Berthold Auerbach (1812-1882) |
Herausgeber der Schwarzwälder Dorfgeschichten und von Berthold Auerbach's Deutschem Volkskalender,
in dem auch Keller Fähnlein der sieben Aufrechten erstmals gedruckt wurde.
Befreundet mit Keller seit dessen Berliner Zeit.
Anzahl registrierte Briefe: 44 von, 12 an Auerbach (44 ZB Zürich)
Lieber verehrter Herr, Freund und Auerbach!
Die Dankbarkeit ist eine so schwierige Hanthierung, daß ich bis heute daran herummorxe, diesen Brief zu Stande zu bringen! Sie haben des Guten mehr als zu viel an mir gethan, nachdem Sie mich so freundlich in Dresden aufgenommen mir Ihr schönes Buch zugesandt und ehe ich nur für dasselbe gedankt habe, mein eigenes Machwerk auf eine Weise angezeigt, wie ich nie erwarten noch verlangen durfte. Für diese letztere Gunst danke ich Ihnen wohl am besten, wenn ich Ihnen offen gestehe, welch' eine Wirkung sie gemacht und welch' angenehmen Vorschub sie mir in meiner gesellschaftlichen nächsten Umgebung geleistet hat! An allen Ecken wurde mir förmlich gratulirt, Leute, die mir ferner stehen, zogen vor mir den Hut ab, überall wurde ich angehalten und beschnarcht, als ob ich das | große Loos gewonnen oder mich kürzlich verlobt hätte, so daß ich bald gerufen hätte: Hole der Teufel den Auerbach! Ich habe scheint's gar nichts getaugt, eh' dieser Eichmeister mich in der Allgemeinen geeicht hat! Den schnöden Schluß von Romeo und Julie würde ich sicherlich jetzt streichen und werde es thun, wenn das Büchlein irgend wieder einmal abgedruckt wird. Dagegen muß ich den Titel der gleichen Erzählung etwas in Schutz nehmen. Erstens ist ja das, was wir selbst schreiben, auch auf Papier gedruckt und gehört von dieser Seite zur papiernen Welt, und zweitens ist ja Shakespeare, obgleich gedruckt, doch nur das Leben selbst und keine unlebendige Reminiszenz. Hätte ich keine Bemerkung über die wirkliche Vorkommenheit der Anektodte und über die Aehnlichkeit mit dem Shakespearischen Stoffe gemacht, so hätte man mich einer gesuchten und dämlichen Wiederholung beschuldigt, während, jene kurze Notiz voraus gesagt, die Geschichte dadurch eine berechtigte Pointe erhielt; denn diejenigen, welche an Romeo und Julie nicht einmal gedacht hätten, und solcher sind | viele, da man heut zu Tage ziemlich gedankenlos liest, würden alsdann die Sache für viel zu kraß und abentheuerlich erklärt haben. Nachdem ich nun den Esel vorangeschickt und von mir selber gesprochen habe, sollte ich und möchte ich viel von Ihrem köstlichen Schatzkästlein reden; aber ich fürchte, mir selbst für meine anzufertigende Besprechung des Buches das Bouquet zu nehmen, wenn ich vorher darüber schreibe, da man gewisse Vergnügen nur einmal genießen soll und sie dann um so besser genießt. Ich bin durch meinen ersten Aufenthalt in Zürich und dann durch die "verakkordirte" Arbeit so abgezogen worden, daß ich bis anhin noch <nicht> dran gehen konnte, zumal ich mich etwas zusammennehmen muß dazu. Doch kann ich nicht umhin, wenigstens jetzt zu sagen, wie sehr mich der tüchtige Stoff des Buches einerseits und andrerseits die alte liebevolle und feste Virtuosität des Seelenkundigen gefreut hat, mit der dieser Stoff ausgeführt ist. Und der alten Jugendkraft, in welcher | die hochpoetischen Stellen der Erzählungen aufblitzen, steht auch die alte ehren- und vertrauensfeste freisinnige Sprache zur Seite, mit welcher das Ganze dem deutschen Volke geboten wird, als ob keine Jahre der Enttäuschung und des Elendes zwischen dazumal und jetzt lägen und als ob nicht jeder Gelbschnabel glaubte, jetzo in einem näselnden und pessimistischen oder gar blasirt mitleidigen Ton von und zum Volke sprechen zu müssen. Aber Sie gehören zu denen, die wohl wissen, daß man heut zu Tage nur noch vom Volke sagen kann, was sonst von den französischen Königen und was Anast. Grün so hübsch übersetzt hat: Die Rose ist todt, es lebe die Rose!
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin und den Herren des gemüthlichen Kafekränzchens, und grüßen Sie mir den ärmsten Hettner, der seine Frau verloren! Das Papier geht zu Ende und ich will mich Ihnen selbst mit der Drohung empfehlen, daß ich bald des Weitern etwas mit Ihnen zu plaudern mir erlauben werde.
Bestens grüßend
Ihr ergebenster G. Keller
Zürich d. 3t. Juni
1856.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 73; GB 3.2, S. 187 z. T.>
Berlin 22. Febr. 60.
Sie erinnern sich gewiß noch, lieber Keller, wie wir mit einander ausmachten, daß Sie mir bei einem Kalender einen Beitrag geben sollen u. wollen. Ich habe Ihnen damals auseinandergesetzt, wie die Zahl derer, die ich zur Mitarbeiterschaft namentlich zur poetischen auffordern kann, nur sehr klein ist u. in dieser an den Fingern abzuzählenden sind Sie.
Mein Wunsch geht also dahin, daß Sie mir etwas kurzes Abgerundetes beisteuern. Eine Erzählung von circa zwei Bogen wenn Sie eine solche in der Mache haben, | eine heitere, natürlich, wäre vorzuziehen u. eine schweizerisch localisirte um so besser.
Ich kenne aber die poetischen Unterlagen u. die Ihres Naturells genugsam, um Ihnen nichts weiter sachlich hierüber zu sagen.
Der Beitrag müßte gegen Ende in meiner Hand sein u. haben Sie nur nöthig, mir jetzt die Zusage zu geben.
Haben Sie nicht zu einer Erzählung Lust u. Trieb, so wäre mir eine Schilderung der Schweizer Knaben-Manöver oder auch - eben fällt mir das ein - eine Schilderung unter dem Titel "Des Schweizers | Heimkehr" worin Sie etwa Ihre Situation bei der Heimkehr aus Deutschland, Ihre Wahrnehmungen pp schilderten, in beliebiger Form zur Belehrung für uns u. für die Schweizer.
Jedenfalls bitte ich Sie mir sofort zu antworten, ob u. was u. Alles was Sie wollen.
Zur äußern Vollständigkeit sage ich Ihnen noch, daß das Honorar 50 Thlr pr. Bogen ist.
Wenn Sie zu Moleschott kommen, grüßen Sie ihn u. seine Frau herzlich von mir. Ebenso Vischer.
