Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        GG_09

Gesammelte Gedichte

IX.

Pandora.

(Antipanegyrisches.)

 

174 Meergedanken.

O wär' mein Herz das tiefe Meer
Und seine Feinde die Schiffe,
Wie schleudert' es sie hin und her
An seines Zornes Riffe!

Und endlich schläng' es unter sie,
Hinunter in die Tiefe,
Daß drüber glänzend spät und früh
Der Meeresfrieden schliefe.

So aber ist's ein Wellchen kaum,
Von tausend Wellen eine;
Doch nagt und wäscht ihr leichter Schaum
Am morschen Schiffsgebeine.

Wir Wellen ziehen treu vereint
Und eine folgt der andern;
Wir haben all' den gleichen Feind,
Nach dem wir späh'n und wandern.

Die Geisternot, der Wirbelwind,
Der peitscht uns, bis wir schäumen,
Bis alle wach geschlagen sind
Aus ihren Wasserträumen.

Und endlich sinkt im Trümmerfall,
Was wir so lang getragen –
Heil uns, wenn wir mit sattem Schwall
Dann oben zusammenschlagen!

Dann ruft's von allen Ufern her,
Als ständ' der Himmel offen:
Das Schiff der Lügner ist im Meer
Mit Mann und Maus ersoffen!


 Gesammelte Gedichte / Pandora

175 Apostatenmarsch.

Bum! Bum! Bim, bam, bum!
Schnürt den Sack und kehrt links um!
Abgeweidet ist die Matte,
Spute dich, du Wanderratte,
Hungern ist kein Gaudium!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Sind wir nicht ein schöner Zug,
Galgenfroher Rabenflug?
Hinter uns die guten Tröpfe
Steh'n und brechen sich die Köpfe
Ob dem lustigen Betrug.
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Hohn und schriller Pfeifenklang
Folgen uns den Weg entlang;
Weiter, weiter in dem Kote,
Weiße süße Gnadenbrote
Lohnen uns den sauren Gang!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Aus dem Busen reißt das Herz,
Werft es fluchend hinterwärts!
Pfaffenküch' und Keller kühle
Spülen weg die Hochgefühle,
Ei, es war nur Bubenscherz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!

Nieder mit dem Jungfernkranz!
Ausgelöscht der Ehre Glanz!
Ausgepfiffen jede Wahrheit,
Angeschwärzt der Sonne Klarheit,
In den Staub mit dem Popanz!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam bum!

Judas starb den dummsten Tod,
Schäme dich, Ischariot!
Magst du zappeln! Unsereiner
Schwimmt mit Würde stets als reiner
Goldfisch durch das Blut so rot!
Dreht die Fahne, dämpft die Trommel:
Bum! Bum! Bim, bam, bum!


 Gesammelte Gedichte / Pandora

176 Auf Maler Distelis Tod.

Sie haben Ruh', die Kutten braun und schwarz,
Die Fledermäuse, Raben, Eulenköpfe,
Spießbürger alle mit und ohne Zöpfe,
Und was da klebt im zähen Pech und Harz!

Er hat sie drangsaliert und ließ sie tanzen,
Die faulen Bäuche, wie die krummen Rücken,
Die dicken Käfer und die dünnen Mücken,
Die Maulwurfsgrillen und die Flöh' und Wanzen!

Schaut her, ihr draußen, denen im Genick
Der Adler und der Geier Fänge lasten,
Schaut dies Gewimmel ohne Ruh' und Rasten,
Den Bodensatz in einer Republik!

Solch einen Sabbat wohlgemut zu schildern,
Braucht es fürwahr ein unerschrocknes Blut!
Nun warf er hin den Stift, nahm Stock und Hut,
Und fluchend steht das Volk vor seinen Bildern.


 Gesammelte Gedichte / Pandora

177 Schlechte Jahreszeit.

Wo ist der schöne Blumenflor,
Den wir so treu gehegt?
Vom Hoffen und vom Grünen sind
Herz, Garten kahl gefegt!
Und wie in einer Nacht ergraut
Ein unglückselig Haupt,
Hat sich heut Nacht das Vaterland
Geschüttelt und entlaubt!

