Lina Duncker (1825-1885)

Editorial


 

Gattin des Verlegers Franz Duncker, mit Keller befreundet seit dessen Berliner Zeit

Anzahl registrierte Briefe: 16 an, 11 von Keller (27 ZB Zürich)


 

Nov. 1855 Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 2; GB 2, S. 144>


Liebe Frau Dunker!
 
Ich habe vergessen, die beifolgenden Bilderhefte in meine Bücherkiste zu packen und weiß jetzt nichts anderes damit anzufangen, als daß ich sie Ihnen schenke, da Sie sich noch am ehesten mit dergleichen Kirmeßwaare abgeben. Es ist übrigens wie Sie sehen, ein abgeschnapptes Wesen ohne Anfang und Ende.

     Sodann muß ich Sie noch um eine Gefälligkeit bitten. Es ist vom Verleger Weber in Leipzig ein Werk an die Redaktion der Volkszeitung geschickt worden auf meine Veranlassung: Militärpolitik von Wilhelm Schulz-Bodmer. Dies sollte nothwendig von Herrn Dunker und anderen höheren Geistern der Zeitung selbst gelesen und dann etwas eingehend besprochen werden. Der | Gegenstand des Buches ist für die Volkszeitung selbst sehr wichtig. Der Verfasser ist ein alter Ehren- und Freiheitsmann, der vor 48 lange ein bedeutender politischer Schriftsteller war, und dann als hessischer Abgeordneter im Frankfurter u Stuttgardter Parlament saß, von wo er wieder in Zürich einrückte.

     Also bitte ich Sie, wenn Sie so gut sein wollen und Ihre löblichen Gesinnungen gegen mich nicht geändert haben, dies zu besorgen.

     Ich habe mich wieder sehr schlecht aufgeführt bei Ihnen, aber ich kann nicht dafür und führe mich jetzt fast überall schlecht auf und habe auch gewissermaßen ein Recht dazu. Grüßen Sie auch das Fräulein Tendering noch von mir, wenn Sie Ihr schreiben.

     Damit Herr Dunker mich um sein Buch belangen und zwiebeln kann, falls es sich verzögern sollte, muß ich auch noch meine sichere Adresse zurück lassen. Ich wohne in Zürich an der Gemeindegasse in Hottingen. Jedoch werde ich es jedenfalls rasch fertig machen und Herr Dunker soll nur das Geld parat machen für die sieben Auflagen, die es | [...]

    


 

17. 11. 1855 Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 1; GB 2, S. 139>

Geehrteste Frau Dunker!
 
Da wie ich höre Herr Dunker verreist ist, so will ich mich mit diesen Zeilen an Sie wenden in der Hoffnung, daß Sie dieselben aufnehmen möchten, wie sie gemeint sind. Ich bin in den letzten Monathen etwas verbittert und verbohrt gewesen, da allerhand tolles Zeug über mich ergangen ist und ich gezwungen war so lange in Berlin zu bleiben. Da ich aber nun in acht Tagen endlich abreise, so bin ich so zufrieden und vergnügt, daß Alles mir in einem vernünftigeren Lichte erscheint und muß vornehmlich | Ihnen ein großes Unrecht abbitten, das ich gegen Sie begangen habe. Als ich nämlich jüngst bei Wagner war, verleitete mich der Dr. Frese durch sein ewiges Fragen zu großem Zorne, daß ich mich gänzlich vergaß und ohne Rücksicht auf den Ort und die Gesellschaft über Sie raisonnirte. Auf seine Frage nämlich, die er mir an allen öffentlichen Orten immer zuruft, ob die Novellen fertig wären, sagte ich nein, ich hätte sie bei Seite gelegt; auf die Frage warum? weil ich die Lust verloren hätte, für Sie zu arbeiten! und auf die Frage: warum dies? weil Sie mich ungezogen behandeln, da Sie mich nicht ein einziges Mal mehr rufen ließen und ich gar nicht wüßte, woher diese Ausschließung käme, nachdem Hr. Dunker einen Contrakt mit mir abgeschlossen, und ich ließe mich nicht wie eine Strohpuppe behandeln, die man nach Laune in ein Haus ziehen und wieder hinauswerfen könne. Hierauf hielt mir Frese eine grobe Predigt, daß ich Sie besuchen müsse etc vom Standpunkte eines höflichen | Gesellschaftsmenschen aus und mit dem Verständniß eines solchen, worauf ich anfing ihm auseinanderzusetzen, daß ich ohnehin nicht mehr zu Ihnen kommen könne, weil ich Ihnen mehrmals meine Meinung vom Dr. Vehse gesagt, Sie aber seither diesen fortwährend bei sich sähen, während ich seit Monathen gänzlich ignorirt werde; ich verbreitete mich über diesen Gegenstand mit einiger Heftigkeit. In der Sache selbst bin ich noch der Meinung und wenn ich länger in Berlin bleiben würde, so würde ich überhaupt in kein Haus mehr gehen, in welchem der Dr Vehse Zutritt hat; denn dieser ist ein abscheulicher Mensch.

     Aber es war Unrecht von mir, mich so zu vergessen und diese Dinge in einer Bierkneipe zur Sprache zu bringen; ich habe das nächste Mal, wo ich hinkam, erklärt, daß ich es bereue und daß ich Unrecht gethan hätte, und bitte hiemit nun auch Sie herzlichst um Verzeihung, indem ich Alles als ungesprochen zu betrachten bitte, was ich in dieser Materie dort gesagt. Da ich von den hiesigen sozialen Uebelständen nun befreit bin, so wünschte ich wenigstens da, wo ich eine Zeit lang gern hingegangen bin, mit äußerlichem Frieden und Anstand | abzuziehen, zumal mich nun diese sämmtlichen Dinge nichts mehr angehen. Obgleich ich weiß, daß Sie, Frau Dunker, ein Taugenichts sind, so kann ich Ihnen doch nicht ernstlich böse sein und muß Sie schließlich immer wieder gern haben, und hiemit können Sie auch ein wenig zufrieden sein; denn diejenigen, welche ich gründlich hasse und verachte, sind nicht zu beneiden.

     Ich bitte Sie, Herrn Dunker zu sagen, daß ich sein Buch in Zürich so rasch als möglich fertig machen werde; in Berlin habe ich seit vielen Wochen keine ruhige Stunde mehr; es soll aber nicht sein Schade sein; denn ich glaube, es wird ein ganz gutes Buch werden. Sollte er aber wünschen, aus der Sache heraus zu sein, so würde ich augenblicklich für einen Verleger sorgen, der sie übernähme.

     Und hiemit leben Sie wohl, wenn Sie diesen Abschied wohl aufnehmen mögen, und bessern Sie sich auch ein Bischen nach meinem Beispiel.

                                                Ihr ergebenster Gottfr. Keller.

    


 

13. 1. 1856 Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 6; GB 2, S. 145>

Liebe Frau Dunker
 
Da ich das Buch für Herrn Dunker noch nicht fertig habe, so will ich einstweilen noch an Sie schreiben und zu Handen Ihres werthen Hauses Ihnen anzeigen, daß ich mich schon seit 4 Wochen zu Hause befinde und meine lieb. Mutter und Schwester wohl und munter angetroffen habe. Erstere ist sehr dauerhaft und hat sich in den sieben Jahren fast gar nicht verändert, sie macht alles selbst und läßt niemand drein reden; auch klettert sie auf alle Komoden und Schränke hinauf, um Schachteln herunterzuholen und Ofenklappen zuzumachen. Ich mußte mir eine Serviette zum Essen förmlich erkämpfen, und da gab Sie mir endlich ein ungeheures Eßtuch aus den 90ger Jahren, von dem sie behauptete, daß es wenigstens 14 Tage ausreichen müsse! ich kann es wie einen Pudermantel um mich herumschlagen beim Essen. Meine Schwester ist eine vortreffliche Person und viel besser als ich; als ich eines Tages wieder melancholisch war und die Mutter in der Zerstreuung etwas anfuhr, ohne es zu wissen, rückte mir Regula auf das Zimmer und hielt mir eine so scharfe | Predigt, daß ich ganz kleinlaut und verblüfft wurde. Beide hatten große Freude, als ich kam, aber ich habe ihnen auch nicht im mindesten imponirt! In Dresden bin ich acht Tage gewesen und es ist mir allda gut ergangen. Ich sah dort alle schrecklichen Leute, Auerbach war sehr zuthulich gegen mich u ich sah ihn alle Tage; Gutzkow aber verhielt sich gemessen und diplomatisch, weil er mit Auerbach gespannt ist, und ich zufällig zuerst zu diesem gegangen war; Gutzkows Frau, neben welche ich bei einem Essen zu sitzen kam, ist eine ganz nette und kecke Frankforterin, die den Teufel nicht fürchtet; Auerbachs die seinige hingegen sehr hübsch, aber mehr gemacht. Ich habe auch den Dawison gesehen als Othello, den er prächtig, sonor und eigenthümlich spielte. Als Mephisto stach er nicht sonderlich hervor, doch machte er etwas sehr hübsches. Während nämlich in der Hexenküche die Hexe ihren Hokuspokus macht und Faust in dem Kreise steht, warf sich Dawison als Meph. in einen Stuhl und pfiff eine kleine Meerkatze herbei, die er auf den Schoß nahm, auf dem Knie reiten ließ und gar anmuthig teuflisch mit ihr spielte, was sehr behaglich aussah. Devrient sah ich im Glas Wasser; auch dieser hat eine ganz andre Persönlichkeit und ein anderes Organ, als die Berliner Knäbchen, Liedtke natürlich nicht ausgenommen. Hier in Zürich geht es mir bis dato gut, ich habe die beste Gesellschaft und sehe vielerlei Leute, wie sie in Berlin nicht so hübsch | beisammen sind. Auch eine rheinische Familie Wesendonk ist hier, ursprünglich aus Düsseldorf, die aber eine Zeit lang in Newyork waren. Sie ist eine sehr hübsche Frau Namens Mathilde Luckemeier, und machen diese Leute ein elegantes Haus, bauen auch eine prächtige Villa in der Nähe der Stadt, diese haben mich freundlich aufgenommen. Dann gibt es bei einem eleganten Regierungsrath feine Soupers, wo Richard Wagner, Semper, der das Dresdner Theater u Museum baute, der Tübinger Vischer, und einige Züricher zusammenkommen und wo man Morgens 2 Uhr nach genugsamem Schwelgen eine Tasse heißen Thee und eine Havannacigarre bekommt. Wagner selbst verabreicht zuweilen einen soliden Mittagstisch, wo tapfer pokulirt wird, so daß ich, der ich glaubte aus dem Berliner Materialismus heraus zu sein, vom Regen in die Traufe gekommen bin. An diversen zürcherischen Zweckessen bin ich auch schon gewes[s]en man kocht sehr gut hier und an Raffinirtheiten ist durchaus kein Mangel, so daß es hohe Zeit war, daß ich heim kehrte, um meinen Landsleuten Moral und Mäßigung zu predigen, zu welchem Zweck ich aber erst alles aufmerksam durchkosten muß, um den Gegenstand recht kennen zu lernen, den ich befehden will. Heinrich Simon erinnerte mich in seiner Art und Weise ungeheuer an den Stahr-Lewaldischen Ton, ich glaubte mitten in Berlin zu sein. |