In treuer Gesinnung Ihr
Berthold Auerbach.
Adresse:
Berlin, Kronenstrasse 26
(ich bleibe bis Ende März hier<)> |
Antworten Sie mir ja umgehend.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/2; GB 3.2, S. 188>
Zürich d. 25 Febr. 1860.
Verehrtester Herr und Freund!
Auf Ihre freundliche Einladung beeile ich mich, Ihnen meine etwas zaghafte Zusage abzusenden, zaghaft, weil es
eine heikle Sache ist, neben Ihnen auf dem gleichen Kalenderbrettchen angenagelt zu sein. Hoffentlich werden Sie
noch einen oder einige von den minderen Leuten zuziehen.
Ich werde mich dabei an eine Geschichte halten müssen; weil die nöthige heilsame Ironie oder Heiterkeit sich am unbefangensten vermitteln läßt. Denn in dem Genre Ihrer übrigen Vorschläge haben in letzten Jahren einige deutsche Literaten mit ihren Aussendungen den "Markt verdorben" um mich schofel auszudrücken. Namentlich ein Wiener Flüchtling Dr. Eckart in Bern, betreibt eine so hyperpatriotische und überschweizerische philiströse Ruhmrednerei und Duselei, daß unsereins sich ob solchem wahrhaft helotischen Gebaren schämen muß. Schreibt man einen solchen Aufsatz in günstigem Sinne in's Ausland, so erscheint es, als ob man sich zum politischen Muster für alle Welt aufstellen wolle, und eine Arbeit, welche die Schattenseiten bemerklich macht, kann man auch nicht in ein so weit verbreitetes und auffallendes Institut plaçiren, wie Ihr Kalender ist, weil man dadurch als Denunziant vor dem Ausland erscheint. So müssen wir in dieser Beziehung inne halten, besonders da jener Eckart bereits eine Schaar | schweizerischer Dilettanten verführt und verdorben hat. Die Freude am Lande mit einer heilsamen Kritik zu verbinden, habe ich in den Leuten v. Seldwyla angefangen und setze es so eben in zwei weiteren Bänden fort, was eine ganz lustige Arbeit ist, und ich denke nach und nach damit klar und deutlich zu werden.
Ich habe nun den Anfang einer Geschichte unter meinen Papieren, deren Gegenstand ein kleiner Züricherischer Patriotenklubb ist, alles Handwerker, welche eine ganze Entwickelung mit vielen Parteikämpfen mit durchgemacht haben. Es sind alles Originale, die ich selbst kannte; von den Parteiführern vielfach benutzt, aber nie mißbraucht, haben sie einen gewissen Kern bei allen Affairen gebildet, ohne je etwas für sich zu wollen. In der alten Aristokraten u Jesuitenzeit alt geworden und von einem derben gemüthlichen Haß erfüllt, verstehen sie nun mit ihren alten Köpfen die Zeit der versöhnten Gegensätze nicht mehr recht und halten um so fester zusammen als die "Alten und Erprobten"
Das Novellistische wäre dies: Ein Reicher darunter hat ein artiges Töchterchen,
ein Armer einen Sohn, die sich haben möchten. Hier hört nun die Gemüthlichkeit auf. Der Reiche will
die Tochter nicht geben, der Arme aus republikanischem Stolz seinen Sohn nicht aufdringen, und so werden die beiden
Alten einig, gute Freunde und Bürger zu bleiben und die Kinder zu tyrannisiren, wie sie denn in ihrem Hause
sammt u sonders die unbeschränktesten Herrscher zu sein wähnen. Die Weiber u Kinder besiegen aber schließlich
die Alten u Erprobten. In einer übermüthigen Stunde beschließt der Klub, sich die Zierde u Ehre
einer eigenen Fahne beizulegen und damit zum erstenmal ein Schützenfest zu besuchen. Zur Fahne gehört
aber ein Sprecher. Keiner von ihnen hat trotz aller politischen Thätigkeit je öffentlich gesprochen,
keiner gedachte es je zu thun, und zwar aus Anspruchlosigkeit und wahrer Bescheidenheit, weil sie wissen, daß
sie nicht sprechen können. Der Reiche wird nach langem Sträuben | zwangsweise erkoren. Dann äußerste
Verlegenheit, Gefahr allgemeiner Verhöhnung etc.
bis der heiratslustige Sohn des Armen die Noth bricht mit einer glänzenden Rede, welche dem Club der Alten
(etwa 7 Mann) Aufsehen und Ruhm einträgt.
-
Dies ist das hölzerne Gerüstchen. Wenn es Ihnen recht ist, so will ich es mir angelegen
sein lassen, innert der gegebenen Frist das Ding auf den Umfang von 2 Bogen säuberlich zusammenzuschweißen
und das Didaktische im Poetischen aufzulösen, wie Zucker oder Salz im Wasser, wie Vischer trefflich in einem
seiner neueren Aufsätze sagt. Letzterem werde ich dieser Tage Ihren Gruß ausrichten. Moleschott sehe
ich selten. Für Ihren freundl. Brief bestens dankend bleibe ich
Ihr
alter Gottfried Keller
Eine Briefmarke ist mir augenblicklich nicht zur Hand und ich kann nicht auf die Post laufen. Ich erwarte dafür Ihren nächsten Brief unfrankirt, damit wir die Weltordnung wenigstens im Kleinen noch retten. Sie haben übrigens einen Silbermorgen zu viel frankirt, zu meiner Zeit kostete ein Brief nach der Schweiz nur 4.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 75; GB 3.2, S. 190 z. T.>
Es ist mir eine große Freude, daß Sie, lieber Keller, mir u. durch meine Vermittlung der Welt wieder
etwas geben, u. nach Ihren Andeutungen scheint mir Ihr Thema an Anmuth u. Erweckung gleich ergiebig. Es wird gewiß
gut sein, Deutschland u. die Schweiz vice
versa einander zu ständiger Theilnahme u. Einsicht zu bringen. Giebt Ihre Erzählung
etwas mehr als zwei Bogen, so hat das nichts auf sich, nur bitte ich Sie wiederholt, mir Ende das Manuskript zu
schicken u. mir zu sagen, ob Sie Correctur haben wollen oder ob ich sie machen darf. Ich bin darin sorgfältig.
| Ich habe eine besondere Lust daran u. es ist mir auch oft für Andere geglückt, Büchertitel zu
machen. Ich habe für Ihre Erzählung einen in petto, werde Ihnen aber solchen erst nach der Lectüre unmaßgeblicher
Weise vorschlagen.
Freund Vischer können Sie sagen, daß ich hier in den verschiedensten Kreisen seiner gedacht. Ich werde ihm später Mittheilung darüber machen.
Daß Sie mit Moleschott wenig zusammen kommen, thut mir für euch beide leid. M. scheint sich auch nach Anderem was ich höre, zu isoliren. |
Von Ende d. M. an ist meine Adresse: Schandau bei Dresden.
