Jakob Baechtold (1848-1897)

Editorial


 

Literarhistoriker an der Universität Zürich;
mit Keller befreundet; Kellers Biograph und Nachlaßbearbeiter

Anzahl registrierte Briefe: 57 an, 49 von Keller (103 ZB Zürich)


 

16. 6. 1872  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 154>

Schaffhausen, 16 Juni 72.

Lieber Herr Doctor!
 
Ich komme von einem längern Aufenthalt in Paris u London heim u will Ihnen nur geschwind danken für den herrlichen – in der Fremde so lang entbehrten – Genuß, den Sie auch mir mit Ihren „7 Legenden“ gemacht haben. Ich soll Ihnen gleicherweise im Namen einer schönen Frau in London, die Sie im Geiste küßt, brieflich die Hand drücken. Meiner Adresse schließt sich ferner an, Wilhelm Appell am Kensington Museum, an den Sie sich gewiß noch erinnern. Mein Freund Appell war vor etwa 20 Jahren in Zürich, (mit Schulz) kennt Sie u grüßt bestens. –

     Daß Sie den lieben Heiligen die Köpfe | so lustig gedreht haben, das werden Sie verantworten können, doch fürcht ich fast

          „ – wenn Ihr abgeschiedner Geist dereinst
          Sich frech genug, des Paradieses Pforte naht,
          Der rosigen, wo, Wache haltend, hellgelockt
          Ein Engel lehnet, hingesenkt ein träumend Ohr
          Den ew'gen Melodien, die im Innern sind:
          Aufschaut der Wächter, misset ruhig die Gestalt
          Von Kopf zu Fuß, die fragende, u schüttelt jetzt
          Mit sanftem Ernst, mitleidig fast, das schöne Haupt,
          Links deutend, ungern, mit der Hand, abwärts den Pfad.“

Doch damit mags noch gute Weile haben!

     Die „Revue des deux mondes“, die eine Uebersetzung des „Eugenius“ enthält, ist Ihnen wohl zu Gesicht gekommen. |

     Ich hoffe, Ihnen demnächst ebenfalls 2 hübsche Legenden, die ich nebst andern altdeutschen Sachen aus Handschriften des brittischen Museums veröffentlichen will, zusenden zu können.

     Vorläufig gehe ich morgen nach meiner Sommerresidenz Hard bei Ermatingen (Thurgau) ab, werde nächsten Winter einem Rufe Folge leisten, den ich als Professor der deutschen Sprache u Lit. an das Gymnasium Solothurn (†††) erhalten habe.

     Vorher aber müssen Sie mir einmal einige Zeilen (nach Hard) schreiben. Und nun seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem

                                  Dr. J. Baechtold.

  


 

8. 9. 1875  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 157; unveröffentlicht>

                                                            Solothurn 8 Sept 75.

Verehrter Herr u Freund,
 
Auf der Rückseite finden Sie eine liebenswürdige Reclame, die ich in Sachen der „Schweiz. Dichterhalle“ abgefaßt habe. Zugleich lege ich Schade bei, wo auf p. 142 der Manessische Codex behandelt ist. Sie können ja das Buch nach Luzern schleppen, allwo ich es persönlich bei Wapf wieder abfassen will.

                                                Mit dem allerschönsten Gruß
                                                Ihr
Sol.                                          Baechtold

 


 

6. 5. 1876  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 161; unveröffentlicht>

Verehrter Herr u Freund,
 
Ich übersende Ihnen hier das Heft Alemannia, in dem sich der hübsche Artikel über Mörike befindet, bin zugleich so eitel, die Nummer der N. Z Ztg beizufügen, in welcher ich über Paul Heyse’s „Paradies“ zu reden mich unterfieng.

            Daß Sie über eine Recension Ihrer Novelle im Schweizerischen Saukübel vulgo: Bibliographie herzlich gelacht haben, möchte ich beschwören; mich hat das Rindvieh C. W. schwer geärgert.

