Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)        NN_07

Neuere Gedichte 1854

 

Romanzen.

 

094 Verliebtes Räthsel.

Gefächelt von der Lüfte Schwingen,
Zeigt's deiner Lippen hohe Rosengluth
Und knistert leis, wie deine Lippen singen,
Wenn ein geheimer Traum bewegt dein Blut.

Nun schweigt das Knistern, stirbt die Röthe,
In tiefe Nacht versinkt der Fünklein Tanz;
Nun ist es todt und schwarz, was überböte
Die Schwärze, als dein Haar im Morgenglanz?

Noch warm, nehm' ich die zarte Leiche
Und schreib' auf deines Flur's besonnten Stein
Ihr art'ges Leben, dem das deine gleiche,
So hoch erglühend und so schlicht und rein:

«Ich war ein Bäumlein auf den Rainen,
Mein Mark war weich und weiß, die Blättlein grün,
Ich sah die Sonne feurig niederscheinen,
Dann brannt' ich selber, selig im Verglüh'n!

«Was von mir blieb, zeigt noch die Triebe
Der Adern und der Jahresringe Lauf;
Schreib' froh mit mir, Poet! den Preis der Liebe
Und brauch' mich ganz zu deinem Liede auf!»

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

095 Vergleich.

O ein Glöcklein klingelt mir früh und spät
Silbernen Schalles in die Seele hinein,
Zart wie ein Luftlied, welches von Osten weht,
Unermüdlich plaudernd, melodisch rein!

Aber wandl' ich es um zum Becherlein,
Kehr' ich es um und häng' es an meinen Mund,
Trinke daraus den allersüßesten Wein:
Schweigt das Glockenbecherchen zur Stund,

Hält sich stille, so lang ich trinken mag,
An meinen durstigen Lippen verhallt sein Rand,
Tönet jedoch wieder mit hellem Schlag,
Kaum ich es der innigen Haft entband.

Glas und Glöcklein ist, mein Engelchen!
Mir dein Mündchen ohne Rast und Ruh',
Und das Zünglein drin das Schwengelchen,
Das nie schweigt, als wenn ich dich küssen thu'!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

096 Ehescheidung.

Zum Pfäffel kam ein Pärchen und schrie:
Geschwinde laßt uns frei'n!
Wir können nicht eine einzige Stund'
Mehr ohne einander sein!

Und aber ein Jährlein kaum verstrich,
Sie liefen herbei und schrie'n:
Herr Pfarrer, trennt und scheidet uns,
Laßt keine Minute verzieh'n!

Das Pfäfflein runzelte sich und sprach:
Macht euch die Scham nicht roth?
Wir haben es alle Drei beschwor'n:
Euch trenne nur der Tod!

Roth macht die Scham, doch Reue bleich!
Herr Pfarrer, gebt uns frei!
Der Mann bot einen Beutel dar,
Die Frau der Beutel zwei.

Da that das Pfäffel zwischen sie
Ein Kätzelein, heil und ganz;
Der Mann, der hielt es bei dem Kopf,
Die Frau hielt es am Schwanz.

Der Pfaff mit großem Messer hieb
Das Kätzelein
entzwei:
«Es trennt, es trennt, es trennt der Tod!»
Da waren sie wieder frei.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

097 Die Aufgeregten.

Welche tief bewegte Lebensläufchen,
Welche Leidenschaft, welch' wilder Schmerz!
Eine Bachwelle und ein Sandhäufchen
Brachen an einander sich das Herz!

Eine Biene summte hohl und stieß
Ihren Stachel in ein Rosendüftchen,
Und ein holder Schmetterling zerriß
Den azurnen Frack im Sturm der Mailüftchen!

In ein Tröpflein Thau am Butterblümchen
Stürzt sich eine zarte Käferfrau,
Und die Blume schloß ihr Heiligthümchen
Sterbend über dem verspritzten Thau!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

098 Aurelie.

Wenn so goldröthlich dunkel
Mit schillerndem Gefunkel
Dein Haar in Ruhe liegt,
In Flechten reich gebunden,
Von Purpurband umwunden
Sich an die Wangen schmiegt:
Dann ist es uns der Ordnung Bild
Und streng gezog'ner Schranken,
Und wir ergeh'n uns friedlich mild
In zierlichen Gedanken.

