Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        GG_01

Gesammelte

Gedichte


I.

Buch der Natur.

 

001 Spielmannslied.

Im Frührot stand der Morgenstern
Vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein flüchtig Schülerkind,
Im silbergrauen Felde lag;
Die Wimper schwankte falterhaft,
Und ich entschlief an Ackers Rand,
Der Sämann kam gemach daher
Und streute Körner aus der Hand.

Gleich einem Fächer warf er weit
Den Samen hin im halben Rund,
Ein kleines Trüppchen fiel auf mich
Und traf mir Augen, Stirn und Mund;
Erwachend rafft' ich mich empor
Und stand wie ein verblüffter Held,
Vorschreitend sprach der Bauersmann:
Was bist du für ein Ackerfeld?

Bist du der steinig harte Grund,
Darauf kein Sämlein wurzeln kann?
Bist du ein schlechtes Dorngebüsch,
Das keine Halme läßt hinan ?
Du bist wohl der gemeine Weg,
Der wilden Vögel offner Tisch!
Bist du nicht dies und bist nicht das,
Am End' nicht Vogel und nicht Fisch?

Unfreundlich schien mir der Gesell
Und drohend seiner Worte Sinn;
Ich ging ihm aus den Augen sacht
Und floh behend zur Schule hin.
Dort gab der Pfarr den Unterricht
Im Bibelbuch zur frühen Stund';
Von Jesu Gleichnis eben sprach
Erklärend sein beredter Mund. –

Die Jahre schwanden und ich zog
Als Zitherspieler durch das Land,
Als ich in einer stillen Nacht
Die alte Fabel wieder fand
Vom Sämann, der den Samen warf;
Da ward mir ein Erinnern licht,
Ich spürte jenen Körnerwurf
Wie Geisterhand im Angesicht.

Was bist du für ein Ackerfeld?
Hört' wieder ich, als wär's ein Traum;
Ich seufzte, sann und sagte dann:
O Mann, ich weiß es selber kaum!
Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund;
Ich glaub', ich bin der offne Weg,
Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund'.

Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn,
Statt Furchen zieh'n Geleise hin
Von harten Rädern ausgehöhlt,
Und nackte Füße wandern drin;
Das kommt und geht, doch fällt einmal
Ein irrend Samenkörnlein drauf,
So fliegt ein hungrig Vöglein her
Und schwingt sich mit zum Himmel auf.


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

002 Am Himmelfahrtstage 1846.
Mit
den ersten Gedichten.

Ausgestorben scheint die Stadt,
Weil, was sich des Lebens freut
Und den Bund mit ihm erneut,
Sich hinaus begeben hat
Auf die Hügel, auf die Berge,
Angefüllt wird jedes Thal,
Rühren wird sich Wirt und Ferge
In dem warmen Maienstrahl.

Von dem höchsten Giebel schau'
Ich hinaus, o welch' Gewimmel!
Ja, die Erde trägt gen Himmel
Menschenherz und grüne Au!
Und wie ferne Kirchenfahnen,
Flattert's von der Burg Geländern
Bunt von seidnen Lenzgewändern
Unter grünenden Platanen.

Einsam wehen hier die Linden
Dieser Stadt um stille Dächer –
Ach, wie einen leeren Becher
Muß ich die verlass'ne finden,
Einen Becher, dessen Schein
Wird gefloh'n von jedem Munde,
Und auf dessen dunklem Grunde
Ich der letzte Tropfen Wein!

In die kühle Dämmernacht
Meines Hauses steig' ich nieder,
Wo mir meine jungen Lieder
Schlummern, bis ihr Tag erwacht;
Wo ein Strauß von Fliederzweigen
Drüber nickt mit stillem Neigen,
Mit erwartungsvollem Schweigen
Wilde Röschen halten Wacht.

Nun in tiefer Einsamkeit
Schreib' ich, eh' für immer schied
Mir die lange Morgenzeit,
Meiner Jugend letztes Lied;

Und der Hoffnung sei's geweiht!
Was ich hoffe, hofft die Welt;
Ist sie nur zur Fahrt bereit,
Wird sie selbst ihr Himmelszelt!

Thu' dich auf, o schöner Schrein,
Lasse deine Schätze funkeln!
Laß sie, blitzend hell, verdunkeln
Der Martyrer blaß Gebein! –
Weihrauch sind die Frühlingsdüfte,
Und auch du
, mein Schwalbenzug,
Flattre, leichter Liederflug,
Aufwärts in die freien Lüfte!


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

003 Stille der Nacht.

Willkommen, klare Sommernacht,
Die auf betauten Fluren liegt!
Gegrüßt mir, goldne Sternenpracht,
Die spielend sich im Weltraum wiegt!

Das Urgebirge um mich her
Ist schweigend, wie mein Nachtgebet;
Weit hinter ihm hör' ich das Meer
Im Geist und wie die Brandung geht.

Ich höre einen Flötenton,
Den mir die Luft von Westen bringt,
Indeß herauf im Osten schon
Des Tages leise Ahnung dringt.

Ich sinne, wo in weiter Welt
Jetzt sterben mag ein Menschenkind –
Und ob vielleicht den Einzug hält
Das viel ersehnte Heldenkind.

Doch wie im dunklen Erdenthal
Ein unergründlich Schweigen ruht,
Ich fühle mich so leicht zumal
Und wie die Welt so still und gut.

Der letzte leise Schmerz und Spott
Verschwindet aus des Herzens Grund;
Es ist, als thät' der alte Gott
Mir endlich seinen Namen kund.


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

004 Unruhe der Nacht.

Nun bin ich untreu worden
Der Sonn' und ihrem Schein;
Die Nacht, die Nacht soll Dame
Nun meines Herzens sein!

Sie ist von düst'rer Schönheit,
Hat bleiches Nornengesicht,
Und eine Sternenkrone
Ihr dunkles Haupt umflicht.

Heut ist sie so beklommen,
Unruhig und voller Pein;
Sie denkt wohl an ihre Jugend –
Das muß ein Gedächtnis sein!

Es weht durch alle Thäler
Ein Stöhnen, so klagend und bang;
Wie Thränenbäche fließen
Die Quellen vom Bergeshang.

Die schwarzen Fichten sausen
Und wiegen sich her und hin,
Und über die wilde Haide
Verlorene Lichter flieh'n.

Dem Himmel bringt ein Ständchen
Das dumpf aufrauschende Meer,
Und über mir zieht ein Gewitter
Mit klingendem Spiele daher.

Es will vielleicht betäuben
Die Nacht den uralten Schmerz?
Und an noch ältere Sünden
Denkt wohl ihr reuiges Herz?

Ich möchte mit ihr plaudern,
Wie man mit dem Liebchen spricht –
Umsonst, in ihrem Grame
Sie sieht und hört mich nicht!

Ich möchte sie gern befragen
Und werde doch immer gestört,
Ob sie vor meiner Geburt schon
Wo meinen Namen gehört?

Sie ist eine alte Sibylle
Und kennt sich selber kaum;
Sie und der Tod und wir Alle
Sind Träume von einem Traum.

Ich will mich schlafen legen,
Der Morgenwind schon zieht –
Ihr Trauerweiden am Kirchhof,
Summt mir mein Schlummerlied!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

005 Unter Sternen.

Wende dich, du kleiner Stern,
Erde! wo ich lebe,
Daß mein Aug', der Sonne fern,
Sternenwärts sich hebe!

Heilig ist die Sternenzeit,
Oeffnet alle Grüfte;
Strahlende Unsterblichkeit
Wandelt durch die Lüfte.

Mag die Sonne nun bislang
Andern Zonen scheinen,
Hier fühl' ich Zusammenhang
Mit dem All' und Einen!