            Das Buch der Frau Josephine Zehnder habe ich bereits durchgangen u bin erstaunt über die erdrückende Fülle des werthvollen Materials; daß so etwas einem Weibsbild in die Hände fallen mußte! Die Briefe Bodmers ziehe ich soeben aus für die Allg. Ztg.; könnten Sie mir nicht Mörikofers „Klopstock in Zürich“ auf einige Tage verschaffen u mir zugleich darüber Aufschluß geben, woher die Bodmer’schen Briefe sind? Liegen sie auf der Stadtbibl? – Mit freundlichstem Gruß!
 
Solothurn 6 Mai 76.       Ihr Baechtold.

 


 

14. 6. 1876  Keller an Jakob Baechtold

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 1/4; GB 3.1, S. 274>

                                                            Zürich 14 Juni 1876

Verehrter Mann u Freund!
 
Endlich habe ich den Mörikofer erwischen können, der mich so lang am Antworten aufgehalten hat, weil er in den hiesigen Bibliotheken ausgegeben war u der jetzige Verleger aufgestöbert werden mußte.

     Dann lege ich ein Briefchen des Oberbibliothekar Dr Horner bei, welchen ich um Aufschluß wegen der auf der Stadtbibliothek Zürich befindlichen Materialien ersucht habe.

     Den köstlichen allermenschlichsten Brief, wo Bodmer in seiner Wuth auch noch mit dem Geldpump ausrückt u denselben ausbringt, hat Mörikofer nicht. Er hält die Sache als Schweizer offenbar auch für eine ungeheuer heikle u wichtige, die höchst vorsichtig behandelt sein müsse. Schreckliche Geschichte!

     Den Brief des Hrn. Georg v. Wyß schicke ich Ihnen auch zurück. Ich werde nicht ermangeln, der Sache nachzugehen; doch traue ich mir so gut wie keinen Einfluß zu auf die Hauptleute, in diesem Augenblick wenigstens, glaube vielmehr, daß ich nachher, in freier Stellung eher noch gehört werde. |

     Die Hauptsache scheint mir zu sein, daß vorerst Ettmüller hinscheiden muß u damit Zeit gewonnen wird, während welcher manche Situation sich ändern kann. In diesem Augenblicke freilich glaube ich steht es so, daß eben die Herren von demokratisch speichelleckenden u lauernden Gesellen, die durchaus dies u jenes haben u erlangen wollen, belagert sind. Es sind schon etzliche solche „schönen Kräfte“ zu einem Brocken gelangt, die sonst nie einen bekommen hätten u das mit Recht.

     Wie es nun mit Ettmüller steht, weiß ich im Augenblicke nicht, habe aber auch nicht gehört, daß er krank oder bei abnehmenden Kräften sei.

     Vor allem will ich auf die Spur zu kommen suchen, ob der Gewährsmann Wyßens Recht hat u vertrauenswürdig ist, natürlich sub rosa.

     Das Heft Allemania folgt hier mit bestem Dank zurück. Diese reichhaltige Zeitschrift fehlt auf dem hiesigen Museum.

     Die Besprechung des Heyse’schen Romans hatte ich doch gelesen, aber nicht gewußt, daß Sie der Verfasser seien. Ich bedanke mich | schönstens für glorreiche Erwähnung.

     Mit dem Salat bin ich leider noch im Rückstand geblieben, da ich wegen der jetzigen Geschäftsabwicklung nicht einmal gehörig lesen kann. S’ kommt aber schon noch!

     Reischach u ich sprechen immer davon, Sie einmal aufzusuchen. Nach Murten werde ich schwerlich gehen, wenn der Schwindel überhaupt abgespielt wird bei jetziger Zeit.