Ich habe unvorsichtiger Weise zu diesem Briefe bereits ein Markenkouvert genommen.
Herzlich grüßend Ihr
Berthold Auerbach.
Berlin Kronenstrasse 26
17. März 60.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 76; GB 3.2, S. 191 z. T.>
Lieber Keller!
Ich thue Ihnen u. mir hiemit einen Gefallen. Ich weiß, Sie gehen jetzt brummig herum u. denken: <">
da habe ich mich verrechnet, (alle Schwangeren u. alle Poeten verrechnen sich in der Zeit) meine Erzählung
sollte zum 15. Mai in A's Händen sein, so hab ichs versprochen, u. heute ist sie noch nicht
fort, ja noch nicht fertig."
Nur ruhig! sage ich Ihnen darauf. Athmen Sie frischauf! Es ist noch Zeit bis 15. Juni, dann natürlich aber keine Stunde mehr u. nicht wahr, Sie lassen mich | nicht sitzen?
Schreiben Sie mir vielmehr mit umgehender Post hieher genau den Titel Ihrer Erzählung, da dieselbe bereits im Allgemeinen angekündigt, nun in das Circulair soll.
Sie sind hoffentlich frischauf. Ich hoffe in wenigen Tagen Näheres von Ihnen zu vernehmen.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
Berthold Auerbach.
Schandau bei <
FACE="Arial">Dresden
19. Mai
1860.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/3; GB 3.2, S. 191>
Lieber Auerbach!
Die Sache steht nicht so schlimm; denn ich habe das Ende unter den Händen und schreibe diese Zeilen mit der
gleichen Feder voll Tinte, womit ich eben an der Erzählung knorze. In Ihren beiden Briefen haben Sie übrigens
von Ende Mai gesprochen und auf dieses habe ich versprochen und nicht auf den 15t..Ich bin sogar in der günstigen Lage (Unfälle vorbehalten)
Ihre freundlich gewährte Frist bis zum 15t.
Juni verschmähen zu können,
da ich bis da schon wieder anderes denke gemacht zu haben; denn ich bin jetzt endlich wieder in den Zug gekommen,
fast wie zu meiner Jugendzeit, da ich das Schreiben als Allotria trieb. Morgen wird das Ding schon fertig werden;
dann freilich muß ich es noch abschreiben, weil ich Lump noch keinen Schreiber vermag und es auch keinem
geben könnte.
Aber ein anderes Uebel ist eingetreten. Die Erzählung wird eher gegen 3 Bogen stark werden im Druck, als nur 2 oder 2½. Ich habe schon mehreres | gestrichen, kann mich aber zu noch mehr nicht selbst entschließen und muß es Ihnen überlassen, falls das Wesen nicht Platz haben sollte, wie es ist, mir dahin bezügliche Vorschläge zu machen (ich behalte also die Urschrift hier). Was den Titel betrifft, so hatte ich darauf gerechnet, daß Sie mir ihn machten. Da Sie ihn nun brauchen, eh' Sie das Manuskript gelesen, so muß ich selbst daran. Das mechanische Motiv ist, wie schon gemeldet, eine Fahne mit der Inschrift: Freundschaft in der Freiheit! (Seien Sie übrigens ruhig, es wird nicht polizeiwidrig) Nun dächte ich, man überschriebe:
Die Fahne der Freundschaft! oder:
Die Fahne der sieben Freunde.
Oder: Das Freundschaftsfähnchen oder:
Das Freundschaftsfähnlein.
und überlasse Ihnen, hievon zu wählen oder in ähnlichem Anklang etwas hinzusetzen.
Vischer habe ich Ihre Grüße erst vor 2 Wochen ausrichten können, da er eine längere Reise in Oestreich und Oberitalien gemacht. Natürlich würde er alles Beste mir auftragen, wenn er augenblicklich zur Hand wäre. |
Das Abschreiben der Erzählung darf Ihnen nicht bange machen, da ich dergleichen Hundearbeit mit wahrer Heftigkeit von früh Morgens bis Abends zu treiben pflege und mir dabei einbilde, ich arbeite fleißig. Das sind so die psychologischen Räthsel unserer Eingerichte.
Noch fällt mir die Version ein:
Das Fähnlein der
sieben Freunde.
Mit vielen Grüßen
Ihr Gottfried Keller.
Zürich d. 22 Mai 1860.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/4; GB 3.2, S. 193>
Verehrtester Arbeitgeber!
Es will mit dem Abschreiben doch nicht mehr vergnügt von Statten gehen und so habe ich die mir vergönnte
Galgenfrist dennoch angestochen, wie ich schon manches Benefiz anstach und noch anstechen werde.
Hiemit erfolgt also das Opuskulum, das freilich mehr eine Sittenschilderung, als eine straffe Erzählung geworden ist; denn zu letzterer war das Ding nicht angethan. Doch ist, was darin an Reden enthalten ist, alles auf Erfahrung gegründet und ich habe bestimmte Absichten dabei gehabt, wie bei den Verhandlungen über die Ehrengabe, und den Unterweisungen der alten Käuze über die Rednerei.
Uebrigens habe ich in diesem Augenblicke gar kein Urtheil über das Stück und weiß nicht, ob es gut oder nicht gut zu nennen ist, und ich bin auf einige Worte von Ihnen darüber begierig. Das Ganze kam mir zu schnell in die Quere.
Wenn Ihnen die Correktur wirklich nicht zuviel Mühe macht, so ist es natürlich kürzer und zweckmäßiger, wenn Sie dieselbe gütigst besorgen wollen. Wobei ich Sie bitten müßte, die häufigen Ungleichheiten in der | Rechtschreibung, wie große oder kleine Anfangsbuchstaben u. s. f. deren Beseitigung mir im Manuskript immer ein bitteres Kraut ist, mit dem Rothstift zu berücksichtigen, im Falle Sie dadurch genirt sind. Mir selbst ist das durchaus gleichgültig. Ich verfahre immer nach augenblicklicher Eingebung, je nach dem Gewicht, das ich auf das Wort lege, und werde es so lange so halten, bis man zu einer allgemein gültigen, klassisch abbrevirten Schreibart schreitet, etwa im Grimm'schen Sinne.
Ich sehe sehr oft während des Schreibens, daß ich ein Wort nicht schreibe, wie eine Seite vorher; aber ich kann es nicht über mich bringen, die verfluchten Buchstaben einzuflicken Doch genug hievon. Möge das Werklein seiner ihm bestimmten Stelle nicht zu unwerth befunden werden und hiemit empfehle ich mich zu Gnaden
freundschaftlich grüßend
Ihr ergebenster
Gotfr. Keller.