Doch wenn in ungebund'ner
Pracht es sich aufgethan,
Dann haucht ein unumwund'ner
Und wilder Geist uns an,
Wie wenn von Bergeshöhen
Die Feuerzeichen wehen
Und glüh'n von Thal zu Thal!
Die dunkle Flamme flüstert,
Die rothe Seide knistert,
Nun ist dein Haar ein lohes
Und leidenschaftlich frohes
Hochwehendes Streitsignal!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

099 Seemährchen.

Und als die Nixe den Fischer gefaßt,
Da machte sie sich abseiten;
Sie schwamm hinaus mit lüsterner Hast,
Hinaus in die nächtlichen Weiten.

Sie schwamm in gewaltigen Kreisen herum,
Bald oben, bald tief am Grunde,
Sie wälzt' mit dem Armen sich um und um
Und küßt' ihm das Roth vom Munde.

Drei Tage hatte sie Zeitvertreib
Mit ihm in den Meeresweiten,
Am vierten ließ sie den todten Leib
Aus ihren Armen gleiten.

Da schoß sie empor an das sonnige Licht
Und schaute hinüber zum Lande;
Sie schminkte mit Purpur das weiße Gesicht
Und nahte sich singend dem Strande.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

100 Roth.

                      «Blut ist ein ganz besondrer Saft!»

«Ich bin roth und hab's erwogen
Und verkünd' es unverweilt!
Und geköpft sei Jeder, welcher
Das Princip nicht <mit> mir
theilt!»

Also in des Baders Stube
Hört' ich Einen, der dies sprach,
Eben als 'nem feisten Bäcker
Jener in die Ader stach.

Und des Blutes munt'rer Bogen
Aus dem dicken drallen Arm
Fiel dem Sprecher auf die Nase,
Sie begrüßend freundlich warm!

Bleich entsetzt fuhr er zusammen,
Wusch darauf sich sieben Mal;
Doch noch lang rümpft sich die Nase,
Fühlt noch lang den warmen Strahl.

Eine Ros' im Wetterscheine
Sah ich blühen brennend roth;
Einen Becher sah ich glühen,
Der noch tief're Röthe bot!

Aber rief etwa die Knospe
Vorher, daß sie roth wollt' sein?
Schrie der junge grüne Weinstock:
Ich will geben rothen Wein?

Nein, der ewig goldengrüne
Baum des Lebens thut das nie,
Das thut nur die ewig graue,

Graue Eselstheorie!

Manches Brünnlein mag noch springen
In das Gras mit rothem Schein;
Doch der Freiheit ächter, rechter
Letzter Sieg wird trocken sein.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

101 Frühlingsbotschaft.

Zum Gerichte rief der Frühling.
Und mit Strenge zu verfahren
Gegen ketzerisch verstockte
Uebelsinnige Verzweiflung,
Haben seine Heiligkeit
Bei der Sonne Glanz geschworen!

Und in grünem Feuer flammen
Alle Bäume nun auf Erden;
Jeder Baum ist eine Flamme!
Und geschürt sind alle Gluthen,
Angefacht glüh'n alle Rosen,
Während die schismatisch grauen
Aufgelösten Nebelflocken
Klagend durch die Lüfte flattern
Gleich verbrannter Ketzer Asche!
Doch der heilig ernste Himmel
Läßt sie ohne Spur verschwinden,
Und er schau't in's grüne Feuer
Mit erbarmungsloser Bläue.

Habt ihr jetzo unter euch
Einen schlimmen und verschrob'nen,
Heuchlerischen und verstockten
Und verbohrten Hypochonder,
Der da zwischen Gut und Böse
Eigensinnig schwankt und zweifelt,
Weder warm noch kalt kann werden,
Oder zu gerechtem Argwohn
Grund giebt, daß sein schwarzes Inn'res
Wohl ein ungeheures hohles,
Aufgeblas'nes Schisma berge:
Diesen legt nun auf die Folter,
Diesen lasset nun bekennen!
Bindet ihn mit jungem Epheu,
Werft ihn nieder auf die Rosen!
Gießt ihm Wein auf seine Zunge,
Flüssig heißes Gold des Weines,
Das den Mann zum Beichten zwingt,
Glas auf Glas, bis er bekennt!