Der Rhein entführt ins Niederland
Die welke Sommerlust,
Läßt öd' und fahl die Felder uns,
Den Frost in unsrer Brust.
Die Silberfirnen hüllen sich
In dunkle Wolken ein;
Doch bald wird jeder Kehricht nun
Ein blanker Schneeberg sein!

Und alles wird so klein, so nah',
So dumpf und eingezwängt;
Wie drückend ob dem Scheitel uns
Der graue Himmel hängt!
Auf jedem Kreuzweg sitzt ein Feind –
Es ist ein harter Stand:
Mit Schurken atmen gleiche Luft
Im engen Vaterland!


 Gesammelte Gedichte / Pandora

178 Lied vom Schuft.

Ein armer Teufel ist der Schuft,
Er weiß, es kennt ihn jedes Kind
Er wandelt wie ein Träumender,
Wo unverdorbne Menschen sind.

Ein dummer Teufel ist der Schuft,
Weil er doch der Geprellte ist,
Wenn ihn die Welt, die er betrog,
Mit großen, klaren Augen mißt.

Er geht einher im Silberhaar
Und keimt schon in des Knaben Blick,
Er kriecht umher in dunkler Not
Und spiegelt sich in Glas und Glück.

Bald sitzt er auf dem Königsthron
Und heißt von Gottes Gnaden Schuft,
Bald steckt er und vermodert er
In eines Bettlers Hundegruft.

Doch immer müht und plagt er sich
Und thut, als wär' er sehr gescheit;
Wenn man an ihm vorübergeht,
So pfeift er aus Verlegenheit.

Laßt pfeifen sie und nagen nur,
Die Ratten, im dunklen Erdenhaus;
Es tagt dereinst ihr Wandertag,
Dann schweigen sie und sterben aus!


 Gesammelte Gedichte / Pandora

179 Jesuitenzug.
1843.

Hussah! Hussah! Die Hatz geht los!
Es kommt geritten klein und groß,
Das springt und purzelt gar behend,
Das kreischt und zetert ohne End':
Sie kommen, die Jesuiten!

Da reiten sie auf Schlängelein
Und hinterdrein auf Drach' und Schwein;
Was das für muntre Bursche sind!
Wohl graut im Mutterleib dem Kind:
Sie kommen, die Jesuiten!

Hu, wie das krabbelt, kneipt und kriecht,
Pfui, wie's so infernalisch riecht!
Jetzt fahre hin, du gute Ruh'!
Geh', Grete, mach das Fenster zu:
Sie kommen, die Jesuiten!

«Gewissen, Ehr' und Treue nehmt
Dem Mann und mach't ihn ausverschämt,
Und seines Weibes Unterrock
Hängt ihm als Fahne an den Stock:
Wir kommen, die Jesuiten!»

Von Kreuz und Fahne angeführt,
Den Giftsack hinten aufgeschnürt,
Der Fanatismus ist Profoß,
Die Dummheit folgt als Betteltroß:
Sie kommen, die Jesuiten!

«Wir nisten uns im Niederleib
Wie Maden ein bei Mann und Weib,
Und was ein Schw...n erfinden kann,
Das bringen wir an Weib und Mann:
Wir kommen, die Jesuiten!»

O gutes Land, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!


 Gesammelte Gedichte / Pandora

180 Die öffentlichen Verleumder.

Ein Ungeziefer ruht
In Staub und trocknem Schlamme
Verborgen, wie die Flamme
In leichter Asche thut.
Ein Regen, Windeshauch
Erweckt das schlimme Leben,
Und aus dem Nichts erheben
Sich Seuchen, Glut und Rauch.

Aus dunkler Höhle fährt
Ein Schächer, um zu schweifen;
Nach Beuteln möcht' er greifen
Und findet bessern Wert:
Er findet einen Streit
Um nichts, ein irres Wissen,
Ein Banner, das zerrissen,
Ein Volk in Blödigkeit.

