Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        GG_10

Gesammelte Gedichte

I. (X.)

Trinklaube.

 

189 Gaselen. I.

Unser ist das Los der Epigonen,
Die im weiten Zwischenreiche wohnen;
Seht, wie ihr noch einen Tropfen presset
Aus den alten Schalen der Citronen!
Geistiges ist mäßig noch vorhanden,
Auch des Lebens Süße wird noch lohnen;
Wasser flutet uns in breiten Strömen,
Brauchen es am wenigsten zu schonen:
Braut den Trank für lange Winternächte,
Bis uns blühen neue Lenzeskronen
Und der Dichtung Fahrzeug mag entrinnen
Dem Bereich der grausen Lästrygonen!

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

190 Gaselen. II.

O heiliger Augustin im Himmelssaal,
Nun werd' ich glauben an deine Gnadenwahl;
Denn gleich dem Affen, der eine Tulpe hält,
Sah heut ich einen halten den Festpokal!
Wie hat zerreißend es mir ins Ohr gegellt,
Als er der Maid froschmäulige Küsse stahl!
Dazu schaut' er so jämmerlich in die Welt,
Als stäk' er in des Fegefeuers Qual!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

191 Gaselen. III.

Der Herr gab dir ein gutes Augenpaar,
Du weißt damit zu blicken lieb und klar.
Mit feiner Hand hältst du in schönen Banden,
Das er dir gab, dein anmutreiches Haar.
Gleich einer Palme aus den Morgenlanden
Ließ er dich wachsen, der im Anfang war;
Du aber weißt dich köstlich zu gewanden,
Daß sich verdunkelt deiner Schwestern Schar.
Wie dankbar du des Schöpfers Sinn verstanden,
Als seine Interpretin legst du dar!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

192 Gaselen. IV.

Wenn schlanke Lilien wandelten, vom Weste leis geschwungen,
Wär' doch ein Gang, wie deiner ist, nicht gleicherweis' gelungen!
Wohin du gehst, da ist nicht Gram, da ebnet sich der Pfad,
So dacht' ich, als vom Garten her dein Schritt mir leis erklungen.
Und nach dem Takt, in dem du gehst, dem leichten, reizenden,
Hab' ich im Nachschau'n wiegend mich dies Liedlein leis gesungen.

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

193 Gaselen. V.

Nun schmücke mir dein dunkles Haar mit Rosen,
Den Schleier laß die Schultern klar umkosen!
In holden Züchten laß die Augen streifen,
Sie können es so wunderbar, die losen!
Du sollst an meinem Arm die Stadt durchschweifen
Und meiner Neider goldne Schar erbosen.

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

194 Gaselen. VI.

Perlen der Weisheit sind mir deine Zähne!
Wie stets ich mich nach ihrem Scheine sehne!
Denn über dem Bemüh'n, sie zu erblicken,
Vertrocknet mir des Kummers letzte Thräne.
Indem ich dich zu holdem Lachen reize,
Vergess' ich ganz der Welt unreine Späne;
Doch um dein schönstes Lächeln zu gewinnen,
Verlieren sich in Thorheit meine Pläne!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

195 Gaselen. VII.

Ich halte dich in meinem Arm, du hältst die Rose zart,
Und eine junge Biene tief in sich die Rose wahrt;
So reihen wir uns perlenhaft an einer Lebensschnur,
So freu'n wir uns, wie Blatt an Blatt sich an der Rose schart.
Und glüht mein Kuß auf deinem Mund, so zuckt die Flammenspur
Bis in der Biene Herz, das sich dem Kelch der Rose part!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

196 Gaselen. VIII.

Berge dein Haupt, wenn ein König vorbeigeht,
Tief an der Brust des Geliebten, der frei steht;
Aber dem Betteljung laß es erglänzen,
Welchen das Elend des Lebens vorbei weht!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