     Wir wohnen parterre in einem Garten, am Fuß eines Berges, der von Gärten und Gehölzen bedeckt ist, so daß der Frühling wieder einmal sehr schön für mich werden wird, es ist aber auch Zeit dazu. Nur soll es eine Menge Spinnen geben, die im Sommer aus dem Garten in die Stuben kommen. Berlin habe ich schon gänzlich vergessen, eigentlich in Dresden schon, was sich erwarten ließ. Dennoch sind nicht üble Leute dort, wenigstens zeitweise, und ich danke Ihnen auch besonders für alle mir erwiesene Freundlichkeit.

     Fast hätte ich vergessen meine große Freude darüber auszudrücken, daß jener Vehse gefangen sitzt; hoffentlich wird er recht lang innebehalten und nachher aufgehenkt.

     Darf ich Sie [Sie] bitten, inliegendes Briefchen etwan auf die Stadtpost werfen zu lassen? Herrn Dunker werde ich bald schreiben und bitte mich bis dahin empfohlen sein zu lassen.

                                                Ihr ergebenster
                                                Gottfried Keller

    


 

29. 2. 1856  Lina Duncker an Keller

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 109; GB 2, S. 148 z. T.>

Berlin den 29ten Febr. 1856.

Lieber Herr Keller!
 
Wir danken Ihnen sehr für Ihren lieben Brief, Alles was Sie uns schreiben über sich Ihre Frau Mutter, Ihre neue Situation interessirt uns, und Sie würden uns große Freude machen, wenn wir zuweilen fernere kleine oder größere Briefe erhielten. Sie sehen ich antworte auch, sobald ich es mit Muße kann, der Winter und seine rastlose Geselligkeit haben mich zeither daran gehindert, und hundertmal hat mein schreibfauler Mann gesagt: "Lina schreibe an Keller, denk mal was das heißt ehe so ein Brummbär schreibt, und erkenne darin daß er uns nicht abthun will wie sonstige Strolche und Menschenfresser." Natürlich kann er nicht selbst dazu kommen, trotz der geistigen Verwandschaft der Brummbärennatur, er steckt sich bei alledem hinter seine rasenden Geschäfte, bei denen wir, wie Sie ganz richtig einmal schrieben ganz arm werden. - Wie edel, dß Sie unsern Ruin | verzögern, dß Sie Ihre kostspieligen Novellen noch nicht schicken, die Tirannei über uns noch nicht ausbrechen lassen. Aber Sie wissen, ein ungewisses Schicksal, das wir noch nicht kennen, von dem wir aber glauben dß es nicht sehr erbaulich und angenehm sein wird, flößt uns ein sehr unbehagliches Gefühl ein, wir wollen lieber über die Ungewißheit weg sein, also machen Sie ihr gnädig ein Ende, senden Sie endlich Manuskript, und wir wollen sehen ob man wirklich so ganz arm daran wird, wie Sie boshafter Weise wünschen. Sie stehen sich schlecht mit dem Lieben Gott, Ihre Wünsche wird er nicht unbedingt erfüllen. -

     An unserm Himmel ist eine elektrische Sonne aufgegangen, vorläufig leuchtet sie zwar bloß und erwärmt noch nicht, aber ich denke dß ihre Strahlen nicht kalt bleiben. - Herr Bernstein hat nämlich eine Erfindung gemacht auf einem elektrischen Draht gleichzeitig die Depeschen zu befördern, und Franz betheiligt sich an den Kosten und Erträgen dieser Erfindung. Die beiden Herren sind geblendet von dem kommenden Glanz und Gold unserer Häuser, ich bin ein | sehr nüchterner ungläubiger Thomas, und wenn ich nicht wenigstens eine goldene Wiege daraus kommen sehe, mit der ich als Rivalin der Kaiserin Eugenie auftreten kann, so finde ich wirklich das Geschrei zu groß gegen die Resultate. - Mein Mann muß leider bald wieder nach England, für die Patente und den Verkauf der Erfindung sorgen, das ist hart wenn der Frühling in den Garten scheint, und wenn man andererseits auch nicht mit hinaus kann, ich bin ungern allein, so wenig ich auch von seiner schweigsamen starren Natur habe, er ist doch der Schwer- und Mittelpunkt um den sich alle meine Interessen drehen. Die Gedanken und Wünsche und Bestrebungen einer Frau zersplittern sich nicht, wie die eines Mannes, und es bleibt für uns immer traurig dß wir mit unsern intensiven Empfindungen unnütz vorkommen, sie werden nicht verlangt und nicht verbraucht. Nur an die Kinder verschwendet man sie ohne Rückhalt ohne alle Bitterkeit und ohne jede Erwartung auf Anerkennung. - Meine Kinder sind zudem so gut, dß ich ihrer gar nicht werth bin, aber da auch hält man keine Abrechnung untereinander es ist ein ungestörtes ungetrübtes Empfinden, Geben und Nehmen. |

     Meine Schwester ist selig in Italien, jetzt eben hat sie Rom verlassen und wird wohl in Palermo angekommen sein, findet sie auf dem Rückweg über Rom irgendwo eine fernere Gesellschaft für Italien, so wird sie wohl erst im Herbst wiederkommen. Sie schickt lange, ausführliche ganz originelle Briefe, was eine selbständige Natur genießt, was sie berührt, was sie glücklich und unglücklich macht, das hat für den Nachempfinder doch immer wieder sein Neues und Gutes, so viel Briefe und Beschreibungen aus Rom auch schon da sind; ich habe den Auftrag Sie zu grüßen, obgleich Sie stets so unartig und mürrisch wie möglich gegen sie gewesen seien. Wir führen zuweilen, Betty und ich, eine kleine Scene auf, in der ich Keller spiele. Sie können denken wie natürlich das ist. Es handelt sich um ein bijou, was Sie fallen ließen. So nannten Sie wenigstens irgend ein, einer Schaale entfallenes, Ding. - Meine Schwester hebt es auf, - unerhört freundlich huldvoll von einem schönen großen stolzen Mädchen. Sie präsentirt es Ihnen und Sie kratzen es ihr ungestüm und barsch aus der Hand, und legen es an Ort und Stelle, ohne Dank ohne irgend ein schmeichelhaftes oder erstauntes Wort. - Betty steht erstarrt vor Ihnen. | Als revange für Ihren mir in der Kneipe angethanenen Unglimpf gebe ich Ihnen diese Geschichte zum Besten. - Kürzlich habe ich übrigens auch eine Frauenrolle gespielt, wir haben [bei] bei meinem Schwager ein kleines Konversationsstück aufgeführt, in dem ich, ein Referendar Roth und ein Genfer, Herr Tilen,, mitspielten. Es ward sehr munter und frischweg gespielt, obgleich kein Stichwort bei mir haftete, ich richtete mich nur nach der Situation, und nach dem Gedankengang. Sonst sind die Gesellschaften hier immer so ziemlich dieselben, ich bin gar nicht blasirt, und wo man mir nur einigermaßen Freiheit gestattet, amüsire ich mich ganz leidlich, und die ewigen Klagen und Entzückungen mache ich nicht nach. Man muß das Leben, besonders die Menschen nicht zu schwerfällig behandeln, sich nicht zu bequem gehen lassen, und von andern nicht zu viel verlangen, und sein Glück und seine Befriedigung wo anders gefunden haben. -

     Unsern Bekannten und Freunden gehts gut außer Vehse, zu 6 Monaten verurtheilt, sitzt er deren schon 1, und wäre so leidlich zufrieden wenn nur nicht aus allen Ecken neue Befürchtungen für neue Processe auftauchten, und wenn er sich nicht Vorwürfe machte, seine liebe vortreffliche Tochter so gekränkt und in Fatalitäten gebracht zu haben. - Er geht, sobald seine | Haft um ist, nach Genf, und Sie werden weniger schlecht gegen ihn sein, denken und handeln, wenn er der Gast und Schützling Ihres Vaterlandes ist. Fräulein v. Schlichtkrull ist den ganzen Winter krank gewesen, und kann noch kaum das Zimmer verlassen, sie quält sich trotzdem sehr mit alten französischen Diplomaten Intriganten und Regenten herum. Dr. Frese läßt Sie grüßen, und damit will ich mich empfehlen, ich habe ja bei dem langen Briefe ohnehin schon wieder das Gefühl, - fürchterlich wird der Briefbote leiden müssen, wie hier der Knabe Mai, der Ihnen die meinigen brachte, hoffentlich dürfen Sie in Ihrer Mutter Haus nicht so Donnerwettern, wie hier in dem chambre garni der Bauhofsgasse.

     Machen Sie Berlin nicht zu schlecht in Zürich sonst gehts Zürich schlecht, wenn ich mal hinkomme, ich kann nicht so gut prügeln und schimpfen wie Sie, aber spotten kann ich besser. - Da Niemand diesen Brief liest, und Sie am besten wissen, daß ich Sie nicht zu schlimm geschildert, so verzeihen Sie mir wohl, wenn ich von Ihren Tugenden, Talenten, Poesie u. s. w. gar nichts gesagt, sondern nur, - nun ich weiß das | ja Alles auch und schätze Sie sehr wegen Ihres Mangels an Sentimentalität und Ihrer Verachtung hergebrachten Unsinns.

     Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Mutter, wie viel lieber wird sie Ihren Koffer ausgepackt als eingepackt haben.

                                                Von Herzen
                                                Lina Duncker

Zeit zu einem Gruße herunter zu setzen finde ich doch noch, sowie Ihnen zu sagen, daß mir Ihr Manuskript zu jeder Zeit willkommen u. es mich finden soll, wenn Sie es bald senden können. Sollte ich nicht hier sein, wenn es kommt, so werde ich gleichwol Sorge tragen, daß ihm ein guter Empfang bereitet u. es in gutem Kleide u mit den nöthigen Pauken u Trompeten in die Welt hinausgesandt werde

                                                Ihr
                                                Franz Duncker
d. 29/2. 56.

    


 

6. 3. 1856  Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 3; GB 2, S. 150>

Liebe Frau Dunker!
 
Da Sie und Ihr lieber Herr Mann so human sind, mittelst eines freundlichen Conversations-Briefes auf den Busch zu klopfen von wegen des Manuskriptes, statt mit einer trockenen Geschäftsepistel, so will ich auch so höflich sein und gleich etwas antworten zur Beruhigung. Ich habe das Buch zurückhalten und in seinem Lebenslauf verhindern müssen, weil Herr Vieweg ein andres Buch, welches er schon im Oktober bequem hätte herausgeben können, erst jetzt versendet hat. Es würde aber nachtheilig für beide Bücher sein, wenn sie gleichzeitig erschienen und einander den Markt verdürben. Auch kann ich nicht zugeben, daß mir durch die Willkühr eines Verlegers die natürliche Folgenreihe meiner Produkte aufgehoben wird, so daß das spätere am Ende früher erscheint, als das früher geschriebene; denn ich bin ein Auktor, bei dem es sich außer dem Honorar auch noch um eine gesetzmäßige ordentliche Entwicklung handelt, wo das letzte Opus immer das beste und ein Fortschritt erkenntlich sein soll. Das Vieweg'sche Buch war schon fertig gedruckt, als ich Berlin verließ; ich glaubte erst, er ließe es aus Bosheit liegen, aber ich höre, daß er es andern auch so machte und daß eine Lotterei in seinem Geschäft herrscht, was die Betreibung betrifft. In dieser Beziehung erwarte ich von Ihrem Firmchen eine wohlthätige Aenderung und daß ich dort zu Glück und Ansehen gelange. Sobald jenes Buch ordentlich besprochen und bekannt ist, will ich Herrn Dunker | das seinige senden.

     Ich wünsche Ihm indessen viel Glück zu Herrn Bernsteins famoser Erfindung. Ich begreife jetzt, warum die Naturartikel in der Volkszeitung, die ich in Zürich eingeschleppt habe, seit einiger Zeit so selten werden, da solche elektrische Dinge die Athmosphäre schwängern. Ich wünsche auch, daß es nicht damit geht, wie mit jenem Paar neuer Stiefeln, welche ein französ. Bauer für seinen Sohn in der Krim an den Telegraphen Draht hing, und, als ein Landstreicher sie herunternahm und sein zerfetztes Schuhwerk an die Stelle hing, sagte: <">Seht, unser Sohn hat schon die alten retour geschickt, daß man sie besohle!" Ich meinerseits habe inzwischen schon meine Pläne auf Ihr Vermögen und Betriebskapital verhältnißmäßig erweitert und werde je nachdem gute Nachrichten einlaufen, sie noch mehr erweitern. Was Ihre in Aussicht stehende Frühlingseinsamkeit betrifft, so kann ich kein rechtes Mitleid mit Ihnen haben; Sie wollen auch gar Alles miteinander genießen: im Herbst Kavalkaden mit Cavalieren, und Scheibenschießen, Jagd und Spektakel, im Winter Schauspiel, Bälle im Opernhaus und allen möglichen Salonkrempel, im Sommer Reisen durch die Welt mit breitem Hut und intressantem Costüm und im Frühling, siehe da! ein aufgefrischtes Idyllchen mit dem guten Fränzchen hinter dem Haus im Gärtchen! Ei ei! Wenn es Ihnen ernsthaft zu Muth ist mit Ihrem hübschen Herzenswesen, so mag es hingehen, allein ich glaube nicht mehr an alle dieses und meine sämmtliche Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit im Punkte der Frauen ist auf den Kopf gestellt, und ich kann einzig nur noch ihre wirklich guten Qualitäten als Mütter | zugeben, und daran sind sie auch nicht schuld, sondern die allgemeine Mutter Natur. Ich habe zuviel schlechten Hohn und abgeschmackte Hänselei bei den nobelsten Frauensleuten sehen müssen, als daß ich noch viel auf ihre Empfindungen gäbe. Wer einer tiefen und ernsten Empfindung fähig ist, der macht nur gute Späße und keine schlechten. Doch werden Sie mir nicht gram um dieser allgemeinen Bemerkungen willen, sie fallen mir soeben in die Feder, vermöge meiner schlechten menschlichen Natur, die nicht bei der Stange bleiben kann, sondern immer nach jener Seite hin ausreißt wo sie der eigene Schuh drückt. Ich lasse, um den Aerger gutzumachen, Ihre guten Kinderchen um so herzlicher grüßen; an Mitteln zur Beschreibung dessen, der sie grüßen läßt, fehlt es Ihnen ja nicht, da ich die Ehre habe, mich von Ihnen dargestellt zu sehen! Wenn ich übrigens je vernehme, daß Sie mich zu arg karikirt haben, so werde ich zur Rache eine eigene lächerliche Novelle schreiben mit dem Titel "die böse Line!" und selbige in den Verlag Ihres eigenen Mannes einschmuggeln. Es soll dann eine Art Struwwelpeter für die großen Kinder in seidenen Kleidern sein. Uebrigens stand Ihre Fräulein Schwester nicht, sondern saß auf einem Stuhle, als ich jenen Knopf oder kleinen Compaß suchte, und als sie so huldvoll war, mir ihn zu geben, trotzte ich das Ding nicht ihr aus der Hand, sondern nahm es verblüfft und demüthig in Empfang. Eine besondere Rede daran zu knüpfen, war ich freilich nicht behende genug. Fräulein Betty soll aber nicht so lang in Italien bleiben. Jenes Land hat ja nicht nöthig, daß es noch viel schöner werde, das hat die Gegend um Berlin sammt den Leuten dort mehr nöthig. Hier in Zürich hat Sie mir auch einen schönen Handel angerichtet, als Sie vorigen Sommer die artige Laune hatte, meine Mutter aufsuchen zu wollen. Sie gerieth nämlich an ein par alte stupide mürrische Leute, die mit aller Welt im Zerfall leben und mit keinem Nachbaren ein Wort sprechen. Diese verläugneten aus Dummheit oder | Verstocktheit meine arme Mutter; kaum war aber die "Erscheinung" wieder verschwunden, so thauten sie auf, der alte Mann und die alte sonst finstere Frau, und erhoben einen solchen Lärm von der Schönheit und Pracht und Leutseligkeit des fremden Fräuleins, daß es unter allen meinen Bekannten wie ein Lauffeuer herumging, und ich schon damals in Briefen und bei meiner Heimkehr mündlich eine Neugierde und ein Klatschwesen auszustehen hatte, die über das Bohnenlied hinausgingen, so daß ich mit entschiedener Grobheit dazwischen fahren mußte, und ich kann mir aufrichtig das Lob geben, daß ich mich ritterlich für das Fräulein gewehrt habe, damit sie in keinen falschen Verdacht komme. Wie ich denn überhaupt im Punkte der Artigkeit gegen dasselbe ein vollkommen gutes Gewissen habe und selbst am besten weiß, daß ich von jeher höflich und respektvoll gegen Ihre Schwester gesinnt war. Dies genügt mir, um den Schein kümmere ich mich nichts. Wenn Sie Hochderselben etwa meinen demüthigsten Dank für ihr gestrenges Grüßen vermelden wollen, so fügen Sie dies hinzu, daß jene wiederholten Vorwürfe mich gar nicht treffen. Nebenbei gestehe ich allerdings ein, daß ich den Schein sehr gegen mich haben mochte; allein es trafen gleich von Anfang an, als Ihrer Schwester hohe Gestalt am Horizonte Berlins heraufschritt, so verrückte und verhexte und verdrehte Umstände zusammen, und zuweilen herrschte in Ihrem Hause selbst ein so schnurriger Ton, daß ich als ein argloser Mensch an dergleichen nicht gewöhnt, eben alle Unbefangenheit verlor und mich in den Mantel meiner Tugend hüllte.

     Hier in Zürich schimpfe ich nicht über Berlin; ich spreche alle | vier Wochen einmal davon und dann etwas Gutes, nach einer alten Taktik, nach welcher man denen, mit denen man gerade lebt, immer ein gutes Vorbild vorhalten muß. Auch würde ich mich selbst blamiren, da ich so lange Jahre leider Gottes dort gewesen bin, zum Schaden meiner Seele! Ich habe noch viel zu leiden gehabt diesen Winter von akademischen Vorlesungen, die jetzt in Zürich sehr grassiren. 5-600 Herren und Damen hockten zusammen in den großen Säälen, und da es mitunter sehr vortreffliche Vorträge gab, viel besser als in der Singakademie zu Berlin, so mußte man auch hingehen, um als kein Barbar zu erscheinen. Die deutschen Professoren liegen sich hier übrigens sehr in den Haaren, zu allgemeinem Aerger. Meine Mutter läßt sich Ihnen auch höflichst empfehlen. Sie allein hat mich gar nicht um die Bewandtniß mit jenem fremden durchreisenden Frauenwesen befragt, woran ich meine Pappenheimer erkenne. Ich lasse den Hrn. Dr Frese bestens grüßen, sowie den Herrn Spinnenfresser Fabrizius. Vehse rathe ich nicht, mir jemals wieder unter die Augen zu kommen; dies ist kein "Gebrumme" sondern sehr deutlicher und sonorer Ernst! Es wäre ihm besser, er läge mit einem Mühlstein am Hals auf dem tiefsten Grunde der Spree, unterhalb Moabit, als daß er gerade mit mir hat anbinden müssen. Er ist da einmal an den unrechten gekommen. |

     Heinrich Simon hat für den Sommer schon das vierbeinige zweigeschlechtige Tintenthier: Stahr-Lewald angekündigt! Sie sehen, daß Sie auch kommen müssen, um den üblen Eindruck dieser Berliner zu verwischen und unsern Himmel wieder aufzuheitern. Sie dürfen sich so närrisch aufführen, als Sie wollen und Alles wird sich gut ausnehmen. Schon seit 10 Tagen ist hier nichts als blauer Himmel und warmer Sonnenschein. Ich laufe alle Abend auf die Höhen, recke den Hals nach allen Winden und suche Anemönchen; aber es hilft nichts, immer muß ich wieder hinunter und an meinem Buche schreiben. Uebrigens ist es wundervoll hier und ein ganz goldenes Land; in den Leuten dagegen, wie überall, die leidenschaftlichste Geld- und Gewinnsucht, alles drängt und hängt am Golde, Gott besser's!

