geistigen Reformer der Schweiz und wird von dortigen Wasserköpfen als solcher begrüßt, wie von dem traurigen Marggraf etc.

   Kurz, es geht jetzt allenthalben, trotz der Schillerfeier, wieder zu, als ob weder ein Lessing noch ein Schiller je gelebt hätte. Kerle, welche von den Xenien zerbissen worden wären, tanzen und berufen sich auf dieselben. Gott besser's.

                                        Bestens grüßend

                                       Dein

                                      G. Keller

Zürich d. 31 / 1 1860.

 
 

22. 3. 1860  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 15/30; GB 1, S. 442>  

                                                          Zürich 22 / 3 60

Lieber Hettner.
 
Du hast nun doch den Vieweg aufgestachelt, daß er mir nachträglich das Buch schickte. Endlich komm' ich dazu, Dir für dasselbe meinen herzlichen Dank abzustatten und Dir meine Freude über die schöne Arbeit zu bezeugen. Der gewaltige Stoff ist allerdings etwas nahe zusammengedrängt, und bei der Spezial-lektüre wünscht man dies oder jenes ausführlicher behandelt zu sehen. Allein alles an seinem Ort! hier war es nicht möglich, und die Gliederung und Proportion des ganzen Werkes ist vortrefflich und darf nicht beeinträchtigt werden.

     Mit Vischer theile ich auch die angenehme Erfahrung, daß das Werk auf die anregendste Weise einwirkt, und so wünsche ich Dir gutes Glück dazu und gute Sterne für den letzten Band, auf den wir begierig sind.

     Auerbach, welcher in Correspondenz mit mir trat wegen eines | [eines] Kalenderbeitrages, trug mir Grüße auf an Vischer und er spreche in Berlin viel von ihm. Das erweckt mir den Verdacht, als ob er ihn dort hin zu praktiziren suche, was zwar für Vischer vielleicht gut, für uns Züricher aber betrübt wäre. Denn Vischer ist bei allen Launen doch noch Einer von denen, die | einen Halt gewähren und deren Fleisch von guter und ächter Textur ist. Auch hat er eine schöne künstlerische Ader, welche nicht nur seinem Metier zu gut kommt, sondern auch seinen Umgang angenehm macht.

     Jüngst reiste Herr Maillard hier durch; er hat mir sehr wohl gefallen; er wird dir meine Grüße ausgerichtet haben.

     Es geht am Polytechnikum etwas barbarisch zu. Die eigentliche Technik wird gut betrieben und es kommen bereits Schüler aus aller Welt. Die philosophische Abtheilung dagegen wird von den jetzigen Behörden fast systematisch niedergedrückt und in's besondere will man die Gemeinschaft mit der Zürch. Universität ruiniren. An die Stelle Burkhards für Archäologie sprach man eine Zeitlang von Springer. Jetzt da Schmidt nach Jena ist, meint man den Lehrstuhl für Archäol. u Kunstgeschichte u den für Universalgeschichte in Eine Hand geben zu können und sucht demgemäß einen solchen Tausendkünstler. Wenigstens war das vor 2 Wochen die Sprache.

     Indem ich mich bestens empfehle, grüße und erneuere,

                                                dein

                                                Gottfr. Keller.

Meine Arbeiten rücken stark zum Ende.

  


 

29. 7. 1862  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77 Nr.15/31; GB 1, S. 443>


Lieber Freund!
 
Ich habe das bewußte Programm nachträglich durch Vischer erhalten und freue mich über das Entstehen einer solchen Zeitschrift. Es ist mir nur Eines nicht klar, nämlich die Basis der gesammten Buchhändlerschaft. Während es einem einzelnen anständigen Verleger leicht fallen würde, den unparteiischen u uneigennützigen Ton durchzuführen oder vielmehr durchführen zu lassen, dürfte es gerade einer Vielheit schwer fallen, nicht mit täglichen Ansprüchen und Reklamationen zu belästigen. Doch mag ich mich hierin leicht irren.

     Daß ich nun eigentlich nicht zu den streng Gelehrten, ja nur zu den gewöhnlich Gelehrten u Nichtbelletristen gehöre, von welchen das Programm spricht, kannst Du am besten selbst wissen. Nichts desto minder glaube ich mit gehöriger Auswahl des Gegenstandes und Verwendung der nöthigen Aufmerksamkeit mich etwa mit einem Beitrage einstellen zu können. Die Hauptsache ist am Ende, daß es Einem Ernst damit ist u man etwas Durchdachtes vorzubringen habe, was | am Ende immer Wissenschaftlichkeit ist.

     Eine Gesammtcharakteristik Auerbachs ist, abgesehen von der öfteren Wiederholung dieses Themas, eine heikle Sache für mich wegen der Aehnlichkeit der Produktion, besonders da ich mit nächstem Herbst sehr wahrscheinlich doch endlich mit ein par Bänden fertig werde. Zudem kann ich sein nutzbringendes u wirthschaftliches Lehr- u Predigtwesen und das in hundert kleine Portiönchen abgetheilte Betrachten nicht billigen, möchte das ihm aber nicht vorrücken, da er auf der Welt ja nichts hat, als seine diesfällige Thätigkeit.