197 Gaselen. IX.

Mich tadelt der Fanatiker, in deinen Armen weich zu ruh'n,
Und heischt, indem zum Streit er eilt, zu lärmen und ihm gleich zu thun;
In tollen Sätzen springt er fort und peitscht die Luft mit seinem Stahl
Und schwört: es geb' kein größer Heil, als auf dem Schlachtfeld bleich zu ruh'n!
Laß laufen ihn, den Närrischen, und küsse mich noch hundertmal,
Ich denke doch bei Zeiten noch vor ihm den ersten Streich zu thun!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

198 Gaselen. X.

Verbogen und zerkniffen war der vord're Rand an meinem Hut,
Und rötlich färbte er sich auch, wie es des Trinkers Nase thut;
Und wenn ich auf der Straße ging, so fiel ich in der Spötter Schlingen,
Das füllte mich mit Aerger; der Chapeau war doch im ganzen gut.
Drum dreht' ich ihn, bis hinter mir des Würdigen gelähmte Schwingen,
Und vorn den wohlerhalt'nen Rand trat ich einher mit frischem Mut.
Doch weh! an meinem Rücken nun die tausend schlimmen Augen hingen,
Ich hörte zischeln hinter mir, und in den Kopf stieg mir das Blut
Und zwang mich, den verdammten Filz flugs wieder vorn herum zu bringen,
Denn lieber vor als hinter mir mag ich der Tadler stille Wut.
In seinen Schatten neige dich, Schlußton von allem meinem Singen
Mein treues Lieb, und tröste mich mit deiner Lippen süßer Glut!


   Gesammelte Gedichte / Trinklaube

199 Panard und Galet.+) I.

Sie kamen von der Tränke,
Sie wankten aus der Schenke
Mit einer Zecherschar,
Als es Charfreitag Morgen
Und grabesstille war.

Von heißen Stirnen nicken
Und stäuben die Perrücken
Wie Wolke birgt den Blitz;
Die spitze Kling' am Degen
Zuckt wie geschliffner Witz.

Sie taumelten und sangen,
Vom Mund wie Stöpsel sprangen
Die Verse, Schlag auf Schlag;
Da schrie Panard: O fühlet
Den furchtbar großen Tag!

Das Universum trauert,
Die dunkle Sonne schauert,
Die Erde wankt und bebt,
Daß unter unsern Füßen
Der hohle Boden schwebt!

Unsicher ist's, zu stehen,
Und ratsam nicht, zu gehen!
Kehrt um zu uns'rem Wirt! –
Und alsbald kroch die Herde
Zurück zu ihrem Hirt.

Dort blieben sie verborgen
Bis an den dritten Morgen
Tief und geheimnisvoll,
Bis in der goldnen Frühe
Die Osterglocke scholl.

Als die verjüngte Sonne
In Auferstehungswonne
Durchschritt des Frühlings Thor,
Da stiegen aus der Höhle
Weinselig sie hervor.

+) Französische Poeten des 18. Jahrhunderts.


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube>

200 Panard und Galet. II.

Auf seinem Bette liegt Galet,
Weglachend seines Todes Weh.

Er schickt Panard den Morgengruß,
Sechs neue Lieder zum Genuß.

«Erst wollt' ich reimen, liebes Kind!
So viele, als Apostel sind.

«Doch hab' ich's nur auf sechs gebracht,
Weil schon der Totengräber wacht.

«Der Totengräber an der Thür
Mit seinem Spaten lauscht herfür.

«Der hackt mich mit den andern sechs
Bald unter grünes Grasgewächs.

«Leb' wohl, mich dünkt, nun muß es sein,
Der beste Reim ist Rhein und Wein!»

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

201 Panard und Galet. III.

Es klagt Panard: Habt ihr gesehn
Die Stätte, wo er ruht?
So könnt ihr meinen Schmerz verstehn
Und meines Herzens Wut!

Der keiner Quelle, noch so rein,
Beim größten Durst genaht,
Ihn, dem kein schnödes Wässerlein
Die Lippe je betrat.