     Nun leben Sie wohl und vergessen Sie mich nicht ganz, sonst vergeß' ich Sie auf der Stelle auch

                                                tausendmal grüßend
                                                Ihr ergebenster
                                                Gottfried Keller
Zürich den 6t. Martii 1856.

    


 

21. 5. 1856  Lina Duncker an Keller

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 113; GB 2, S. 155 z. T.>

Berlin den 21ten Mai

Lieber Herr Keller!
 
Mit besonderem Vergnügen sende ich Ihnen einliegenden Brief, ich hätte am Ende sonst meinen Dank für den Ihrigen so lange hinausgeschoben bis er ein Unding geworden wäre. Jetzt gehts noch eben an, dß ich mich für Ihre ehrliche schlechte Meinung von mir und den Namen den Sie mir geben, "die böse Line" bedanken kann. Er muß wohl recht treffend sein, denn er hat Beifall und Aufnahme gefunden, und ich selbst lasse ihn mir gefallen, da er mir nicht ungerecht erscheint, ich denke ihn weder zu verdienen noch abzulehnen, es ist immer besser ein Wolf mit Wölfen, als ein Wolf in Schaafsgestalt, oder ein Schaaf in einer Wolfshöhle zu sein. - Daß alle Vergleiche die man mit Schaafen macht hinken müssen, weil diese nicht blos sanfmüthig sondern zu gleicher Zeit Schaafsköpfe sind, das ist nun freilich schlimm.

     Den Anfang April war Palleske acht Tage bei uns, da haben wir viel von Ihnen | gesprochen, er ist eine herrliche frische lebensvolle Natur, hat Geist Herz und das angenehmste wohlwollendste Wesen ich kenne nichts an ihm, was nicht lang und gut und liebenswürdig wäre, und ich weiß keinen Menschen dem man so ohne Rückhalt und Bedenken und Zweifel gut sein müßte. Er hat uns zweimal seinen Cromwell vorgelesen, es ist ein biederes tüchtiges Stück, es wird schwerlich Enthusiasmus finden und sich mit dürrer verständiger Anerkennung begnügen müssen, Monmouth ist koquetter, abwechselnder, sprudelnder, gefälliger. - Ihre "Leute von Seldwila" sind mir noch nicht zu Gesicht gekommen, ebensowenig wie Ihre Novellen für uns. Ich habe keinen Auftrag Sie darum zu mahnen und zu quälen, aber mein eigenes Interesse läßt mich doch daran denken und danach fragen, wie lange nach der Erscheinung der Viewegschen Novellen, die neuen daran kommen sollen. Franz ist seit 4 Wochen in London um Geld aus seiner Telegraphen Erfindung zu machen, bis jetzt hat er aber nur Kosten | Sorgen Ärger geerndtet und sein schönes freundliches Haus, seine Kinder, und seine schlimme Frau entbehrt. Dr. Hirsch aus Wien schreibt mir gestern, dß dieselbe Erfindung in Wien und Turin gemacht, nicht patentirt sei, wie zweifelhaft es nun ist, ob die schlauen Engländer anbeißen und uns abkaufen, was sie umsonst haben können. - Franz hat aber so sehr auf einen brillanten Ertrag gerechnet, dß er in mehr als eine Verlegenheit käme, wenn er ohne denselben nach vier Wochen heimkehren müßte, - und Bernstein fahren seit einem halben Jahr die Goldstücke wie Irrlichter im Kopf herum, und tanzen vor seinem gesunden Verstand umher, so dß er sich in lauter unbekannte Regionen verliert, und vielleicht in untüchtige Thätigkeit. - Doch hoffen wir noch das beste. - Frese ist ausgewiesen, Sie wissen dß er nur unter der Bedingung, sich von jeder politischen Thätigkeit fernzuhalten, hier sein durfte, - nun hat man bei einer Haussuchung gefunden, dß er Kammerberichte macht, und hat ihn sofort beim Schopf gefaßt, | Ihm und uns Allen thut es sehr leid, dß es so gekommen, und er meint, wenn er mich nun nicht mehr in den Kneipen vertheidigen könne, sei ich ganz verlassen und würde ihn am meisten entbehren, ich denke aber immer nur an den Besitz, oder Verlust eines guten Freundes, und nicht an seine Nützlichkeit für mich. Meine liebe große schöne Schwester, ist seit Ende April von Neapel zurück, und aufs elterliche Gut gegangen, sie blickt mit Sehnsucht und Entzücken gen Süden, und ich bin überzeugt dß sich das Geld und die Reiselust zusammen wieder einfinden werden, und wir sie den Winter nicht hier haben. - Haben Sie denn die schreckliche Mordgeschichte in unserm Hause gelesen? Ich war allein, ohne Franz und sehr erschrocken und kleinmüthig, aber ich habe mich äußerlich tapfer gehalten, die Besinnung nicht verloren und den Kleinmüthigern, Abergläubigen und Furchtsameren ein gutes Beispiel gegeben, und mich so an mir selbst gehalten und wieder aufgerichtet. Jetzt hat sich das Schauerliche nach einer kurzen Anwesenheit in Dresden ganz in den Sand verlaufen, und ich denke wieder ohne Störung an Wäsche, Braten, Kochen, Sparen, Necken und Flunkern.

     Empfehlen Sie mich Ihrer Mama und schreiben bald

                                                Lina Duncker

     


 

11. 6. 1856  Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 77 Nr. 5; GB 2, S. 156>

Liebe Frau Dunker
 
Ich danke Ihnen für die gefällige Uebersendung jenes Briefes und für das freundl. Begleitschreiben. Der Brief war von dem rheinischen Oberdichter Wolfg. Müller, weiß Gott wo er erfahren, daß ich bei Ihnen zu erfragen sei! Wenn meine Novellen bei Ihnen erst heraus sind, so werden Sie mir manche Briefe zu schicken haben, hoffentlich geht es nicht wie bei Vieweg, durch welchen ich früher viele Briefe bekam, seit ein par Jahren aber keinen einzigen mehr, so daß ich glaube, er unterschlägt sie oder nimmt sie | brutaler Weise nicht an. Gegen mich ist dieser Herr plötzlich wieder sehr freundlich geworden. Nun weiß ich gar nicht, was das für eine Mordgeschichte in Ihrem Hause gewesen ist, von der Sie schreiben. Wie es scheint, haben Sie irgend eine große Gefahr und Spektakel bestanden, thun Sie mich doch gelegentlich darüber aufklären. Wie Ihr Brief zeigt, sind Sie indessen mit dem Schrecken davon gekommen. Der Struwwelpeter in Ihnen ist aber gewiß auf einige Tage latent oder gebunden geworden; freilich wird er jetzt längst wieder "frei" sein. Dr. Frese dauert mich, nicht gerade, weil er von Berlin fort muß, sonst müßte ich mich zuerst selbst bedauern (während ich mich selbst beneide) sondern | weil er um seine schöne Stellung als Anwalt beim Biergericht gebracht ist. Auch Paleske muß ein rechter Damenfüsilier sein, da er so schrecklich gelobt wird. Ich habe auch in andern Damenbriefen die gleiche Litanei gehört. Er ist aber ein Fuchs und flattirt den Frauen nur, weil er Dramen macht, die er gelobt haben will. Aber tückisch ist seine Huld und urabgründlich sein Lächeln! Er ist aber doch ein guter Kerl. Was macht denn der große Scherenberg? In Zürich ist eine Berlinerin, eine Frau Professor Köchly aus Dresden, welche mit Ihnen in die Schule ging; ich suchte schon mehrmals zu erforschen, wie Sie als Backfisch gewesen seien und hoffte, eine rechte kleine Göhre als Resultat meiner Forschungen vor meinem inneren Auge auftauchen zu sehen; allein es wurde nichts verrathen, vermuthlich weil beide kleine Knirpsinnen die gleichen | angehenden Strauchdiebe waren.

     Meine Erzählungen habe ich Ihnen nicht geschickt, weil ich glaubte, Vieweg stelle der Volkszeitung ein Exemplar zu, was er mit dem Roman auch ohne meine Aufforderung gethan hat. Jetzt habe ich kein Exemplar mehr und Sie müssen das Buch halt ungelesen lassen, wenn Sie es nicht aus der Leihbibliothek bekommen. Jedoch sind alle Wunderwerke, die ich bis jetzt "geschaffen", wahre Wischlappen im Vergleich zu den Novellen von vollendeter Klassizität, die jetzt mit noch ganz klein wenig Geduld zu erwarten ich Sie bitte. Nächstens werden sie erfolgen. Göttlich sind sie, von strengem Seelenadel, von endloser Grazie und getaucht in das ewige Hallunkenthum schnöder Verliebtheit, Vergißmeinnicht und rationelle Seidenzucht. Sie und Ihre hochgerathene nach Süden gaffende Schwester können dann darum würfeln, welcher ich das "Werk" dediziren soll, und je nachdem der Würfel fällt, werde | ich einen Widmann schreiben (d. h. eine Widmung) der sich gewaschen hat. Oder lieber will ich, in Ansehung der Franz Dunkerschen Verlagskasse, für Ihre gelockte Sorella eine eigene Novellsammlung machen zu Papilloten, für jede Locke eine Novelle und für den Zopf zwei, sie soll mir nur die Zahl schicken und nicht zu große Locken drehen, damit ich mehr Honorar herausschlage. Daß Elise Schmidt und Fräulein v. Schlichtkrull nach London sind, habe ich in der Zeitung gelesen. Wenn diese beiden Schrullen Gottes mit ihrem Bettschirm nur nicht den Prinzen Albert bethören oder den alten Lord Firebrand, daß die Welt aufs neue in Flammen geräth! Auch würde ich unter bewandten Umständen den Fränzchen um keinen Preis länger in London lassen, sonst kommt er nicht | nur arm am Beutel sondern auch krank am Herzen nach Hause. Es streckt mir, indem ich schreibe, ein großer Moosrosenstrolch die grünen Hände dicht ans Fenster und der Buchs wird geschoren wie ein Mönch, von einem Burschen mit einer grünen Schürze.

