GH 2.03

025 Drittes Kapitel.

Bohnenromanze.

Am nächsten Morgen legte ich denselben Weg, der von Thau und Sonne funkelte und blitzte, mit meinem Geräthe beladen, zurück und sah bald den See unter dem Morgendufte hervorleuchten. Haus und Garten waren vom jungen Tag übergoldet und warfen ihr kristallenes Gegenbild in die Flut; zwischen den Beeten bewegte sich eine blaue Gestalt, so fern und klein, wie in einem Nürnberger Spielzeuge; das Bild verschwand wieder hinter den Bäumen, um bald desto größer und näher hervorzutreten und mich in seinen Rahmen mit aufzunehmen. Schulmeisters hatten mit dem Frühstücke auf mich gewartet; ich war sehr eßlustig geworden durch den weiten Weg und sah mich daher mit großer Zufriedenheit hinter dem Tische, während Anna die Tugenden eines Hausmütterchens auf's Lieblichste spielen ließ und sich endlich neben mich setzte und so zierlich und mäßig an dem Essen nippte wie eine Elfe, und 026 als ob sie keine irdischen Bedürfnisse hätte. Ich sah sie indeß kaum eine Stunde nachher mit einem mächtigen Stück Brot in der Hand und mir auch ein solches bringend, unbefangen und tüchtig dreinbeißen mit ihren kleinen weißen Zähnen, und dies begierige Essen im Gehen und Plaudern stand ihr eben so wohl an, wie vorher der bescheidene Anstand am Tische.

Nach dem Frühstücke war der Vater mit der alten Magd in seinen Weinberg gestiegen, um von den reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches den Sonnenstrahlen den Zugang versperrte. Die Besorgung des Weinberges war, nebst dem Schlagen und Kleinmachen des Holzes, seine Hauptarbeit in seinem beschaulichen Leben. Ich aber sah mich nach einem Gegenstande meiner Thätigkeit um. Anna hatte eine mächtige Wanne voll grüner Bohnen der Schwänzchen zu entledigen und an lange Fäden zu reihen, um sie zum Dörren vorzubereiten. Damit ich in ihrer Nähe bleiben konnte, gab ich vor, ich müßte nun zur Abwechselung einmal Blumen nach der Natur malen, und bat sie, mir einen Strauß derselben zu brechen. Der Zusammenstellung wegen begleitete ich sie in den Garten, und nach einer guten halben Stunde hatten wir endlich eine hübsche Menge beisammen und setzten sie in ein altmodisches 027 Prunkglas und dieses auf einen Tisch, der in einer Weinlaube hinter dem Hause stand; Anna schüttete ihre Bohnen rings darum her und wir setzten uns einander gegenüber, bis zur Mittagsstunde arbeitend und von unseren beiderseitigen Lebensläufen erzählend. Ich war nun ganz erwärmt und heimisch geworden und begann bald mit der Ueberlegenheit eines Bruders dem guten Kinde mit wichtigen Urtheilen, eingestreuten Bemerkungen und Belehrungen zu imponiren, indessen ich meine Blumen mit verwegenen bunten Farben anlegte und sie mir erstaunt und vergnügt zuschaute, über den Tisch gebeugt und ein Büschel Bohnen in der einen, das kleine Taschenmesserchen in der anderen Hand. Ich brachte den Strauß in natürlicher Größe auf einen Bogen und gedachte damit ein rechtes Prunkstück im Hause zurückzulassen. Inzwischen kam die Magd vom Berge und forderte meine Gespielin auf, ihr zum Bereiten des Essens behülflich zu sein. Diese kurze Trennung, dann das Wiedersehen am Tische, die Ruhestunde nach demselben, das Billigen meiner vorgeschrittenen Arbeit von Seiten des Schulmeisters, gewürzt mit weisen Sprüchen, und endlich die Aussicht auf ein abermaliges Zusammensein bis zum Abend in der Laube veranlaßten ebenso viele angenehme Bewegungen und Zwischenspiele. Anna schien auch meines 028 Sinnes zu sein, da sie eben wieder einen ansehnlichen Haufen Bohnen auf den Tisch schüttete, welcher bis zum Abend auszureichen schien. Allein die Haushälterin erschien plötzlich und erklärte, daß Anna mit in den Weinberg müßte, damit man heute mit demselben noch fertig würde und eines kleinen Ueberbleibsels wegen nicht am anderen Tage hinzugehen brauche. Diese Erklärung betrübte mich und ich ward sehr ärgerlich über die alte Frau; Anna hingegen brach sogleich willig und freundlich auf und bezeigte weder Freude noch Verdruß über die Aenderung ihres Planes. Die Alte, als sie mich bleiben sah, sagte, ob ich nicht auch mit komme, ich werde doch nicht allein hier sein wollen und es sei recht schön im Weinberge. Allein ich war nun schon zu tief betrübt und unwillig und erklärte, ich müßte meine Zeichnung zu Ende führen. Bald saß ich allein in der einsamen Gegend und der Nachmittagsstille und fühlte mich nun doch wieder zufrieden. Auch kam dieses Alleinsein meinem Machwerke zugut, indem ich mir mehr Mühe gab, die natürlichen Blumen vor mir wirklich zu benutzen und an ihnen zu lernen, während ich am Vormittage mehr nach meiner früheren Kindermanier drauf losgepinselt hatte. Ich mischte die Farben genauer und verfuhr reinlicher und aufmerksamer mit den 029 Formen und Schattierungen, und dadurch entstand ein Bild, welches an der Wand unschuldiger Landbewohner Etwas vorstellen konnte.