Ihn haben sie nun hingelegt,
Wo graus vom Turm herab
Die Traufe ihm zu Häupten schlägt
Und plätschert auf dem Grab!

Ich selbst bin nun ein Wasserfaß,
Dran keine Daube schließt,
Da stets ein unglückselig Naß
Mir aus den Augen schießt.

Es regnet meiner Thränen Fluß
Wie toll zu jeder Stund',
Daß mit der Hand ich decken muß
Das Glas an meinem Mund!

Die süße Traube sank zur Ruh'
Vom Stocke, der ich bin;
O Winzer Tod, nun schneide Du
Mich selber bald dahin!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

202 Ungemischt.

Daß ich nicht ein jedes Atom von Wein
Mit einer Flut von Blödigkeiten büße,
Schenke mir das blühende Gold vom Rhein,
Unvermischt in seiner würz'gen Süße!

Deine Augen laß frei von Thränen sein,
Daß die lieblichen Sterne nicht versiegen;
Weich genug droht schon der bläuliche Schein
Wie ein zartes Traumbild zu verfliegen!

Frühlingstage, Stunden der Seligkeit,
Wie sie lind in unsre Seelen rinnen!
Und wir sollten die köstliche Neige Zeit
Mit dem Gedanken der Ewigkeit verdünnen?


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

203 Geübtes Herz.

Weise nicht von dir mein schlichtes Herz,
Weil es schon so viel geliebet!
Einer Geige gleicht es, die geübet
Lang ein Meister unter Lust und Schmerz.

Und je länger er darauf gespielt,
Stieg ihr Wert zum höchsten Preise;
Denn sie tönt mit sichrer Kraft die Weise,
Die ein Kundiger ihren Saiten stiehlt.

Also spielte manche Meisterin
In mein Herz die rechte Seele,
Nun ist's wert, daß man es dir empfehle,
Lasse nicht den köstlichen Gewinn!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

204 Doppelgleichnis.

O ein Glöcklein klingelt mir früh und spät
Silbernen Schalles in die Seele herein,
Zart wie ein Luftlied, welches von Westen weht,
Unermüdlich plaudernd, so lieb und fein!

Aber wandl' ich es um zum Becherlein,
Kehr' ich es um und häng' es an meinen Mund,
Trinke daraus den allersüßesten Wein,
Schweigt das Becherglöckelchen zur Stund.

Hält sich stille, so lang ich trinken mag,
An meinen durstigen Lippen verhallt sein Rand,
Tönet jedoch wieder mit hellem Schlag,
Kaum ich es der innigen Haft entband.

Kelch und Glöcklein ist, mein Engelchen,
Mir dein Mündchen ohne Rast und Ruh,
Und das Zünglein drin das Schwengelchen,
Das nie schweigt, als wenn ich dich küssen thu'.


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

205 Mit einer Reißkohle.

Gefächelt von der Lüfte Schwingen,
Zeigt's deines Mundes hohe Rosenglut
Und knistert leis, wie deine Lippen singen,
Wenn ein geheimer Traum bewegt dein Blut.

Nun schweigt das Knistern, stirbt die Röte,
In tiefe Nacht versinkt der Fünklein Tanz;
Nun ist es tot und schwarz, was überböte
Die Schwärze, als dein Haar im Morgenglanz?

Noch warm nehm' ich die zarte Leiche
Und schreib' auf deines Flur's besonnten Stein
Ihr art'ges Leben, dem das deine gleiche,
So hoch erglühend und so schlicht und rein!

«Ich war ein Bäumlein auf den Rainen,
Mein Mark war weich und weiß, die Blättlein grün,
Ich sah die Sonne feurig niederscheinen,
Dann brannt ich selber, selig im Verglüh'n!

«Was von mir blieb, zeigt noch die Triebe
Der Adern und der Jahresringe Lauf;
Schreib' froh mit mir, Poet, den Preis der Liebe
Und brauch mich ganz zu deinem Liede auf!»