     Leben Sie wohlest und bleiben Sie gewogenst ihrem ergebensten

                                                Gottfried Keller

Zürich den 11 oder 12 Juni 1856.

Meine Mutter läßt sich Ihnen auch empfehlen, d. h. sie ist gerade nicht zur Hand und ich sage das nur so aus unbestimmter Vermuthung.

    


 

 2. 9. 1856 Lina Duncker an Keller

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 110; GB 2, S. 158 z. T.>

Berlin den 2ten Sept. 1856.

Lieber Herr Keller!
 
Mein Mann ist sehr stolz darauf Ihnen sagen zu können, dß er Ihnen noch nie einen Geschäftsbrief geschrieben habe, ob der Stolz begründet ist, scheint mir noch zweifelhaft, Herr Vieweg schrieb Ihnen viele Geschäftsbriefe und Sie ließen ihn Jahr und Tag auf Manuskript warten, sich beklagend daß man Sie dränge und belästige, Herr Duncker quält Sie nicht, treibt Sie nicht, schreibt Ihnen nicht, und Sie lassen ihn ebenfalls warten, auch zuletzt ungeduldig werden, was soll man nun, wie soll man es mit Ihnen machen? Nachdem die | Herren im Geschäft kopfschüttelnd nach dieser Frage auseinandergingen, dachte ich Sie noch einmal an die versprochenen Novellen zu erinnern, und mein ergrautes Oberhaupt trug mir demnach auf, Ihnen dies mal noch in Güte und Freundschaft nächstens aber wirklich mit den groben Fäusten des Geschäftsstyls zu Leibe zu gehen. "Schreibe ihm" sagte er, "dß er bekanntlich schon 250 Thaler für die Novellen erhalten diese aber nach Kontrakt beinahe an den Verleger zurückzuzahlen habe, da seit Nov. 1855, ein monatlicher Abzug von 25 Thaler vom Autor bewilligt sei, wenn solcher nicht bis 1 Nov 1855 Manuskript geliefert habe.<"> - Da besagter Autor obige Bedingung, zu eigenem Nutz und Frommen, wahrscheinlich selbst diktirt, so wird er dieselbe | auch nicht vergessen, sondern am 1ten September in sein Hauptbuch eingetragen haben dß er von Herr Duncker für versprochene Novellen 1, an baarem Gelde 250 Thaler erhalten habe, und die für selbiges Manuskript noch zugesagten weitern 250 Thalern durch zehnmonatlichen Aufschub der Novellensendung ebenfalls bereits erhalten; zu notiren würden jeden ferneren Monat wo hier kein Manuskript einläuft, sein, dß Sie Herrn Duncker 25 Thaler schulden. - Sie scheinen mir auf diese Weise recht gute Geschäfte zu machen! Ich denke nachdem ich Ihnen den Stand der Dinge einmal recht klar gemacht werden Sie in sich gehen, - der <">bösen Line" zur Weiterbeförderung an die Buchhandlung Ihre Gegenrechnung aufstellen, Ihre Novellen | einschicken und einen Brief, der die Dreistigkeit des meinigen neutralisirt. Und eigentlich sollte ich Ihnen recht gerührt und dankbar schreiben, da Sie mir zuletzt die liebenswürdige Offerte machten, mir Ihre Novellen zu dediciren. Ich lasse mich nicht gerne anführen und auslachen, und sage Ihnen also, dß ich dem Frieden nicht traue, dß ich glaube, Sie wollen sehen wie meine Eitelkeit bei einer solchen scherzhaften Anfrage ans Tageslicht kommt; ich will Ihnen aber gestehen, dß für eine Verlegersfrau dergleiche Gunstbezeugungen so sehr nach Unfreiwilligkeit aussehen, dß ich sie deshalb dankbar zurückweisen würde, wenn ich mir überhaupt aus den Meinungen der Leute etwas machte. Was mich betrifft, so wäre ein ernstlich gemeinter Vorschlag für eine Widmung, der erste der mir | in meinem Leben gemacht wird, und ich habe eine kindische Freude darüber gehabt, das ist eventualiter die beste Antwort. - Meiner Schwester gehörte Ihr Brief zur Hälfte mit, da so viel von ihr und für sie darin stand ich habe denselben also an sie geschickt, und soll Ihnen sagen: "wenn Herr Keller für Lockenpapilloten arbeiten will, so kann ich seine Werke nicht annehmen, denn meine armen Locken habe ich in vieler Herren Länder verfliegen und verflattern lassen, die Stoppeln meines Herbstes sind für sich alleine schon so kapriciös, dß Kellersche Novellen keinen Umschwung hineinbringen würden. Ich fürchte, mir selbst ohne Locken wird er nichts widmen wollen, denn in den sieben Simsonschen lag alle Kraft. Die andere Macht | liegt versteckt, und wiegt die vergangenen Ringeln für die meisten nicht auf." So meine liebe große, von Italien-Sehnsucht noch nicht wieder ruhig gewordene Schwester. Sie werden sich erinnern dß Sie ihr die weiteren Novellen wid<m>en wollten, darauf bezieht sie die Lockenklage.

     Nun von einem lieben kleinen süßen Gegenstand, von meiner drei Wochen alten Tochter. Sie macht Mutter Vater und Geschwister glücklich, das Haus Tag und Nacht lebendig, sie sitzt vor der Thür in kleinem Garten im Sonnenschein, als Schild des Hauses worauf geschrieben steht, hier hat man sich lieb und ist glücklich. Dieser Freude über ein neugebornes Leben kommt nichts im Leben gleich, so wie nichts dem Schmerz einen | lieben Menschen verlieren zu müssen, sei es durch den Tod, sei es durch andere Grausamkeiten. Die Kleine ist noch nicht getauft, ich werde Ihnen später schreiben wie sie heißt. Die großen Kinder lassen auf dem Hof einen Drachen fliegen, der aber nicht fliegen will.

3 Sept. - Von sonstigen Ereignissen und Personen wäre wohl noch viel zu sagen, ich fühle mich nur noch nicht kräftig genug wie sonst zu schwatzen und zu schreiben, sondern bin noch recht zahm, matt und träge, freue mich aber die Hoffnung zu haben bald genesen, thätig und wieder von allen Bevormundungen und weisen Frauen befreit zu sein. Der Herbst mit seiner kräftigen Luft, wird mich wohl wieder frisch und etwas roth machen, ich sehe jämmerlich aus, und habe Mitleid mit mir selber. | Frese ist in Bremen an der Weserzeitung angestellt, und klagt sehr über den Materialismus der Bremer, er tröstet sich mit Arbeit, und mit dem Gedanken nicht lange dort zu bleiben. Schlimmsten Falls will er heirathen, was ihm in den Weg kom<m>t. Ebenfalls der Spinnenfresser Fabriz, der sich augenblicklich in Pommern auf die Weide begeben hat, d. h. aufs Land, um sich den alten Junggesellen abzustreifen und als freiender Jüngling heimzukehren. Seine Phantasie scheint etwas auf Abwege zu gerathen, da er sich in der letzten Zeit, nur mit dem nordischen Achill dem jungen Fritjof verglich, und seine Angebetete eine blasse Jüdin als Ingborg an sein Herz träumt. - Daß Tégners Ingborg goldblond ist, und auch sonst nichts Orientalisches an sich hat, kümmert ihn nicht halb so viel in seinem Vergleich, als dß beide Damen viel Geld und Land | besitzen. Dr. Vehse ist mit seiner Tochter bereits nach der Schweiz abgereist, ich glaube nach Savoyen zu, er hat vom Gefängniß aus gleich die Stadt verlassen, und ich sah nur den Tag vorher seine Tochter, ihn nicht mehr. - Was Sie von Frau Dr. Köchly schreiben, hat mich erfreut und amüsirt, dß Frau Anna von gemeinschaftlichen Schulerinnerungen und Backfischjahren nichts hat erzählen wollen, hat seine guten Gründe, wir sind nie zusammen in der Schule gewesen, und haben uns nur vielleicht zwei Monate in Dresden kennen gelernt, als wir Beide erwachsen waren. Die sehr hübsche Fräulein Saling imponirte mir damals so sehr durch Eleganz und schöne schwarze Locken, dß ich mich nie recht an sie herantraute, deswegen hätte ich sie jetzt hier so gerne wiedergesehen, | um ihr näher zu kommen, da ich durch ihre hiesigen und Dresdner Verehrer genug von ihr hörte um sie gern kennen zu lernen.

     Christiane Erdmann soll schon seit einiger Zeit mit ihrer Dame und ihrem Jüngling in Zürich sein, ist dem so, so hat sie sicher alles versucht, Sie zu finden und mit Ihnen anzubinden, und bei ihrer Beredsamkeit und Unerschrockenheit, hat sie es gewiß zum Verkehr gebracht, und erzählt mir nächstens von Ihnen. Aber recht bald erzählen Sie selbst, wie es Ihnen geht, und ernstlich schicken Sie sogleich die Novellen, sie können sonst Weihnachten nicht mehr erscheinen. Franz grüßt, er ist sehr beschäftigt und theilweise sehr sorgenvoll, denn unter uns gesagt, hat die Telegraphie noch nichts als Arbeit und Sorge gebracht und Geld gekostet.

     Ich muß schließen, und bin
                                                mit bestem Gruß Ihre
                                                Lina Duncker

     


 

8. 9. 1856  Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78h; GB 2, S. 161>

Liebe Frau Dunker.
 