Hohe Lust, im dunklen Thal,
Selber ungesehen,
Durch den majestät'schen Saal
Atmend mitzugehen!

Schwinge dich, o grünes Rund,
In die Morgenröte!
Scheidend rückwärts singt mein Mund
Jubelnde Gebete!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

006 Drei Ständchen. I.
Vor einem Luftschlosse.

Schöne Bürgerin, sieh, der Mai
Flutet um deine Fenster!
Alle Seelen sind nun frei
Und es zerfließen der Tyrannei
Grämliche Gespenster!

In die Tiefe tauche kühn,
Ewige Jugend zu werben,
Wo die Bäume des Lebens blühn
Und die Augen wie Sterne glühn,
Droben bei dir ist Sterben!

Löse der Krone güldenen Glanz
Aus den Lockenringen!
Wirf sie herab! in klingendem Tanz
Einen duftigen Rosenkranz
Wollen wir froh dir schlingen!

Fühle, du Engel, dies heilige Wehn,
Das allmächtige Treiben!
Ja, dein Himmel wird untergehn
Und ein schönerer auferstehn –
Willst du ein Engel bleiben?

Nicht wie Luna in schweigender Nacht
Küßte den träumenden Schläfer;
Komm', wenn der sonnige Tag uns lacht,
Daß das alte Lied erwacht:


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

007 Drei Ständchen. II.

Einer Verlassenen.

Wir haben deinen tiefen Gram vernommen
Und sind in deinen Garten still gekommen,
Wir stimmen unsere Saiten mit Bedacht,
Erwartend lauscht die laue Maiennacht.

Zu deines Ungetreuen Reu' und Leide,
Zu deiner Nachbarinnen bitterm Neide,
Zu deiner Mutter Stolz und stiller Lust,
So wollen singen wir aus voller Brust!

Zünd' an dein Licht, daß unser Lied dich ehre
Und vor dem Sternenzelt dein Leid verkläre!
Noch giebt's manch' Auge, das in Treuen blitzt,
Manch' Herz, das noch an rechter Stelle sitzt!

Wohl selig sind, die in der Liebe leiden,
Und ihrer Augen teure Perlen kleiden
Die weißen Wangen mehr, als Morgentau
Die Lilienkelche auf der Sommerau.

Die Liebe, die um Liebe ward betrogen,
Glänzt hoch und herrlich gleich dem Regenbogen;
Zu seinen Füßen, die in Blumen stehn,
Da liegen goldne Schüsseln ungesehn.


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

008 Drei Ständchen. III.

Schifferliedchen.

Schon hat die Nacht den Silberschrein
Des Himmels aufgethan;
Nun spült der See den Widerschein
Zu dir, zu dir hinan!

Und in dem Glanze schaukelt sich
Ein leichter dunkler Kahn;
Der aber trägt und schaukelt mich
Zu dir, zu dir hinan!

Ich höre schon den Brunnen gehn
Dem Pförtlein nebenan,
Und dieses hat ein gütig Wehn
Von Osten aufgethan.

Das Sternlein schießt, vom Baume fällt
Das Blust in meinen Kahn
;
Nach Liebe dürstet alle Welt,
Nun, Schifflein, leg' dich an!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

009 Nachtfalter.

Ermattet von des Tages Not und Pein,
Die nur auf Wiedersehen von mir schied,
Saß ich und schrieb bei einer Kerze Schein,
Und schrieb ein wild und gottverleugnend Lied.
Doch draußen lag die klare Sommernacht,
Mild grüßt mein armes Licht der Mondenstrahl,
Und aller Sterne volle goldne Pracht
Schaut hoch herab auf mich vom blauen Saal.
Am offnen Fenster blühen dunkle Nelken
Vielleicht die letzte Nacht vor ihrem Welken.

Und wie ich schreib' an meinem Höllenpsalter,
Die süße Nacht im Zorne von mir weisend,
Da schwebt herein zu mir ein grauer Falter,
Mit blinder Hast der Kerze Docht umkreisend;
Wohl wie sein Schicksal flackerte das Licht,
Dann züngelt' seine Flamme still empor
Und zog wie mit magnetischem Gewicht
Den leichten Vogel in sein Todesthor.

Ich schaute lang und in beklommner Ruh,
Mit wunderlich neugierigen Gedanken
Des Falters unheilvollem Treiben zu.
Doch als zu nah der Flamme schon fast sanken
Die Flügel, faßt' ich ihn mit schneller Hand,
Zu seiner Rettung innerlich gezwungen,
Und trug ihn weg. Hinaus ins dunkle Land
Hat er auf raschem Fittig sich geschwungen.

Ich aber hemmte meines Liedes Lauf
Und hob den Anfang bis auf Weitres auf.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

010 Nachtfahrer.

Es wiegt die Nacht mit himmelweiten Schwingen
Sich auf der Südsee blauen Wassergärten,
Daraus zurück wie Silberlilien springen
Die Sterne, die in tiefer Flut verklärten.

Wie ein entschlummert Kind an Mutterbrüsten
Ruht eine Insel selig in den Wogen,
So weich und weiß ist um die grünen Küsten
Die Brandung rings, ein Mutterarm, gezogen.

Ich wollt', es wär' mein Herz so dicht umflossen
Von einem Meer der Ruhe und der Klarheit,
Und drüberhin ein Himmel ausgegossen,
Deß einz'ges Licht das Sonnenlicht der Wahrheit.

Und schöne Menschen schlafen in den Büschen,
Wie Bildwerk in ein Blumentuch gewoben;
Was ein erstorbnes Auge kann erfrischen,
Das hat ein Gott hier sorglich aufgehoben. –

Ein Blitz – ein Krach! – die stille Luft erzittert,
Dicht wälzt ein Rauch sich auf gekräus'tem Spiegel –
Ein Wasserdrache, der den Raub gewittert,
So naht es pfeilschnell mit gespreiztem Flügel!

Wach auf, wach auf, du stiller Menschengarten!
Gib deine Blüte hin für Glaskorallen!
Sieh, deines unschuldvollen Fleisches warten,
Du sanftes Volk, Europas scharfe Krallen!

Die Anker rasseln und die Segel sinken,
Wie schneidend schallt das Wort der fremden Ferne!
Viel hundert Bleichgesichter lüstern blinken
Im fahlen Schein der trüben Schiffslaterne.

Zuvorderst aus des Schiffes schwarzen Wänden
Ragt schwärzer in der giererfüllten Rotte
Der Christenpriester, schwingend in den Händen
Das Marterholz mit dem gequälten Gotte.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

011 Sommernacht.

Es wallt das Korn weit in die Runde
Und wie ein Meer dehnt es sich aus;
Doch liegt auf seinem stillen Grunde
Nicht Seegewürm noch andrer Graus;
Da träumen Blumen nur von Kränzen
Und trinken der Gestirne Schein,
O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen
Saugt meine Seele gierig ein!

In meiner Heimat grünen Thalen,
Da herrscht ein alter schöner Brauch:
Wann hell die Sommersterne strahlen,
Der Glühwurm schimmert durch den Strauch,
Dann geht ein Flüstern und ein Winken,
Das sich dem Aehrenfelde naht,
Da geht ein nächtlich Silberblinken
Von Sicheln durch die goldne Saat.

Das sind die Bursche jung und wacker,
Die sammeln sich im Feld zuhauf
Und suchen den gereiften Acker
Der Wittwe oder Waise auf,
Die keines Vaters, keiner Brüder
Und keines Knechtes Hülfe weiß –
Ihr schneiden sie den Segen nieder,
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß.