Er findet, wo er geht,
Die Leere dürft'ger Zeiten,
Da kann er schamlos schreiten,
Nun wird er ein Prophet;
Auf einen Kehricht stellt
Er seine Schelmenfüße
Und zischelt seine Grüße
In die verblüffte Welt.

Gehüllt in Niedertracht
Gleichwie in einer Wolke,
Ein Lügner vor dem Volke,
Ragt bald er groß an Macht
Mit seiner Helfer Zahl,
Die hoch und niedrig stehend,
Gelegenheit erspähend,
Sich bieten seiner Wahl.

Sie teilen aus sein Wort,
Wie einst die Gottesboten
Gethan mit den fünf Broten,
Das klecket fort und fort!
Erst log allein der Hund,
Nun lügen ihrer tausend;
Und wie ein Sturm erbrausend,
So wuchert jetzt sein Pfund.

Hoch schießt empor die Saat,
Verwandelt sind die Lande,
Die Menge lebt in Schande
Und lacht der Schofelthat!
Jetzt hat sich auch erwahrt,
Was erstlich war erfunden:
Die Guten sind verschwunden,
Die Schlechten stehn geschart!

Wenn einstmals diese Not
Lang wie ein Eis gebrochen,
Dann wird davon gesprochen,
Wie von dem schwarzen Tod;
Und einen Strohmann bau'n
Die Kinder auf der Haide,
Zu brennen Lust aus Leide
Und Licht aus altem Grau'n.


 Gesammelte Gedichte / Pandora

181 Nacht im Zeughaus. I.

Bleich beglänzte Wolkenscharen
Draußen durch die Mondnacht fahren,
Ungewisse Lichter fallen
Hier in diese grauen Hallen.

Schwert an Schwert und Lanz' an Lanze
Reihen sich mit düster'm Glanze,
Banner, braun vom Schlachtenwetter,
Rascheln da wie Herbstesblätter.

Licht aus heller Jugendferne,
Seid gegrüßt, ihr Morgensterne
Und auch ihr mit tausend Scharten:
Aexte, Schilde und Halmbarten!

Eisenhüllen, dunkel schimmernd,
Gleich verglühten Sonnen flimmernd
Steht ihr da, des Kerns Beraubte,
Brust an Brust und Haupt an Haupte!

Die euch eh'rne Chrysaliden
Sich zum Kleide mochten schmieden,
Sind die Falter ausgeflogen?
Sagt, wo sind sie hingezogen?

Und in welcher Schöpfungsweite
Steh'n die Helden jetzt im Streite?
Sieht man sie im Feld marschieren
Unter fliegenden Panieren?

In gedrängten Männerhaufen
Stürmend an die Feinde laufen
Und Dämonenheere schlagen,
Ew'ge Freiheit zu erjagen?

Schweigen herrscht – sie ruhn im Frieden;
Thatenfroh sind sie geschieden,
Ließen stolz und reich im Sterben
Land und Freiheit ihren Erben.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

182 Nacht im Zeughaus. II.

Doch was will sich hier begeben?
Fängt das Erz nicht an zu leben?
Leise klirrt es auf und nieder,
Und was hohl war, füllt sich wieder!

Aber statt der tapfern Alten
Seh' ich Schlimmes sich gestalten:
Grause Larven, kaum zu glauben,
Grinsen aus den Eisenhauben!

Und es raunt aus allen Ecken
Ein Gelächter mir zum Schrecken;
Wechselnd flirrt es auf den Schilden
Wie von tausend Fratzgebilden.

Sind vom Hause fort die Katzen,
Tanzen auf dem Tisch die Ratzen.
Traurig in dem wärmelosen
Zwielicht flammen Schwerterrosen.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

183 Nacht im Zeughaus. III.

Auf der hölzern' Trommel sitzet,
Wert, daß man die Zung' ihm schlitzet,
Dort ein altes Weib mit Gleißen:
Schwätzerei wird es geheißen!

In der Schürze einen Knäuel
Birgt es von verworrnem Gräuel,
Brandraketen, Schwefelschnüre:
Mißtrau'n, Furcht und Zeugenschwüre.