Zuerst wünsche ich Ihnen und Ihrem Herrn Gemahel herzlichst Glück zu der kleinen Sünderin, womit Sie die Welt bereichert haben; obgleich ich deren Namen noch nicht kenne, macht sie mir doch vollkommen erklärlich, warum Sie diesen Sommer nicht in die Schweiz gekommen sind. Wenn ich geahnt hätte, wie fleißig Sie in Ihrem Berufe wären, so wäre ich selbst auch fleißiger gewesen und hätte das Buch fertig gemacht; aber ach! es hätte kaum was geholfen! Schon zwei mal sah ich dicht vor der Nase die Leute Heu machen, sah das Korn reif werden und abschneiden, alles wuchs und war fleißig und alle | Menschen rührten sich, nur ich that seufzend gar nischt! Ich habe Wochen lang nicht nur kein Wort geschrieben sondern auch keines gesprochen, denn der Mensch denkt und Gott lenkt und man kann sein inneres Geschick oder Ungeschick nicht zum Voraus bestimmen wie einen Fakturzettel. Aber meine Mittel erlauben mir das! Ich habe jene 25 Thalerbestimmung in einer düstern Vorahnung selbst verfügt, wenn etwa nicht alles am Schnürchen gehen sollte, damit ich für mein Geld meine persönliche Freiheit behalte zum Allotriatreiben und Melancholischsein, ohne gerüffelt zu werden. Wenn ich dabei auch schlechte Geschäfte mache, so werden schließlich wenigstens gute Bücher daraus. Indessen habe ich doch nicht Lust, diesmal noch viel baares Geld zuzulegen und bis Weihnachten soll das Buch sicher herauskommen. Jüngst habe ich mich wieder gründlich gesund gemacht, indem | ich mich unter fast viertausend bewaffnete Jüngelchens oder Kadetten stürzte, die wir in Zürich aus der halben Schweiz zusammen getrieben hatten, um ihnen ein 4 tägiges Fest zu geben. Ich habe noch nie eine solche Freude gesehen oder selbst gehabt und habe mir alle Grillen aus dem Kopf geschlagen. Es war ein eigentliches Kindermeer, worunter übrigens schon ziemlich große u kräftige Bursche, aber auch ganze Bataillons ganz kleiner Stöcke von 10-12 Jahren, die ihre 50 Patronen aber so gut und regelrecht verschossen, wie die Größeren. Diese kleine Armee mit ihren vielen Fahnen sah aus wie ein wandelnder Blumengarten, und eine unendliche Menge der Alten, Mann u Weib, Reich u Arm umwogte u umdrängte die Tage über dies wimmelnde, trommelnde, trompetende und singende Kleinod der Zukunft, und man sah bei dieser Gelegenheit, wie viel Liebe und rechtes Gefühl doch noch in der Welt ist. | Denn viele Leute hatten öfter Thränen in den Augen, sogar ich selbst gegen das Ende, nachdem ich die Anderen ausgelacht. Als sie einmarschirten, wurden einige Hundert von Leuten gestohlen, die sich für die auf den Quartierbillets Bezeichneten ausgaben, so daß die eingeschriebenen Quartiergeber wie brüllende Löwen umherliefen, die ihre Jungen suchten. Item es war hübsch. Ich hatte 2 Lieder zum Singen machen müssen, ein ernsthaftes und ein lustiges. Letzteres nahmen die jungen Herren sehr gnädig auf, so daß sie es überall sangen. Beim Festessen nach dem Hauptmanöver, wo die ganze Klerisei in einer unabsehbaren Halle an 175 Tischen untergebracht war, wurde es von allen zusammen gesungen. Vier Taktschläger, an hochragenden Punkten vertheilt, und zwei Musikchöre hielten die Masse zusammen, so daß mein Opuskulum aus den Tausenden von Knabenkehlen und im größten Jubel erklang. Ich hatte auch einen Tisch unter mir und war eben beschäftigt aufzupassen, daß die kleinen Teufel genug Brod bekämen und nicht zu schnell tränken, als es anfing mit Gläsern um mich her zu drängen und zu rufen Herr Keller lebe hoch! denn man hatte ihnen gesagt, ich habe das Lied gemacht und sie sollten mit mir | anstoßen gehen; so kam die ganze Nachbarschaft herbei und ich war von den Burschen umringt, die mir ihre Gläser empor hielten und schrieen wie besessen! Meine eigene Tischfamilie war sehr erstaunt zu sehen, welch' einen Vorsteher sie hätte und that sich was darauf zu gut! Sie sehen also, daß Sie mit Ihrem einzelnen Säugling nich aufkommen können gegen meine nationalen Vaterfreuden von 3500 Säuglingen, die dazu noch alle Flintchen mit Bajonet's tragen! Adolf Stahr u Fanny Lewald haben alles mitgemacht u schwimmen im Entzücken darüber, sowie sie überhaupt gut auf unser Land zu sprechen sind. Dies hat mich ganz versöhnt mit dem wunderlichen Paar, denn wer mein Land liebt und rühmt, dem kann ich nicht bös sein!

     Die diversen Schicksale Ihrer verschiedenen Günstlinge intressiren mich so halb und halb, Sie haben aber den Herrn v. Viedert vergessen; des Freses sein Idealismus kommt mir spanisch vor, wenn er heirathen will, was ihm in den | Wurf kommt, um dem Materialismus zu entgehen. Ihre Fräul. Erdmann oder Erdfrau habe ich nicht gesehen, aber davon gehört. Es sind so viel Deutsche hier, daß man nicht allen nachgehen kann. Uebrigens würde ich die Dame nicht erkennen, da ich sie nur 1 od 2 mal bei Licht gesehen in Ihrem Hause, u das ohne Brille. Frau Köchly hätte Sie gern besucht, wenn sie Zeit gefunden hätte. Sie brauchen sich aber unter uns gesagt nicht sehr imponiren zu lassen; es ist noch immer eine hübschliche Erscheinung, aber etwas ungekocht inwendig, wie mir scheint, denn ich habe noch nicht viel Gescheidtes von ihr gehört. Dies wird ihnen auch Fanny Lewald sagen, welcher sie ins Gesicht sagt, sie hätte noch nicht die Wandlungen gelesen, worauf Fanny: Das sei sehr unrecht von ihr, denn es sei ein sehr ernsthaftes Buch!

     Es ist sehr human von Ihrer Fräulein Schwester, daß sie gelaunt ist, mir durch ihre geehrten Bemerkungen Gelegenheit zu einigen Complimenten zu geben. Ich kann mich auch wohl dazu herbeilassen, da ich so viele Unhöflichkeiten gut zu machen | habe. Also erstens, wenn von ihrer ganzen Person gar nichts übrig bleiben würde, als allein die Stimme, wie bei der unglücklichen Echo, so wäre diese allein noch werth, daß man ihr ganze Bibliotheken widmete. Denn nicht nur ihre Singstimme, welche ich nie hörte, sondern auch die Sprechstimme hat mir ausnehmend wohl gefallen und das ist ein ganz aufrichtiges Kompliment, ich habe deshalb den Spinnenfresser immer gern in der Nähe gehabt, weil er Ihre Schwester am meisten sprechen machte. Uebrigens ist der Vergleich mit den Simson'schen Locken für mich kein schmeichelhafter. Simson verlor seine Macht mit seinen Locken gegenüber den Philistern, und zu dieser Nation gehöre ich nicht. Indessen, wenn die Locken fort sind, so kann man allerdings auch keine Papilloten brauchen. Sie könnte aus den Novellen daher ein Nachtmützchen machen, um sich einzuschläfern, wenn der Gram über den Lockenverlust ihr den Schlummer fern hält. Denn zu allen Zeiten haben schlechte Erzählungen den | Schlaf befördert. Doch genug der Dummheiten, mehr soll mir für diesmal die heuchlerische Demuth der Fräulein ohne Locken nicht entlocken. Ich habe nachträglich von der Schreckensgeschichte in Ihrem Hause gehört und bedauerte Sie sehr. Ich muß jetzt abbrechen, da ich sehr aufgelegt bin zum Fleißigsein, d. h. erst will ich, wenn <ich> die Briefe zur Post trage, noch eine Tasse Kafe trinken inmitten meiner Brüder und eine Cigarre rauchen, da es jetzt viel Spaß gibt auf den Kafehäusern wegen des verunglückten Putsches in Neufchâtel. Dies ist jetzt besorgt und aufgehoben für immer, der Graf wird seine Diener nicht loben.

     Ihr ganzes Haus ergebenst
                                                grüßend
                                                Ihr
                                                Gottfried Keller

Zürich d. 8t. Sept. 1856

     


 

23. 7. 1858  Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 4; GB 2, S. 173>

Geehrte Frau Dunker
 
ich habe heut mit Ueberraschung Ihren Brief vorgefunden und beeile mich, Ihnen zu berichten, daß ich zu Hause bin und noch in der alten Wohnung sitze, 156 an der Gemeindegasse in Hottingen, etwa 10 Minuten vom Mittelpunkte der Stadt. Wenn Sie auf meinen Namen nicht Bescheid erhalten, so fragen Sie nach dem Hause des Professor Frei, denn die Hausnummern sind nicht gut zu übersehen, da die Häuser in kleinen Gärtchen stehen. Indessen ist es das Bequemste, Sie zeigen mir durch einen Lohnbedienten oder durch die Stadtpost Ihre Ankunft und den Gasthof an, so werde ich Sie unverweilt aufsuchen.

     Ich habe Ihnen nicht mehr geschrieben, weil Sie mir die Antwort auf meinen letzten Brief schuldig | geblieben sind. Da die Erinnerung an Berlin, wo ich ein ziemlich anregungs- u freudeleeres Leben geführt habe, angefangen hat, bei mir zu verblassen, so werde ich auch weniger an meine Korrespondentenpflicht gemahnt, als früher. Doch versäume ich auch solche, welche mir noch am Herzen liegen, wie ich denn z. B. Heidel, an den ich noch am meisten denke, erst einen Brief geschrieben habe.

     Meine Wortbrüchigkeit wegen meiner Novellen macht mir nicht viel zu schaffen. Ich weiß, daß durch dieselbe niemand zu Schaden kommt und kenne mich überdies selbst, was mir genügt. Wer in wichtigeren Dingen noch ehrlich und naiv zu sein vermag, darf sich in dergleichen Schnurrpfeifereien schon noch etwas erlauben. Man muß sich nur nicht darauf etwas zu gut thun.