Zürich d. 7t. Juni 1860
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 77; GB 3.2, S. 194 z. T.>
Ich bade jetzt täglich in der Elbe, ich gehe manchmal ungern ins Wasser, aber wenn ich heraus komme, bin ich
erfrischt u. möchte jodeln wie vor dreißig u. mehr Jahren. Heute habe ich nicht gebadet, ich war zu
träge dazu, ich habe Ihre Erzählung angefangen u. auf Einen Zug ausgetrunken u. mir ist so wohl u. frei
zu Muthe als hätte ich in einem Schweizersee gebadet.
Das ist gesunde frohe Strömung.
Ich freue mich, daß ich Sie zur Ausarbeitung drängte u. Sie können sich glücklich preisen, daß Ihnen so vollsaftiges Leben nahe steht u. Sie es verstehen, gute Stämme drin auszuhauen. | Wir hier draußen, in unseren residenzgespickten verschlissenen Ländern, müssen leimen u. furniren, daß es ein Jammer ist. Gut, daß es noch ein Stück Welt giebt, wo das Leben sich aus sich ausbaut. In meiner Heimath ist noch ein Rest davon, aber nur ein Rest.
Ich werde leider von Ihrer früheren Erlaubniß Gebrauch machen müssen, Einiges in Ihrer Erzählung (der Titel ist: das Fähnlein der sieben Aufrechten) zu kürzen. Es wird mir schwer, denn mir ist jedes Wort recht u. nöthig, aber es muß sein. | Ich schicke Ihnen aber das Manuskript wieder, damit Sie bei späterm Abdruck (zwei Jahre nach Erscheinung des Kalenders oder auch ein Jahr) Alles noch haben.
Die Erinnerung an die Kinderliebe muß ich streichen, so schön sie auch ist. Das geht nicht für einen Kalender, der unverborgen vor den Kindern da liegen muß. Ich habe in meinen Kal. Geschichten sogar den Accent des Erotischen vermieden aus diesem Grunde. Bei Ihrer Geschichte bleibt's natürlich wie es ist.
Warum ich erst heute Ihre Erzählung las? Ich war im Finale einer Erzählung u. da kann ich gar | nichts Fremdes lesen, ich lese da kaum Zeitungen.
Gestern bin ich fertig geworden u. heute machte ich mir die Freude u. schicke sie gleich zu Ihnen um Ihnen zu sagen, wie erquickt mich Ihre Arbeit hat. Wenn die andere Welt nur halb so erfreut ist wie ich, ist sie's noch sehr.
Herzlich grüßend Ihr
Berthold Auerbach.
Schandau 21. Juni 1860.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/5; GB 3.2, S. 193>
Der Eingang Ihres Briefes hat mir einen höllischen Schrecken eingejagt, denn ich glaubte, die Parabel von
dem kalten Bad solle mich vorbereiten auf eine Unbrauchbarkeitserklärung oder daß wenigstens vieles
umgearbeitet werden müsse. Um so besser mundete mir dann Ihr freundliches Lob, welches ich cum grano salis eingenommen habe. Wir haben in der Schweiz allerdings manche
gute Anlagen, und was den öffentlichen Charakter betrifft, offenbar jetzt ein ehrliches Bestreben, es zu einer
anständigen und erfreulichen Lebensform zu bringen, und das Volk zeigt sich plastisch und froh gesinnt u gestimmt;
aber noch ist lange nicht alles Gold was glänzt; dagegen halte ich es für Pflicht eines Poeten, nicht
nur das Vergangene zu verklären, sondern das Gegenwärtige, die Keime der Zukunft soweit zu verstärken
und zu verschönern, daß die Leute noch glauben können, ja, so seien sie und so gehe es zu! Thut
man dies mit einiger wohlwollenden Ironie, die dem Zeuge das falsche Pathos nimmt, so glaube ich, daß das
Volk das, was es sich gutmüthig einbildet zu sein und der innerlichen Anlage nach auch schon ist, zuletzt
in der That und auch äußerlich wird. Kurz, man muß, wie man schwangeren Frauen etwa schöne
Bildwerke vorhält, dem allezeit trächtigen Nationalgrundstock stets etwas besseres zeigen, als er schon
ist; dafür kann man ihn auch um so kecker tadeln, wo er es verdient. |
Doch warum ich schreibe, ist, daß ich Sie bitten wollte, bei der Correktur einen Namen abzuändern. Schaufelberger, der Schreiner, ist nämlich der einzige von den Kerls, den ich, weil mir der Name gefiel, kenntlich genannt habe; da es zudem ein schnurriger Kerl ist, der nichts übel nimmt. Nun ist mir aber seither eingefallen, und verschiedene Anzeichen führten mich darauf, daß man aus diesem auf die andern schließen dürfte und das Publikum d. guten Stadt Zürich die Meinung bekommen könnte, ich sei ein Aufpasser und Pasquillant. Die liebenswürdigen und ehrenhaften Charaktere schlecken sie ganz friedlich hinein und finden alles ganz in der Ordnung, wenn sie auch nicht so gut sind; das weniger Liebliche aber wird mit Feindseligkeit und peinlicher Nachforschung gedeutet und erweckt Mißtrauen und Aengstlichkeit. Schon Gotthelf war deswegen als Spion bei seinen Bauern nichts weniger als beliebt; die künstlerische Unbefangenheit, welche die Hauptsache doch stets aus sich selbst schöpft, wird gestört u verbittert durch einen einzigen Anklang, der auf bestimmte Personen zu deuten scheint etc etc. Kurz ich bitte Sie also, statt Heinrich Schaufelberger, der Schreiner, überall das Wort "Bürgi" zu setzen, d. h. an die Stelle v. Schaufelberger; Heinrich u Schreiner bleiben wie sie sind. Also Bürgi!
Allerdings ermuthigt mich diese Eigenschaft des Volkes, sich in den poetischen Bildern erkennen zu wollen, ohne sich geschmeichelt zu finden, zu obiger Hoffnung, daß es durch das Bild auch angeregt zur theilweisen Verwirklichung werde. So sind meine sieben Alten dagewesen | und der Ein' u Andere davon wird sagen, wenn er den Kalender zu Gesicht bekommt: bei Gott, so ist's gewesen! verfluchter Kerl! Allein sie haben bei weitem nicht so gesprochen, wie ich sie sprechen lasse. Dennoch lag der Keim dazu in ihnen und sie würden es wenigstens verstehen und dafür empfänglich sein.
Daß Sie die Kindergeschichten streichen müssen, begreife ich jetzt vollkommen, obgleich ich an die Unzulässigkeit erotischer Episoden dachte; aber wunderlicher Weise glaubte ich gerade dadurch, daß ich sie in die Kinderschuhe steckte, die Sache unschuldig zu machen (d. h. nicht auf Weise gewisser französischer Kindergeschichten).
Wir verlieren damit etwas novellistische Petersilie, welche zur Ausschmückung des didaktischen Knochens nöthig ist; doch ist's nun einmal so. Sie werden sich freilich die Mühe nehmen müssen, die entstehenden Löcher nothdürftig zu verlöthen, wofür ich zum Voraus meinen Dank abstatte.