Das Verdächtigungsgeräte,
Des Gerüchtes Blechtrompete,
Abgenutzt und neu doch täglich,
Schund und Trödelei unsäglich!

Eine Brille auf der Nase,
Eulenhaft, von blindem Glase,
Lauert es und spioniert es,
Keift und schreit und peroriert es.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

184 Nacht im Zeughaus. IV.

Aus der schwarzen Riesenrüstung,
Lehnend an der Fensterbrüstung,
Scheint mir mit verwesungsgrauen
Zügen ein Gespenst zu schauen.

Frecher Hohn glüht aus den Augen,
Die nur Gott zu kränken taugen,
Auf dem Mund ein lächelnd Schweigen,
Wie es der Verläumdung eigen,

Wenn ihr Pfeil ist abgeschossen
Und die Unsaat draus entsprossen;
An der Hüfte mittlerweile
Hängt der Köcher noch voll Pfeile.

Droht es so ins Horn zu blasen,
Zitternd laufen Füchs und Hasen,
Selbst die starken Löwen kneifen
Aus mit eingezog'nen Schweifen.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

185 Nacht im Zeughaus. V.

Angethan mit rost'gen Waffen
Seh' ich einen fahlen Affen,
Schielen eine Affenschande:
Bruderneid im Vaterlande!

Bruderneid auf freier Erde,
Der mit knechtischer Geberde
Mürrisch auf der Hofstatt lungert,
Nach des Nachbars Aepfeln hungert.

Einen Raub an seinem Lehen
Schilt er jedes Wohlergehen;
Grimmig schlägt dem eignen Enkel
Er vom Kruge weg den Henkel.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

186 Nacht im Zeughaus. VI.

Holzgeschnitzte Bilder prangen
Blinden Aug's, gemalt die Wangen,
Dieses sind die toten Ehren,
Die vom Eigenruhme zehren!

Hoch vom Helme nicket jeder
Die vergilbte Straußenfeder,
So am Flamberg aufgetakelt
Selbstvergnügt die Puppe wackelt:

«Ja, ich bin der große Veitel!
Auf der Welt ist alles eitel
Und am eitelsten ich selber,
And're sind bescheid'ne Kälber!

«Lob zu fangen sind die Ohren
Reichlich groß mir angeboren;
Wische mir damit die Augen,
Wenn gerührt sie Wasser saugen!»

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

187 Nacht im Zeughaus. VII.

Seht die dürre Spielersippe:
Vier geharnischte Gerippe,
Mit der Klapperfaust, der harten,
Hau'n sie auf den Tisch die Karten!

Ihre Sanduhr ist zerbrochen,
Fort doch spielen diese Knochen,
Hohl die Schädel, drinnen nisten
Bettelhafte Spielerlisten.

Sau und Bube, Lumpentrümpfe,
Helfen ihnen auf die Strümpfe
So im Rat, wie bei den Karten –
Nur nicht bei den Feldstandarten.

Und sie zählen falsch die Stiche,
Und sie schleichen ihre Schliche:
Uebung, Uebung macht den Meister!
Sprechen auch verlor'ne Geister.

 

 Gesammelte Gedichte / Pandora

188 Nacht im Zeughaus. VIII.

So beginnt es rings zu leben,
Und die alten Spinnen weben,
Und die schwarzen Mäuse nagen,
Und ich wollt', es würde tagen!

Hielt den Teufel für gestorben,
Und nun spukt er unverdorben
Noch in diesen Mauerschlüften –
Bis der Zeugwart kommt, zu lüften;

Zeugwart ist der Herr der Stürme,
Der die Felsen bricht und Türme
Und der Thorheit rohen Willen
Wird mit Bitternissen stillen!

Wehen wird's in Ungewittern,
Daß das Haus im Grund muß zittern
Und die Ziegel auf dem Dach
Klappern uns vor Ungemach!

Wohl uns, kann man alsdann sagen:
Die das Glück nicht mochten tragen,
Haben ihres Unsterns Nacht
Sich zum Morgenstern gemacht!

  


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