Zeiget sich ein Hoffnungsfunken,
Nur ein Funken heit'ren Glaubens,
Nur ein Strahl des guten Geistes:
O so stellt ihn auf zur Linken,
Zur Belehrung und zur Bess'rung!
O so stellt ihn, wo das Herz schlägt,
Auf der Menschheit frohe Linke,
Auf des Frühlings große Seite!

Sollt' es sich jedoch ereignen,
Daß das peinliche Verfahren
Nichts enthüllte, Nichts verriethe,
Was da nur der Rede werth –
Das Delirium des Rausches
Selbst nur eine dunkle Leere
Vor den Richtern offenbarte:
Schleunig laßt den Sünder laufen!
Jagt ihn stracks zur schnöden Rechten,
Wo Geheul und Zähneklappen,
Dummheit und Verdammniß wohnen!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

102 Die falsche Scham.

Graulockig ein Mann und ein blöndlicher Fant,
Die gehen spazieren am sonnigen Strand,
Der Aeltere spricht zu dem jüngeren Wicht:
Was schneidest du für ein betrübtes Gesicht?

Der klagt ihm, wie er ein Weib hielt werth,
Dem neulich er fruchtlos die Liebe erklärt,
Und wie nun verletzt seine stolze
Brust,
Daß er den Mund nicht zu halten gewußt!

Und Jener spricht: Des Fährmanns Magd,
Siehst du, die über dem Strome ragt,
Gering und arm und der Zierde bar,
Und siehst auch mein ergrauendes Haar?

Glömm' mir ein Fünklein Lieb' zu ihr,
Laut rief ich es von der Stelle hier,
Rief's laut in der Wellen tönenden Gang,
Mich dünkt' es der allerschönste Gesang!

Hoch schlug mir in meiner Jugend das Herz
Und feurig schweifte das Aug' allwärts;
Fromm hab' ich so manches Geständniß gemacht,
Die Ein' hat geweint und die Andre gelacht.

Bei Einer nur hab' ich das Wörtchen verschluckt,
Wie sehr es auch sterbend im Herzen gezuckt.
Ich glaube, sie ahnt' es und lächelte fein;
Doch weiß ich nicht, sang's in ihr Ja oder Nein.

Und grämlich schwieg ich und ging in die Welt,
Schlug auf, brach ab mein Wanderzelt;
Auch oftmals kam ich wieder in's Land,
Wo stets ich die lächelnde Dame fand.

Der Sommer war warm und der Winter kalt,
Die Zeit verging und wir wurden alt,
Als ich zum letzten Mal sie sah,
Lag sie im Leichenhemde da.

Die Augen starrten mich offen an,
Weil Niemand liebend sie zugethan,

Doch auf den Lippen, bleich und todt,
Lag lieblich lächelnd noch der Spott.

Er schien zu sagen: «o grober Mann,
Der so mit Worten geizen kann!»
Ich ärgerte und kränkte mich,
Daß ich beschämt von dannen schlich
!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

103 Schlafwandel am Tage.

Im afrikanischen Felsenthal
Marschirt ein Bataillon,
Sich selber fremd, eine braune Schaar
Der Fremdenlegion;
Lang ist ihr wildes Lied verhallt
In Sprachen mancherlei,
Stumm glüht der römische Schutt am Weg,
Schlafend zieh'n sie vorbei.

Unter der Trommel vorgebeugt
Der schlafende Tambour geht,
Es nickt der Commandant zu Roß,
Von webender Gluth umweht;
Es schläft die Truppe Haupt für Haupt
Unter der Sonne gesenkt,
Von der Gewohnheit Eisenfaust
In Schritt und Tritt gelenkt.

Und was sonst in der dunklen Nacht
Das enge Zelt nur sieht,
Wird unter'm offnen Himmelblau
Vom Wüstenlicht durchglüht.
Es spielt das schmerzliche Mienenspiel
Unglücklichen Manns, der träumt,
Von Gram und Leid und Bitterkeit
Ist jeglicher Mund umsäumt.