Darüber verfloß die Zeit schnell und leicht und brachte den Abend, indessen ich mit Liebe die Zeichnung nach meiner Einsicht vervollkommnete und überall ein Blatt oder einen Stiel ausbesserte und einen Schatten verstärkte. Die Neigung für das Mädchen lehrte mich dies gewissenhafte Fertigmachen und Durchgehen der Arbeit, welches ich bis dahin noch nicht gekannt; und als ich gar nichts mehr anzubringen sah, schrieb ich in eine Ecke des Blattes «Heinrich Lee fecit.» und unter den Strauß mit schöner Schrift den Namen der künftigen Eigenthümerin.

Der Weinberg mußte inzwischen noch ein großes Stück Arbeit gegeben haben, denn schon schwebte die Sonne dicht über dem Waldrande und warf ein feuerfarbenes Band über das dunkelnde Gewässer her und noch hörte ich nichts von meinen Gastfreunden. Ich setzte mich auf die Stufen vor dem Hause; die Sonne ging hinab und ließ eine tiefe Goldglut zurück, welche auf Alles einen Nachglanz verbreitete und das Bild auf meinen Knieen wunderbar verklärte und etwas Rechtem gleichsehen ließ. Da ich sehr früh aufgestanden war und in diesem Augenblicke 030 auch sonst nichts Besseres zu thun wußte, schlief ich allmälig ein, und als ich erwachte, standen die Zurückgekehrten in der vorgerückten Dämmerung bei mir und am dunkelblauen Himmel wieder die Sterne. Meine Malerei wurde nun in der Stube bei Licht besehen, die Magd schlug die Hände über dem Kopf zusammen und hatte noch nie etwas Aehnliches erblickt; der Schulmeister fand mein Werk gut und belobte meine Artigkeit gegen sein Töchterchen mit schönen Worten und freute sich darüber; Anna lächelte vergnügt auf das Geschenk, wagte aber nicht, es anzurühren, sondern ließ es auf dem flachen Tische liegen und guckte nur hinter den Anderen hervor darüber hin. Wir nahmen nun das Nachtmahl ein, nach welchem ich aufbrechen wollte; aber der Schulmeister verhinderte mich daran und gab Befehl, mir ein Lager zu bereiten, da ich mich auf dem dunklen Berge unfehlbar verirren würde. Obgleich ich einwandte, daß ich den nächtlichen Weg ja schon einmal zurückgelegt hätte, ließ ich mich doch leicht bereden, aus bloßer Freundschaft da zu bleiben, worauf wir in den kleinen Saal mit der Orgel gingen. Der Schulmeister spielte und Anna und ich sangen dazu einige Abendlieder, und der Magd zu Gefallen, welche gern mitsang, einen Psalm, den sie mit heller Stimme beherrschte. Dann ging der Alte zu Bette. 031 Doch jetzt begann erst die Herrschaft der alten Katherine, welche unten in der Stube einen ungeheuren Vorrath von Bohnen aufgethürmt hatte, welche heute Nacht noch sämmtlich bearbeitet werden sollten. Denn da sie Nachts nicht viel schlafen konnte, beharrte sie hartnäckig auf der ländlichen Sitte, dergleichen Dinge bis tief in die Nacht hinein vorzunehmen. So saßen wir bis um Ein Uhr um den grünen Bohnenberg herum und trugen ihn allmälig ab, indem Jedes einen tiefen Schacht vor sich hineingrub und die Alte den ganzen Vorrath ihrer Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns Beide in wacher Munterkeit erhielt. Anna, welche mir gegenüber saß, baute ihren Hohlweg in die Bohnen hinein mit vieler Kunst, eine Bohne nach der andern herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdischen Stollen, so daß plötzlich ihr kleines Händchen in meiner Höhle zu Tage trat, als ein Bergmännchen, und von meinen Bohnen wegschleppte in die grauliche Finsterniß hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte gemäß verpflichtet sei, mich zu küssen, wenn ich ihre Finger erwischen könne, jedoch dürfe der Berg darüber nicht zusammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub sie sich noch verschiedene Wege und begann mich auf die listigste Weise zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges 032 versteckt, sah sie mich über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch an, indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unsichtbarer Maulwurf, dann plötzlich mit der ganzen Hand hervorschoß und wieder zurückschlüpfte, wie ein Mäuschen in's Loch, ohne daß es mir je gelang, sie zu haschen. Sie trieb es so weit, mir immer auf die Augen sehend, daß sie plötzlich eine Bohne, die ich eben ergreifen wollte, meinen Fingern entzog, ohne daß ich wußte, wo dieselbe hingekommen. Katherine bog sich zu mir herüber und flüsterte mir in's Ohr: «Laßt sie nur machen, wenn ihr der Bau endlich zusammenbricht über den vielen Löchern, so muß sie Euch auf jeden Fall küssen!» Anna wußte jedoch sogleich, was die Alte zu mir sagte; sie sprang auf, tanzte drei Mal um sich selbst herum, klatschte in die Hände und rief: «Er bricht nicht, er bricht nicht, er bricht nicht!» Beim dritten Male gab Katherine mit ihrem Fuße dem Tische schnell einen Stoß und der unterhöhlte Berg stürzte jammervoll zusammen. «Gilt nicht, gilt nicht!“ rief Anna so laut und sprang so ausgelassen im Zimmer umher, wie man es gar nicht hinter ihr vermuthet hätte. «Ihr habt an den Tisch gestoßen, ich hab' es wohl gesehen!»

033 «Es ist nicht wahr,» behauptete Katherine, «Heinrich bekommt einen Kuß von Dir, Du Hexe!»

«Ei schäme Dich doch, so zu lügen, Katherine,» sagte das verlegene Kind, und die unerbittliche Magd erwiderte: «Sei dem wie ihm wolle, der Berg ist gefallen, ehe Du Dich drei Mal gedreht hast, und Du bist dem Herrn Heinrich einen Kuß schuldig!“

«Den will ich auch schuldig bleiben,» rief sie lachend, und ich, selbst froh der feierlichen Zeremonie entflohen zu sein und doch die Sache zu meinem Vortheile lenkend, sagte: «Gut, so versprich mir, daß Du mir immer und jederzeit einen Kuß schuldig sein willst!»

«Ja, das will ich!» rief sie und schlug leichtsinnig und muthwillig auf meine dargebotene Hand, daß es schallte. Sie war jetzt überhaupt so lebendig, laut und beweglich wie Quecksilber und schien ein ganz anderes Wesen zu sein, als am Tage. Die Mitternacht schien sie zu verwandeln, ihr Gesichtchen war ganz geröthet und ihre Augen glänzten vor Freude. Sie tanzte um die unbehülfliche Katherine herum, neckte sie und wurde von ihr verfolgt, es entstand eine Jagd in der Stube umher, in welche ich auch verwickelt wurde. Die alte Katherine verlor einen Schuh und zog sich keuchend zurück, aber Anna ward immer wilder und behender. 034 Endlich haschte ich sie und hielt sie fest, sie legte ohne Weiteres ihre Arme um meinen Hals, näherte ihren Mund dem meinigen und sagte leise, vom hastigen Athmen unterbrochen:

«Es wohnt ein weißes Mäuschen
Im grünen Bergeshaus;
Der Berg, der will zerfallen,
Das Mäuslein flieht daraus;»

worauf ich in gleicher Weise fortfuhr:

«Man hat es noch gefangen,
Am Füßchen angebunden
Und um die Vordertätzchen
Ein rothes Band gewunden;»

dann sagten wir Beide im gleichen Rhythmus und indem wir uns geruhig hin und her wiegten:

«Es zappelte und schrie:
Was hab' ich denn verbrochen?
Da hat man ihm in's Herzlein
Ein' goldnen Pfeil gestochen.»

Und als das Liedchen zu Ende war, lagen unsere Lippen dicht auf einander, aber ohne sich zu regen; wir küßten uns nicht und dachten gar nicht daran, nur unser Hauch vermischte sich auf der neuen, noch ungebrauchten Brücke und das Herz blieb froh und ruhig.

Am andern Morgen war Anna wieder wie gewöhnlich, still und freundlich; der Schulmeister begehrte 035 die Zeichnung bei Tage zu besehen, und da ergab es sich, daß sie von Anna schon in den unzugänglichsten Gelassen ihres Kämmerchens verwahrt und begraben worden. Sie mußte dieselbe aber wieder hervorholen, was sie ungern that; der Vater nahm einen Rahmen von der Wand, in welchem eine vergilbte und verdorbene Gedächtnißtafel der Theuerung von 1817 hing, nahm sie heraus und steckte den frischen bunten Bogen hinter das Glas. «Es ist endlich Zeit, daß wir dies traurige Denkmal von der Wand nehmen,» sagte er, «da es selber nicht länger vorhalten will. Wir wollen es zu anderen verschollenen und verborgenen Denkzeichen legen und dafür dieses blühende Bild des Lebens aufpflanzen, das uns unser junger Freund geschaffen. Da er Dir die Ehre erwiesen hat, liebes Aennchen, Deinen Namen unter die Blumen zu setzen, so mag die Tafel zugleich Deine Ehren- und Denktafel in unserem Hause sein und ein Vorbild, immer heiter, mit geschmückter Seele und schuldlos zu leben, wie diese zierlichen und ehrbaren Werke Gottes!»

Nach Tisch machte ich mich endlich bereit zur Rückkehr; Anna erinnerte sich, daß heute wieder Tanzübung stattfinde, und erbat sich die Erlaubniß, gleich mit mir gehen zu dürfen. Zugleich verkündete sie, daß sie bei ihren Basen übernachten würde, um 036 nicht wieder so spät über den Berg zu müssen. Wir wählten den Weg längs des Flüßchens, um im Schatten zu gehen; und da dieser Pfad öfter feucht war und von Wasserpflanzen und Gesträuchen beengt, schürzte sie das hellgrüne, mit rothen Punkten besetzte Kleid, nahm den Strohhut der überhängenden Zweige wegen in die Hand und schritt neben mir her durch das Helldunkel, durch welches die heimlich leuchtenden Wellen über rosenrothe, weiße und blaue Steine rieselten. Ihre Goldzöpfe hingen tief über den Nacken hinab, ihr Gesicht war von einer weißen Krause von eigener Erfindung eingefaßt und dieselbe bedeckte noch die jungen schmalen Schultern. Sie sagte nicht viel und schien sich ein wenig der vergangenen Nacht zu schämen; überall, wo ich Nichts gewahrte, sah sie späte Blüthen und brach dieselben, daß sie bald alle Hände voll zu tragen hatte. An einer Stelle, wo das Wasser sich in einer Erweiterung des Bettes sammelte und stille stand, warf sie ihre sämmtliche Last zu Boden und sagte: «Hier ruht man aus!» Wir setzten uns an den Rand des Teiches; Anna flocht einen Kranz aus den kleinen vornehmen Waldblumen und setzte ihn auf. Nun sah sie ganz aus wie ein holdseliges Mährchen; aus der Flut schaute ihr Bild lächelnd herauf, das weiß und rothe Gesicht wie durch ein 037 dunkles Glas fabelhaft überschattet. Aus der gegenüberliegenden Seite des Wassers, nur zwanzig Schritte von uns, stieg eine Felswand empor, beinahe senkrecht und nur mit wenigem Gesträuche behangen. Ihre Steile verkündete, wie tief hier das kleine Gewässer sein müsse, und ihre Höhe betrug diejenige einer großen Kirche. An der Mitte derselben war eine Vertiefung sichtbar, die in den Stein hineinging und zu welcher man durchaus keinen Zugang entdeckte. Es sah aus wie ein recht breites Fenster an einem Thurme. Anna erzählte, daß diese Höhle die Heidenstube genannt würde. «Als das Christenthum in das Land drang,» sagte sie, «da mußten sich die Heiden verbergen, welche nicht getauft sein wollten. Eine ganze Haushaltung mit vielen Kindern flüchtete sich in das Loch dort oben, man weiß gar nicht auf welche Weise. Und man konnte nicht zu ihnen gelangen, aber sie fanden den Weg auch nicht mehr heraus. Sie hausten und kochten eine Zeitlang und ein Kindlein nach dem andern fiel über die Wand herunter in's Wasser hier und ertrank. Zuletzt waren nur noch Vater und Mutter übrig und hatten nichts mehr zu essen und nichts zu trinken, und zeigten sich als zwei Jammergerippe am Eingange und starrten auf das Grab ihrer Kinder, zuletzt fielen sie vor Schwäche 038 auch herunter, und die ganze Familie liegt in diesem tiefen, tiefen Wasser; denn hier geht es so weit hinunter, als der Stein hoch ist!»