Schon sind die Garben festgebunden
Und rasch in einen Ring gebracht;
Wie lieblich floh'n die kurzen Stunden,
Es war ein Spiel in kühler Nacht!
Nun wird geschwärmt und hell gesungen
Im Garbenkreis, bis Morgenluft
Die nimmermüden braunen Jungen
Zur eignen schweren Arbeit ruft.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

012 Trost der Creatur. I.

Wie schlafend unterm Flügel ein Pfau den Schnabel hält,
Von luft'gen Vogelträumen die blaue Brust geschwellt,
Geduckt auf einem Fuße, dann plötzlich oft einmal
Im Traume phantasierend das Funkelrad erstellt:
So hing betäubt und trunken, ausreckend Berg und Thal,
Der große Wundervogel in tiefem Schlaf, die Welt;
So schwoll der blaue Himmel von Träumen ohne Zahl,
Mit leisem Knistern schlug er ein Rad, das Sternenzelt.

 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

013 Trost der Creatur. II.

Und als die Schöpfung bleischwer das Haupt im Schlafe wog
Und sie ein quälend Traumbild, daß sie nicht sei, betrog,
Und Gott im Himmel selber schlief, vergessend Meer und Land,
Worüber hin kein Lufthauch, ein Gräslein rührend, zog,
Da wacht' die schönste Lilie auf, die einsam, einsam stand,
Und die den fernen Sternglanz mit bangem Atem sog;
Da sank ein Falter tief in sie mit dunklem Schwingenrand,
Der durch den kalten Nachttau mit Mühe zitternd flog.
Die Flügel schmiegte bebend er an ihres Kelches Wand,
Die auch erbebend ob ihm sich eng zusammenbog.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

014 Wetternacht.

Der Sturm erwacht, es dunkelt allerenden,
Jetzt eben, hinter jenen Wolkenwänden,
Dort muß die Sonne untergeh'n;
Dort ist es abendklar und goldenhelle
Und sind nun Lilie, Rosenhag und Quelle
In einem seligroten Glanz zu seh'n.

Hier aber ist ein kaltes Weh'n und Brausen
In dunkler Luft die hohen Wälder sausen,
Die Bäche toben durchs Gestein;
Des Windes Peitsche fühlt die Haide streichen,
Ascetisch beugen sich die ernsten Eichen,
Die Nacht wankt finster in das Land herein.

Ich sehe kaum den Grund zu meinen Füßen,
Doch hör' ich rings die Regenströme gießen,
Es weint das schwarz verhüllte Land;
In meinem Herzen hallt die Klage wieder,
Und es ergreift mich, wirft mich jäh darnieder,
Und meine Stirne preßt sich in den Sand.

O reiner Schmerz, der von den Höh'n gewittert,
Du heil'ges Weh, das durch die Tiefen zittert,
Ihr schließt auch mir die Augen auf!
Ihr habt zu mir das Zauberwort gesprochen
Und meinen Hochmut wie ein Rohr gebrochen,
Und ungehemmt fließt meiner Thränen Lauf!

Du süßes Leid hast ganz mich überwunden!
Welch' dunkle Lust, die ich noch nie empfunden,
Ist mit der Demut angefacht!
Wie reich bist, Mutter Erde! du zu nennen,
Ich glaubte deine Herrlichkeit zu kennen,
Nun schau' ich erst in deiner Tiefe Schacht!

Und leise schallen hör' ich ferne Tritte,
Es naht sich mir mit leicht beschwingtem Schritte
Durch die geheim erhellte Nacht;
Weiß, wie entstiegen einem Marmorgrabe,
So wandelt her ein schöner schlanker Knabe,
Einsamer Bergmann in dem lichten Schacht.

Willkommen, Tod! Dir will ich mich vertrauen,
Laß mich in deine treuen Augen schauen
Zum ersten Male fest und klar!
Wie wenn man einen neuen Freund gefunden,
Kaum noch von der Verlassenheit umwunden,
So wird mein Herz der Qual und Sorge bar.

Tief schau' ich dir ins Aug', das sternenklare,
Wie stehn dir gut die schwarzgelockten Haare,
Wie sanft ist deine kühle Hand!
O lege sie in meine warmen Hände,
Dein heil'ges Antlitz zu mir nieder wende!
Wohl mir, daß ich dies traute Wissen fand!

Ob mir auch noch beglückte Stunden schlagen,
Ich will dich heimlich tief im Herzen tragen,
Und wo mich einst dein Ruf ereilt:
Im Blütenfeld, im festlich bunten Saale,
Auf dürft'gem Bett, im schlachterfüllten Thale,
Ich folge dir getrost und unverweilt. –

Die Nacht vergeht, die grauen Wolken fliegen.
Der Tag erwacht und seine Strahlen siegen,
Im Osten steigt der Sonnenschild empor;
Es blitzt sein Schein auf meinen alten Wegen,
Ein andrer aber tret' ich ihm entgegen,
Der ich die Furcht des Todes still verlor
.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

015 Morgen.

So oft die Sonne aufersteht,
Erneuert sich mein Hoffen
Und bleibet, bis sie untergeht,
Wie eine Blume offen;
Dann schlummert es ermattet
Im dunklen Schatten ein,
Doch eilig wacht es wieder auf
Mit ihrem ersten Schein.

Das ist die Kraft, die nimmer stirbt
Und immer wieder streitet,
Das gute Blut, das nie verdirbt,
Geheimnisvoll verbreitet!
So lang' noch Morgenwinde
Voran der Sonne weh'n,
Wird nie der Freiheit Fechterschar
In Nacht und Schlaf vergeh'n!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

016 Sonnenaufgang.

Fahre herauf, du krystallener Wagen,
Klingender Morgen, so frisch und so klar!
Seidene Wimpel, vom Oste getragen,
Flattre, du rosige Wölkleinschar!

Siehe die Meere, sie wogen und branden,
Aber still das Gebirge steht,
Tau ist gesprengt auf den funkelnden
Landen,
Weihbrunn zum heiligen Sonnengebet.

Tausendfach wollen die Blumen entriegeln
Aus ihrer Brust den gefangenen Gott;
Doch die vergoldeten Kreuze bespiegeln
Sich auf den Domen mit gleißendem Spott.

Singen nicht Lerchen dort hoch in den Lüften,
Schwenkend in freiem und fröhlichem Zug?
Nein, aber aufwärtsgeschwungen aus Klüften,
Sonnt sich ein kreischender Rabenflug.

Springt nicht ein Fischlein aus silberner Welle,
Das sich am lieblichen Lichte erfreut?
Ja, 's ist der Hecht, der bewehrte Geselle,
Der den alltäglichen Raub erneut.

Fahre hinüber auf drehenden Speichen,
Schimmernder Morgen, noch ist es nicht Zeit;
Rosige Wimpel, auch ihr mögt erbleichen –
Weh mir, schon weht ihr so blaß und so weit!

Fahr'! Ein Josua träumet auf Erden,
Dem es schon ahnend in Ohren erklingt;
Aufspringt er einst, in die Zügel den Pferden,
Welche zum Steh'n der Gewaltige zwingt!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

017 Gruß der Sonne.

Aus den braunen Schollen
Springt die Saat empor,
Grüne Knospen rollen
Tausendfach hervor.

Und es ruft die Sonne:
Fort den blassen Schein!
Wieder will ich Wonne,
Glut und Leben sein!

Wieder wohlig zittern
Auf dem blauen Meer,
Oder zu Gewittern
Führen das Wolkenheer!

In den Frühlingsregen
Sieben Farben streu'n
Und auf Weg und Stegen
Meinen goldnen Schein!

Ruhn am Felsenhange,
Wo der Adler minnt,
Auf der Menschenwange,
Wo die Thräne rinnt!

Dringen in der Herzen
Kalte Finsternis,
Blenden alle Schmerzen
Aus dem tiefsten Riß!

Bringt – ich bin die Sonne –
An das Kerkerthor,
Was ihr habt gesponnen
Winterlang, hervor!