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

206 Die Aufgeregten.

Welche tief bewegten Lebensläufchen,
Welche Leidenschaft, welch' wilder Schmerz!
Eine Bachwelle und ein Sandhäufchen
Brachen gegenseitig sich das Herz!

Eine Biene summte hohl und stieß
Ihren Stachel in ein Rosendüftchen,
Und ein holder Schmetterling zerriß
Den azurnen Frack im Sturm der Mailüftchen!

In ein Tröpflein Tau am Butterblümchen
Stürzt' sich eine kleine Käferfrau,
Und die Blume schloß ihr Heiligtümchen
Sterbend über dem verspritzten Tau!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

207 Lacrimae Christi.

Wie des Rauches Silbersäumchen
Vom Vesuv den Himmel sucht!
Feigenbäumlein, Feigenbäumchen,
Und wie süß ist deine Frucht!
Und ein kühlender Zephyr fächelt
Ueber den warmen Lavagrund,
Drauf die Madonna niederlächelt
Mit dem feingeschnitzten Mund.

Kommt ein lustiger Mönch gegangen
Mit dem vollen Thränenkrug;
Kommt ein Weib mit Purpurwangen
Und mit nächtlichem Lockenflug;
Schön ist's unter dem Feigenbaum,
Wo der Berg in Liebe brennt!
Drüben leuchten, wie ein Traum,
Ischia, Capri und Sorrent.

Sind ihre Locken die dunkle Nacht,
Ist seine Glatze der Mondenschein,
Und es können die Sternenpracht
Ihre glühenden Augen sein.
Also schaffen am hellen Tag
Sie die heimliche stille Nacht;
Was doch alles geschehen mag,
Wenn man's klug und sinnig macht!

Nur die hölzerne Madonne
Schmachtet in der heißen Sonne;
Daß auch sie genieße der Ruh,
Wirft das Weib ihr den Schleier zu.
Lachend über die See her blinken
Ischia, Capri und Sorrent;
Süß und selig ist zu trinken,
Was man Christi Thränen nennt!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

208 Landwein.

Am Hügel wohnt der alte Bauersmann,
Der hat sein Gut von neuer Hand gegründet,
Daß all sein Land im weitgezognen Bann
Des Eigners feste Willenskraft verkündet;
Was harter Fleiß der Erd' entlocken kann,
Hat er zu immergrüner Pracht entzündet;
Und in der Mitte steht sein stattlich Haus,
Die Fenster schimmern in das Land hinaus.

Da ist das ganze Jahr ein wechselnd Blüh'n,
Geteilt in Streifen und in allen Farben
Dehnt es sich aus, vom hellen Saatengrün
Bis zum gediegnen Gold der schweren Garben.
Des Mohnes traumerfüllte Kelche glüh'n,
Wenn kaum des Flachses blaue Blüten starben;
Vereinigt leuchtet aller Farben Flor
Im Blumengarten vor des Hauses Thor.

Vom fernen Berge aus dem eignen Wald
Hat er zum Hof den Brunnen hergeleitet,
Und von des Forstes felsiger Gestalt
Aus eignem Stein des Hauses Grund gebreitet.
Man sieht, wie neben mächt'ger Eiche bald,
Bald neben der gefällten Tann' er schreitet,
Die blanke Axt fest in den Stamm gehauen,
Dem langen Zug den richt'gen Weg zu schauen.

Vom Morgengrauen bis zum Nah'n der Nacht
Kann man ihn seh'n durch Flur und Felder streifen,
So weit noch seines Halmes Blüte lacht,
Treu seine Bienen Pflug und Stier umschweifen;
Selbst von der Lüfte sonnig heitrer Pracht
Die Tauben seines Hof's Besitz ergreifen.
Und auch die Lerche, Wachtel, Eul' und Rabe
Sind heimatliche Kinder seiner Habe.

