GH 2.09

130 Neuntes Kapitel.

Der Philosophen- und Mädchenkrieg.

Um diese Zeit wurde der zweite Lehrer des Dorfes versetzt und an seine Stelle kam ein blutjunges Schulmeisterlein von kaum siebzehn Jahren, welches bald ein Original in der Gegend wurde. Es war ein wunderhübsches Bürschchen mit rosenrothen Wänglein, einem kleinen lieblichen Munde, mit einem kleinen Stumpfnäschen, blauen Augen und blonden gelockten Haaren. Er nannte sich selbst einen Philosophen, weshalb ihm dieser Name allgemein zu Theil wurde, denn sein Wesen und Treiben war in allen Stücken absonderlich. Mit einem vortrefflichen Gedächtnisse begabt, hatte er die zu seinem Berufe gehörigen Kenntnisse bald erworben und sich im Seminare daher mit dem Studium von allen möglichen Philosophien abgegeben, welche er dem Laute nach auswendig lernte; denn er behauptete, der beste Volksschulmeister sei nur derjenige, welcher auf dem höchsten und klarsten Gipfel menschlichen 131 Wissens stände, mit dem umfassenden Blicke über alle Dinge, das Bewußtsein bereichert mit allen Ideen der Welt, zugleich aber in Demuth und Einfalt, in ewiger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen, wo möglichst mit den Kleinsten. Demgemäß lebte er wirklich; aber dies Leben war seiner großen Jugend wegen eine allerliebste Travestie in Miniatur. Gleich einem Staare wußte er alle Systeme von Thales bis auf heute herzusagen; allein er verstand sie immer im wörtlichsten und sinnlichsten Sinn, wobei besonders seine Auffassung der Gleichnisse und Bilder einen komischen Unfug hervorbrachte. Wenn er von Spinoza sprach, so war ihm nicht etwa die Idee aller möglichen Stühle der Welt, als ein Stück zweckmäßig gebrauchter Materie, der Modus, sondern der einzelne Stuhl, der gerade vor ihm stand, war ihm der fertige und vollständige Modus, in welchem die göttliche Substanz in wirklichster Gegenwart steckte, und der Stuhl wurde dadurch geheiligt. Bei Leibnitz fiel ihm nicht etwa die Welt in einem gräulichen Monadenstaub auseinander, sondern die Kaffekanne auf dem Tisch, mit welcher er gerade exemplirte, drohte auseinander zu gehen und der Kaffe, welcher im Gleichniß nicht mitbegriffen, auf den Tisch zu fließen, so daß der Philosoph sich beeilen mußte, durch die prästabilirte 132 Harmonie die Kanne zusammenzuhalten, wenn wir den erquickenden Trank genießen wollten. Bei Kant hörte man das göttliche Postulat so leibhaftig und zierlich erklingen, wie ein Posthörnchen, aus der tiefen Ferne der innersten Brust; bei Fichte verschwand wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in Auerbach's Keller, nur daß wir nicht einmal an unsere Nasen glauben durften, welche wir in den Händen hielten; wenn Feuerbach sagte: Gott ist nichts Anderes, als was der Mensch aus seinem eigenen Wesen und nach seinen Bedürfnissen abgezogen und zu Gott gemacht hat, folglich ist Niemand als der Mensch dieser Gott selbst, so versetzte sich der Philosoph sogleich in einen mystischen Nimbus und betrachtete sich selbst mit anbetender Verehrung, so daß bei ihm, indem er die religiöse Bedeutung des Wortes immer beibehielt, zu einer komischen Blasphemie wurde, was im Buche die strengste Entsagung und Selbstbeschränkung war. Am drolligsten nahm er sich jedoch aus in seiner Anwendung der alten Schulen, deren Lebensregeln er in seinem äußeren Behaben vereinigte. Als Cyniker schnitt er alle überflüssigen Knöpfe von seinem Rocke, warf die Schuhriemen weg und riß das Band von seinem Hute, trug einen derben Prügel in der Hand, welcher zu seinem zarten Gesichtchen seltsam contrastirte, 133 und legte sein Bett auf den bloßen Boden; bald trug er sein schönes Goldhaar in langen tausendfach geringelten Locken, weil die Scheere überflüssig sei, bald schnitt er es so dicht am Kopfe weg, daß man mit dem feinsten Zängelchen kaum ein Härchen hätte fassen können, indem er die Locken als schnöden Luxus erklärte, und er sah dann mit seinem kahlen Rosenköpfchen noch viel lustiger aus. Im Essen war er hinwieder Epikuräer, und die gewöhnliche Dorfkost verschmähend, schmorte er sich ein saures Eichhörnchen, briet ein Fischchen oder eine Wachtel, die er gefangen hatte, und aß ausgesuchte kleine Böhnchen, junge Kräutchen u. dgl., wozu er ein halbes Gläschen alten Wein trank. Als Stoiker hingegen richtete er allerhand spaßhafte Händel an und brachte die Leute in Harnisch, um in dem entstandenen Lärm dann einen kalten Gleichmuth zu behaupten und sich Nichts anfechten zu lassen; insbesondere aber erklärte er sich als einen Verächter der Frauen und führte einen beständigen Krieg mit ihnen, welche mit ihren sinnlichen Reizen und ihrem eitlen Wesen die Männer ihrer Tugend und Ernsthaftigkeit berauben wollten. Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Mädchen überall mit Natürlichkeiten, als Epikuräer mit erotischen Witzen, und als Stoiker sagte er ihnen Grobheiten, war 134 aber immer zu finden, wo drei bei einander standen. Sie wehrten sich mit geräuschvollem Entsetzen gegen ihn, so daß überall, wo er erschien, ein lustiger Spectakel losging; nichts desto weniger sah man ihn ziemlich gern; die Männer achteten nicht auf ihn und die Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn mit diesen war er auf einmal wie ein Lamm und stand in dem besten Verhältnisse zu ihnen. Er hatte die Allerkleinsten zu besorgen und er that dies so vortrefflich, daß man noch nie einen so wohlgearteten Schlag kleiner Jüngelchens und Dirnchens im Dorfe gesehen hatte. Deshalb übersah man seine übrigen Geschichten, die er anrichtete und die man seiner tollen Jugend zuschrieb; und selbst, daß er sich für einen Atheisten ausgab, konnte ihn der Gunst des weiblichen Dorfes nicht berauben.