Alle finstern Hütten
Sollen Mann und Maus
Auf die Aue schütten,
An mein Licht heraus!

Mit all' euren Schätzen
Lagert euch herum,
Wendet eure
Fetzen
Vor mir um und um!

Daß durch jeden Schaden
Leuchten ich und dann
Mit dem goldnen Faden
Ihn verweben kann!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

018 Am Brunnen.

Wie strahlet ihr im Morgenschein,
Du rosig Kind, der Blütenbaum
Und dieser Brunnen, frisch und rein –
Ein schön'res Kleeblatt giebt es kaum.

Wie dreifach lieblich hat Natur
In euch sich lächelnd offenbart!
Aus deinem Aug' grüßt ihre Spur
Des Wandrers stille Morgenfahrt.

Es ist, als käm' aus deinem Mund
Das Lied, das dort die Quelle singt,
Es ist, als thät' der Brunnen kund,
Was tief in deiner Seele klingt!

Und wie der weiße Apfelbaum
Mit seinen Zweigen euch umweht,
Dies Bild, zart wie ein Morgentraum,
Ist ein geschautes Frühgebet!

Reich' einen Trunk, du klare Maid,
Vom Quell, der deine Kindheit sah!
Sein Rauschen sei dir allezeit,
Die Klarheit deinem Herzen nah!

Ich wünsche Segen deiner Hand
Zur Arbeit, wie zum Liebesbund,
Dem bravsten Burschen hie zu Land
Das keusche Ja von deinem Mund!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

019 Sonnenuntergang.

In Gold und Purpur tief verhüllt
Willst du mit deiner Leuchte scheiden,
Und ich, noch ganz von dir erfüllt,
Soll, Sonne, dich nun plötzlich meiden?
Du hast mein Herz mit Lust entzündet,
Du allerschönste Königin,
Wenn mir dein Strahlenantlitz schwindet,
Ist nicht das Leben tot und hin?

O reiche mir noch Einen Strahl
Des Lichtes, daß er auf mich falle
Und ich aus diesem Dämmerthal
An deiner Hand hinüberwalle!
Laß mich an deinem Hofe weilen,
Als lichte leichte Wolke nur,
Vor deinem Zuge kündend eilen
Als deines Glanzes schwächste Spur!

Sie geht, ich wende bang mich ab,
Es dünkt die Welt mich eine Kohle;
Was jüngst nur Klarheit wiedergab,
Stäubt, Asche, unter meiner Sohle. –
Doch schau, wie ich gen Osten kehre,
Taucht mir ein neues Wunder auf:
Im rosig milden Nebelmeere
Beginnt der Silbermond den Lauf!

Der nach verlornen Strahlen jagt,
Ist er der Sonne Aehrenleser?
Ist er, bis sie im Osten tagt,
Der goldnen Herrin Reichsverweser?
Ach, unsrer armen Mutter Erde
Ist er ja nur ein Lehenmann;
Und seht, mit glänzender Gebärde
Thut er die Lehnspflicht, wie er kann!

Er trägt das Licht durch Nacht und Grau'n
Getreu auf sanft erhellten Wegen,
Bis wir den Morgen wieder schau'n
Und frisch die Erde thaut im Segen.
Die Liebe wird den Ruhm nicht mindern,
Wenn Kleine mit den Kleinern geh'n:
Die Sonne selbst samt ihren Kindern
Muß sich um größ're Sterne drehn.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

020 Abendregen.

Langsam und schimmernd fiel ein Regen,
In den die Abendsonne schien;
Der Wandrer schritt auf schmalen Wegen
Mit düstrer Seele drunter hin.

Er sah die großen Tropfen blinken
Im Fallen durch den goldnen Strahl;
Er fühlt es kühl aufs Haupt ihm sinken
Und sprach mit schauernd süßer Qual:

Nun weiß ich, daß ein Regenbogen
Sich hoch um meine Stirne zieht,
Den auf dem Pfad, so ich gezogen,
Die heitre Ferne spielen sieht.

Und die mir hier am nächsten stehen,
Und wer mich wohl zu kennen meint,
Sie können selber doch nicht sehen,
Wie er versöhnend ob mir scheint.

So wird, wenn andre Tage kamen,
Die sonnig auf dies Heute sehn,
Um meinen fernen blassen Namen
Des Friedens heller Bogen stehn.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

021 Gewitterabend.

Es dämmert und dämmert den See herab,
Die Wasser sind gar so dunkel;
Doch wenn ob den Bergen der Blitzstrahl zuckt,
Was ist das für ein Gefunkel!

Dann thun dem Schiffer die Augen weh,
Er sputet sich ängstlich zu Lande,
Wo gaffend der Feierabend steht
Am grell erleuchteten Strande.

Die Leute freuen und fürchten sich
Und wünschen ein gutes Ende
Und daß der Herr kein Hagelgericht
In ihren Krautgarten sende.

Jetzt zischt der Strahl in die laue Flut,
Rings spannen sich feurige Ketten;
Der blöde Haufen ergreift die Flucht,
Sie verkriechen sich in die Betten.

Wenn Gott einen guten Gedanken hat,
Dann raunt man: es wetterleuchtet!
Pass' auf Gesindel, daß nicht einmal
Er in die Wirtschaft dir leuchtet!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

022 Abendlied an die Natur.

Hüll' ein mich in die grünen Decken,
Mit deinem Säuseln sing' mich ein,
Bei guter Zeit magst du mich wecken
Mit deines Tages jungem Schein!
Ich hab' mich müd' in dir ergangen,
Mein Aug' ist matt von deiner Pracht
Nun ist mein einziges Verlangen,
Im Traum zu ruh'n, in deiner Nacht.

Des Kinderauges freudig Leuchten
Schon fingest du mit Blumen ein,
Und wollte junger Gram es feuchten,
Du scheuchtest ihn mit buntem Schein.
Ob wildes Hassen, maßlos Lieben
Mich zeither auch gefangen nahm:
Doch immer bin ich Kind geblieben,
Wenn ich zu dir ins Freie kam!

Geliebte, die mit ew'ger Treue
Und ew'ger Jugend mich erquickt,
Du einz'ge Lust, die ohne Reue
Und ohne Nachweh mich entzückt –
Sollt' ich dir jemals untreu werden,
Dich kalt vergessen, ohne Dank,
Dann ist mein Fall genaht auf Erden,
Mein Herz verdorben oder krank!

O steh' mir immerdar im Rücken,
Lieg' ich im Feld mit meiner Zeit!
Mit deinen warmen Mutterblicken
Ruh' auf mir auch im schärfsten Streit!
Und sollte mich das Ende finden,
Schnell decke mich mit Rasen zu;
O selig Sterben und Verschwinden
In deiner stillen Herbergsruh!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

023 Abend auf Golgatha.

Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser,
Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn;
Siehe, da schwebte, vom tauigen Schimmer gelockt, die Phaläne
Flatternd hernieder, zu ruh'n dort, wo gelastet das Kreuz.
Langsam schlug sie ein Weilchen die samtenen Flügel zusammen,
Breitet' sie aus und entschwand fern in die sinkende Nacht.
Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer, den Pfeiler des Kreuzes
Hielt umfangen das Weib, das er zur Mutter sich schuf.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

024 Rosenwacht.

Im Glase blüht ein frischer Rosenstrauß,
Daneben webt ein Jünglingsleben aus;
Ins Zimmer bricht der volle Abendglanz –
Welch schönes Bild in einen Totentanz!

Von rotem Golde taut das Sommerland,
Die Reb' am Fenster und die Kammerwand,
Der Sterbenskranke und sein Linnentuch,
Das Kirchenmännlein und sein schwarzes Buch.