Jedoch sein Herzfleck ist ein jäher Rain,
Der sich erhebt aus weiten Ackergründen,
Da, wo am vollsten ruht der Sonne Schein
Und abgewandt des Nordens rauhern Winden;
Da zieht der Landmann seinen Labewein,
Da ist er manchen langen Tag zu finden,
Wie Arbeit er und Müh' mit Lust verschwendet,
Der Rebe wähl'risch Schoß zum Lichte wendet.

Doch zieht er nicht die Traube zum Erwerb,
Mit seinen Söhnen trinkt er selbst den Saft,
Der nicht wie Honig süß, doch frisch und herb
Der Männer Blut erhält mit tücht'ger Kraft;
Auch Brot und Leib und Leben sind ja derb
Dem Volke, das in brauner Scholle schafft;
Nur wenn ein heißes Weinjahr ist auf Erden,
Kann auch sein Wein ein rechter Festwein werden.

Wie oftmals, wenn der kühle Herbst gekehrt,
Gelungen war des Jahr's mühsel'ger Plan,
Die Speicher hoch mit reicher Frucht beschwert,
Der neue Wein in seine Haft gethan,
Hat er das erste Glas davon geleert –
Nie setzt' er eines ruhig wohler an –
So saß der Mann inmitten seiner Sippe
Und trank den jungen Wein mit froher Lippe.

Wenn dieser so im Glas zu gähren schien,
Im Innersten nach Klarheit heiß zu ringen,
Dann sprach der Mann wie träumend vor sich hin,
Als hört' er wo ein fernes Lied erklingen:
«Gott hat's gegeben, und wir preisen ihn!
Wir loben ihn, wenn wir es wieder bringen!
Denn wie er's geben kann, mag er es nehmen,
Und unser ist ein mutiges Bequemen!

«Wohl hört man ihn durch Tann' und Schlüchte fahren,
Wer aber weiß, von wannen kommt der Wind?
So drängen sich der Menschheit schwere Scharen,
Die selber sich ein tief Geheimnis sind,
Das aber endlich sich soll offenbaren
Den Lebensklugen, die nicht taub und blind.
Indes zur Uebung, Stärkung unser'm Streben
Wird dieser harte Ackergrund gegeben.

«Und was wir heute sammeln und gestalten,
Das wird der Morgen schonungslos zerstreuen;
Doch wollt ihr einen süßen Kern erhalten,
Dürft ihr euch nicht zu sehr der Schalen freuen;
Wenn sich der Geist der Geister will entfalten,
Wird unablässig er das Wort erneuen.
Wir aber müssen bei der Arbeit lauschen,
Wohin die heil'gen Ströme wollen rauschen!»


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

209 Rote Lehre.

«Ich bin rot und hab's erwogen
Und behaupt' es unverweilt!
Könnt' ich, würd' ich jeden köpfen,
Der nicht meine Meinung
teilt!»

In des Baders enger Stube
Vetter Hansen also sprach,
Eben als 'nem feisten Bäcker
Jener in die Ader stach.

Und des Blutes munt'rer Bogen
Aus dem dicken drallen Arm
Fiel dem Vetter auf die Nase,
Sie begrüßend freundlich warm.

Bleich, entsetzt fuhr er zusammen,
Wusch darauf sich sieben Mal;
Doch noch lang rümpft er die Nase,
Fühlt noch lang den warmen Strahl.

Mittags widert ihm die Suppe,
Rötlich dampft sie, wie noch nie;
Immer geht es so der alten
Grauen Eselstheorie!

Manches Brünnlein mag noch springen
In das Gras mit rotem Schein;
Doch der Freiheit echter, rechter
Letzter Sieg wird trocken sein.


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

210 Epigrammatisches.
Venus von Milo.

Wie einst die Medizäerin
Bist, Aermste, du jetzt in der Mode
Und stehst in Gips, Porz'lan und Zinn
Auf Schreibtisch, Ofen und Kommode.