     Ich muß mir daher die Sache näher überlegen. Vielleicht könnte ich einen Aufsatz über den gegenwärtigen Zustand u die Zukunft der deutschen Lyrik (mit Zugrundeziehung des nationalen Festlebens) zu Stande bringen in dem Sinne ungefähr, wie ich im Morgenblatt etwa vom März 1861 in einem Artikel "am Mythenstein" einige Andeutungen gab. Natürlich nun mit der angemessenen Nüchternheit. Inzwischen könntest du immerhin mit einem weitern Vorschlage mir unter die Arme greifen. Ich bin etwas außer den Dingen, da ich wenig gelesen habe die letzte Zeit, Neues gar nichts. Eine Gesammtkarakteristik | der deutschen Romanschriftstellerin<n>en hat mich auch schon länger pikirt.

    Sodann wäre mir nicht unwillkommen, zuweilen von den kleinern Rezensionen u Notizen liefern zu können, da sich durch solche oft ein glückliches Stichwort u. d. gl. auftrumpfen läßt.

                                                Also beste Grüße bis auf Weiteres.
                                                Dein G. Keller.

Zürich d. 29 Juli 1862.

   


 

27. 2. 1866  Keller an Hermann Hettner

<ZB: Ms. GK 77.15 Nr. 33; GB Bd. 1, S. 446>

Lieber Hettner!

Schulrathspräsident Kappeler hat mir vor einiger Zeit erzählt, wie er Dich in Dresden gesehen und mit Dir über die Möglichkeit der Annahme einer Berufung an das eidg. Polytechnikum gesprochen habe. Diese Eventualität hatte mich sehr angenehm überrascht u ich habe der Sache vielfach nachgedacht. Gestern hörte ich, daß Springer in Bonn, auf dessen Entschluß vorerst abgestellt war, definitiv abgelehnt haben sollte u ich erkundigte mich dießfalls bei Kappeler der mir das Faktum bestätigte. Auf die Frage, wie es nun mit Dir stehe, bekam ich die Auskunft, daß Du eine Berufung jedenfalls habest in Erwägung ziehen wollen, daß Kappeler mit voller | Lust u Liebe sich nunmehr nur an Dich zu wenden wissen würde, aber dieses zu thun sich nicht mehr wohl entschließen könne, da die Zeitungen bereits die Notiz gebracht, daß Du den Ruf abzulehnen gesonnen seist oder wie es heißen mochte. Es ist nun allerdings begreiflich, daß er sich nicht gern einen schon bereitgehaltenen Korb holt. Dennoch kann ich an meinem geringen Orte die Perspektive auf dein Hierherkommen nicht sofort fahren lassen, ohne mich zu versichern, daß jene Zeitungsberichte begründet gewesen u Du die Sache dir wirklich nicht etwas überlegen wollest.

   Daher dieser Brief mit der vertraulichen Anfrage, ob Du von vornherein entschlossen seiest, eine allfällige Berufung abzulehnen? Wenn du eine solche zu erhalten wünschtest, um sie ernstlich in Betracht zu ziehen, so brauchtest Du mir nur einen Wink zu geben u ich bin überzeugt, daß der Präsident sofort die erforderlichen Schritte thäte, da ich weiß | daß Du ihm sehr am Herzen liegst.

   Ich habe Hrn. Kappeler des Näheren über die Stellung befragt, welche man Dir anzubieten eigentlich im Falle wäre? Er sagte mir, man würde gern auf das Maximum der bestehenden fixen Besoldungen gehen, nämlich auf 6000 frcs., wozu der jeweilige Antheil an den Schulgeldern u Honoraren kommt, welcher sich in Deinem Falle immerhin auf ungefähr 1000 frcs belaufen würde. (Lübke hat immer 70-80 Zuhörer). Sodann hat der Bund für die Lehrer des Polytechnikums einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen u legt für dieselben 4-5% des Betrages ihres Gehaltes ein. - Die Anstellung würde eine lebenslängliche sein mit Pensionsrecht im Falle der Unfähigkeit durch Alter oder Krankheit. Die Unterrichtspflicht erstreckt sich auf höchstens 12 Stunden die Woche, kann aber mit 6-7 Stunden erfüllt werden.

   Das ist ungefähr, wessen ich mich aus unserer eifrigen Unterhaltung entsinne. Es ist durchaus nichts besonders Brillantes, obgleich nach den | hiesigen Verhältnissen sehr günstig.

   Ich glaube schwerlich, daß Du dich aus der dortigen Situation leicht wirst los machen wollen, namentlich da Dresden in Beziehung auf die eine Hälfte Deiner geistigen Existenz, nämlich auf die Kunstseite, ein ungleich glücklicherer Schauplatz ist, als Zürich, obgleich hier, in einem hübschen lustigen Lande, das Robinsonsvergnügen des Aufbauens u Anpflanzens dafür zu haben ist. Auch wäre der Gedanke gewiß nicht ganz zu verwerfen, die guten Jahre noch einmal zu einem Aussegeln in die volle, freie Welt zu benutzen.