Du armer Dunkelmann, was suchst du hier?
Die Menschen nicht, noch Blumen lauschen dir!
Nach Westen neigen sie sich insgesamt:
Die Sonne hält das heil'ge Totenamt.

Wie abendschön des Kranken Antlitz glüht,
Daß kaum man ahnt, wie weiß der Tod da blüht!
Sein Nachtmahlkelch ist flüssig Sonnengold,
Wie durstig trinkt er diesen Liebessold!

Und scheidend winkt der letzte Sonnenstrahl,
Erkaltet und verglüht sind Berg und Thal,
Das junge Menschenkind ist bleich und tot,
Die Rosen sind geblieben frisch und rot
.

So halten die Vergänglichen die Wacht
Beim stillen Manne bis zur dritten Nacht;
Dann legen sie bescheiden ihr Gewand
Dem Herrn des Lebens in die Vaterhand.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

025 Abendlied.

Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!

Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh';
Tastend streift sie ab die Wanderschuh',
Legt sich auch in ihre finst're Truh'.

Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend steh'n
Wie zwei Sternlein, innerlich zu seh'n,
Bis sie schwanken und dann auch vergeh'n,
Wie von eines Falters Flügelweh'n.

Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Ueberfluß der Welt!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

026 Frühlingsbotschaft.

Zum Gerichte rief der Frühling.
Denn mit Strenge zu verfahren
Gegen ketzerisch verstockte
Uebelsinnige Verzweiflung,
Haben seine Heiligkeit
Bei der Sonne Glanz geschworen.

Und in grünem Feuer flammen
Alle Bäume nun auf Erden,
Jeder Baum ist eine Flamme!
Und geschürt sind alle Gluten,
Angefacht glüh'n alle Rosen,
Während die schismatisch grauen
Aufgelösten Nebelflocken
Klagend durch die Lüfte flattern,
Gleich verbrannter Ketzer Asche;
Doch der heilig ernste Himmel
Läßt sie ohne Spur verschwinden,
Und er schaut ins grüne Feuer
Mit erbarmungsloser Bläue.

Habt ihr jetzo unter euch
Einen schlimmen und verschraubten
Heuchlerischen und verstockten
Und verbohrten Hypochonder,
Der da zwischen Gut und Böse
Eigensinnig schwankt und zweifelt,
Weder warm noch kalt kann werden,
Oder zu gerechtem Argwohn
Grund gibt, daß sein schwarzes Inn'res
Wohl ein ungeheures hohles
Aufgeblas'nes Schisma berge:
Diesen legt nun auf die Folter,
Diesen lasset nun bekennen!
Bindet ihn mit jungem Epheu,
Werft ihn nieder auf die Rosen,
Gießt ihm Wein auf seine Zunge,
Tropfen flüssig heißen Goldes,
Das den Mann zum Beichten zwingt,
Glas auf Glas, bis er bekennt!

Zeiget sich ein Hoffnungsfunke,
Nur ein Fünklein heitern Glaubens,
Nur ein Strahl des guten Geistes,
O so stellt ihn auf zur Linken,
Zur Belehrung und zur Bess'rung!
O so stellt ihn, wo das Herz schlägt,
Auf der Menschheit frohe Linke,
Auf des Frühlings große Seite!

Sollt' es sich jedoch ereignen,
Daß das peinliche Verfahren
Nichts enthüllte, nichts ergäbe,
Was da nur der Rede wert,
Das Delirium des Rausches
Selbst nur eine dunkle Leere
Vor den Richtern offenbarte:
Schleunig laßt den Sünder laufen,
Jagt ihn stracks zur schnöden Rechten,
Wo Geheul und Zähneklappen,
Dummheit und Verdammnis wohnen!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

027 Frühlingsglaube.

Es wandert eine schöne Sage
Wie Veilchenduft auf Erden um,
Wie sehnend eine Liebesklage
Geht sie bei Tag und Nacht herum.

Das ist das Lied vom Völkerfrieden
Und von der Menschheit letztem Glück,
Von goldner Zeit, die einst hienieden,
Der Traum als Wahrheit, kehrt zurück.

Wo einig alle Völker beten
Zum Einen König, Gott und Hirt:
Von jenem Tag, wo den Propheten
Ihr leuchtend Recht gesprochen wird.

Dann wird's nur Eine Schmach noch geben,
Nur eine Sünde in der Welt:
Des Eigen-Neides Widerstreben,
Der es für Traum und Wahnsinn hält.

Wer jene Hoffnung gab verloren
Und böslich sie verloren gab,
Der wäre besser ungeboren:
Denn lebend wohnt er schon im Grab.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

028 Wieder vorwärts!

Berghinan vom kühlen Grund
Durch den Wald zum Felsenknauf
Haucht des Frühlings holder Mund,
Tausend Augen thun sich auf.

Sachte zittert Reis an Reis,
Langt hinaus, noch halb im Traum,
Langt und sucht umher im Kreis
Für drei grüne Blättlein Raum.

Doch mit lautem Wellensang
Weckt der Bach die Waldesruh',
Mitten drin am jähen Hang
Schläft ein Trumm von einer Fluh.

Das einst hoch am Silberquell
In des Berges Krone lag,
Nieder führt' an diese Stell'
Es ein solcher Frühlingstag.

Wo es hundert Jahre blieb
Hangen an der Eschenwurz;
Heute reißt der junge Trieb
Weiter es im Wassersturz.

Dröhnend springt's von Stein zu Stein,
Trunken von der wilden Flut,
Bis es dort am Wiesenrain
Schwindelnd unter Blumen ruht.

Du versteinte Herrlichkeit,
O wie tanzest du so schwer
Mit der tollen Frühlingszeit –
Hinter dir kein Rückweg mehr!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

029 Bergfrühling.

Der Lenz ist da, die Lauine fällt,
Sie rollt mit Tosen und Sausen ins Thal;
Ich hab' mein Hüttlein daneben gestellt
Auf grünende Matten am sonnigen Strahl,

Und ob auch die Laue mein Hüttchen trifft
Und nieder es führt im donnernden Lauf –
So bald wieder trocken die Alpentrift,
Bau' ich mir singend ein neues auf.

Doch wenn in meines Landes Bann
Der Knechtschaft verheerende Löwin fällt,
Dann zünd' ich selber die Heimstatt an
Und ziehe hinaus in die weite Welt!

Hinaus in die Welt, in das finstere Reich,
Zu dienen im Dunkel dem fremden Mann,
Ein armer Gesell, der die Sterne bleich
Der Heimat nimmer vergessen kann
!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

030 Frühling des Armen.

Der Lenzwind tanzt auf Berg und Haide,
Jung Ivo taumelt wie im Traum,

Und zierlich schürzt die Birk' den Saum
An ihrem grünen Seidenkleide.
Sein Bündelchen im tollen Reigen
Wirft er empor zum lust'gen Ritt:
«O Birke! wieg' auf deinen Zweigen
Mein armes Ränzel freundlich mit!

«Was macht der Haide Glanz so traurig
Mein arm unwissend Bubenherz?

Was bettelt es und was begehrt's,
Das mich durchwallt so süß und schaurig?
Tief möcht' ich in den Himmel greifen,
Und meine Lippen zucken leis –
O könnt' ich singen oder pfeifen,
Was mir im Blute gährt so heiß!

«Am Bach sah ich mein Mädchen stehen,
O traute Birk'! im Morgenstrahl,

Dann aber froh aus unserm Thal
Mit Wanderschritten eilend gehen.
Sie ist dies Jahr so schön geworden,
Ich sah's mit jähem Schrecken ein!
Was aber soll im Bettelorden
Der reinen Schönheit Prunk und Schein!