Wir schauten, im Schatten sitzend, in die Höhe, wo der obere Theil des grauen Felsens im Sonnenscheine glänzte und die seltsame Vertiefung erhellt war. Wie wir so hinschauten, sahen wir einen blauen glänzenden Rauch aus der Heidenstube dringen und längs der Wand hinsteigen, und wie wir länger hinstarrten, sahen wir ein fremdartiges Weib, lang und hager, in der webenden Rauchwolke stehen, herabblicken aus hohlen Augen und wieder verschwinden. Sprachlos sahen wir hin, Anna schmiegte sich dicht an mich und ich legte meinen Arm um sie; wir waren erschreckt und doch glücklich, und das Bild der Höhle schwamm verwirrt und verwischt vor unseren emporgerichteten Augen, und als es wieder klar wurde, standen ein Mann und ein Weib in der Höhe und schauten auf uns herab. Eine ganze Reihe von Knaben und Mädchen, halb oder ganz nackt, saß unter dem Loche und hing die Beine über die Wand herunter. Alle Augen starrten nach uns, sie lächelten schmerzlich und streckten die Hände nach uns aus, wie wenn sie um Etwas flehten. Es ward uns bange, wir standen eilig auf, Anna flüsterte, indem sie perlende Thränen vergoß: «O, 039 die armen, armen Heidenleute!» Denn sie glaubte fest, die Geister derselben zu sehen, besonders da Manche glaubten, daß kein Weg zu jener Stelle führe. «Wir wollen ihnen etwas opfern,» sagte das Mädchen leise zu mir, «damit sie unser Mitleid gewahr werden!» Sie zog eine Münze aus ihrem Beutelchen, ich ahmte ihr nach und wir legten unsere Spende auf einen Stein, der am Ufer lag. Noch einmal sahen wir hinauf, wo die seltsame Erscheinung uns fortwährend beobachtete und mit dankenden Gebärden nachschaute.

Als wir im Dorfe anlangten, hieß es, man habe eine Bande Heimatloser in der Gegend gesehen und man würde dieselben nächster Tage aufsuchen, um sie über die Gränze zu bringen. Anna und ich konnten uns nun die Erscheinung erklären; es mußte doch ein geheimer Weg dorthin führen, welcher nur unter dem unglücklichen Volke, das solche Schlupfwinkel braucht, bekannt sein mochte. Wir gaben uns in einem einsamen Winkel feierlich das Wort, den Aufenthalt der Armen nicht zu verrathen, und hatten nun ein wichtiges Geheimniß zusammen.

 


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