Ein ander Mal mehreres, vielleicht bald mündlich

                                                Bestens grüßend Ihr ergeb
                                                G. Keller

 


 

11. 7. 1876  Keller an Jakob Baechtold

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 1/5; GB 3.1, S. 275>

                                                            Zürich 11 Juli 1876

Verehrter Freund!
 
Empfangen Sie meinen tiefgefühlten Dank für Ihre poetische Begrüßung meiner letzten Wandlung resp. späten Menschwerdung. Leider ist der Dank diesmal trocken, weil ohne Begießung des Weines, und zugleich begleitet von der leisen Befürchtung, daß mein Hausherr den Miethzins steigern könnte, weil in seinem Hause eine so kommliche Dichterwohnung entdeckt worden sei. Wenn ein Verkaufsladen oder eine Wirtschaft gut geht durch das Verdienst des Bewerbers, so wird ja in der Regel auch | sofort mit der Miethe gestiegen, u so wird es wohl hier gehen, wenn das von mir neu eröffnete Geschäft eines bürgerlichen Dichters sich als ein lukratives herausstellen sollte. In diesem Fall wollen wir jedoch gern etwas mehr Zins bezahlen.

     Eine andere Fährlichkeit Ihrer Ode hat folgendes Inserat im hiesigen Tagblatt hervorgerufen, welches ich Ihnen nicht vorenthalten darf:

                        -711- An den Dichter der N. Z. Z.

                                    Feuilleton Nr. 331.

                        Mit Karli Kaisers Schwert und Krone hat, seit er da oben
                        am Großmünsterthurm sitzt, noch nie ein Morgensonnenstrahl
                        gespielt, sintemalen Karli beharrlich nach Südwesten sieht.
                        Fraglicher Morgensonnenstrahl wird’s wohl auch zur Feier des
                        1. Juli 1876 kaum gethan haben.

Die kleine Philistermalice gilt natürlich mir, dessen Unwürdigkeit so unzuträglich besungen worden ist. |

     Hier schicke ich Ihnen auch Ihre Publikationen bet. das Stammbuch des Winterkönigs u den alten Bodmer mit bestem Danke zurück.

     Sie müssen einmal auf eine Sammlung solcher Arbeiten denken, anzufangen mit dem Zatzikofen usf.

     Doch der Vormittag rückt vor u ich muß mich an meinen Hadlaub machen, der jetzt in der That sich entwickelt. Die Zürcher Kritiker oder Lokaldiletanten vom Schlage des obigen Inseratstellers werden sich aber wundern, wie ich die Dinge durch einander werfe, u rufen, es wäre besser, man ließe dergleichen unterwegen, wenn man es nicht besser verstehe!

     Reischach u ich planiren immer eine Sonntagsfahrt nach Solothurn. Der alte Seckelwetzer mag nur nicht mehr viel aushalten, was aber nur einen Grund zu edler Maßvollheit abgeben mag für Alle, die es angeht.

                                                Ihr grüßend ergebener
                                                G. Keller.

 


 

18. 10. 1876  Jakob Baechtold an Keller

 <ZB: Ms. GK 79 Nr. 165; GB 3.1, S. 277 z.T.>

Verehrter Herr u Freund,
 
Ich denke, Sie sind nun aus München zurück u fangen an, sich für den kommenden Winter fein einzuspinnen, u so will ich mich denn rasch einiger Grüße an Sie, die ich längst herumtrage, entledigen. Dieselben rühren her v. Wilhelm Scherer aus Straßburg u Frau Duncker aus Berlin; beide waren längere Zeit auf Weissenstein Ende August u September, also gerade als Sie von Zürich abwesend waren. In Scherer hätten Sie einen Prachtskerl kennen gelernt. Er widmet sich nun ganz der neuen Literatur u hat neulich in der „Rundschau“ Felix Dahn nicht übel abgeführt. Mir war der „Kampf um Rom“ ein entsetzlicher. – Wird Ihre „Zürcher Novelle“ bald erscheinen? bitte schicken Sie mir gleich einen Abdruck, wenn die That begangen ist. Ich traute meinen Augen nicht, als ich in der „Gegenwart“ eine Selbstbiographie Gottfried Kellers angezeigt sah.