«Was schiert mich all dies stolze Blühen?
Beschränke dich, du eitle Brust;

Umsonst! mich will die fremde Lust
Weit in die dunkle Ferne ziehen!
Du liebe Schwester Birke senke
Mein Säcklein wieder frei herab
Und einen deiner Aeste schenke
Mir noch zum grünen Bettelstab!

«Ich wandre, bis das Land ich finde,
Das bess're, wo der ärmste Mann
Ein Quentlein Hoffnung kaufen kann
Für einen Deut von Birkenrinde.
Dann wird mein Stecken bald zu Golde,
Das schönste Schloß erstürm' ich frisch,
Drin sitzt als Glück mein Kind, das holde,
Und winkt mir lächelnd an den Tisch!»


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

031 Gewitter im Mai.

In Blüten schwamm das Frühlingsland,
Es wogte weiß in schwüler Ruh;
Der dunkle feuchte Himmel band
Mir schwer die feuchten Augen zu.

Voll Reu' und Leid hatt' ich den Mai
Gegrüßt und seinen bunten Flor;
Nun zog er mir im Schlaf vorbei,
Verträumt von dem vergrämten Thor!

Da war ein Donnerschlag gescheh'n,
Ein einziger; den Berg entlang
Hört' ich Erwachender vergeh'n,
Erschrocken seinen letzten Klang!

«Steh' auf! steh auf! entraffe dich
Der trägen thatenlosen Reu'!»
Durch Thal und Herz ein Schauer strich,
Das Leben blühte frisch und neu.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

032 Zur Erntezeit. I.

Das ist die üppige Sommerzeit,
Wo alles so schweigend blüht und glüht,
Des Juli stolzierende Herrlichkeit
Langsam das schimmernde Land durchzieht.

Ich hör' ein heimliches Dröhnen gehn
Fern in der Gebirge dämmerndem Blau
,
Die Schnitter so stumm an der Arbeit stehn,
Sie schneiden die Sorge auf brennender Au'.

Sie sehnen sich nach Gewitternacht,
Nach Sturm und Regen und Donnerschlag,
Nach einer wogenden Freiheitsschlacht
Und einem entscheidenden Völkertag!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

033 Zur Erntezeit. II.

Es deckt der weiche Buchenschlag
Gleich einem grünen Sammtgewand,
So weit mein Auge reichen mag,
Das hügelübergoss'ne Land.

Und sachte streicht darüber hin
Mit linder Hand ein leiser West,
Der Himmel hoch mit stillem Glühn
Sein blaues Aug' drauf ruhen läßt.

Mir ist, ich trag' ein grünes Kleid
Von Sammet und die weiche Hand
Von einer schweigsam holden Maid
Strich' es mit ordnendem Verstand.

Wie sie so freundlich sich bemüht,
Duld' ich die leichte Unruh' gern,
Indeß sie mir ins Auge sieht
Mit ihres Auges blauem Stern.

Uns beiden ist, dem Land und mir,
So innerlich, von Grund aus, wohl –
Doch schau', was geht im Feldweg hier,
Den Blick so scheu, die Wange hohl?

Ein Heimatloser sputet sich
Waldeinwärts durch den grünen Plan –
Das Menschenelend krabbelt mich
Wie eine schwarze Wolfsspinn' an!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

034 Waldlieder. I.

Arm in Arm und Kron' an Krone steht der Eichenwald verschlungen,
Heut hat er bei guter Laune mir sein altes Lied gesungen.

Fern am Rande fing ein junges Bäumchen an sich sacht zu wiegen,
Und dann ging es immer weiter an ein Sausen, an ein Biegen;

Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,
Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.

Und nun sang und pfiff es graulich in den Kronen, in den Lüften,
Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.

Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine,
Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!

Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen;
Alles Laub war weißlich schimmernd nach Nordosten hingestrichen.

Also streicht die alte Geige Pan der Alte laut und leise,
Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.

In den sieben Tönen schweift er unerschöpflich auf und nieder,
In den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.

Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,
Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

035 Waldlieder. II.

Aber auch den Föhrenwald
Laß' ich mir nicht schelten,
Wenn mein Jauchzen widerhallt
In dem sonnerhellten!

Heiter ist's und aufgeräumt
Und das Weh'n der Föhren,
Wenn die Luft in ihnen träumt,
Angenehm zu hören!

Schlanken Riesenkindern gleich
Steh'n sie da im Bunde,
Jedes erbt ein kleines Reich
Auf dem grünen Grunde.

Aber oben eng verwebt,
Eine Bürgerkrone
Die Genossenschaft erhebt
Stolz zum Sonnentrone.

Schmach und Gram umfängt sie nie,
Nimmer Lebensreue;
Schnell und mutig wachsen sie
In des Himmels Bläue.

Wenn ein Stamm im Sturme bricht,
Halten ihn die Brüder;
Und er sinkt zur Erde nicht,
Schwebend hängt er nieder.

Lieg' ich so im Farrenkraut,
Schwindet jede Grille,
Und es wird das Herz mir laut
In der Föhrenstille.

Weihrauchwolken ein und aus
Durch die Räume wallen –
Bin ich in ein Gotteshaus
Etwan eingefallen?

Doch der Unsichtbare läßt
Lächelnd es geschehen,
Wenn mein wildes Kirchenfest
Hier ich will begehen!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

036 Am fließenden Wasser. I.

Hell im Silberlichte flimmernd
Zieht und singt des Baches Welle,
Goldengrün und tiefblau schimmernd
Küßt sie flüchtig die Libelle;
Und ein drittes kommt dazu,
Eine Blüte hergeschwommen:
Alle haben drauf im Nu
Heitern Abschied schon genommen.

Und die Esche beugt sich drüber,
Schaut in Ruh das holde Treiben,
Denkt: Ihr Lieben, zieht vorüber,
Ich will grünen hier und bleiben!
Und ich unterm Eschenbaum:
Was soll denn mit mir geschehen
In dem reizend leichten Traum?
Soll ich bleiben? Soll ich gehen?


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

037 Am fließenden Wasser. II.

Ich liege beschaulich
An klingender Quelle
Und senke vertraulich
Den Blick in die Welle;
Ich such' in den Schäumen
Weiß selbst nicht, wonach?
Verschollenes Träumen
Wird in mir wach.

Da kommt es gefahren
Mit lächelndem Munde,
Vorüber im klaren
Krystallenen Grunde,
Das alte vertraute,
Das Weltangesicht!
Sein Aug' auf mich schaute
Mit äth'rischem Licht.

Wohin ist's geschwommen
Im Wellengewimmel?
Woher ist's gekommen?
Vom blauenden Himmel!
Denn als ich ins Weben
Der Wolken geseh'n,
Da sah ich noch eben
Es dort vergeh'n.

Ich seh' es fast immer,
Wenn's windstill und heiter
Und stets macht sein Schimmer
Die Brust mir dann weiter;
Doch wenn sein Begegnen
Der Seele Bedarf,
Im Stürmen und Regnen
Auch seh' ich es
scharf.


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

038 Am fließenden Wasser. III.

Ein Fischlein steht am kühlen Grund,
Durchsichtig fließen die Wogen,
Und senkrecht ob ihm hat sein Rund
Ein schwebender Falk gezogen.

Der ist so lerchenklein zu seh'n
Zuhöchst im Himmelsdome;
Er sieht das Fischlein ruhig steh'n,
Glänzend im tiefen Strome!

Und dieses auch hinwieder sieht
Ins Blaue durch seine Welle
Ich glaube gar, das Sehnen zieht
Eins an des andern Stelle!


 Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

039 Am fließenden Wasser. IV.

Sah ich eine junge Welle,
Die durch Alpenrosen floß
Und sich rauschend mit der Quelle,
Mit dem Strom ins Thal ergoß.

Schien der Himmel drin versunken,
Und war doch so leicht und klar,
Und ich hab' davon getrunken,
Wie so frisch und rein sie war!