Die Suppe dampft, Geplauder tönt,
Gezänk und schnödes Kindsgeschrei;
An das Gerümpel längst gewöhnt,
Schaust du an allem still vorbei.

Wie durch den Glanz des Tempelthor's
Sieht man dich in die Ferne lauschen,
Und in der Muschel deines Ohr's
Hörst du azurne Wogen rauschen!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

211 Ratzenburg.

Die Ratzenburg will Großstadt werden
Und schlägt die alten Linden um;
Die Türme macht sie gleich der Erden
Und streckt gerad, was traulich krumm.
Am Stadtbach wird ein Quai erbauet
Und einen Boulevard man schauet
Vom untern bis zum obern Thor;
Dort schreitet elegant hervor
Die Gänsehirtin Katharine,
Die herrlich statt der Krinoline,
Zu aller Schwestern blassem Neide,
Trägt einen Faßreif stolz im Kleide.
So ist gelungen jeder Plan,
Doch niemand sieht das Nest mehr an!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

212 An eine junge Simplicitas.

Schämig versagst du den Blick dem übel beleumdeten Ketzer,
Spendest zur Seite gewandt deinen verkümmerten Knicks!
Schwebe nur zierlich von hinnen: als Mütterchen seh' ich dich humpeln,
Welches zu Hussens Gericht steuert sein schwelendes Scheit!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

213 Historiograph.

Weisheitsvoll und prophetisch betrieb er und schrieb er Geschichte;
Als sie mit blitzendem Schild aufstand, purzelt er um!
Wär' ich doch lieber ein Kätzlein, ein schäbiges, welches Miau schreit,
Als ein solcher Prophet! riefen die Dichter im Chor.


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

214 Einem Tendenzriecher.

Weil in Tendenzen du dich hast müd und kränklich geschwelget,
Aergert dich jetzo der Gran, welcher Gesunden bekommt!


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215 Der Scheingelehrte.

«Wissende sagten es lange!» so schnarrte der Esel zu Erfurt,
Als er den Hafer entdeckt, schnuppernd im Psalter des Till.


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216 Rhetorische Histrionen.

Einer flötet wie Honig so süß, der andere lümmelt,
Doch vor dem gleichen Trümeau wurden die Reden studiert.
Denk' an die Leere des Spiegels, sobald das verlogene Wesen
Dir den redlichen Sinn irre zu führen versucht!

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

217 Ein schuldlos Unwahrer.

Launig erlog die Natur und bemalte den stattlichen Golem,
Dann, auf sich selber gestellt, log das Gebilde sich durch;
Was es berührt, wird unwahr, Gold zu gleißendem Tombak,
Kläglich im festlichen Krug macht es zu Wasser den Wein!
Möchte Natura naturans mit solchem Betrieb uns verschonen,
Laufen ja mehr als genug wirkliche Schelme herum!


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218 Dynamit.

Seit ihr die Berge versetzet mit archimedischen Kräften,
Fürcht' ich, den Hebel entführt euch ein dämonisch Geschlecht!
Gleich dem bösen Gewissen geht um die verwünschte Patrone,
Jegliches Bübchen verbirgt schielend den Gräuel im Sack.
Wahrlich, die Weltvernichtung, sie nahet mit länglichen Schritten,
Und aus dem Nichts wird nichts: herrlich erfüllt sich das Wort!


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219 Dem Kopf- und Herz-Dogmatiker.

Dein schlechtes Fühlen stieg aus deinem Kopf hernieder,
Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder:
Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,
Die träge Magd, das Herz, zu wecken ihn vergißt!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

220 Ein Goethe-Philister.

Den mit trock'nen Erbsen angefüllten Schädel
Taucht er jauchzend in des klaren Meeres Wellen,
Das man Goethe nennt; nun schauet achtsam,
Wie die Nähte platzen, wenn die Erbsen schwellen!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

221 Parteileben.

Wer über den Partei'n sich wähnt mit stolzen Mienen,
Der steht zumeist vielmehr beträchtlich unter ihnen.