Er fand sich auch im Hause meines Oheims ein, wo eine gute Anzahl Mädchen und junger Bursche, die durch vielfältigen Besuch noch verstärkt wurde, für seine Aufführungen empfänglich war. Ich gesellte mich dem Philosophen bei, einestheils von seinem Philosophiren angezogen, anderntheils von seinem Weiberkriege, da dieser gerade mit meiner schiefen Lage zu den Mädchen zusammentraf. Wir machten große Spaziergänge, auf welchen er mir die Systeme der Reihe nach vortrug, wie er sie im Kopfe 135 hatte und wie ich sie verstehen konnte. Es kam mir Alles äußerst wichtig und erbaulich vor, und ich ehrte bald, gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleichviel, ob wir sie billigten oder nicht. Ueber den christlichen Glauben waren wir bald einig und machten in die Wette unsern Krieg gegen Pfaffen und Autoritätsleute jeder Art; als ich aber den lieben Gott und die Unsterblichkeit aufgeben sollte und der Philosoph dieses mit höchst unbefangenen Auseinandersetzungen verlangte, da lachte ich eben so unbefangen, und es kam mir nicht einmal in den Sinn, die Sache ernstlich zu untersuchen. Ich sagte, am Ende wäre die Hauptformel einer jeden Philosophie, und sei diese noch so logisch, eine ebenso große und gräuliche Mystik, wie die Lehre von der Dreieinigkeit, und ich wollte von gar Nichts wissen, als von meiner persönlichen angeborenen Ueberzeugung, ohne mir von irgend einem Sterblichen etwas dazwischen reden zu lassen. Außerdem, daß ich nicht wußte, was ich anfangen sollte ohne Gott, und der Meinung war, daß ich einer Vorsehung im Leben noch sehr benöthigt sein würde, band mich eine Art künstlerischen Fühlens an diese Ueberzeugung. Ich glaubte, daß Alles, was Menschen zu Wege bringen, seine Bedeutung nur dadurch habe, daß sie es zu Wege zu bringen vermochten und daß es ein Werk 136 der Vernunft und des freien Willens sei; deshalb konnte mir die Natur, an die ich gewiesen war, auch nur einen Werth haben, wenn ich sie als das Werk eines mir gleichfühlenden und voraussehenden Geistes betrachten durfte. Ein sonnedurchschossener Buchengrund konnte nur dann ein Gegenstand der Bewunderung sein, wenn ich ihn mir durch ein ähnliches Gefühl der Freude und der Schönheit geschaffen dachte. «Sehen Sie diese Blume,» sagte ich zum Philosophen, «es ist gar nicht möglich, daß diese Symmetrie mit diesen abgezählten Punkten und Zacken, diese weiß und rothen Streifchen, dies goldene Krönchen in der Mitte nicht vorher gedacht seien! Und wie schön und lieblich ist sie, ein Gedicht, ein Kunstwerk, ein Witz, ein bunter und duftender Scherz! So was macht sich nicht selbst!» – «Auf jeden Fall ist sie schön,» sagte der Philosoph, «sei sie gemacht oder nicht gemacht! Fragen Sie einmal! Sie sagt nichts, sie hat auch nicht Zeit dazu, denn sie muß blühen und kann sich nicht um Ihre Zweifel kümmern! Denn das sind alles Zweifel, was Sie vorbringen, Zweifel an Gott und schnöde Zweifel an der Natur, und es wird mir übel, wenn ich nur einen Zweifler höre, einen empfindsamen Zweifler! O weh!» Er hatte diesen Trumpf beim Disputiren älterer Leute gehört und brachte denselben wie ähnliche 137 Fechterkünste, die er sich angeeignet, gegen mich vor, so daß ich schließlich geschlagen wurde; besonders sagte er zuletzt immer, ich verstehe eben die Sache noch nicht und wüßte nicht richtig zu denken, was mich dann gewaltig erboste, und wir geriethen manchmal in grimmigen Zank. Doch vereinigten wir uns immer wieder, wenn wir mit den Mädchen zusammentrafen, wo wir einen gemeinsamen Kampf zu bestehen hatten, von allen Seiten angegriffen. Wir schlugen unsere Feinde eine Zeit lang mit unseren Sarkasmen siegreich zurück; wenn sie aber nicht mehr weiter konnten und zu sehr gereizt waren, so ging der Krieg in Thätlichkeiten über; eine Einzelne begann damit, Einem von uns unversehens ein Glas Wasser über den Kopf zu gießen, und alsobald war ein hitziges Jagen und Verfolgen durch Haus und Gärten im Gange. Andere Bursche machten sich schnell herbei, denn fünf bis sechs zornige Mädchen waren eine zu reizende Gelegenheit für sie. Man warf sich mit Früchten, schlug sich mit ausgerissenen Nesselstauden, suchte sich gegenseitig in's Wasser zu drängen, wobei man in's allerengste Handgemenge kam, und ich war sehr verwundert, die tollen Kinder so rührig und wehrbar zu finden. Wenn ich eine junge Wilde mit aller Kraft umfaßt hielt, um sie zu bändigen, während sie mich böslich 138 zu schädigen begehrte, so stritt ich ganz ehrlich und tapfer, ohne irgend einen Nebenvortheil zu suchen, und ich wußte gar nicht, daß ich ein Mädchen in den Arm preßte. Solche Gefechte geschahen immer in Anna's Abwesenheit; einst aber entzündete sich der Streit in ihrer Gegenwart, ohne daß man es gewollt hatte, und sie wollte sich schleunigst salviren; ich aber, der eben hitzig einer Anderen nachstellte, um sie für eine meuchlerische Bosheit zu bestrafen, kriegte plötzlich Anna zu fassen und ließ erschrocken meine Hände sinken.