Bin dann auf dem Meer gelegen,
Wo das Kreuz am Himmel steht;
Nicht konnt' unser Schiff sich regen,
In der Glut kein Lüftchen weht'!

Schaut' ich in die Wasser nieder,
In die Tiefen unverwandt,
Und sah meine Welle wieder
Aus den Bergen, wohlbekannt.

Von dem heißen Strahl durchzittert,
Ja, sie war es, deutlich, nah!
Doch versalzen und verbittert,
Still und mutlos lag sie da. –


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

040 Regen-Sommer.

Nasser Staub auf allen Wegen!
Dorn und Distel hängt voll Regen
Und der Bach schreit wie ein Kind!
Nirgends blüht ein Regenbogen,
Ach, die Sonn' ist weggezogen
Und der Himmel taub und blind!

Traurig ruh'n des Waldes Lieder,
Alle Saat liegt siech darnieder,
Frierend schläft der Wachtel Brut.
Jahreshoffnung, fahler Schimmer!
Mit den Menschen steht's noch schlimmer,
Kalt und träge schleicht ihr Blut!

Krankes Weib am Findelsteine
Mit dem Säugling, weine! weine
Trostlos oder hoffnungsvoll:
Nicht im Feld und auf den Bäumen –
In den Herzen muß es keimen,
Wenn es besser werden soll!

Fleh' zu Gott, der ja die Saaten
Und das Menschenherz beraten,
Bete heiß und immerdar,
Daß er, unsre Not zu wenden,
Wolle Licht und Wärme senden
Und ein gutes Menschenjahr!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

041 In Duft und Reif.

Im Herbst verblichen liegt das Land,
Und durch die grauen Nebel bricht
Ein blasser Strahl vom Waldesrand,
Den Mond doch selber sieht man nicht.

Doch schau! der Reif wird Blütenstaub,
Ein Lorbeerhain der Tannenwald,
Das falbe, halb erstorbne Laub
Wie bunte Blumenwogen wallt!

Ist es ein Traumbild, das mir lacht?
Ist's Frühlingstraum vom neuen Jahr?
Die Freiheit wandelt durch die Nacht
Mit wallend aufgelöstem Haar!

Und wandelnd späht sie rings und lauscht,
Die bleiche, hohe Königin,
Und ihre Purpurschleppe rauscht
Leis über dunkle Gräber hin.

Sie hat gar eine reiche Saat
Verborgen in der Erde Schoß;
Sie forscht, ob die und jene That
Nicht schon in grüne Halme sproß.

Sie drückt ein Schwert an ihre Brust,
Das blinkt im weißen Dämmerlicht;
Sie bricht in wehmutvoller Lust
Manch blutiges Vergißmeinnicht. –

Es ist auf Erden keine Stadt,
Es ist kein Dorf, deß stille Hut
Nicht einen alten Kirchhof hat,
Darin ein Freiheits-Märt'rer ruht.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

042 Gasel.

Herbstnächtliche Wolken, sie wanken und zieh'n
Gleich fieberisch träumenden Kranken dahin;
Auf Bergwald und Seele die Düsternis ruht,
Ob kalt sie auch Wind und Gedanken durchflieh'n.
Klar strahlend jedoch tritt hervor nun der Mond,
Und weithin die Nebel entschwanken um ihn;
Geh' auf auch im Herzen mir, lieblicher Stern,
Dem immer die Schatten noch sanken dahin!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

043 Herbstnacht.

Als ich, ein Kind am Strome ging,
Wie ich da fest am Glauben hing,
Wenn ich den Wellen Blumen gab,
So zögen sie zum Meer hinab.

Nun hält die schwarz verhüllte Nacht
Erschauernd auf den Wäldern Wacht,
Weil bald der Winter, kalt und still,
Doch tötlich mit ihr ringen will.

Schon rauscht und wogt das weite Land
Geschüttelt von des Sturmes Hand,
Es braus't von Wald zu Wald hinauf
Entlang des Flusses wildem Lauf.

Da schwimmt es auf den Wassern her,
Wie ein ertrunknes Völkerheer
Schwimmt Leich' an Leiche, Blatt an Blatt,
Was schon der Streit verschlungen hat.

Das ist das tote Sommergrün,
Das zieht zum fernen Weltmeer hin –
Ade, ade, du zarte Schar,
Die meines Herzens Freude war!

Sing's in die Niedrung dunkle Flut:
Hier oben glimmt ein heißes Blut,
Wie Haidefeuer einsam glüht,
An dem die Welt vorüber zieht!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

044 Sonntagsjäger.

Es lässet sich mit aller Kraft
Ein Horn im Walde hören;
Ich krieg' ein altes Rohr beim Schaft
Und schlendre in die Föhren.

Der Wald, der macht mir vielen Spaß,
Er flunkert in der Sonnen;
Der Reif hat wie mit Jungfernglas
Die Nadeln übersponnen.

Da hüpft ein junger Has daher
Und spielt vor mir im Grase;
Ich brenne wie von ungefähr
Mein Schrot ihm auf die Nase.

Es ist, als schrie' er: «Gott vergelt's!»
Mit kläglicher Gebärde;
Sein rotes Blütlein färbt den Pelz
Und macht sich in die Erde.

Was stierst du so, du Haidekind,
Im Sterben immer dümmer?
Du siehst mich, wie die Andern sind,
Nicht besser und nicht schlimmer!

Und als das Häslein ausgeschnappt,
Hab' ich es heimgetragen –
Doch freilich schon genug gehabt
Von Weidmanns Heil und Jagen!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

045 Feldbeichte.

Im Herbst, wenn sich der Baum entlaubt,
Nachdenklich wird und schweigend,
Mit Reif bestreut sein welkes Haupt,
Fromm sich dem Sturme neigend:

Da geht das Dichterjahr zu End',
Da wird mir ernst zu Mute;
Im Herbst nehm' ich das Sakrament
In jungem Traubenblute.

Da bin ich stets beim Abendrot
Allein im Feld zu finden,
Da brech' ich zag mein Stücklein Brot
Und denk' an meine Sünden.

Ich richte mir den Beichtstuhl ein
Auf ödem Haideplatze;
Der Mond, der muß mein Pfaffe sein
Mit seiner Silberglatze.

Und wenn er grämlich zögern will,
Der Last mich zu entheben,
Dann ruf' ich: «Alter, schweig' nur still,
Es ist mir schon vergeben!

Ich habe längst mit Not und Tod
Ein Wörtlein schon gesprochen!»
Dann wird mein Pfaff vor Aerger rot
Und hat sich bald verkrochen.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

046 Trübes Wetter.

Es ist ein stiller Regentag,
So weich, so ernst, und doch so klar,
Wo durch den Dämmer brechen mag
Die Sonne weiß und sonderbar.

Ein wunderliches Zwielicht spielt
Beschaulich über Berg und Thal;
Natur, halb warm und halb verkühlt,
Sie lächelt noch und weint zumal.

Die Hoffnung, das Verlorensein
Sind gleicher Stärke in mir wach;
Die Lebenslust, die Todespein,
Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.

Ich aber, mein bewußtes Ich,
Beschau' das Spiel in stiller Ruh,
Und meine Seele rüstet sich
Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

047 Stiller Augenblick.

Fliehendes Jahr, in duftigen Schleiern
Streifend an abendrötlichen Weiern
Wallest
du deine Bahn;
Siehst mich am kühlen Waldsee stehen,
Wo an herbstlichen Uferhöhen
Zieht entlang ein stummer Schwan.

Still und einsam schwingt er die Flügel,
Tauchet in den Wasserspiegel,
Hebt den Hals empor und lauscht;
Taucht zum andern Male nieder,
Richtet sich auf und lauschet wieder,
Wie's im flüsternden Schilfe rauscht.