   Eine Eventualität kommt mir auch noch in Betracht; ich fürchte nämlich, daß Vischer über kurz oder lang hier fortkommt, da er bei seinem süddeutschen u sonstigen eigenthümlichen Wesen immer nach Schwaben oder da herum zurückstrebt. Obgleich ich nun keineswegs auf seinen Abgang spekuliren möchte, so | stellt es sich doch unwillkürlich dar, daß wenn du dann als Professor der Kunst- u Culturgeschichte hier wärest, die Literaturgeschichte u alles von Vischer besorgte Dir von selbst zufiele nach Auswahl u die Stelle in ökonomischer Beziehung wesentlich verbessert, in geistiger Hinsicht aber eine ganz ehrwürdige universelle würde.

   Doch will ich Dich nicht länger beschwindeln u beschwatzen, sondern Dich nur bitten, aus alter Freundschaft mich mit zwei Worten in den Stand setzen zu wollen, Hrn. Kappeler zu einem weiteren Schritte aufzumuntern, wenn Du es für zulässig hältst. Auch bitte ich, dieß beförderlich thun zu wollen, da er wahrscheinlich bald sich weiter wird umsehen müssen.

   Ich habe Dich im Geiste schon vor einem Auditorium von 200 Leuten aus aller Herren Länder gesehen wieder einmal über | philosophische Dinge losschießen und die Geister durcheinanderrütteln.

   Wir haben hier eine freisinnige theologische Fakultät, u einen immer reger werdenden Entwicklungskampf in kirchlichen Dingen. Aber in der Philosophie geht gar nichts vor. Es ist ein alter Bratenphilosoph da; etwa ein Publikum von deiner Façon à la Heidelberg u Jena würde da nicht in's Wasser fallen.

   Ich habe jetzt einen zweiten Band Leute von Seldwyla fast u gar fertig u mich überhaupt wieder besser an's Schriftstellern gewöhnt.

   Lebewohl u sei vergnügt

                                          Dein alter bestens grüßender

                                         Gottfr. Keller.

Zürich d. 27 Febr. 1866.

 
 

24. 12. 1874  Hermann Hettner an Keller

<Heid.Hs.2751 Nr. 43; GB 1, S. 449>

Dresden, Bergstraße 17
24. 12. 74

Lieber Freund,
 
Eine freudigere Veranlassung, den lang unterbrochenen Briefwechsel wieder aufzunehmen, kann sich wahrlich nicht bieten, als mir die süße Pflicht ist, Dir für die "Leute von Seldwyla" den herzlichsten Dank zu sagen.

     Mit dem Dank verbinde ich den herzlichsten Glückwunsch. Du hast Dir einen schönen Ehrensitz erobert.

     Was mich an diesen Novellen so tief erfreut, das ist der entzückend frische Naturton. Man kann über einzelne Motive rechten, immer aber haben wir es mit dem ächten Poeten von Gottes Gnaden zu thun. Was ist das für ein wunderbares seltenes Zusammen von reinster Herzenszartheit, von erschütternder Tragik u schalkhaftestem Humor! "Das verlorene Lachen" gehört zum Gewaltigsten, was ich an Novellenpoesie kenne.

     Fahre fort, lieber Freund, die Welt mit Deinen herrlichen Gaben zu erfreuen. Heut in der Zeit der nichtswürdigsten Buchmacherei darf Der nicht schweigen, der an Begabung u Einsicht ein Künstler ist, wie wir jetzt keinen Zweiten neben Dir haben.

     Auch für die prächtigen Legenden nachträglich den besten Dank. | Schreibe mir recht bald. Ich sehne mich, ein altes Freundeswort von Dir zu hören.

     Wir haben nur allzulange den Verkehr unterbrochen, u ich fürchte fast, daß Du als Absicht deutest, was nur Nachlässigkeit u Faulheit war.

     Von mir weiß ich wenig zu berichten. Ich wandle in der Tretmühle eintöniger Arbeiten u Geschäfte. Oft ist mir, als käme ich vor lauter Lernen u Lehren nicht mehr zum eigenen Denken u Schaffen. Es beschäftigt mich eine Bildungsgeschichte des italienischen Renaissancezeitalters. Aber ich habe den Muth nicht mehr zu so kühnem Wagen.

     In den nächsten Wochen gehe ich an eine neue Auflage meiner beiden Goethe- u Schillerbände. Ich habe noch gar kein Urtheil darüber von Dir gehört. Es wäre ein lieber Freundesdienst, wenn Du mir Einiges sagen wolltest. Ich würde Deine Bemerkungen u Rügen u Verbesserungen dankbarst nützen. Thu mir die Liebe.

     Beifolgende Karte spedirst Du wohl bald möglichst an Dr. Stiefel. Sie enthält die gleiche Bitte. Viel wird er nicht bieten können, aber vielleicht berichtigt er einige Data. |

     Kömmst Du denn gar nicht einmal zu uns nach Deutschland? Wie vieles möchte ich mit Dir durchplaudern in alter Traulichkeit.

     Lebe wohl alter Freund. Ein gutes neues Jahr, voll Glück u Thätigkeit.

                                  In alter Treue
                                  Hettner

  


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