So muthig ich an der Seite des Philosophen war, um so kleinlauter war ich, wenn ich den Mädchen allein gegenüber stand; denn alsdann war keine Rettung, als Alles über sich ergehen zu lassen. Der Philosoph fürchtete sich vor dieser Feuertaufe nicht und tummelte sich manchmal furchtlos in einer Hölle von zwölf jungen und alten Weibern umher, und er triumphirte um so lauter, je übler er von ihren Zungen und Händen zugerichtet wurde, wenn er ihnen weiberschmähende Aussprüche aus der Bibel und weltliche Argumente an den Kopf warf. Ich hingegen räumte das Feld, wenn mir die Sache zu arg wurde, oder ich stellte mich, als ob ich nicht ungeneigt wäre, mich belehren und bekehren zu lassen. Wenn ich vollends mit einem der Mädchen ganz 139 allein war, so wurde stets ein Waffenstillstand geschlossen und ich war immer halb bereit, unsere Sache zu verrathen und mich unter den Schutz des Feindes zu stellen. Ich wünschte durch diesen gemäßigten und freundlichen Verkehr allmälig dahin zu gelangen, auch mit Anna wieder im Einzelnen und allein zu sprechen, und glaubte dies thörichter Weise immer am besten auf weitläufigem Wege zu bewerkstelligen, indem ich mich an die Anderen hielt, statt Anna einfach einmal bei der Hand zu nehmen und anzureden. Allein dies Letztere schien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmöglichkeit; lieber hätte ich einen Drachen geküßt, als so leichtsinnig die Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur an diesem Drachenkuß, an diesem ersten Worte hing, die schöne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wieder zu gewinnen.