Ich habe vor, wenn der Herr will, wie die Mucker sagen, nach u nach eine Reihe Zürchernovellen zu schreiben, welche im Gegensatz zu den Leuten von Seldwyla, mehr positives Leben enthalten sollen. Zu diesen soll dann auch die Fähnleingeschichte kommen und ich werde den Schluß davon alsdann noch dahin ausführen, daß der alte Zimmermann von Karl verlangt, er solle wieder zum Handwerk zurückkehren, | wenn er die Tochter wolle; denn seine Talente u seine Bildung hätten nur den rechten Werth, wenn er seinen angebornen Stand damit ziere.
Die Rückkehr zum soliden Handwerk (d. h. zum kunstgerechten tüchtigen) wird nämlich jetzt von einsichtigen Gewerbsmännern wieder mehr betont, da zuletzt niemand mehr ordentlich arbeiten lernt und alle persönliche Selbstherrlichkeit zum Teufel geht.
Ich bin sehr gespannt auf Ihre neue Erzählung und ebenso neugierig als gespannt.
Im Falle der abgeänderte Schluß Ihnen jetzt schon etwa thunlich erschiene, so thun Sie mir es zu wissen; es würde eine räumliche "Bewegung" von höchstens einer halben Seite sein.
Wünsche bestens u fröhlich zu baden. Mit Johanni ist am Zürchersee schönes Sommerwetter eingerückt; ich brachte gestern den Sonntag auf einem Landhause zu wo viel von Ihnen gesprochen wurde.
Grüßend Ihr ergeb.
Gotfried Keller
Zürich d. 25 Juni 1860
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 78; GB 3.2, S. 198 z. T.>
Also aus Schaufelberger - der Name gefiel mir auch sehr u. man sieht den ganzen Kerl, es ist was Gutes um treffende
Namen - wird jetzt Bürgi.
Der neue Schluß, den Sie beabsichtigen, gefällt mir sehr. Ich kann Ihnen betheuern, daß ich ihn beim Lesen selber wünschte u. hoffte. Sie werden schon am Bierbrauer von Kulmbach gesehen haben, daß ich dahin steure, u. ich selber getraute mir, den Schluß zu machen, mit kurzem Hinweis, daß der Zimmermann u. Holzhändler jetzt mehr in der Schreibstube als auf dem Zimmerplatz zu thun hat, was an sich fast bös ist, für Karl aber gut. | Senden Sie also rasch u. kurz diese geänderte Schlußwendung, denn nichts ist schlimmer als vor den Augen des Publikums poetisch zu experimentiren.
Daß Sie eine Reihe Züricher Novellen schreiben wollen, freut mich sehr. Auch bin ich sehr - sehr oft sehr - mit dem Grundsatze einverstanden, daß wir die Dinge des Lebens zu einer logischen u. psychologischen Consequenz führen, die sie in der baren Wirklichkeit nicht haben. Das ist unser Idealismus u. wie ich glaube der rechte.
Die Erzählung, die ich vollendete, | ist schwerblütiger Natur u. doch der erste Entwurf dazu in der Wonnezeit meines Lebens in Heidelberg 1847 entstanden.
Warum sagten Sie mir nicht, auf welchem Landhause Sie waren, da man mein gedachte?
Herzlich grüßend Ihr
Berthold Auerbach.
Schandau bei Dresden
28. Juni 1860.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/6; GB 3.2, S. 197>
Ich bin durchaus nicht im Stande, mich jetzt nochmals u gründlicher mit dem Fähnlein zu beschäftigen,
da meine Sinne wieder auf die andere Arbeit gerichtet sind. Statt einer besseren Ausführung Ihres u meines
Gedankens, übersende ich daher, weil Sie's erwarten, beifolgende Andeutung, welche genügen muß.
Sie ist einzuschalten zwischen die Stelle:
"denn der Teufel geht herum u sucht, wen
er verschlinge"
und:
"so grüße ich dich denn als Gegenschwäher
u. s. f."
-
Das Volk ist doch immer produktiv und gedankenreich, wenn einmal der Weg eingeschlagen ist; es birgt alle Ideen in seinem Schooße. Vor zwei Jahren hatten wir das eidgenössische Sängerfest in Zürich, mit kostspieligen architektonischen Einrichtungen und es hieß, die Fortsetzung in diesem Stile sei unmöglich für kleinere Orte. Trotzdem übernahm Olten, ein kleines | Städtchen im Kt. Solothurn, das Fest, welches gestern u heut dort gefeiert wird. Wie halfen sie sich nun? Statt eine kostbare Architektur zu errichten, stülpten sie über die Festhütte ein riesiges Strohdach, bauten ein Storchnest auf den Giebel, brachten Taubenschläge mit jungen Taubenflügen an und stellten lebendige Bienenkörbe über die Thüren, alles Dinge, die nichts kosten und einen prächtigen symbolischen Spaß abgeben, so daß die geübten Arrangeurs u Festtapezirer der größeren Städte ganz verblüfft sind.
Abermals grüßend Ihr ergebenster
Gottfried Keller.
Zürich d. 11t. Juli 1860.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 79; GB 3.2, S. 199 z. T.>
Endlich, lieber Keller, kann ich Ihnen Alles fertig schicken.
Hier also Ihr Honorar mit 150 Thlrn u. Ihr Manuskript wieder, damit Sie bei einer künftigen besondern Ausgabe Ihrer Erzählung das Weggelassene haben. Sie werden sehen, daß ich nur einzelne Reden ausgelassen habe, obgleich sie nicht nur charakteristisch sondern auch schön sind. Sie werden aber auch sehen, daß ich Alles mit der äußersten Sorgfalt behandelt habe. Ich wiederhole Ihnen, daß mich seit lange nichts so erfreute, wie Ihre Erzählung. Ich hatte mir bei der Revision mancherlei angemerkt d. h. in Gedanken behalten wollen, was ich Ihnen über die Art Ihres Schaffens | sagen wollte, im vielfachen Hin u. Her der äußern u. innern Lebensbewegung ist es mir aber entschwunden u. im Ganzen können Sie sich ruhig gewähren lassen in der ganzen Art Ihrer Composition u. Gestaltung. Sie werden die Kleinigkeit bemerken, daß ich Ihnen viele Ausrufungszeichen in einfaches Punktum verwandelt habe. Ich weiß recht gut, was Sie damit wollten. Wir haben das Bedürfniß, die Betonung der Rede, die sehr wesentlich ist, im geschriebenen Worte kundzugeben, aber wir erreichens doch nicht. Es ist einer der intimsten poetischen Vorzüge Shakespeare's, daß er nie zu sagen hat, das wird so u. so gesprochen wie Schiller so oft thun muß, Shakespeare | weiß das wie alle Gestikulation in die Rede selbst zu legen. In der Erzählung ist das freilich wol nie zu erreichen u. doch erscheint es mir auch hier immer störend, wenn ich Tonlage, Gestikulation u. Rhythmus des Athems angeben soll. Da bleibt eine Unzulänglichkeit, die nicht zu überwinden ist
Ich will Ihnen nur noch sagen, daß ich Sie fortan als ständigen Jährling des Kalenders betrachte. Sie müssen so fest u. sicher wiederkehren wie - ja, wie irgend ein Monat, den Sie sich beliebig als Symbol auswählen mögen. Legen Sie sich also nur recht bald eine Geschichte im Kopfe zurecht für das aberkünftige Jahr. Ich werde fortan, obschon es mir sehr zuwider ist, doch der verteufelten Manier nachgeben müssen - da die Buchhandlungen das durchaus wünschen - den Kal. schon im Juli erscheinen zu lassen.