Trau' keinem, der nie Partei genommen
Und immer im Trüben ist geschwommen!
Doch wird dir jener auch nicht frommen,
Der nie darüber hinaus will kommen.


Fällt einer ab von eurer Schar,
So laßt ihn laufen und richtet nicht;
Doch dem, der zu euch stoßen will
Von dort, dem schauet ins Gesicht!


«Was du nicht willst, daß man dir thu',
Das füg' auch keinem andern zu!»
Laß die Gesinnung merklich sein,
So ist der halbe Sieg schon dein.
Zu diesem Wort lacht manch' ein Schuft,
Der sich auf den Erfolg beruft;
Doch du erlebst, daß er wird wandern,
's trifft eben einen nach dem andern!


Halte fest an der Partei, wenn du ein Parteimann bist;
Aber unbewegt verleugne jeden Lügner und Sophist!


Betrachtet eurer Gegner Schwächen
Und lernt, am besten euch zu rächen,
Das eig'ne Unkraut auszustechen!


Wenn schlechte Leute zanken, riecht's übel um sie her;
Doch wenn sie sich versöhnen, so stinkt es noch viel mehr!


Als Gegner achte, wer es sei!
Strauchdiebe aber sind keine Partei!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

222 Majorität.

Der Mehrheit ist nicht auszuweichen,
Mit Helden- wie mit Schwabenstreichen
Macht sie uns ihre Macht bekannt
Auf Weg und Steg im ganzen Land;
So gebt dem Kind den rechten Namen,
Laßt Ehr und Schuld ihm und sagt Amen!
Und läuft es dann auf schlechten Sohlen,
So wird es schon der Teufel holen!

 

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

223 Ist zu Ende nun das Kannegießen …

Ist zu Ende nun das Kannegießen,
Lasset euch das Trinken nicht verdrießen;
Braucht die Kannen! Ist erst Wein darin,
Wird zum alten auch das neue Zinn!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

224 Aus ihrem Leben:
Dichtung und Wahrheit. I

Den Dichter seht, der immerdar erzählt von Lerchensang,
Wie er nun bald ein Dutzend schon gebratner Lerchen schlang!
Bei Sonnenaufgang, als der Tag in Blau und Gold erglüht,
Da war es, daß sein Morgenlied vom Lob der Lerchen klang;
Und nun bei Sonnenuntergang mit seinem Gabelspieß
Er sehnend in die Liederbrust gebratner Lerchen drang!
Das heiß ich die Natur verstehn, allseitig tief und kühn,
Wenn also auf und nieder sich sein Tag mit Lerchen schwang!

 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

225 Dichtung und Wahrheit. II.

Kennt ihr den Kleinkinderhimmel,
Wo als Gott der Zuckerbäcker
Waltet süß und hoch und herrlich
In den Augen kleiner Schlecker?

Und zur Weihnachtszeit, wie flimmert,
Duftet es an allen Wänden!
Welchen Schatz von Seligkeiten
Schüttet er aus mächt'gen Händen!

Läßt erblühen Wunderblumen,
Weise streut er die Gewürze;
Schön steh'n ihm die hohe, weiße
Zipfelmütze, Wams und Schürze.

Doch wonach die guten Kinder
Schmachtend vor dem Laden stehen,
Muß dem Reichen, Allgewalt'gen
Reizlos durch die Hände gehen.

Einmal kaum im Jahr genießt er
Aus Zerstreuung in dem Handel
Flüchtig ein gefehltes Törtchen
Und verächtlich eine Mandel.

Zipfelmütze, weiße Schürze,
O wie nüchtern glänzet ihr,
Und wie mahnt ihr mich an weißes,
Reinliches Konzeptpapier!


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

226 In den Aepfeln.

Ich kam zu einem Apfelbaum,
In dessen grünen Aesten
Ein krummer Zwerg den frischen Schaum
Der Aepfel sog, der besten.