     Die Novellen sind hauptsächlich stecken geblieben, weil sie dem Plane nach ausschließlich aus Liebesgeschichtchen bestehen und mir die leichte Stimmung für dergleichen einstweilen abhanden gekommen ist, während ich durch mein hiesiges | Leben für festere und löblichere Dinge angeregt wurde.

     Die Schweiz werden Sie schwerlich im besseren Sinne kennen lernen. Dazu gehört ein vernünftiges Mitleben an geeignetem Platze, wie es z. B. die Stahr's vor 2 Jahren gemacht haben. Die tolle hastige Touristenjagd auf der Heerstraße über die Berge, dieser schnatternde wilde Entenzug ohne Behagen und ohne Ruh, erregt bei den Festgesessenen, während man sich den Geldgewinn gefallen läßt, nur Gelächter. Denn man sieht es dem ganzen Haufen am Gesichte an, daß er das Land lediglich nach dem guten oder schlechten Wetter, nach den Gasthofrechnungen, nach den Kellnern und Schuhputzern, kurz nach Dingen beurtheilt, welche sich überall gleich bleiben. Ihre Kossaks und Wachenhusen sind hierin die mustergültigen Vorbilder.

     Ich bin von zwei bis vier Uhr Nachmittags meistens in der Stadt, die übrige Zeit hingegen, mit Ausnahme des späteren Abends, zu Hause und gewärtige also mit Vergnügen, Sie und Herrn Dunker wieder | zu sehen.

                                                Achtungsvoll Ihr ergebenster
                                                Gotfr. Keller
Zürich d. 23 Juni 1858.

    


 

24. 2. 1876  Keller an Lina Duncker

<ZB: Ms. GK 78d6 Nr. 8; GB 2, S. 176>

Zürich 24 Febr 1876.

Verehrte Frau Dunker!
 
Ich komme so eben auf mein Bureau u finde unter den Briefen auch den Ihrigen am frühen Morgen um 9 Uhr. Ich bin ganz gerührt davon u, rauche aber dessen ungeachtet meine Cigarre fertig u nehme statt der Amtsgeschäfte diese Antwort vor.

     1° Herrn Dunker's Brief liegt noch immer mit 3 oder 4 andern dringlichen Privatbriefen auf dem Etat der dringenden Sachen bei mir, die behandelt sein wollen u es nicht werden. Für jetzt nur so viel, daß es mir nie entfernt in den Sinn kommt, mich unordentlich in dieser Sache zu betragen; Sie werden ein hübsches u neuartiges Werklein bekommen, wenn Sie es durchaus wollen. Zu einer Geldauseinandersetzung im Falle des Fallenlassens war ich schon vor 10 Jahren bereit oder länger, habe aber hierauf | keine Antwort erhalten. Um Ihnen nun die Zutraulichkeit zum guten Ende wieder etwas aufzukratzen, theile ich Ihnen mit, daß ich mit Ende Juni meine Amtsstelle aufgebe, um sofort mit neuen Kräften das pure Schriftstellerthum mit mehr Vernunft und Geschick wieder aufzunehmen, als ich es zu Weihnachten 1855 verlassen habe. Es kann freilich nicht jeder so 20 Jahre im Vorbeigehn aus der Tasche verlieren; ich aber bin in dieser Beziehung ein Herr u meine Mittel erlauben mir das. Man bekommt zwar bei dieser Methode keine Frau; aber die späte Entdeckung, daß es doch viel vergnüglicher u besser sei, ist auch kein schlechter Tubak.

     Das neue Arrangement wegen des "Verlagsartikels" denke ich mir so, daß vom Honorar die Verzinsung der erhaltenen 250 Thaler abgezogen wird, womit dasselbe mindestens in Rauch aufgeht. Damit ich aber doch noch etwas für Tinte u Papier bekomme, müßte mir erlaubt sein, von den Novellen so viel vorher in eine Zeitschrift zu thun, daß noch ein par hundert Thaler herauskämen. Item es wird sich schon machen lassen. |

     Demnächst kommen von mir "Züricher Novellen" in der deutschen Rundschau, die aber mit Ihrem Buche nichts zu schaffen haben. Ich bin dann mit den schweizerischen Lokalsachen fertig u betrete mit den Dunkernovellen das freie allgemeine Weltreich der Poesie. Bumm!

     2° Wegen des Portaits hatte ich vor, Herrn Michels, der sich deshalb an mich gewendet, dieser Tage zu schreiben. Ich muß nämlich eine Photographie machen lassen, da ich keine habe, als eine, wo ich ganz blöd dreinschaue, u eine andere, wo ich zu frech u affektirt aussehe, aus Schuld des Photographen. Inzwischen aber liegt mir die Sache nicht ganz recht. Ich habe nämlich dem Paul Lindau eine kleine Selbstbiographie für die "Gegenwart" versprochen u gedenke, dieselbe unversehens in nächster Zeit zu liefern, nicht aus Eitelkeit, sondern um einige Malicen anbringen zu können oder sogenannte Wahrheiten. Herr Michels schreibt mir nun, daß es sich im Sonntagsblatt um eine "Lebensskizze" von einem Universitätslehrer handle. Ich kann mir nicht denken, wer das machen kann; immerhin ist es möglich, daß wenn beide Gesänge gleichzeitig ertönten, dieselben nicht sehr | harmoniren würden u das Opus des Universitätslehrers von dem meinigen desavouirt würde. Hierüber wünschte ich Aufschluß zu erhalten. Vielleicht könnt Ihr die Sache auch fallen lassen, da ohnehin meine denkwürdigen Personalia erst durch die neue Aera nach dem 30 Juni 1876 ihre Vollständigkeit erhalten werden.

     3° Frese ist in Zürich u läuft da herum. Ich u andere verkehren aber nicht mehr mit ihm, ich grüße ihn nicht einmal. Es hat sich nämlich gleich nach Ihrer Abreise im Jahr 1874, (Sie erinnern sich vielleicht, daß man über die Sache scherzte) herausgestellt, daß er doch mit königl. alt hanöver'schen Geldern manipulirte, von den Stuttgarter Demokraten vor die Thür gesetzt worden ist, u daß die Zürcher Demokraten, ohne daß ich es wußte, das gleiche gethan hatten, weil er sie veranlaßt hatte, von solchem Gelde Gebrauch zu machen, ohne daß sie die Herkunft kannten. Er hat mich auch nicht gefragt, warum ich abgebrochen; denn er weiß es wahrscheinlich schon u ist das gewöhnt. Ich bin übrigens nicht ganz unbefangen, weil er mich persönlich vorher | geärgert hatte. Ich will Ihnen die Geschichte erzählen, damit ich das Vergnügen haben kann, noch ein bischen länger an Sie zu schreiben u meine langweilige Arbeit zu schwänzen.

     Ich hatte also Frese oder Fresen, wie Varnhagen sagen würde (Rahel'n) nie mit einem Worte beleidigt u gar nichts mit ihm verbrochen, als ich vor einigen Jahren über eine Brücke in Zürich ging. Da gehen zwei Herren hinter mir her, der Eine scheint dem Andern mich zu zeigen, denn dieser läuft einige Schritte vor, an mir vorbei, wendet sich um, sieht mir in's Gesicht u läuft wieder zurück, genau wie ein Gassenjunge, der einem Türken nachläuft u denselben begafft. Das war Frese! (ohne etwas zu sagen oder zu grüßen nämlich) Die Sache fiel mir auf, ich wußte aber im Augenblicke nicht, was draus machen, da ich ihn nicht erkannte. Gleich darauf gehen beide Herren an mir vorüber, so daß ich ihnen nun im Rücken war. Der andere war Professor Gustav Vogt, der Bruder von Karl Vogt, der mich nun grüßte. Ich ging auf's Museum in's Lesezimmer u fand dort ganz frisch den Herrn Dr. Julius Frese von Gustav Vogt eingeschrieben u erkannte ihn | nachträglich nun plötzlich. Ich sah ihn nun öfters in dem Lesezimmer, ohne daß er mich zu sehen schien, von Besuchen natürlich keine Rede. Endlich richtete er ein par Worte an mich u da ich ihn schließlich doch in Wirthshäusern in Gesellschaft Bekannter traf, stellte sich der Verkehr her, ohne daß ich von der seltsamen Wiedersehenssce[e]ne mit dem tückischen Kerl weiter Aufhebens machte. Aber ein tückisches u unheimliches Luder ist er. Eben jener Gustav Vogt hat ihm seither das Haus verboten.

     Im Uebrigen spielt er sich hier als Republikaner auf u belehrt zum Beispiel die hiesigen Leute über die Republik, indem er im Wunschbuche des Museums periodisch auf Abschaffung dieses oder jenes Blattes anträgt, dessen fernere Auflage in der Republik sich nicht gezieme. Aber auch andere Gründe bewegen ihn zu solchen Thathandlungen. In Stuttgart hat er mit dem Organ der Volkspartei, dem Beobachter des Karl Mayer, Händel gehabt. Kaum | in Zürich angekommen, trägt er in jenem Desiderienbuche auf Abschaffung des Beobachters an!

     Karl Mayer in Stuttgart hatte ihm das Haus verboten, was ihm hie u da zu begegnen scheint; in Zürich darauf hängt er sich an dessen Sohn, der da studirt, u geht diesem nicht von der Seite.

     Alle diese Lumpereien fielen mir auf einmal auf den Hals u ich ärgerte mich höllisch, daß ich mich von einem solchen Windbeutel so schnöde hatte behandeln lassen.

     Nun lassen Sie sich die Suppe nicht verderben durch diesen Klatsch, der mir einiges Vergnügen macht, wenn er Sie auch ärgert. Hoffentlich heulen Sie ein Bischen darüber! Das wäre mir eine Wonne, wenn ich es nur sehen könnte! Ich merke wohl, daß nur die Angst um Ihren verschollenen Liebling Sie hat schreiben lassen. | Nun, er ist ja da u lebt noch! Einen andern alten Hauskater von Ihnen sah ich im Herbst, den wackern Palleske, der hier war. In meiner Stube steht ein herrliches Eichenbüffet mit Imitationen von alten Metallschüsseln u unächten Majolikas. Da sagte er: Gehört das Spinde Ihnen? ganz verwundert u ungläubig. Meine alte Schwester begrüßte er flüsternd als Esther'chen aus dem Pankraz dem Schmoller, was sie gar nicht verstand, u dergleichen Teufeleien mehr.