Ich freue mich schon im Voraus darauf, was das einmal ein braves Buch sein wird, wenn Sie Ihre Kalender-Erzählungen zusammen | stellen u - ich bin Gevatter dabei gewesen.
Lassen Sie mich also bald den Empfang dieses wissen u. theilen Sie mir auch sonst über Ihr Leben u. Schaffen mit.
Meine größere Erzählung kommt vom 1 < FACE="Arial">Oct. an in der Kölnischen Zeitung. Es ist zum Erstenmal, daß ich etwas so zertheilt erscheinen lasse, ich hatte es aber seit Jahren DuMont versprochen. Auch hat man dann wenn die Erzählung als Buch erscheinen soll noch eine vorherige freie Uebersicht.
Haben Sie die Güte anl. Brief Herrn Gustav Simon (Bruder Heinrich Simons oder dessen Familie) zu übergeben.
Mit herzlichem Gruße Ihr
Berthold Auerbach.
Schandau 2.
Sept.
60.
Von Anfangs October an lebe ich in Berlin. Schreiben Sie mir aber noch hierher.
<SNM: A:Auerbach Z 3317/7; GB 3.2, S. 199>
Zürich d. 15 Sept. 60.
Ich danke Ihnen, lieber Brotherr[!]<,> für die freundliche Sendung, Brief und Geld. Ich bedaure, Sie so in Kosten versetzt zu haben, ich glaubte, der Verleger habe das Honorar zu zahlen. Dennoch bin ich gestern mit Ihrem guten Gelde ins Wirthshaus gegangen, habe dort den lustigen Wohlhabenden gespielt, so daß ich beim Nachhausegehen beinahe gewackelt habe, ja ich glaube fast, es ist sogar geschehen.
Wegen der Ausrufungszeichen sind Sie, mit Erlaubniß zu sagen, auf dem Holzwege. Ich habe bei der Durchlesung der Geschichte gar nichts von den Gestrichenen bemerkt, weil ich überhaupt mit der Interpunktion auf einem sehr kühlen Fuß stehe. (kühler Fuß, auch eine schöne Redensart, die mir hier entwischt, ich glaube das kommt noch vom gestrigen Abend[!]) Von Haus aus bin ich der Ansicht, daß man so schreiben soll, daß wenn alle Interpunktionszeichen verloren gingen, der Stil dennoch klar und ausdrucksvoll bliebe. Weil die Einrichtung aber einmal da ist, so | so mache ich meiner Unschlüssigkeit und Gleichgültigkeit, die zeitweise eine große Unregelmäßigkeit bei mir hervorbringt, plötzlich einmal dadurch ein Ende, daß ich mich genau an die Schulerinnerungen halte und z. B. immer ein Ausrufungszeichen setze, wo ich es als kleiner Junge setzen mußte, bei allen Ausrufungen, Befehlen etc. etc. Ich bin auch immer in Verzweiflung wegen der Gänsefüßchen im Dialog, den neuen Absätzen etc etc. weil alles das mich nicht intressirt und man doch eine gewisse Ordnung beobachten muß.
Ich muß Sie nun doch rüffeln wegen einer kleinen Streichung, nämlich wo der Karl das Mädchen aus dem Schiffe zu sich herüber zieht und küßt. Sie hätten die Stelle ganz streichen oder das Küßchen (in Ehren) stehen lassen sollen, da der Zorn des Mädchens, das sich wegen der gefährlichen Situation nicht losreißen kann, gerade vom Geküßtwerden herrührt. Auch sieht es jetzt fast bedenklicher aus, da man ja dem Burschen noch schlimmeres zumuthen kann. Durch das offene Wort Küssen wird dem schlauen Annähern und Ueberlisten eben der lüsterne und verdächtige Charakter genommen. |
Hier will ich auch gleich die Frechheit begehen und behaupten, daß ja die Bibel voll der derbsten Erotik steckt und doch allen Kindern offen steht, ja von den Quäkern und Muckern millionenweise verbreitet wird. Sie mißverstehen mich gewiß nicht, wenn ich das Bedenken aufwerfe, daß der Kalender leicht einen zu trockenen und absichtlich didaktischen Anstrich gewinnen könnte. Es scheint mir schon ein kleiner Anfang dazu gemacht zu sein und ich habe selbst am meisten hierin gesündigt. Wenn Sie wirklich übers Jahr wieder etwas von mir aufnehmen wollen, so muß ich bald daran denken etwas Geeignetes und Rundes mit mehr Muße auszuhecken, als es diesmal geschehen ist[!]
Ihr feiner alter Müller mit der weißen Rose im Munde hat mich ganz traurig gemacht. Er erinnerte mich plötzlich an eine freundliche alte Frau, die ich einst als Kind sah, wie sie eines Sonntags mit einer Kornähre in der Hand, die sie sich zur Freude gepflückt hatte, in eine Dorfschenke kam, ein halbes Schöppchen trank und sehr fröhlich mit den Leuten redete. Dabei spielte sie fortwährend mit der Aehre. Darüber fiel mir mein eigenes | Alter ein, das sich nun auf 41 Jahre beläuft nebst allem Entschwundenen u Verlorenen u. s. f kurz ich machte den Esel. Sie sehen aber daraus, daß ich ein schlechter Besprecher fremder Produkte bin, da ich ganz unkritischen persönlichen Eindrücken verfalle gleich einem Roman lesenden Dienstmädchen.
Der psychologische Prozeß während des Sturzes des Blitzschlossers scheint mir fast ein wenig zu gewagt, d. h. um ein Haar zu ausführlich und gut motivirt oder erklärt und dadurch wird das Problem gerade etwas zu auffallend.
Es freut mich sehr, eine längere Arbeit von Ihnen nächstens in Genuß und Angriff nehmen zu können, obschon mich die Lektüre des Feulletons der Köln. Zeitung täglich eine halbe Stunde länger auf dem Museum festhalten wird. Es wird aber dafür ein Hauptspaß sein einige Wochen lang täglich ein Stück Auerbach gesichert zu wissen und zu genießen nach Tisch.