     Ich hocke auf dem alten, wüsten Fleck, noch immer ohne Aussicht auf Erlösung. Ist in Zürich nichts los? Ich bin an einer Ausgabe von Niclaus Manuel u werde manches ungedruckte geben. Nächstens wird auch die Strätlinger-Chronik, eine oft fade aber wegen der hist. Frage, die ich daran knüpfe wichtige Legendensammlung, in Druck gelangen. | Und drittens bereite ich ein Unternehmen vor, eine Art Quellensammlung für meine Lit.gesch. der Schweiz, die die wichtigsten Produkte v. 13-18. Jahrh. umfassen wird. Als Mitarbeiter wurde eine respectable Anzahl schweiz. Gelehrter gewonnen. Der Prospect erscheint demnächst. Sie sehen also, daß ich nicht bloß den Leib pflege, sondern auch allezeit des Vaterlandes gedenke, freilich ohne Gottes Segen u wo der mangelt, da sollte man den Teufel darnach ausschicken!

                                                In treuer Verehrung
                                                stets Ihr
                                                Jacob Baechtold.
Solothurn 18 Oct. 76.



  

3. 11. 1876  Keller an Jakob Baechtold

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 1/6; GB 3.1, S. 278>


                                                            Zürich-Enge
                                                            3. XI. 76

Verehrter Freund u Herr!
 
Ich danke schönstens für Ihr freundliches Lebenszeichen u vor Allem für den Bericht über Ihre rüstige Thätigkeit, auf deren Früchte ich gebührend gespannt bin. Ich hoffe, bald auch meine Schuld po. Salati abtragen zu können, da ich in einigen Wochen zu Muße, zu einiger, gelange.

     Die Lage in Zürich betreffend habe ich vorgestern mit Prof. Vögeli jr. gesprochen, der Erziehungsrath ist. Ettmüller sei allerdings im Abgange, aber noch zäh lebend, sodaß seine Ersetzung nicht in naher Zukunft zu discutiren sein werde. Davon aber, daß man die Professur nicht mehr zu besetzen gedenke, sei keine Rede, so etwas könne jetzt noch gar nicht gesagt werden und die Disciplin sei viel zu wichtig, um überhaupt so was zu sagen. Eine freie Rundschau werde man sich gegebenen Falls immerhin vorbehalten müssen usw. Indessen soll Motz am Gymnasium (hörte ich früher von anderer Seite) brustkrank sein; ich führe dies an, nicht um Sie auf den zu frühen Untergang eines Andern zu vertrösten, sondern um darzuthun, wie immer etwas vorgeht und die Mutationen nie allzulange ausbleiben.

     Ich mache nicht eine, sondern 4 „Züricher Novellen“ für die deutsche Rundschau, welche ungefähr bis zum Februar fortlaufen werden. Der Eingang u die 1t. Novelle „Hadlaub“ haben im Novemberheft begonnen. Der Schluß des Hadlaub kommt im December | u ist schon corrigirt. Die Historiker u Philologen werden freilich über den spaßhaften Einfall die Nase rümpfen, was Wurst ist, weniger Wurst aber, daß ich fürchte, die Ausführung des Einfalls sei etwas langweilig ausgefallen. Leider kann ich Ihnen keinen Abzug schicken, da die Doppel der Revisionsbogen verunglückt resp. unvollständig geworden sind. Das Heft selbst habe ich noch nicht.