Es zuckt die Lippe, es zuckt das Aug',
Auf dürre Wangen quillt
Die unbemeisterte Thräne hin,
Vom Sonnenbrand gestillt.
Sie schau'n ein reizend Spiegelbild
Vom kühlen Heimathstrand,
Das grüne Kleefeld, roth beblümt,
Die Mutter, die einst den Sohn gerühmt,
Verlorenes Vaterland!

Ein Schuß – da flattert's weiß heran
Und schon steht das Quarré
Schlagfertig und munter, und Keiner sah
Des Andern Reu und Weh;
Nur zorniger ist jeder Mann
Und ihm willkommen der Streit;
Doch wie er kam, zerstiebt der Feind
Wie Traum und Reu so weit!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

104 Trochäen.

Wohl, ich saß im hohen Eschenbaume,
In der grünen Krone still verborgen,
Unter'm Baume lag ein schönes Fräulein
Auf dem sonnbeglänzten Sand im Bade.
Auf dem Rücken lag sie unbeweglich,
Mit dem Köpfchen auf dem warmen Ufer,
Ihre Arme reglos d'rum geschlungen;
Doch die zarten Füße, sie verschwanden
In dem blauen Purpur des Gewässers.
Aber sichtbar wurde schon das Leuchten
Ihrer Kniee aus der klaren Feuchte,
Und wie Glas auf ihrem weißen Schooße
Unablässig floß die Welle weiter,
Und die Silberfischchen schwammen ruhig
Ueber ihre Hüften hin, erblinkend,
Wann sie lässig ihre Flossen regten.

Auf des Stromes hellbeglänzte Breite
Sah die Schöne mit halboffnen Augen.
Kahl und einsam lag das and're Ufer,
Nicht ein menschlich Wesen zu erspähen.

Doch auf einmal kam ein Schiff gefahren
Mitten auf des Stromes heit'rem Glanze;
Und ich sah das Schiff und sah die Schöne.
Sachte, sachte schloß sie ihre Augen,
Nicht sich regend, bis das Schiff vorüber.
Und die Schiffer fuhren in die Ferne,
Nur nach ihrem Ziel den Sinn gewendet. –

Triumphirend lächelte die Holde;
Denn das Aeußerste zu wagen und ihm
Zu entgehen, lieben stets die Frauen.
Doch sie ahnte nicht, daß ihr zu Häupten
Sie belauscht ein arger Müßiggänger,
Den die Laune auf den Baum getrieben.
Und ich mußte mich zusammenfassen,
Nicht wie reife Frucht vom Baum zu fallen,
Während ich in meinem Sinn erwägte,
Was zum Heil der Schönen zu beginnen?
Schweigen, dacht' ich, ist das Heil für Alle;
Wenn ich schweig' von dem, was ich gesehen,
Ist mir wohl und ihr nicht weh geschehen!

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

105 Jung gewohnt, alt gethan.

Die Schenke dröhnt, und an dem langen Tisch
Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen;
Man pfeift, man lacht; Geschrei, Fluch und Gezisch
Ertönte an des Bieres trüben Wellen.

In dieser Wüste glänzt ein weißes Brot,
Sah man es an, so ward dem Herzen besser;
Sie drehten eifrig d'raus ein schwarzes Schrot
Und wischten d'ran die blinden Schenkemesser.

Doch Einem, der da mit den Andern schrie,
Fiel unter'n Tisch des Brots ein kleiner Bissen;
Schnell fuhr er nieder, wo sich Knie an Knie
Gebogen drängte in den Finsternissen.

Dort sucht' er selbstvergessen nach dem Brot;
Doch da begann's rings um ihn zu rumoren,
Sie brachten mit den Füßen ihn in Noth
Und schrie'n erbos't: Was, Kerl! hast du verloren?

Erröthend taucht' er aus dem dunkeln Graus
Und barg das Brötchen in des Tischtuchs Falten.
Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus
Und einer edlen Mutter strenges Walten.

Nach Jahren aber saß derselbe Mann
Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann,
Und in gewählten Worten floh die Stunde.

Auch hier lag Brot, weiß wie der Wirthin Hand,
Wohlschmeckend in dem Dufte guter Sitten;
Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten.