Es giebt ja fast nichts mehr zu lesen von Hauptsachen Jahr aus und ein und wenn was kommt wie z. B. von Gutzkow, so ärgert man sich nur über die Roheit und den bösen Willen heutiger Talente.|
Dieser Brief ist das erste was ich in einer neuen Wohnung schreibe, da ich umgezogen bin. Mein Arbeitsfenster ist zu ebner Erde und geht unmittelbar in eine Wiese hinaus, die mit schwer beladenen Aepfelbäumen bedeckt ist und eine sanfte Anhöhe hinan liegt, hinter welcher gleich der Osthimmel kommt. Da ich auch sonst anfange auf das konkrete Lebenswesen und seine Schattenjagd zu resigniren, so werde ich wohl endlich einem anhaltenden Fleiß anheimfallen an diesem gemüthlichen Fenster, und die Ruhe da suchen, wo sie längst wäre zu finden gewesen, nämlich im Tintenfaß.
Ihre Baderei in der Elbe wird bei dem schändlichen Wetter wohl ein Ende genommen haben!
Ich wünsche Ihnen einen glückhaften Umzug nach Berlin und daß es Ihnen dort wohl ergehen möge. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich mich auch einmal wieder Ihrer Frau Gemahlin, im Fall sie meine Wenigkeit noch in der Erinnerung haben sollte.
Grüßend Ihr
Gottfr. Keller
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 81>
Sie haben gewiß mit nicht minderer Freude als ich das vielstimmige helle Lob der sieben Aufrechten in allen
Zeitungen vernommen, u. ich habe im Stillen dabei das Genügen, daß Sie mir's danken, lieber Keller,
Sie so herausgelockt zu haben.
Es versteht sich nun von selbst, daß wir alljährlich der Welt gemeinsam etwas erzählen.
Das versteht sich von selbst u. ists auch nicht, warum ich Ihnen heute schreibe. Vielmehr ists das. Sie haben mir früher gesagt, daß Sie täglich nun die Kölnische | Zeitung lesen werden so lange Edelweiß vorhält.
Nun denn, mir wär's lieb, ein recht ausführliches u. genaues Referat eines Zunftgenossen wie Sie sind über das Stück Arbeit zum Privatgebrauch zu haben.
Es hat was Gutes, daß solch ein Zeitungsabdruck wie ein Probedruck vor der Bucherscheinung sein kann.
Ich weiß zwar nicht mehr viel daran zu thun u. muß man auch dem Ganzen die Stimmung lassen, die es einmal hat, aber Manches läßt sich wol noch besser harmonisiren. |
Nun denn, setzen Sie sich hin u. schreiben Sie so ausführlich u. gradaus als es Ihnen in die Feder kommt, aber auch recht bald, (wenigstens in den nächsten 14 Tagen) Alles was Sie darüber zu sagen haben
Ihrem Sie herzlich grüßenden
Berthold Auerbach
Berlin Potsdamer Straße 134A
22. Nov. 60.
Nächste Woche kommt eine neue Erzählung von mir heraus: Joseph im Schnee.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 82; GB 3.2, S. 202 z. T.>
Ich bekomme also wie es scheint, keine Bemerkungen von Ihnen, lieber Keller, zu der Erzählung Edelweiß.
Wenn dieß der Fall ist, so können Sie sich jedenfalls damit trösten, daß auch andere zwei
Freunde, die ich darum anging, mir nichts mittheilten. Es war mir ein besonders anmuthender Gedanke, einmal etwas
gewissermaßen zuerst für wenige Freunde drucken lassen zu können, um es nach eingeholten Gutachten
pp Manches annehmend Manches ablehnend, neu festzustellen, so daß der Blick fremden einsichtig wohlwollenden
Auges darin eingeschlossen sei. - Es soll also nicht sein. - In unserer Zeit u. in unserm Vaterlande sitzt jeder
Vogel auf seinem Stängelchen u. pfeift sein Lied so gut er eben kann. | Und vielleicht ists gut so. Vielleicht
ist das Sprüchwort blos auf die Dichter gemünzt: Jeder muß selber seine Haut zu Markt tragen. Denn
Niemand anders trägt ja seine Haut zu Markt.
Und dieser Brief soll eigentlich hauptsächlich neue Mahnung zu etwas Derartigem an Sie sein.
Wir schreiben kaum 61 (beiläufig Pros't Neujahr!) so müssen wir schon den Kalender für 62 fertig machen. Die Mitarbeiter für 61 treten Alle wieder ein u. Sie vor Allem. Sie müssen viel Freude erlebt haben an Ihren Aufrechten u. im Stillen, denn im Stillen thun Sie's am liebsten, haben Sie mir gewiß manchmal gedankt, daß ich Sie heraus trommelte. |
Die Erzählung, die Sie nun für 62 geben, sollte recht bald Ende d. M. oder spätestens Mitte Februars in meiner Hand sein. Denn - passen Sie auf - wir wollen wo möglich auch Ihre Erzählung illustriren lassen. Erstens passen Sie dazu. Das wäre eigentlich schon genug. Mein Zweites ist aber auch noch da. Ich möchte mich nicht der Anschuldigung der Eitelkeit aussetzen, daß ich blos meine Geschichten illustriren lasse. Der Teufel soll's holen, ich kenne unter meinen Berufsgenossen keinen der weniger eitel ist, aber weil ich mich nicht dazu bringen kann, den Schmeicheleien oder auch Lobspendereien gegenüber die erlogenen Bescheidenheitsphrasen entgegen zu setzen, kommt mir der alberne Kobold so oft zwischen die Beine u. die Menschen, die vor einer Minute ihre Hände segnend u. verhimmelnd ausstreckten, bekreuzen sich hinterrücks, weil man ihnen | nicht sagt: Ich glaube, daß Ihr gelogen und nur schön gethan habt. Genug davon.
Schreiben Sie mir also sofort, bis wann Ihre Erzählung eintrifft u. deren ungefähren Umfang, den Sie jetzt nach Manuskript u. Druck schon werden beurtheilen können.
Schreiben Sie mir sofort u. wenn Sie doch noch Notizen zu Edelweiß haben sollten, legen Sie sie bei, vielleicht geben sie mir noch Winke bei der Revision im Buchdruck.
Herzlich grüßend Ihr
Berthold Auerbach
Potsdamer Strasse 134A
den 6. Jan. 1861.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 114>
Berlin,
Wilhelmsstraße 86
2. November
1865.
Vorgestern bin ich erst nach vielen Zickzackfahrten hier in meinem Heim angekommen. Ich schreibe nun Dir, lieber Keller, alsbald, der heißen schwerblütigen Tage gedenkend, die ich mit Dir verlebte aber auch der Erfrischung die aus unserm erneuerten Anschlusse noch in der Erinnerung mich erquickt. Kannst Dir denken, wie viel zu Erledigendes hier auf mich wartet. Ich fühle mich aber zu neuer Arbeit gestärkt u. hoffe, daß auch Du nun so viel Vorbereitetes nun stetig u. allmalig abschließest.