     Mit der Autobiographie in der Gegenwart verhält es sich so, daß ich mich halb dafür pressen ließ u seit 2 Jahren zögerte oder ganz ausbleiben wollte (Sie wissen, daß mindestens ein Dutzend ihr Sätzlein bereits gepfiffen haben). Neuerdings gedrängt, habe ich einige Betrachtungen rein literar. Charakters in Aussicht gestellt, was man dann zu der breitspurigen Ankündigung einer Autobiographie benutzt hat. Die Arbeit von Scherer über Feggel Dahn habe ich in der Rundschau nicht entdecken können, wird also noch kommen.

     Aus München bin ich seit 8 Tagen zurück u sah dort Heyse. Von Leuthold sah u hörte ich nichts. Indessen hat jetzt der literarische Fähnrich Pistol, vulgo Honegger, eine unwahre und marktschreierische Schilderung von ihm im „Schweizerhaus“ abgeschossen, die offenbar, wenigstens zum Theil, | von ihm selbst eingegeben ist. Dergleichen wird dem unbehaglichen Manne auch nicht auf die Strümpfe helfen, so lange er nicht ein Stück Arbeit vorweist. Er ist übrigens in dieser Beziehung ein ächt lyrisches Genie: Viel leben und nichts thun und darüber die Schwindsucht bekommen u dann das Vaterland, den kleinen Käs, anklagen! Mir kommt zuweilen vor, daß wir der Reihe nach alle Nüancen des literarischen Hurübels durchmachen werden; Sie sehen an diesem Ausdruck meine Belesenheit in germanistischen Zeitschriften!

                                                Ihr alter
                                                G. Keller.


 

24. 12. 1876  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 166; unveröffentlicht>

Verehrter Herr u Freund.
 
Nächsten Freitag d. 29 passire ich Zürich, um Neujahr in Schaffh. zu begehen. Wenn Sie nichts besseres versäumen, geben Sie mir gef. auf einer Karte Bescheid, wo und wann Sie zu treffen sind. Ich würde dann zum Abendsitz bleiben. Soll ich Sie gegen Abend in Ihrem Tusculum abholen?

   Ich kann Ihnen nicht sagen, wie freudig Sie mich u andere Leute überrascht haben mit Ihrer Zürcher Novelle. Und was für erkleckliche Studien Sie in unsern Minnesingern gemacht! Sie werden erleben, daß Ihr Hadloub in Fachzeitschriften verarbeitet wird. Die Straßburger Germanisten citiren bereits in wissenschaftl. Aufsätzen „die Leute v. S.“ Vide Ph. Strauch: Der Marner. p 160, wo das nicht Zither spielende Nashorn angeführt ist etc.

   Frohe Weihnachten!

                                  Immer Ihr
                                  J. Baechtold.
Solothurn
24 Dec 76.

  


 

25. 12. 1876  Keller an Jakob Baechtold

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 1/7; GB 3.1, S. 279>

                                            Zürich 25 XII. 76

Verehrtester!
 
Wenn es am nächsten Freitag schönes Wetter macht, so will ich Sie gern in meiner Wohnung erwarten. Ist aber Sauwetter, so will ich nach 6 Uhr in der Kronenhalle sein, da ich den Weg ja jedenfalls machen muß.

   Ich habe Ihnen leider kein Exemplar der Rundschau schicken können, weil das einzige, das ich erhalten, mir gleich ausgeführt wurde u noch auf Reisen ist. Sollte der Hadlaub poetisch nicht mißlungen sein, so wäre das freilich erwünscht wegen der Potenzfrage, die bei meinem salto mortale, den ich gemacht, nicht gleichgültig ist. Ich fürchtete, das Stücklein werde zu literarisch-pedantisch aussehen. Mit den Studien hat es seine Wege, dieselben beruhen mehr auf Schwindel; ich gewärtige eher, daß einige Schulherren davon Veranlaßung nehmen, eine Polemik gegen unberufene | poetische Verwerthung u lügenhafte Erfindungen zu eröffnen. Der „grüne Heinrich“ wird jetzt regelmäßig als Beispiel eines regelwidrigen Romans mit Nutzen verwendet (siehe Keitler, Theorie des Romans, wo er 20 Mal vorkommt), u so kann auch aus dem Hadlaub noch ein brauchbares negatives Lehrmittel gemacht werden. Vielleicht ließe sich eine förmliche schriftstellerische Existenz auf Lieferung solcher Sachen gründen! Schreiben Sie einmal hierüber in eine pädagogische Zeitschrift