O lassen Sie es liegen! sagt sie schnell;
Zu spät, schon ist er unter'n Tisch gefahren
Und späht und sucht, der treffliche Gesell,
Wo kleine seid'ne Füßchen steh'n zu Paaren!

Die Herren lächeln, und die Damen zieh'n
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen;
Er taucht empor und legt das Brötchen hin,
Erröthend hin auf das damast'ne Linnen.

Zu artig, Herr! dankt ihm das schöne Kind,
Indem sie spöttisch lächelnd sich verneigte;
Er aber sagte höflich und gelind,
Indem er sich gar sittsamlich verbeugte:

Wohl einer Frau galt meine Artigkeit, –
Euch aber dießmal nicht, verehrte Dame!
Sie galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bitt'rem Grame.

 

 Neuere Gedichte 1854 / Romanzen

106 Die Winzerin.

Am sonnig edlen Gartenhaus
Da reifet Traub' an Traube,
Die sanfte Schöne tritt heraus,
Prüft sinnend ihre Laube;
Dem blauen Blick der Schönen gleicht
Der Beeren dunkle Menge,
Wohin ihr freundlich Auge reicht,
Lacht freundliches Gedränge.

Rings lockt der Trauben stille Gluth
Zu Häupten und zu Füßen,
Und sie beginnt mit stillem Muth
Zu schneiden all' die süßen;
Und wie sie mit der lieben Hand
Die gold'nen Blätter theilet,
Im Fluge über See und Land
Schweift hin
der Blick und weilet.

Wie eine reife Beere glänzt
Ihr feuchtes Aug' hinüber,
Wo's blaut und leuchtet unbegrenzt
So fern, so fern herüber;
Sie lässet still und ahnungsvoll
Die schweren Trauben sinken,
Bis es in Körben reizend schwoll
Mit tausendfachem Blinken.

Sie wandelt hin und wandelt her
Geschäftig durch den Garten,
Bis all' die Körbe, früchteschwer,
Gereiht der Kelter warten.
Die Kelter ist gar reich gebaut,
Recht für der Schönen Hände;
Von Silber man die Spindel schaut,
Von Rosenholz die Wände.

Sie steht auf einem Marmortisch.
Die Winzerin beginnet,
Daß aus der Kelter süß und frisch
Das Blut der Traube rinnet;
Wie reg der weißen Arme Zier
Mit holder Kraft sich mühet!
Sie keltert, bis die Wange ihr
In dunklem Purpur glühet.

Sie keltert, daß der Busen fliegt
Und woget ungemessen,
Umsonst – was ihr im Sinne liegt,
Das kann sie nicht vergessen;
Umsonst – und wie die Krüge sie
Mit edlem Moste füllet:
Sie selber hat den Durst noch nie,
Das Sehnen nie gestillet.

Sie läßt den süßen Feuersaft
Verschlossen in sich gähren,
In kühler Nacht zu milder Kraft,
Zum selt'nen Wein verjähren;
Den trägt sie zu den Hütten hin
Wohl auf und ab im Thale,
Sie reicht der armen Wöchnerin,
Dem kranken Greis die Schale.

So keltert sie den Edelwein
Im Herbst seit manchen Jahren;
Ein Segel kommt im gold'nen Schein
Des Abends fern gefahren,
Ein Schifflein legt im Hafen an,
Sie hört die Schiffer singen,
Und einen hochgemuthen Mann
Sieht sie an's Ufer springen.

Sie kennt ihn und sie kennt ihn nicht,
Sie starrt hinaus in's Weite,
Als es mit trauter Stimme spricht
Und grüßt schon ihr zur Seite.
Die holden Klänge mischen sich,
Das Wort hier, dort die Lieder:
«Rathlos verließ der Knabe dich,
Ein Mann kehrt dir nun wieder!»

«O schau, wie leuchtet's weit und breit,
Wie klar der Tag, die Stunde!
Und reif die schönste Weiblichkeit
Küßt mich von deinem Munde!»
Da ist in seine Arme hin
Sie wonnevoll gesunken,
Und weinend hat die Winzerin
Zum ersten Mal getrunken.

 


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