Ich schicke Dir nun hiebei
1. Die mir geliehenen 50 Franken (13 Thlr 10 Sgr.<)>. Dazu Deine Auslagen mit 10 Franken = 2 Thlr. 20 Habe ich Dir schon mitgetheilt, daß ich die Brieftasche ohne das Geld wieder erhalten habe? Ich habe auf der Reise so viel erlebt, daß ich nicht mehr weiß, ob ich Dir geschrieben habe oder nicht.) | Thlr
2. Dein Honorar für den Kalender-Beitrag. (33 Thlr) Also
33
13-10
2 80
--------
49
Ich habe nun die dringende Bitte an Dich, entweder den Plan, von dem Du mir sprachst oder eine Deiner unfertig liegenden Erzählungen sofort für den Kalender zu arbeiten. Glaube mir, lieber Keller, oder Du weißt das ja auch selbst, giebt man sich einen tüchtigen Ruck u. gewährt sich nicht ein Abwarten besserer Zeit u. Stimmung, sondern sagt sich: Heut ist Trumpf! dann gehts. Anfangs freilich widerhaarig u. hart aber allmälig tanzt man doch mit Lust weil eben jetzt die Musikanten aufspielen. |
Der Kalender ist wie es dießmal geworden, sehr mangelhaft, wir Alle hätten Besseres geben sollen. Das verpflichtet nun doppelt zu frischer Belebung. Ich will das Beste was möglich ist, aus dem Kalender machen u. dazu kannst u. mußt Du helfen.
Ich bitte Dich also, sei frisch zur Hand! Richte es so ein, daß Du mir Deine Erzählung zum 15. December spätestens 1. Jan. schicken kannst. Thumann, der vortreffliche Illustrator muß im Frühling verreisen u. es soll überhaupt Alles bei rechter Zeit vorbereitet werden, damit nicht nothdürftig Zusammengerafftes gegeben werden muß. |
Schreib mir alsbald (unter Empfangsanzeige des Anliegenden) Du weißt ja, was sich für den Kalender eignet u. ich gebe Dir gerne zwei Bogen Raum, nöthigenfalls mehr. Laß Dich also ganz frei gehen.
Grüße herzlich u. sag ihm, daß ich auch fest auf seinen versprochenen Beitrag zähle. Es wäre mir lieb wenn er mir (behufs vielleicht nöthiger Illust<r>ation) bald das Thema u. Näheres mittheilte.
Getreulich Dein
Berthold Auerbach.
Ich erhalte so eben deinen Brief vom 31. mit den Belegen. Zum Nießen sage ich zur Gesundheit. Schick künftig Deine Manuskripte so, daß Du selbst Correctur machen kannst. Die Geschichte wird nicht altbacken, wenn sie früher gesetzt ist.
<ZB: Ms. GK 19 Nr. 116>
Nein, lieber Keller, so leicht dürfen wir's uns nicht machen. Ich wünsche nämlich, daß Du
Dir sagst, Du mußt mir bis zur Zeit eine Erzählung absolviren, dann gehts auch; ich meine, setze Dir's
als Pflicht aufs Gewissen u. die frei productive Neigung wird schon sich einstellen.
Du hast vollkommen Recht, poetisch u. didaktisch, ausgeführt u. epigrammatisch zugespitzt zugleich wie solch eine Kal. geschichte sein muß, das ist viel verlangt, aber es muß geleistet werden, wenn wir nicht das Volk den Schmierpetern überlassen wollen. |
In einer andern Beziehung hast Du aber eben so vollkommen Unrecht. Du brauchst keinen Spitznamen zu scheuen, denn Du thust am besten, wenn Du bei Schweizersachen bleibst, da Du ja Jegliches in die rein künstlerische Sphäre hinein zu heben verstehst. Und sieh Dir die Sache näher an, so ist es bei aller Weltläufigkeit unsere moderne Aufgabe, in einer bestimmten Weltgegend des Geistes daheim zu sein. Ich brauche nichts hinzuzusetzen, Du kannst Dir's schon weiter ausdenken.
Es freut mich sehr, daß Du Dich nun auch schriftstellerisch täglich einspannst. Es thut noth, daß die gesunden Kräfte sich regen, um auch nicht dem gewerbsschnellen Schund allein das Feld zu überlassen. Es werden jetzt täglich dem deutschen Volk Belletristika aufgetischt, um deretwillen es nicht der Mühe werth ist, daß man es lesen lehrt.
Wegen der verlorenen Brieftasche, fragst Du. Ich habe sie von der Berner Polizei (durch Max Wirth) erhalten, sie wurde ohne das Geld gefunden u. ich schickte dem Finder noch ein klein Trinkgeld. Es sind aber auch Blätter herausgerissen | u. es steht überhaupt weniger darin als ich glaubte.
Ich habe die Freude, daß mein Roman bereits neu aufgelegt wird. Ich will nun zunächst Alles thun, um den Kalender recht u. gerecht wie sichs gebührt zu machen. Ich verlasse mich auf Deine lebhafteste u. rascheste Betheilung. Es wird mir eine volle Neujahrsfreude sein, zu Anfang Januar Deine Geschichte zu erhalten u. so wünscht Dir im alten u. zum neuen Jahr wohl zu leben
Dein
Berthold Auerbach.
Berlin 11. <
FACE="Arial">Nov. 65. |
Uebergieb Anl. baldigst an Scherr.
<ZB: Ms. GK 79 Nr. 129>
Dießmal, lieber Keller, will ich so zeitig u. so bestimmt Dich in den Kalender einfangen, daß Du keine
Ausrede u. keinen Ausweg haben kannst.
Gesund und frischauf mußt Du wieder sein. Ein echter Kerl wie Du muß immer wieder neu aufleben.
Also ad rem! Du mußt mir u. durch mich der Welt u. noch drei Dörfern eine gute saftige Kal. Geschichte liefern. Auf wann? Auf 1868. Das ist freilich noch lang hin, aber das ist ja eben was mich dießmal besonders gaudirt. So früh | komme ich u. überrasche Dich so zu sagen noch im Bett, daß Du mir gar nicht echappiren kannst. Also als literarischer Häscher sage ich: Im Namen des deutschen Volkes! Stehe auf u. schreib eine echte u. gerechte Kalendererzählung. Du kannst noch mehr so machen wie die sieben Aufrechten. Du kannst wenn Du nur willst u. - wollen mußt Du. Dann packst Du zu Neujahr die Geschichte ein u. schickst sie, vorher aber (u. das in den nächsten Wochen) schreibst Du ein | Gutheißungs u. Beistimmungsbrieflein Deinem
auf Dich trauenden
Berthold Auerbach.
Bonn (Hotel Belle-vue)
27. Oct. 1866.