     Ihre Anzeige des Widmann’schen Wohlgefallens hat mir sehr wohlgefallen. Das Bild von den mit einem Kornfeld verglichenen Strohhüten der Frauen in der Kirche hatte mich bei der Lektüre des Gedichts ebenfalls gleich gepackt; daneben aber auch der brennende Nachtfalter, der wie ein Häuptling seinen Todesgesang singt. Man sieht den kleinen Kerl mit den Pelzflügeln u dem bebuschten dicken Kopf leibhaftig.

                                  Also auf demnächstiges Wiedersehen
                                  Ihr
                                  G. Keller

 


 

28. 1. 1877  Keller an Jakob Baechtold – Abschrift

<ZB: Ms. GK 78d Nr. 1/8; GB 3.1, S. 282>

                                            Zürich-Enge 28. I 77

Verehrter Freund!
 
Ich will der Ordnung nach verfahren, indem ich meine Briefschulden an Sie abstatte.

    Wegen des Bildes vom Strettlinger konnte ich noch nicht überall nachsehen, da ich Vormittags keine Zeit zum Ausgehen hatte wegen meiner Zürcher Novellen, nächste Woche werde es aber abmachen.

     Für das Heft mit den Leuthold’schen Gedichten danke ich bestens; ich werde es mit dem „Bildungsfreunde“ zusammen schicken. Die L. Gedichte sind sehr schön, sehr talentvoll, aber sie erinnern mich doch an die Schönheit u Glätte der Porcellanmalerei. Stil ist das nicht. Die verlogene u schlechte Besprechung des Fähndrich Pistol (alias Honegger) ist eine widerwärtige Nachbarschaft für die Gedichte.

     Was nun die Biographie betrifft, mit der Sie mich beehren wollen, so bitte ich ernstlich, davon abzustehen. Ich war, wie Sie gesehen haben werden, schon in der „Gegenwart“ in der größten Verlegenheit, etwas über mich selbst zu sagen. Die Sache ist die: Ich bin trotz meines Alters noch nicht fertig, sondern ein Bruchstück, das in den nächsten Jahren vielleicht ergänzt wird, aber jetzt zu keinem richtigen Bilde dienen könnte. Es kommt das von den 15 Jahren Amtsleben u von vorheriger, ungeschickter Zeitverschleuderung. Die Situation ist die: Wenn Sie, wie Sie sich ausdrücken, für das Schweizervolk schreiben wollen, so können Sie ihm ja gar nichts zur Probe in die Hand geben oder fast nichts; ein Theil der Gedichte u der „grüne Heinrich“ sind gegenwärtig gar nicht zu haben, Gottlob! beide aber werden in ein par Jahren in besserer Gestalt wieder vorhanden sein. |

     Daß ich selbst eine Autobiographie in ausführlicherer Gestalt vorhabe, kommt hier nicht in Betracht, weil es mehr eine Geschichte meines Gemüthes u der mit ihm verbunden gewesenen Menschen u auch zum Theil etwas politische Geschichte sein wird, wenn ich überhaupt dazu komme.

     Also nochmals seien Sie angefleht, geben Sie die Idee wenigstens für jetzt auf.

     Des armen Emil Kuh Tod wurde mir gemeldet. Auch hat derselbe ein verlogenes Feuilleton in der „Freien Presse“ veranlaßt, worin steht, Kuh habe mich entdeckt. (wie Stiefel), ich habe ihn aufgesucht u dgl., was alles nicht wahr ist. Ich habe ihn nie gesehen.