Allein wer konnte wissen! Ein Sperling in der Hand ist besser, als ein Adler auf dem Dache! Lieber noch dies stumme Nahsein sicher behalten, als durch die beleidigte Ehre genöthigt zu sein, auf immer zu scheiden! Dadurch wurde ich immer mehr und mehr verhärtet und endlich unfähig, das gleichgültigste Wort an Anna zu richten; so kam es, als sie auch nichts zu mir sagte, daß nach einer sehr stillschweigenden Uebereinkunft wir für einander gar 140 nicht da waren, ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam eben so oft zu uns herüber, wenn ich da war, wie sonst, und ich besuchte den Schulmeister nach wie vor, wo sie sich dann zufrieden herumzubewegen schien, ohne sich um mich zu bekümmern. Indessen kam es mir wunderlich vor, daß kein Mensch unsere seltsame Haltung zu bemerken schien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte, daß wir auch gar nie etwas zu einander sagten. Die älteste Base, Margot, hatte sich diesen Sommer mit dem jungen Müller verlobt, welcher ein stattlicher Reitersmann war; die mittlere duldete offen die Bewerbungen eines reichen Bauernsohnes, und die jüngste, ein Ding von sechzehn Jahren, welches sich im Kriege immer am wildesten und feindseligsten geberdet, war unmittelbar nach einem der hitzigsten Gefechte überrascht worden, wie sie in der Laube sich schnell von dem Philosophen küssen ließ; die Wolken der Zwietracht hatten sich daher verzogen, der allgemeine Friede war hergestellt, nur zwischen mir und Anna, welche nie im Kriege gelegen mit einander, war kein Friede oder vielmehr ein sehr stiller; denn unser Verhältniß blieb sich immer gleich. Anna hatte die äußerlichen Wälschlandsmanieren schon abgelegt und war wieder frischer und freier geworden; allein sie blieb doch ein feines und sprödes Kind, das überhaupt nicht viel sprach, 141 leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein schnelles Erröthen immer anzeigte, und besonders stellte sich ein leichter Stolz heraus, der sich mit etwas Eigensinn verband. Desto verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, so daß ich mich fortwährend mit ihr beschäftigte, wenn ich allein war, mich unglücklich fühlte und einsam Wälder und Höhen durchstreifte; denn da ich nunmehr wieder der Einzige war, welcher seine Gedanken verbergen mußte, wie ich wenigstens glaubte, so ging ich auch vorzugsweise wieder allein und auf mich selbst angewiesen.

 


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