Um einen Apfel bat ich ihn,
Da fing er an zu rütteln
Und toll und wild und her und hin
So Frucht wie Laub zu schütteln.

Ich aß wie ein begier'ger Mann
Und ließ es mich gelüsten,
Nicht achtend, wie der Zwerg begann,
Die Krone zu verwüsten,

Da sang ein Vogel: Iß, du Held!
Du hast den Witz gefunden:
Das Laub, das mit daneben fällt,
Bedeutet deine Stunden!

Da jagt ich Kobold Unverstand
Herunter aus den Zweigen
Und unternahm, mit Fuß und Hand
Bedacht hinanzusteigen.

Nun saß ich selber auf dem Baum,
Nach Aepfeln auszuspähen,
Und ich genoß den süßen Schaum,
Die Blätter ließ ich stehen.


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

227 Der falsche Hafisjünger.

«Ich bet' in aller Frühe
Und jeden Abend wieder,
Damit ich fromm erglühe,
Hafisens süße Lieder.

Ich murmle sie beständig
Im Pharisäermunde;
Denn sie sind nicht lebendig
Auf meiner Seelen Grunde!

Wie einst ich meinem Gotte
Tugend und Treu versprochen
Und täglich ihm zum Spotte
Dennoch das Wort gebrochen,

So brech' ich jetzo wieder
Das angelobte Streben,
Von Lieb' und Wein die Lieder
Auch orthodox zu leben
,

Indes ich kalt und nüchtern
Und grämlich mich verbittre,
Indes ich blöd und schüchtern
In meinem Herzen zittre,

Indes ich mit Bülbülen
Und mit Narzissen prahle,
Sorg' einzig ich im Stillen,
Wie sich die Zeche zahle.

Verfluchtes Buch, das dreimal
Ich schon veräußert habe!
Stets kehrt zurück das Scheusal
Wie eines Teufels Gabe!

Und wieder mit Geflüster
Bet' ich in dem Breviere
Und hock', wie ein Magister
Bei seinem sauren Biere!

So ist zu jeden Zeiten
Die Heuchelei vom Bösen –
Mög' uns nach allen Seiten
Der Herr davon
erlösen!»


 Gesammelte Gedichte / Trinklaube

228 Morgenwache.

Nun, da diese alten Herr'n
Tief im Rausche sanken,
Oben auch von Stern zu Stern
Morgennebel wanken:
Rücken wir zusammen
Unterm Gartenthor,
Jetzt in neuen Flammen
Schlägt die Lust empor!

Daß der junge Sonnenball,
Rollt er auf den Hügeln,
Sich im funkelnden Krystall
Klärlich kann bespiegeln.
Halten wir entgegen
Becher ihm und Glas;
Fließe, gold'ner Regen,
Glühe, dunkles Naß!

Jungfrau! Geh' und sieh mir nach
Rings in allen Gärten,
Ob die Rosen schon sind wach,
Bring' die Tauverklärten!
Rosen, Rosen bringe!
Rosenduft soll weh'n!
Wenn ich trink' und singe,
Muß ich Blumen seh'n!

Horch'! Der tiefe Amselschlag
Schallet aus den Gründen;
Treue Wächter soll der Tag
Heiter in uns finden.
Wer wird denn vermissen
Eine kurze Nacht,
Wenn sie sangbeflissen
Wacker durchgewacht?

Tief ist uns'rer Freude Born,
Tiefer als das Leiden,
Doch es wacht der helle Zorn
Gleich in ihnen beiden.
Darum lasset rinnen
Letztes Glas und Lied!
Zornig uns von hinnen
Nun die Freude zieht!

Und der Lüge schwarzen Molch
Tapfer anzustechen,
Dem gemeinen Höllenstrolch
Kühn das Horn zu brechen:
Ja, die Nas' zu finden,
Die uns nicht gefällt,
Zieh'n mit allen Winden
Fort wir in die Welt!

 

  


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