     Der löbl. Fleiß, welchen Sie meiner Armseligkeit zuwenden wollten, hat mir übrigens eine andere nützl. Idee erweckt. Wenn ich spüre, daß es abwärts gehen will u an mein Testament denken muß, so werde ich Sie zu meinem Nachlaßherausgeber ernennen, da Sie so herausgabelustig sind. Dann können Sie nach Herzenslust in einem par tausend Briefen u Papierfetzen herumwühlen. Das kommt mir jetzt wirklich ganz à propos in den Sinn! Ich habe schon mehrmals so darüber spintisirt, wo ich auch mit meinem Geschriebenen hin soll, da, wenn ich sterbe u meine Schwester auch stirbt, circa ein Dutzend Bauernleute in meine Wohnung gestürzt kommen u zusammenpacken werden. Wie es dann zugehen mag, weiß der Himmel! Inzwischen sollen aber noch einige Liter her!ische Geschäfte abgewandelt werden.

                                  Ihr alter
                                  G Keller.


 

13. 2. 1877  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 169; unveröffentlicht>


Verehrter Herr u Freund,
 
Warum nicht gar ein neues Heft von Honeggers Machwerk der Bleistiftstriche wegen! Schicken Sie immer das verwüstete, ich fahre auch noch mit dem Röthel dazwischen.

    Mit dem Minnesingerbild des Herrn Ludwig Vogel ist nun wieder nichts. Er könne das Bild in der ungeheizten Kammer nicht finden u habe sein Gedächtniß verloren. Das muß ein eisgraues Männlein wie der Herr Adam Litumlei sein. Ich wende mich nun direct nach Paris.

   Ihr „Narr auf Manegg“ hat uns köstlich belustigt. Man hätte dem Kerl noch einige verrückte mittelhochdeutsche Verse in den Mund legen sollen. Die Heimkehr aus der Schlacht gehört zum Schönsten, was Sie uns erzählt haben.

     Haben Sie Uhlands dramatische Entwürfe, mit denen uns Adelbert v Keller überrascht, schon gesehen u vollends den neuen Maler Nolten?

                                  Ihr getreuer
                                  J. Baechtold,
                                  Gemeinderath der Stadt Solothurn
13 Febr 77.


 

17. 4. 1877  Jakob Baechtold an Keller

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 170; unveröffentlicht>

Lieber Herr u Freund.
 
„Das Opfer liegt, die Raben steigen nieder!“ Wie ich sehe, ist der alte Barde Chlodeweck Ettmüller nun nach Walhalla gegangen, wohin ihn Wuotan zu seiner Gnade eingeheimet, u wo er die Milch der Ziege Heidrun trinken mag. Wenn Sie nun etwas für mich thun können, so thun Sie’s ja, denn ein günstigerer Moment wird nicht wiederkehren. Wenn es Ihnen gelänge, mich aus dem Land Aegypten zu führen!

            Ihr Landvogt hat uns hier unendlich ergötzt. Ich selber stecke über Kopf u Hals in Correcturen zu meiner Stretl. Chronik, die nun erscheinen wird.

            Geben Sie mir bald ein tröstliches Wort.

                                                In Eile
                                                Ihr
                                                J. Baechtold.
Solothurn

17 April 77.

 


7. 7. 1877  Jakob Baechtold an Keller – Postkarte

<ZB: Ms. GK 79 Nr. 175; unveröffentlicht>


Das Paquet ist leider erst heute an Sie abgefertigt worden. Es enthält Zimmernsche Chron. u Bartsch Liederdichter, das letztere mir eigenthümlich. Wegen L. erwarte ich Weiteres. Wann kommen Sie nach Solothurn? Bringen Sie mir dann doch den Salomon Landolt v Hess mit!

                                                Ihr
                                                JB.
            7 Juli

 

Editorial       Keller Seite       HKKA