     Herrn Dunker werde ich geschäftsmäßig schreiben, sobald es etwas nützt d. h. in den nächsten Monaten. Inzwischen bitte ich Ihn bestens zu grüßen u ebenso die artige Fräulein Tochter, die Sie bei sich hatten vor zwei Jahren.

                                                Ihr ergebenster
                                                G. Keller.

     


 

16. 8. 1876  Lina Duncker an Keller

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 116; unveröffentlicht>

                                                            Weissenste<i>n bei Solothurn 16 / 8 76

Danke bestens, lieber Herr Keller, für die baldige Antwort; auf Ihren Besuch will ich lieber rasch und großmüthig verzichten wenn Sie nur einen Tag Zeit haben. Sie sind nicht in Zürich sondern eine Station jenseits, hätten vier Stunden Bahnfahrt bis Solothurn und fänden am Bahnhof keinen Omnibus. Auch keine regelmäßige sonstige Beförderung findet Statt. Der Wirth hält mit dem Wirt zur Krone in S. einige allerliebste leichte Planwagen die angespannt werden, wenn herauf oder herunter sich Passagiere finden. Ist | man der einzige Passagier so kostet die 2½ stündige Auffahrt Einen 20 Francs. Es ist der Preis nicht zu hoch, für die Leute, die durch längeres Bleiben die Sache ausnutzen, aber für einen Tag ein Unsinn. Dazu die Hitze die im Unterland sein muß, nein es ist nichts, selbst wenn Freund Rodenberg mir zu Liebe Ihnen Dispens für 2-3 Tage gäbe mag ich Ihnen die Anstrengung nicht zumuthen. Die Freundschaft hält auch noch vor, wenn ich auf leichtere Bedingungen für eine Begrüßung warte. -

     Dß Sie mir so wenig Humor zutrauen, Ihren Brief vom Winter | übel zu nehmen thut mir leid; jedenfalls haben Sie nach meinem Weißensteiner Schreiben schon eine bessere Meinung von demselben, denn die Stelle von der Behandlung der Enkelkinder übertrifft diejenige von den "Hauskatern" bei Weitem.

     Ja, aber Sie haben Recht, das eigentlich Schlimme in der Welt, ist, dß man alt wird, Alles kann gebessert werden Das ist das Fatum wie es im Buch steht. - Zum Glück kommt es mir aber so komisch vor, dß ich "solches Gewürm" habe wie ich Ihnen augenscheinlich als Großmutter eine lächerliche Person bin, und ich habe es den Leuten, die mich bei Gott Monatelang nur | noch in dieser einzigen Eigenschaft anredeten, titulirten, zu sehen wünschten, längst abgewöhnt, auf die direkte Verwandlung meiner Unweisheit in Weisheit, meiner braunen Haare in graue, meiner Lebhaftigkeit in eine rechtmäßige Gesetztheit zu hoffen. - Ich fühle gar kein Talent in mir zu irgend einer offiziellen Stellung, aber einen Widerwillen sogar gegen jede Oktroyirung von Gefühlen. Lieber Himmel man thut seine Schuldigkeit. Das bischen persöhnliche Freiheit, einen Rest von persöhnlichem Geschmack für Menschen und Zustände und Lebensart muß man sich zu bewahren suchen, - gehe es auch manchmal drunter und drüber und arg über uns her. |

     Das Gedicht was Sie gemacht haben und schicken möchten ist ein Gelegentheitsgedicht für eine Zunft die einen Pokal einweihen wollte. Da Sie so leicht mit dem Besuch davon kommen, werden Sie gewis sich gern durch die Ubersendung erkenntlich beweisen. -

     Der Freund ist der Professor Wilhelm Scherer aus Straßburg, ein großer Kenner und Freund Ihrer Schriftstellerei; ich hätte mir gern das Verdienst erworben, Sie bekannt mit einander zu machen, und weiß, Sie hätten Beide es mir gedankt und sich gut miteinander befunden. Aber Scherer ist | jung, flott, frisch, kommt schon mal nach Zürich, da haben's dann die Herren unter sich noch bequemer. Sie dürfen auch was Sie zuweilen gerne thun über mich schimpfen, denn er ist einer meiner ältesten Hauskater und läßt nichts auf mich kommen was ungerecht wäre.

     Bayreuth!! Aus Ihren wenigen Worten sehe ich, dß es sehr schade ist wenn Leute wie Sie nicht hingehen. Ich fürchte, dß wenig Unbefangene und gar keine Leute mit kritischem Geschütz da sein werden. Die Wagner Clique ist groß, gut eingeseift, die am Platz erscheinende lithographirte Korrespondenz gut und von lange her thätig, | die 100 Thaler Entrée Preise verschließen Manchen die Pforte zu den Mysterien u. s. w. Mein Gatte schwärmt bedenklich, bedenklich, denn er wird für die Volkszeitung schreiben. Interessirt es Sie so schicke ich Ihnen das Feuilleton gerne. Ich sah eine Probe von Rheingold sah den "Meister" der über und unter dem Wasser, vor und hinter den Kulissen schwebte. Blieb kühl bis an's Herz hinan. - Aber reizend liegt das Festspielhaus. Auf luftiger Anhöhe. Daneben zwei von Holz und Leinen gefertigte sehr heitere Restaurants-Lokale. Da, und auf dem Fußsteig zu der Höhe hinan schwärmt das lustige | Künstlervölkchen einher. Trinkend singend, schwatzend raisonirend. - Eine Probe anzusehen war sehr nett, feierlich und ernst wie zu einem Feste oder einem zu erwartenden Kunstgenusse dazusitzen, das wäre mir rein unmöglich. Ganz gewiß würde ich auch, trotz Mann und Kindern die durch Dick und Dünn mit Wagner gehen, hinausgeworfen.

     Vorläufig nun Adieu, ich freue mich auf die Rundschau Arbeit und bleibe überzeugt, dß Sie ein guter Freund sind

                                                Ihrer
                                                L. Duncker

 


 

20. 9. 1876  Lina Duncker an Keller - Postkarte

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 117; unveröffentlicht>

                                                            Olten 20 / Sept 1876
 

Es hat auf dem Weißenstein immer geheißen dß Sie vielleicht noch nach Solothurn kämen und ich hatte also lange Zeit hierauf Aussicht Sie zu sehen, sonst hätte ich Ihnen längst gedankt für die freundliche Ubersendung des begehrten Gedichts. Die Anspielungen habe ich durch die Belehrung eines Herr v. Meyer wohlverstanden und Ihre Kunst und Poesie wie überall in ihren Werken bewundert. Das Fähnlein hat uns jüngst, durch Herr Bechtold hergeliehen besonders erfreut. Bei meinem Abschied aus der Schweiz auch Ihnen herzlich Lebewohl

                                                L. D k r

 


 

15. 11. 1881  Lina Duncker an Keller

<ZB: Ms. GK 79a Nr. 118; GB 2, S. 179 z. T:>

B. 15 November 1882.

Lieber Herr Keller!
 
Nehmen Sie gleich meinen erfreuten Dank für das mir zugewendete mir längst liebgewordene Sinngedicht. - Wenn ich | häufig durch Ihre Dichtungen versucht wurde Sie zu begrüßen, so verschafft mir doch das Sinngedicht erst das Recht dafür und giebt mir einen Funken von Vertrauen, dß Sie mich nicht ganz vergessen haben. Sie steigen in immer höhere Regionen des Ruhmes und der Ehren während ich mich immer tiefer in die Stille und den Schatten gestellt fühle, da | wärs ja ein Wunder wenn Ihre Erinnerung an eine gemeinsam genossene, reichere, eine sonnige und übermüthige Jugendzeit, eben so frisch empfunden würde, als sie stets von mir empfunden wird. Im Moment reiche ich Ihnen, fröhlich, herzlich berührt die Hand und denke nicht an den weltbekannten Dichter blos, sondern an den alten guten Bekannten der mich mit seinem | jüngsten Kind an der Hand aufgesucht.

     Jetzt haben wir's gut; Dr. Frey erzählt uns häufig von Ihnen und Ihrem Dioskuren Ferdinand Meyer, und wenn er sagt: "wenn die Beiden nicht wären, dann hätte ich keine Lust nach Zürich zurück zu gehen", da siehts man recht, welch eine Kraft und Sonne von Ihnen ausströmt, und bedauerts mit Manchen, dß Sie so fern, dß nicht mehr Menschen etwas von Ihnen haben. Ich lebe mit | meinen Kindern und wenigen Familien zurückgezogen, werde den treuherzigen strebsamen Franz noch recht vermissen wenn er Weihnachten heimkehrt zudem wir neulich erst, einen größten Verlust durch das Hinscheiden des alten Scherenberg hatten, den Sie ohne Zweifel damals schon bei uns sahen. Der Kreis wird sehr eng, und hätte ich nicht einen glücklichen Muth zum Leben, so würde mir grade dieser Winter einsam und dürftig erscheinen. Meine Mücke, des Hauses Zier und Sonnenschein will erst | mit den Lerchen nach Haus kommen, mein Sohn der öfter von Leipzig herüberkam ist zu beschäftigt bei Geibel um sich vor Weihnachten loszumachen, da hause ich denn mit einer pommerschen Dienstmagd allein, und suche Abends menschendurstig Lewalds, Spielhagens, Scherers Rodenbergs und sonst Leute auf, die Sie nicht kennen. Man muß es immer nehmen und traktiren wies kommt und sich wach und munter halten für | gute Stunden, zuhorchen was in der Welt passirt, lesen was Guts geschrieben wird und Niemand mit Klagen langweilen. So nehm ichs mir vor, falle aber leider oft aus der Rolle und will mich jetzt verabschieden, damit Sie nicht sagen, man sieht die Frau ist alt geworden, denn sie ist geschwätzig.

                                                In herzlicher Erinnerung
                                                L. Duncker.

 

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