Und in seinem Thun und Lassen
Will's mich wie ein Traum erfassen,
Als ob's meine Seele wär',
Die verwundert über das Leben,
Ueber das Hin- und Wiederschweben,
Lugt' und lauschte hin und her.

Atme nur in vollen Zügen
Dieses friedliche Genügen
Einsam auf der stillen Flur!
Und hast du dich klar empfunden,
Mögen enden deine Stunden,
Wie zerfließt die Schwanenspur!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

048 Herbstlied.

Laßt uns auf alle Berge gehen,
Wo jetzt der Wein zu Thale fließt,
Und überall am nächsten stehen,
Wo sich der Freude Quell ergießt,
Uns tief in allen Augen spiegeln,
Die durch das Rebenlaub erglühn!
Laßt uns das letzte Lied entriegeln,
Wo noch zwei rote Lippen blühn!

Seht, wie des Mondes Antlitz glühend
Im Rosenscheine aufersteht,
Indeß die Sonne, freudesprühend,
Den Leib im Westmeer baden geht!
Wie auf der Jungfrau'n einer Wange
Der Widerschein des Mondes ruht,
Dieweil erhöht vom Niedergange,
Erglänzt der andern Purpurblut.

O küsset schnell die Himmelszeichen,
Eh' sich verdunkelt die Natur!
Mag dann der Abglanz auch erbleichen,
Im Herzen loht die schönre Spur!
Mag sich, wer zu dem süßen Leben
Der Lieb' im Lenz das Wort nicht fand,
Der holden Torheit nun ergeben,
Den Brausebecher in der Hand!

Wohl wird man edler durch das Leiden
Und strenger durch erlebte Qual;
Doch hoch erglühn in guten Freuden,
Das adelt Seel' und Leib zumal.
Und liebt der Himmel seine Kinder,
Wo Thränen er durch Leid erpreßt,
So liebt er jene drum nicht minder,
Die er vor Freude weinen läßt.

Und sehnen blasse Gramgenossen
Sich nach dem Grab in ihrer Not,
Wem hell des Lebens Born geflossen,
Der scheut noch weniger den Tod!
Taucht euch ins Bad der Lust, ins klare,
Das euch die kurze Stunde gönnt,
Daß auch für alles heilig Wahre
Ihr jede Stunde sterben könnt!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

049 Land im Herbste.

Die alte Heimat seh' ich wieder,
Gehüllt in herbstlich feuchten Duft;
Er träufelt von den Bäumen nieder,
Und weithin dämmert grau die Luft.

Und grau ragt eine Flur im Grauen,
Drauf geht ein Mann mit weitem Schritt
Und streut, ein Schatten nur zu schauen,
Ein graues Zeug, wohin er tritt.

Ist es der Geist verschollner Ahnen,
Der kaum erstrittnes Land besät,
Indeß zu Seiten seiner Bahnen
Der Speer in brauner Erde steht?

Der aus vom Kampf noch blut'gen Händen
Die Körner in die Furche wirft,
So mit dem Pflug von End' zu Enden
Ein jüngst vertriebnes Volk geschürft?

Nein, den Genossen meines Blutes
Erkenn' ich, da ich ihm genaht,
Der langsam schreitend, schweren Mutes
Die Flur bestäubt mit Aschensaat.

Die müde Scholle neu zu stärken
Läßt er den toten Staub verweh'n,
So seh' ich ihn in seinen Werken
Gedankenvoll und einsam geh'n.

Grau ist der Schuh an seinem Fuße,
Grau Hut und Kleid, wie Luft und Land;
Nun reicht er mir die Hand zum Gruße
Und färbt mit Asche mir die Hand.

Das alte Lied, wo ich auch bliebe,
Von Mühsal und Vergänglichkeit!
Ein wenig Freiheit, wenig Liebe,
Und um das Wie der arme Streit!

Wohl hör' ich grüne Halme flüstern
Und ahne froher Lenze Licht!
Wohl blinkt ein Sichelglanz im Düstern,
Doch binden wir die Garben nicht!

Wir dürfen selbst das Korn nicht messen,
Das wir gesät aus toter Hand;
Wir gehn und werden bald vergessen,
Und unsre Asche fliegt im Land!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

050 Fahrewohl.

Den Linden ist zu Füßen tief
Das dürre Laub geblieben;
Am Himmel steht ein Scheidebrief
Ins Abendrot geschrieben.

Die Wasser glänzen still und kühl,
Ein Jahr ist drin ertrunken;
Mir ist ein schaudernd Grabgefühl
Ins warme Herz gesunken.

Du schöne Welt! muß wohl ich bald
In diese Blätter sinken,
Daß andres Herz und andrer Wald
Die Frühlingslüfte trinken?

Wenn du für meines Wesens Raum
Ein bessres weißt zu finden,
Dann laß mich aus dem Lebenstraum
Rasch und auf ewig schwinden!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

051 Erster Schnee.

Wie nun alles stirbt und endet
Und das letzte Lindenblatt
Müd sich an die Erde wendet
In die warme Ruhestatt,
So auch unser Thun und Lassen,
Was uns zügellos erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei zum welken Laub gelegt.

Reiner weißer Schnee, o schneie,
Decke beide Gräber zu,
Daß die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Wintersruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Haß umsonst die Hände
Dräuend aus dem Grabe streckt.


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

052 Im Schnee.

Wie naht das finster türmende
Gewölk so schwarz und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!

Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuß, der fliehende,
Im Schneefeld naß und kalt.

Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!

Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die wache Seele schürt,
Ein perlend, nie versiegendes
Gedankenbrauwerk rührt!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

053 Winterspiel.

Verschlossen und dunkel ist um und um
Mein winterlich Herz zu schauen;
Doch innen, da ist es leuchtend und hell
Und dehnen sich grünende Auen.

Da stell' ich den Frühling im kleinen auf
Mit Rosengärten und Bronnen,
Und spann' ich ein zierliches Himmelsgezelt
Mit Regenbögen und Sonnen.

Da entzünd' ich Morgen- und Abendrot
Und lasse die Nachtigall schlagen,
Schlank gehende, blühende Jungfräulein
Meergrüne Gewänder tragen.

Dann ändr' ich die Scene, dann lass' ich mit Macht
Den gewaltigen Sommer erglühen,
Die Schnitter auf goldenen Garben ruhn,
Blutrot das Mohnfeld blühen.

Dann plötzlich erhell' ich mit Wetterschein
Mein Herz und füll' es mit Stürmen,
Lass' Schiffe und Männer zu Grunde geh'n,
Dann «Feuer» auf Bergen und Türmen!

Hei! Revolution und Mordgeschrei
Mit Galgen und Guillotinen!
Geköpfte Könige, wahnsinnig' Volk,
Convente und Höllenmaschinen!

Nun ist mein Busen der Greveplatz
Voll Pöbels und blutiger Leichen;
Ich sehe mich selber im dicksten Gewühl
Entsetzt und totblaß schleichen.

Es wird mir so bang', kaum find' ich die Kraft,
Den Gräuel noch wegzuhauchen;
Braun dämmert ein Moor, ich liege tot,
Wo verlassene Trümmer rauchen.

Wie alles so stumm und erstorben ist,
So trag' ich mich schweigend zu Grabe
Und pflanz' ein schwarzes Kreuz darauf,
Das ich selber gezimmert habe.

Ich schreibe darauf: hier ist ins Gras
Ein spielender Träumer gekrochen;
Wohl ihm und uns, wär' die Welt von Glas,
Er hätte sie lange zerbrochen!


  Gesammelte Gedichte / Buch der Natur

054 Winternacht.

Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Aesten klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergeß' das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!

 


Keller Seite      GEDICHTE